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Neil Cairns blickte von seinem kleinen Klapptisch auf, als jemand an die Tür seiner Kammer klopfte.»Herein!»
Bolitho trat ein, den Hut unterm Arm, das Gesicht von Müdigkeit gezeichnet.
Cairns wies auf den einzigen anderen Stuhl im Raum.»Nehmen Sie die Bücher herunter und setzen Sie sich, Mann!«Er tastete zwischen Papierstapeln, Listen und gekritzelten Notizen herum und fügte hinzu:»Hier sollten eigentlich ein paar Gläser stehen. Sie sehen aus, als müßten Sie sofort etwas trinken. Ich brauche auf jeden Fall einen Schluck. Sollte Ihnen jemand mal den Posten eines Ersten Offiziers anbieten, so jagen Sie ihn zum Teufel!»
Bolitho setzte sich und lockerte sein Halstuch. Nach dem stundenlangen Marsch kreuz und quer durch New York und der endlosen Bootsfahrt durch den Hafen fühlte er sich verschwitzt und erschöpft und genoß die Andeutung einer kühlen Brise in der Kammer. Er war an Land geschickt worden, um neue Leute aufzutreiben, als Ersatz für die auf der Faithful Gefallenen und Verwundeten, sowie für Sparkes Leute, die mit der Brigantine in die Luft geflogen waren. Das alles schien ihm jetzt wie ein verschwommener, böser Traum. Es war erst drei Monate her, doch schon konnte er sich kaum noch an die richtige Reihenfolge der Ereignisse erinnern. Auch das Wetter machte das Ganze so verworren. Damals war es kalt und stürmisch gewesen, die See rauh bis zum Aufkommen des Nebels, der wie durch ein Wunder rechtzeitig erschienen war. Jetzt herrschte drückende Hitze, die Sonne brannte erbarmungslos, und von Wind keine Spur. Der Rumpf der Trojan knarrte vor Trockenheit, das Pech in den Decksnähten glänzte feucht, klebte an den Schuhsohlen und an den nackten Füßen der Seeleute.
Cairns betrachtete Bolitho nachdenklich und stellte fest, daß er sich erheblich verändert hatte. Er war mit den beiden Prisen als ein anderer Mann nach New York zurückgekehrt. Irgendwie schien er reifer, und ihm fehlte der jugendliche Optimismus, der ihn früher ausgezeichnet hatte.
Die Ereignisse, die ihn so verändert hatten, vor allem Sparkes schrecklicher Tod, waren selbst am Kommandanten nicht spurlos vorübergegangen.
Cairns fand die Gläser und sagte:»Rotwein, Dick, und warm, aber besser als nichts. Ich habe ihn bei einem Händler an Land gekauft.»
Bolitho neigte den Kopf, die Locke klebte an seiner Stirn und verbarg die schreckliche Narbe. Trotz des Dienstes in diesen Gewässern war er blaß, und das Grau seiner Augen wirkte wie der Winter, den sie gerade hinter sich gebracht hatten.
Bolitho merkte, daß er beobachtet wurde, aber das war er schon gewohnt. Wenn er sich verändert hatte, so auch seine Umgebung mit ihm. Durch Sparkes Tod waren die Offiziere eine Sprosse der Beförderungsleiter höhergestiegen. Bolitho war jetzt Dritter Offizier, und der am unteren Ende freigewordene Posten war von Libby besetzt worden. Dieser war also jetzt Sechster Offizier der Trojan, unter dem Vorbehalt, daß er später sein Examen bestand. Der Altersunterschied zwischen dem Kommandanten und seinen Offizieren war jetzt erheblich. Bolitho wurde im Oktober erst einundzwanzig, die anderen waren noch jünger, Libby sogar erst siebzehn.
Dies war ein allgemein geübtes System an Bord der größeren Schiffe, aber Bolitho fand wenig Trost in seiner Beförderung; allerdings hielten die neuen Aufgaben ihn ständig in Atem und drängten somit die bösen Erinnerungen in den Hintergrund.
Cairns sagte unvermittelt:»Der Captain möchte, daß Sie ihn heute abend auf das Flaggschiff begleiten. Der Admiral hält Hof. Es wird erwartet, daß die Kommandanten ein oder zwei Adjutanten mitbringen. «Er schenkte nach, sein Gesicht blieb unbeteiligt.»Ich habe zu arbeiten, muß die verdammten Proviantlisten fertigmachen.
Außerdem liegt mir nicht viel an leerem Geschwätz, besonders jetzt, da die ganze Welt auseinanderbricht.»
Er äußerte das so bitter, daß Bolitho unwillkürlich fragte:»Bedrückt Sie etwas Besonderes?»
Cairns zeigte sein seltenes Lächeln.»Alles! Ich bin krank vor Untätigkeit. Listen schreiben, neues Tauwerk oder neue Spieren anfordern, während alles, was diese Halsabschneider an Land von einem wollen, nichts anderes ist als Geld und nochmals Geld.»
Bolitho dachte an die beiden Prisen, die er nach New York gesegelt hatte. Sie waren zum Prisenhof geschafft, verkauft und wieder in Dienst gestellt worden, beinahe schneller, als des Königs Flagge an Bord gehißt werden konnte.
Nicht ein einziger von den Leuten der Trojan wurde auf die Prisen versetzt; der Offizier, der das Kommando über die Faithful erhielt, war erst vor ein paar Wochen aus England gekommen. Es war unfair, gelinde ausgedrückt, und offensichtlich eine Enttäuschung für Cairns. In achtzehn Monaten wurde er dreißig. Der Krieg konnte bis dahin vorüber sein, dann wurde er mit Halbsold an Land geschickt: keine erfreuliche Aussicht für einen Mann, der mittellos und nur auf seinen Sold angewiesen war.
«Jedenfalls«, Cairns lehnte sich zurück und blickte Bolitho an,»hat der Captain klar zum Ausdruck gebracht, daß er lieber Sie als Begleiter beim Admiral haben will als unseren Zechbruder, den Zweiten Offizier!»
Bolitho lächelte. Es war erstaunlich, daß Probyn sich noch immer halten konnte. Gewiß, er hatte Glück, daß die Trojan nach ihrer Rückkehr kaum wieder auf See gewesen war. Zwei kurze Patrouillen zur Unterstützung der Armee und, mit dem Flaggschiff zusammen, eine Schießübung in Sichtweite von New York, das war alles. Denn noch ein paar heftige Stürme auf See, und Probyns Schwäche wäre offenbar geworden.
Bolitho stand auf.»Dann ist es wohl besser, wenn ich mich jetzt umziehe.»
Cairns nickte.»Sie sollen sich am Ende der ersten Hundewache* beim Kommandanten melden. Er ist zur Zeit nicht in Stimmung, auch nur die kleinste Nachlässigkeit durchzulassen, das kann ich Ihnen versichern.»
*Sechs Uhr nachmittags
Pünktlich um vier Glasen trat Kapitän zur See Pears aus der Kajütstür, in großer Uniform, den Degen an der Seite. Das glitzernde Gold auf dunkelblauem Grund und die weiße Kniehose ließen ihn jünger und größer erscheinen.
Bolitho, ebenfalls in seiner besten Uniform, den Degen statt des im Alltag üblichen Dolches am Gürtel, erwartete ihn am Fallreep.
Er hatte Boot und Besatzung bereits inspiziert und alles in Ordnung befunden. Es war ein prächtiges Boot, dunkelrot mit weißem Dollbord, der Name Trojan leuchtete in Goldbuchstaben am Bug, die Hecksitze waren mit roten Kissen ausgelegt. Die Crew in rotweiß karierten Hemden und schwarzen Hüten hielt die Riemen hoch, genau ausgerichtet in zwei schnurgeraden Reihen. Gut genug für einen Kaiser, dachte Bolitho.
Cairns eilte herbei und sagte etwas zum Kommandanten, was Bo-litho nicht verstand. Da jedoch Molesworth, der nervöse Zahlmeister, ebenfalls in der Nähe des Fallreeps wartete, nahm er an, daß Cairns an Land fahren wollte, um den Handel mit dem Proviantlager abzuschließen.
Hauptmann d'Esterre musterte kurz seine Wache und kommandierte:»Präsentiert das Gewehr!»
Die aufgepflanzten Bajonette der hochschnellenden Musketen berührten mit ihren Spitzen fast das Sonnensegel, und Bolitho sah im Geiste wieder die Marineinfanteristen vor sich, wie sie mit derselben Präzision die Enterer auf der Faithful niedergemäht hatten.
Pears schien Bolitho zum ersten Mal zu sehen.»Ah, Sie sind es. «Er ließ den Blick über Bolithos Erscheinung wandern, über den neuen Hut, den frischgebügelten Rock mit leuchtend weißen Aufschlägen, und sagte anerkennend:»Ich dachte, ich hätte einen neuen Offizier an Bord.»
Bolitho lächelte.»Danke, Sir.»
Pears nickte ihm zu.»Weitermachen!»
Bolitho lief die Fallreepstreppe hinunter zum Boot, wo Hogg, der stämmige Bootssteurer, bereitstand, den Hut unterm Arm.
Die Bootsmannsmaatenpfeifen trillerten, dann bekam das Boot unter Pears Gewicht Schlagseite, als er an Bord stieg und zum Hecksitz balancierte.»Absetzen! Riemen bei!«Hogg war sich der beobachtenden Fernrohre auf den umliegenden Kriegsschiffen bewußt.»Ruder an!»
Bolitho saß steif da, den Degen zwischen den Knien. Es war ihm unmöglich, sich in Gegenwart des Kommandanten zu entspannen, deshalb beobachtete er intensiv die Trojan, ihre sich nach unten verjüngenden Linien, die lustlos über die Heckreling baumelnde Flagge, das Glitzern der Goldbronze und polierten Messingbeschläge.
Alle Stückpforten standen offen, um die schwache, ablandige Nachmittagsbrise einzulassen. Aus jeder Öffnung blickte die schwarze Mündung einer Kanone, so sauber und blank wie d'Esterres Silberknöpfe.
Bolitho betrachtete verstohlen Pears grimmiges Profil. Die Neuigkeiten vom Kriegsschauplatz waren schlecht: bestenfalls Pattsituation, Verluste auf beiden Seiten. Doch was Pears auch von der augenblicklichen und künftigen Lage halten mochte, eins war sicher: Nie würde er auf seinem Schiff die geringste Schlamperei dulden.
Unter ihren Vierkant gebraßten Rahen mit den sorgfältig festgemachten Segeln, glänzend in Schwarz und Lederfarbe, war die Trojan wirklich ein Anblick, der auch das verzagteste Herz höher schlagen ließ.
Pears fragte plötzlich:»Haben Sie von Ihrem Vater gehört?«Bolitho erwiderte:»In letzter Zeit nicht. Er ist kein eifriger Schreiber.»
Pears blickte ihn voll an.»Es tat mir leid, vom Tode Ihrer Mutter zu hören. Ich habe sie einmal in Weymouth gesehen, Sie selbst waren damals auf See. Eine so reizende und hübsche Dame.
Ich komme mir alt vor, wenn ich mich an sie erinnere.»
Bolitho blickte starr achteraus. Kein Wunder, daß Pears sich alt vorkam. Angenommen, die Trojan hätte wirklich zu kämpfen, und zwar mit einem Schiff ihrer eigenen Größe und Feuerkraft, welche Offiziere würde Pears dann in die Schlacht führen? Probyn wurde von Tag zu Tag schwieriger und mürrischer. Dalyell war fröhlich und freundlich, aber kaum imstande, seine neuen Aufgaben als Vierter Offizier voll zu erfüllen. Der arme Quinn, schmal geworden und noch ständig unter Schmerzen leidend, war nur bedingt einsatzfähig und vorläufig höchstens zu leichter Tätigkeit unter Aufsicht des Arztes freigestellt. Dann hatten sie jetzt noch Libby, diesen Jungen in Offiziersverkleidung. Pears machte sich mit gutem
Grund Sorgen, dachte Bolitho. Es mußte ihm manchmal vorkommen, als habe er ein Korps von Schuljungen an Bord.
«Wieviele Leute haben Sie heute aufgetrieben?»
Bolitho erstarrte. Pears wußte alles, selbst über seine heutige Mission an Land war er im Bilde.
«Vier, Sir. «Das klang noch dürftiger, wenn man es laut aussprach.
«Hm. Vielleicht haben wir mehr Glück, wenn der nächste Konvoi eintrifft. «Pears rückte ein wenig auf seinem roten Kissen.»Verdammte Memmen, diese Handelsschiffmatrosen, die sich hinter der Ostindischen Kompanie oder einem verfluchten Regierungserlaß verstecken! Hölle und Teufel, man könnte meinen, es sei ein Verbrechen, für sein Land zu kämpfen! Aber ich werde ein paar von ihnen schnappen, Erlaß oder nicht. «Er lachte in sich hinein.»Bis Ihre Lordschaften davon erfahren, haben wir sie längst zu Seeleuten des Königs gemacht!»
Bolitho wandte den Kopf, als das Flaggschiff jetzt hinter einem anderen Ankerlieger sichtbar wurde.
Es war die Resolute, ein Zweidecker mit bereits fünfundzwanzig Jahren Dienstzeit, bestückt mit neunzig Geschützen. Schon lagen mehrere Boote an ihrer Backspier, woraus Bolitho schloß, daß es eine ziemlich große Versammlung werden würde. Er blickte zu der schlaff vom Kreuztopp hängenden Flagge empor und versuchte sich vorzustellen, was für ein Mensch wohl ihr Gastgeber war. Konteradmiral Graham Coutts, Befehlshaber des Küstengeschwaders, hatte das Geschick der Trojan seit ihrer Ankunft in New York gelenkt. Bolitho hatte ihn noch nie gesehen und war neugierig: vielleicht ein zweiter Pears, standfest wie ein Fels und unerschütterlich?
Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder der Routine ihrer Ankunft zu: die Seesoldaten an der Pforte, der Glanz von Stahl, das geschäftige Hin und Her von Blau und Weiß, gedämpfte Kommandoworte… Pears saß wie vorher, aber Bolitho bemerkte, daß seine sehnigen Fäuste sich um seine Degenscheide aus Haifischleder krampften, das erste Zeichen von Erregung, das er je bei ihm gesehen hatte. Es war ein prächtiger Degen und mußte ein Vermögen gekostet haben, eine Ehrengabe, Pears wohl für persönliche Tapferkeit oder für einen Sieg über Feinde Englands verliehen.
«Auf Riemen!«Hogg beugte sich etwas vor, seine Finger schienen die Pinne zu liebkosen, als er jetzt zum Anlegen ansetzte.»Die Riemen — hoch!»
Wie eine Wand standen im selben Augenblick die Riemen mit den tropfenden Blättern in zwei genau ausgerichteten Reihen nach oben; Wasser rieselte ungehindert auf die Knie der Ruderer.
Pears nickte der Bootscrew zu und stieg dann gelassen das Fallreep hinauf, wo er unter dem schrillen Seitepfeifen und dem üblichen Zeremoniell beim Anbordkommen eines Kommandanten seinen Hut abnahm.
Bolitho zählte bis zehn und stieg dann ebenfalls hinauf, wo ihn ein spitznasiger Offizier mit einem Teleskop unterm Arm begrüßte, der ihn musterte, als sei er soeben einem Stück alten Käses entstiegen.
«Sie müssen nach achtern gehen, Sir. «Dabei zeigte er zur Schanze, wo Pears soeben in Gesellschaft des Flaggschiffkommandanten dem Schatten zustrebte.
Bolitho sah sich auf dem Achterdeck um, das dem der Trojan fast glich: Reihen festgezurrter Geschütze, die Taljen säuberlich belegt, das Tauwerk aufgeschossen auf den schneeweißen Decksplanken. Seeleute verrichteten ihre Arbeit, ein Fähnrich, das Glas auf eine einlaufende Brigg gerichtet, bewegte beim Entziffern ihrer Kennung lautlos die Lippen. Unten auf dem Batteriedeck stand ein Seemann neben einem Korporal der Marineinfanterie, während ein anderer Fähnrich einem Offizier Meldung machte. Wurde der Mann gleich zur Bestrafung abgeführt? Zur Beförderung oder zur Degradierung? Es war eine alltägliche Szene, die vielerlei bedeuten konnte. Bolitho seufzte. Wie auf der Trojan, und doch auch wieder völlig anders.
Er ging langsam weiter nach achtern und war überrascht, Musik und gedämpftes Lachen von Männern und Frauen zu hören. Sämtliche Trennwände waren entfernt, die Admiralsräume dadurch in einen großen Saal verwandelt worden. An den offenen Heckfenstern spielten ein paar Geiger mit großer Konzentration, und zwischen der dichtgedrängten Menge von Seeoffizieren, Zivilisten und Damen eilten Stewards in roten Jacken mit Tabletts voller Gläser hin und her, während andere an einem langen Büffet diese so rasch wie möglich nachfüllten.
Pears war in der Menge verschwunden; Bolitho nickte einigen Leutnants zu, die wie er nur stillschweigend geduldet waren.
Eine hohe Gestalt erschien aus dem Gedränge, und Bolitho erkannte Lamb, den Kommandanten der Resolute. Er war ein Mann mit ruhigem Blick und strengen Gesichtszügen, die sich aber völlig veränderten, wenn er lächelte.
«Sie sind Mr. Bolitho, nicht wahr?«Lamb streckte ihm die Hand entgegen.»Willkommen an Bord. Ich habe von Ihren Taten im März gehört und wollte Sie gern kennenlernen. Wir brauchen mutige Männer, die bereits erfahren haben, was Krieg bedeutet. Es ist eine harte Zeit, aber sie bietet jungen Leuten wie Ihnen große Chancen. Wenn der Augenblick kommt, packen Sie zu. Glauben Sie mir, Bolitho, eine Chance kommt selten zweimal.»
Bolitho dachte an den schnittigen Schoner, an die plumpe Thrush. Seine Chance war schon gekommen und hatte ihn gleich wieder übergangen.
«Ich werde Sie dem Admiral vorstellen. «Lamb bemerkte Bo-lithos Ausdruck und lachte.»Er wird Sie nicht auffressen!»
Gedränge, gerötete Gesichter, laute Stimmen. Es war schwer, sich vorzustellen, daß der Krieg nur ein paar Meilen entfernt tobte. Bolitho sah mächtige blaue Schultern und einen goldberänderten Kragen: schwerfällig, plump. Eine Enttäuschung.
Aber der Kommandant schob den schwergewichtigen Mann beiseite und enthüllte eine schlanke Gestalt, die dem Dicken allerdings nur knapp bis zur Schulter reichte.
Konteradmiral Graham Coutts sah eher wie ein Leutnant als wie ein Flaggoffizier aus. Sein dunkelbraunes Haar trug er im Nacken lose zusammengebunden. Er hatte ein junges Gesicht, faltenlos und ohne die Maske der Autorität, die man sonst so oft zu sehen bekam.
Der Admiral streckte die Hand aus.»Bolitho, nicht wahr?«Er nickte und lächelte gewinnend.»Ich bin stolz, Sie kennenzulernen. «Dann winkte er einem Steward nach Wein und fuhr leichthin fort:»Ich weiß alles über Sie und vermute, wenn Sie diesen Bootsangriff geführt hätten, wäre die Brigantine möglicherweise in unsere Hand gefallen!«Er lächelte.»Auf alle Fälle zeigt es, was man leisten kann, wenn der Wille da ist.»
Eine elegante Erscheinung in blauem Samtanzug löste sich aus einer lauten Gruppe bei der Heckgalerie, und der Admiral erklärte:
«Sehen Sie diesen Herrn dort, Bolitho? Das ist Sir George Helpman aus London. «Seine Lippen schürzten sich ein wenig.»Ein „Experte" für unsere Malaise hier, eine wichtige Persönlichkeit, auf die alle hören sollten.»
Plötzlich war er wieder Admiral.»Amüsieren Sie sich gut, Bo-litho, lassen Sie sich reichen, was Ihnen zusagt. Das Essen ist heute ausgezeichnet!»
Er wandte sich ab, und Bolitho sah, wie er den Mann aus London begrüßte, den er nicht sonderlich zu mögen schien. Sein Hinweis hatte fast wie eine Warnung geklungen, obwohl Bolitho nicht ganz einsah, was ein Leutnant wie er damit zu tun haben sollte.
Er dachte über Coutts nach, der keineswegs dem Bild entsprach, das er sich von ihm gemacht hatte. Schon jetzt empfand er für den Admiral Bewunderung und Loyalität, wenn er sich das auch nach diesen wenigen Minuten des Kennenlernens selbst noch nicht eingestehen wollte.
Es wurde schon dunkel, als die Gäste aufbrachen. Einige waren so betrunken, daß man sie in ihre Boote tragen mußte, andere torkelten mit gläsernem Blick allein zum Fallreep, vorsichtig jeden Schritt erzwingend, um sich keine Blöße zu geben.
Bolitho wartete und beobachtete vom Achterdeck, wie die Gäste hinuntergeleitet, einige auch mit Taljen über die Reling gehievt und in die längsseits liegenden Boote gefiert wurden.
Er kam an einer Kabine vorbei, deren nicht ganz geschlossene Tür einen kurzen Blick ins Innere ermöglichte. Eine kichernde Frau hatte die nackten Arme um den Hals eines Offiziers geschlungen, der ihr das Kleid abstreifte. Ihr Mann oder Begleiter lag womöglich betrunken in einem der Boote, dachte Bolitho und lächelte. War er schockiert, war er neidisch? Er wußte es selber nicht.
Ein Bootsmaat rief eifrig:»Ihr Kommandant kommt, Sir!»
«Aye. Rufen Sie das Boot. «Bolitho überprüfte den Sitz seines Degengurtes und rückte den Hut zurecht.
Pears erschien mit Kapitän Lamb. Sie schüttelten sich die Hände, dann folgte Pears Bolitho in ihr Boot.
Als es abgelegt hatte und in die starke Strömung hinaussteuerte, bemerkte Pears:»Widerlich, das Ganze!»
Drauf verfiel er in Schweigen und bewegte sich nicht, bis sie die erleuchteten Stückpforten der Trojan dicht vor sich hatten. Da erst sagte er abfällig:»Wenn das Diplomatie war, dann danke ich Gott, daß ich ein einfacher Seemann bin!»
Bolitho stand in dem schwankenden Boot neben Hogg, als Pears, der nach der Fallreepskette griff, ausrutschte. Bolitho glaubte ihn fluchen zu hören, war sich aber nicht ganz sicher. Dennoch fühlte er sich irgendwie ausgezeichnet durch Pears, der sich schon wieder vollkommen in der Gewalt hatte, wenn auch nur unter großer Anstrengung. Der Zwischenfall machte ihn menschlicher, als Bolitho ihn je erlebt hatte.
Pears scharfe Stimme kam von oben:»Stehen Sie nicht herum wie eine Salzsäule, Mr. Bolitho! Wenn Sie nichts zu tun haben, so müssen andere doch arbeiten!»
Bolitho blickte Hogg an und grinste. Das klang schon wieder mehr nach Pears.
Unter anderem gehörten die undankbaren Pflichten eines Wachoffiziers im Hafen zum Aufgabenbereich der Leutnants, wenn ihr Schiff in New York lag. Sie wurden dann für volle vierundzwanzig Stunden abgestellt und mußten unter anderem die zahlreichen Boote überwachen, die zwischen den Schiffen und den Anlegestellen verkehrten, damit keine feindlichen Agenten Gelegenheit zu Sabotage oder Spionage fanden. Ebenso mußten sie aufpassen, daß keine Deserteure in einer der vielen Hafenkneipen Unterschlupf suchten.
Seeleute, die an Land zu tun hatten, gerieten leicht in Versuchung, in einer Spelunke einzukehren; Betrunkene aber wurden festgenommen und auf ihre Schiffe zurücktransportiert, wo eine gute Tracht Schläge auf sie wartete.
Zwei Tage nach dem Besuch auf dem Flaggschiff hatte der Dritte Offizier der Trojan, Richard Bolitho, sich zur Verfügung des Hafenkommandanten zu halten. New York machte ihn nervös, diese Stadt, die nur darauf zu warten schien, daß etwas geschah, und zwar etwas Entscheidendes und Endgültiges. Hier herrschte ständig Bewegung. Flüchtlinge kamen aus dem Landesinneren, Menschen drängten sich vor den Regierungsgebäuden und suchten nach Angehörigen, andere wiederum brachen bereits auf, um das Land zu verlassen und nach England oder Kanada zu fliehen. Manche warteten auch darauf, vom Sieger reichen Lohn zu kassieren, gleichgültig, wer es auch sein würde. Nachts war New York ein gefährliches Pflaster, besonders in der übervölkerten Hafengegend mit ihren Kneipen, Bordells, Spielhöllen und billigen Absteigen. Alles war dort zu haben, wenn nur genügend Geld dafür geboten wurde.
Gefolgt von einem Trupp bewaffneter Seeleute, ging Bolitho langsam an einigen von der Sonne gebleichten Holzgebäuden entlang, wobei sie sich vorsichtigerweise dicht an den Wänden hielten, um nicht von oben — absichtlich oder unabsichtlich — mit Unrat beworfen zu werden.
Er hörte Stockdales keuchenden Atem und das gelegentliche Klirren von Waffen, als sie jetzt zur Hauptanlegebrücke kamen. Menschen waren kaum zu sehen, obwohl hinter den geschlossenen Fensterläden Musik und grölende oder fluchende Stimmen zu hören waren.
Ein Haus hob sich dunkel gegen das strömende Wasser ab, vor der Tür standen Marinesoldaten Posten, und ein Unteroffizier ging auf und ab.
«Halt, wer da?»
«Offizier der Wache!»
«Ihren Ausweis!»
Es war immer dasselbe, obwohl die Marineinfanteristen die me i-sten Flottenoffiziere vom Sehen kannten.
Der Unteroffizier stand stramm.»Zwei Leute von der Vanquis-her, Sir. Betrunken und streitsüchtig.»
Bolitho ging durch ein paar Türen in eine größere Wachstube. Das Gebäude war einmal der Stadtsitz eines Teehändlers gewesen. Nun residierte die Marine darin.
«Sie scheinen sich jetzt ruhig zu verhalten, Sergeant.»
Der Unteroffizier grinste.»Aye, Sir, jetzt. «Er zeigte auf zwei schlaffe Körper in Eisen.»Wir mußten sie erst beruhigen.»
Bolitho setzte sich an einen zerkratzten Tisch und lauschte auf die Geräusche draußen — das Rattern von Rädern auf dem KopfSteinpflaster, das gelegentliche Kreischen einer Hure. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Noch vier Stunden! In solchen Situationen sehnte er sich nach der Trojan, wenn er auch kurz vorher noch gewünscht hatte, frei von ihrer Routine zu sein.
Als die Flotte seinerzeit vor Staten Island angekommen war, hatte jemand diese Ansammlung von Schiffen als» schwimmendes London «beschrieben. Jetzt war dies schon zu selbstverständlich geworden, um noch erwähnt zu werden. Bolitho hatte zwei ihm flüchtig bekannte Offiziere von einer der Fregatten gesehen und ein paar Worte ihrer Unterhaltung aufgeschnappt, als sie in einem Spielsalon verschwanden.
. Auslaufen mit der Ebbe, nach Antigua mit Kurierpost. Was es doch bedeutete, frei zu sein, von diesem schwimmenden Durcheinander hier wegzukommen!
Der Unteroffizier erschien wieder und betrachtete ihn zweifelnd.»Ich habe einen Spitzel draußen, Sir. «Er deutete mit dem Daumen zur Tür.»Kenne ihn schon länger, ein Gauner, aber zuverlässig. Er behauptet, ein paar Leute seien von der Brigg Diamond desertiert, kurz bevor sie vorgestern auslief.»
Bolitho stand auf und griff nach seinem Dolch.»Was hat die Diamond hier gemacht?»
Der Unteroffizier grinste breit.»Keine Sorge, Sir. Sie hatte keinen Freibrief, brachte nur Stückgut von London.»
Bolitho nickte. Eine englische Brigg, das verhieß erfahrene Seeleute, Deserteure oder nicht.
«Bringen Sie den — äh — Spitzel herein.»
Der Mann war typisch für sein Gewerbe: klein, schmierig, hinterhältig. Sie waren in allen Häfen der Welt gleich, diese Besitzer von Absteigequartieren, die an die Preßkommandos Informationen über Seeleute verkauften, die angeblich greifbar waren.
«Nun?»
Der Mann jammerte:»Es ist doch nur meine Pflicht, Sir, des Königs Marine zu helfen.»
Bolitho musterte ihn kalt. Der Schurke sprach noch immer den Dialekt der Londoner Slums.»Wie viele?»
«Sechs, Sir!«Seine Augen glitzerten.»Feine, kräftige Kerle allesamt.»
Der Unteroffizier bemerkte beiläufig:»Sie stecken in Lucys Haus. «Er zog eine Grimasse.»Vermutlich inzwischen mit Syphilisblattern bis über die Augen besät.»
«Lassen Sie meine Leute antreten, Sergeant. «Bolitho versuchte, nicht an die dadurch entstehende Verzögerung zu denken. Wahrscheinlich wurde es nichts mehr mit Schlaf.
Der Gauner ließ sich vernehmen:»Kommen wir ins Geschäft,
Sir?»
«Nein. Du wartest hier. Kriegen wir die Leute, bekommst du dein Geld. Wenn nicht — «, er blinzelte den grinsenden Marineinfanteristen zu — ,»gibt es eine Tracht Prügel.»
Er trat hinaus in die Nacht und verfluchte insgeheim sowohl den Seelenverkäufer wie überhaupt diese erbärmliche Methode, Seeleute zu pressen. Trotz der Härte des Bordlebens meldeten sich viele Freiwillige, jedoch niemals genug, um die Verluste durch Tod oder Verwundung auszugleichen.
Stockdale fragte:»Wohin, Sir?»
«Zu Lucys Haus, dem Bordell.»
Einer der Seeleute kicherte.»Ich kenne es, Sir, bin schon dort gewesen.«»Dann führen Sie uns, vorwärts!»
Als sie in der engen, abschüssigen und übelriechenden Gasse angekommen waren, teilte Bolitho seinen Trupp in zwei Gruppen. Die meisten Leute der Stammbesatzung hatten schon an ähnlichen Aktionen teilgenommen, und selbst die gepreßten Leute machten mit, sobald sie sich einmal an ihr neues Leben gewöhnt hatten. Wenn ich dienen muß, warum nicht auch du? Dies schien ihre Maxime zu sein.
Stockdale war auf der Rückseite des Hauses verschwunden; das Messer hatte er im Gürtel stecken lassen und statt dessen einen Knüppel in der Hand.
Bolitho starrte auf die verschlossene Tür, hinter der er Stimmengewirr und trunkenen Gesang hörte. Er wartete noch ein wenig, dann zog er seinen Dolch und schlug mehrmals mit dem Knauf gegen die Tür, wobei er mit lauter Stimme rief:»Im Namen des Königs — öffnet!»
Drinnen hörte man Getrappel und unterdrückte Schreie, das Splittern von Glas und einen schweren Fall, als sei jemand, der zu fliehen versuchte, von Stockdales Knüppel getroffen worden.
Plötzlich sprang die Tür auf, aber an Stelle der erwarteten Menschenmenge sah sich Bolitho einer Riesin gegenüber, vermutlich der berüchtigten Lucy. Sie war so groß und breit wie ein Seebär und benutzte auch dieselben unflätigen Ausdrücke, als sie jetzt drohend die Faust erhob.
Lichter flammten ringsum auf, und aus den Fenstern beugten sich
Gestalten, die gierig auf die Szene herabstarrten und sehen wollten, wie Lucy die Marine in die Flucht schlug.
«Du pickeliger, grüner Lausejunge, wie kannst du behaupten, ich hätte hier Deserteure versteckt?«Sie stemmte die Arme in die Hüften und funkelte Bolitho wütend an.
Andere Frauen, einige halbnackt, hasteten die wackelige Treppe im Hintergrund herunter, um zu sehen, was sich abspielte. Ihre bemalten Gesichter glühten vor Aufregung.
«Ich tue meine Pflicht. «Bolitho widerte das höhnische und verächtliche Benehmen der Frau an.
Stockdale tauchte mit grimmiger Miene hinter ihr auf und keuchte:»Wir haben sie, Sir: Sechs, wie er gesagt hat.»
Bolitho nickte. Stockdale hatte also den hinteren Ausgang gefunden.
«Gut gemacht!«Mit plötzlichem Ärger fügte er hinzu:»Wenn wir schon hier sind, wollen wir uns doch gleich mal nach weiteren,unschuldigen' Bürgern umsehen.»
Lucy packte ihn unvermutet an den Rockaufschlägen und schürzte die Lippen, um ihm ins Gesicht zu spucken. Aber im nächsten Augenblick sah Bolitho nur nackte, strampelnde Beine und gewaltige Oberschenkel, als Stockdale die schreiende und fluchende Person die Stufen zur Straße hinunter trug. Ohne Umschweife steckte er ihren Kopf in einen Pferdetrog und hielt ihn mehrere Sekunden unter Wasser.
Als er sie losließ und sie taumelnd nach Atem rang, sagte er:»Wenn du noch einmal so zu dem Leutnant sprichst, meine Schöne, bekommst du meinen Dolch zwischen die Rippen, verstanden?«Dann nickte er Bolitho zu:»Alles in Ordnung, Sir!»
Dieser schluckte. Noch nie hatte er Stockdale so wütend erlebt.»Danke!«Er sah, wie sich seine Leute grinsend anstießen, und kämpfte um sein altes Selbstvertrauen.»Fangt an mit dem Durchsuchen!«Hinter ihm wurden die sechs Deserteure vorbeigeführt, einer von ihnen hielt sich den Kopf.
Aus einem Nachbarhaus schrie jemand:»Laßt sie doch laufen, ihr Stinktiere!»
Bolitho trat ein und besah sich die umgestürzten Stühle, leeren Flaschen und verstreuten Kleidungsstücke. Es sah eher aus wie in einem Gefängnis als wie in einem Freudenhaus.
Jetzt wurden zwei weitere Männer die Treppe heruntergeschafft, einer entpuppte sich als Hummerfischer, der andere protestierte laut und behauptete, er sei überhaupt kein Seemann. Bolitho musterte die Tätowierungen auf seinen Armen und sagte ruhig:»Ich rate dir, den Mund zu halten. Wenn du von einem Schiri des Königs bist, wie ich vermute, wäre Schweigen für dich gesünder. «Der Mann wurde so blaß unter seiner Bräune, als hätte er bereits die für ihn bestimmte Schlinge des Henkers gesehen.
Ein Seemann polterte die Treppen herunter.»Das ist alles, Sir, außer diesem Knaben hier.»
Bolitho sah, wie der Junge durch die Reihe der starrenden Mädchen hindurchgeschoben wurde, und entschied sich gegen ihn. Vielleicht war er jemandes Sohn, der in dieser trüben Spelunke ein erstes aufregendes Erlebnis gesucht hatte.
«Gut. Rufen Sie die anderen!«Er betrachtete den schmalschult-rigen Jungen, der mit niedergeschlagenen Augen im Schatten stand.»Das ist kein Ort für dich, Kerlchen. Verschwinde, bevor etwas Schlimmeres passiert. Wo wohnst du?»
Als keine Antwort kam, streckte Bolitho die Hand aus und hob des anderen Kinn an, so daß das Lampenlicht voll auf das verängstigte Gesicht fiel.
Bolitho stand einen Augenblick wie versteinert. Dann ging alles sehr schnell. Der Bursche duckte sich und rannte aus der Tür, bevor sich jemand bewegen konnte.
Ein Seemann schrie: «Haltet den Mann!»
Vor dem Haus hörte Bolitho die Soldaten rufen. Er lief hinaus.»Wartet!«Aber es war schon zu spät. Der Knall einer Muskete hallte wie Kanonendonner in der engen Gasse.
Er ging an seinen Leuten vorbei und beugte sich über die ausgestreckte Gestalt, während ein Korporal der Infanterie herbeieilte und den Körper auf den Rücken rollte.
«Er wollte Ihnen weglaufen, Sir!»
Bolitho kniete nieder, knöpfte die grobe Jacke und das Hemd auf und legte die Hand auf die schmale Brust. Das Herz schlug nicht mehr, überall war Blut. Die Haut, so zart wie vorher das Kinn, war noch warm, und die toten Augen starrten ihn anklagend aus der Dunkelheit an.
Er erhob sich, ihm war übel.»Es ist ein Mädchen.»
Dann wandte er sich um und rief:»Diese Frau, bringt sie her!»
Die» Lucy «genannte Person trat näher und rang die Hände, als sie die leblose Gestalt erblickte. Mit ihrer Arroganz war es vorbei. Bolitho konnte ihre Angst beinahe riechen.
«Wer war sie?«fragte er, erstaunt über den harten Ton seiner Stimme, die ihm selbst fremd klang.»Ich frage kein zweites Mal, Frau!»
Mehr Lärm erfüllte die Straße, und zwei Berittene galoppierten durch die Heerespatrouille.»Was, zum Teufel, geht hier vor?«bellte eine Stimme.
Bolitho berührte grüßend seinen Hut.»Offizier der Hafenwache,
Sir!»
Der Fragende war ein Major, der dieselben Abzeichen trug wie der Unteroffizier, der das Mädchen erschossen hatte.
«Oh, verstehe. Also dann. «Er stieg ab und beugte sich über die Leiche.»Die Lampe, Korporal!«Die Hand unter dem Kopf des Mädchens, drehte er dessen Gesicht dem Licht zu.
Bolitho war außerstande, den Blick vom Gesicht der Toten abzuwenden.
Endlich stand der Major auf.»Schöne Bescherung, Leutnant!«Er rieb sich das Kinn.»Es ist wohl besser, wenn ich den Gouverneur wecke. Er wird nicht sehr erfreut sein.»
«Wer war sie, Sir?»
Der Major schüttelte den Kopf.»Was Sie nicht wissen, kann Ihnen nicht schaden. «Dann, in verändertem Ton zu dem zweiten Reiter:»Korporal Fisher! Reiten Sie zur Kommandantur und wek-ken Sie den Adjutanten. Er soll mit einem Zug Soldaten sofort herkommen. «Er beobachtete, wie der Korporal losjagte, und fügte hinzu:»Dieses verdammte Haus wird jetzt geschlossen und bewacht, und Sie«, sein weißbehandschuhter Zeigefinger schoß vor und deutete auf die zitternde Lucy,»sind festgenommen!»
Jammernd sank sie fast zu Boden.»Wieso ich, Sir? Was hab' ich denn verbrochen?»
Der Major trat zur Seite, als zwei Soldaten herbeiliefen und Lucys Arme packten.»Verrat, Madam, das haben Sie verbrochen!»
Etwas ruhiger wandte er sich Bolitho zu.»Ich schlage vor, daß Sie weitermachen, Sir. Ohne Zweifel werden Sie noch mehr über diesen Vorfall hören.«Überraschenderweise lächelte er kurz.
«Wenn es ein Trost für Sie ist: Sie sind da auf etwas wirklich Wichtiges gestoßen. Zu viele gute Leute sind schon Verrat zum Opfer gefallen. Aber hier liegt jemand, der nie mehr Verrat üben wird.»
Bolitho ging schweigend zum Hafen zurück. Der Major hatte das tote Mädchen erkannt, und nach der Feinheit ihrer Glieder, der Glätte ihrer Haut zu urteilten, stammte sie aus guter Familie.
Er versuchte sich vorzustellen, was in dem Haus vor sich gegangen war, bevor er und seine Leute dort eingedrungen waren; aber alles, woran er sich erinnern konnte, waren ihre Augen, mit denen sie ihn angeblickt hatte, als sie beide die Wahrheit begriffen.