158711.fb2 Zwei Esel auf Sardinien - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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Im Steinhaufen

Jutta

»Mein Akku ist leer«, rufe ich Bruno zu. »Hast du eigentlich deinen Cousin erreicht? Es ist schon Nachmittag, du wolltest doch mit ihm zum Pfarrer gehen?!«

Eigentlich kann es mir ja egal sein. Mein Problem ist eher, wie ich mit den blauen Flecken, die ich mir hier auf meiner Kiste auf- und abhüpfend am Po zuziehe, die stundenlange Trauungszeremonie überstehen soll. Die Bänke sind mit Sicherheit katholisch karg und hart.

Ob es etwas ausmacht, wenn Bruno nicht mit zum Pfarrer geht? Notfalls kann er ja noch morgen früh zu dem Geistlichen gehen. Die Hochzeit ist ja erst am Sonntag. Mir ist es eh ein Rätsel, was wir so lange in Gesturi vorbereiten sollen. Aber irgendwie freue ich mich darauf. Wenn wir erst mal da sind, wird es bestimmt wunderschön. Hoffentlich passt mir mein Cocktailkleid dann noch. Zweimal am Tag Pasta und Fleisch, Käse und dolci schaffe ich nicht. Zumal Italiener ihre üppigen Mahlzeiten nie vor neun Uhr abends beginnen. Ich schwelge in Gedanken an eine Karaffe kalten Landwein, dazu Ziegenkäse mit sardischem Brot, Oliven und tausend lustige Geschichten über das Brautpaar.

»Hast du Hunger, amore?«, fragt mich Bruno. Er kann wirklich Gedanken lesen.

»Und wie!«, antworte ich.

»Ich auch«, sagt Bruno. »Claudio hat uns gerade eingeladen, bei ihnen eine Kleinigkeit zu essen. Wenn wir warten müssen, können wir auch gleich was essen. Jetzt ist es auch schon egal, wann wir in Gesturi auftauchen, die Alten schlafen nachmittags, und Maurizio ist beim Pfarrer. Ist das okay für dich?«

Nett, dass er mich fragt, denke ich mir, dann ist ja wieder alles in Ordnung. Sehr viel fröhlicher betrachte ich die karge und hügelige Landschaft. Ländlich ist es hier, wenig besiedelt. Mal ein Dörfchen auf einer Anhöhe, dann wieder kilometerweit nur Felder. Sie sind abgeerntet, es ist auch hier trotz warmer Sonne herbstlich. Schon nach vier Uhr. Mein Gott, wie schnell die Zeit vergangen ist. Sicher wird es in zwei Stunden dunkel. Schade, nun ist der erste Tag fast vorbei, und ich habe noch nichts von der Insel gesehen.

Wir biegen in einen Feldweg ein, der steil hinaufführt. Ich muss mich festhalten. Die Ziegen stützen sich mit ihren Hinterläufen ab, anscheinend kennen sie das. Endlich stehen wir vor des Schäfers Palast: einem kleinen Steinhaufen mit einem Fenster und einer grünen Holztür. Claudio pfeift durch die Finger, und eine ältere, magere Frau tritt aus der Haustür, sagt etwas zu ihm und wirft uns einen leicht irritierten Blick zu. Zwischen den beiden entspinnt sich eine kurze Diskussion, die eindeutig nicht wohlwollend ist, was uns betrifft.

»Komm, er soll uns schnell zurück zur Hauptstraße bringen, lieber trampe ich nach Gesturi, als diesem Drachen ausgeliefert zu sein«, zische ich Bruno leise zu.

»Das geht nicht, das ist unhöflich, er hat uns zum Essen eingeladen«, entgegnet dieser.

»Aber sie will uns hier nicht haben, das siehst du doch. Bitte, Bruno, ich will hier weg.« Doch er würde niemals eine Einladung ausschlagen, die ein einfacher Bauer in seiner Großzügigkeit ausgesprochen hat.

Claudio öffnet die Ladeklappe, die Ziegen springen so schnell sie können vom Hänger und rennen zu einem klapprigen Türchen, das an einem Drahtzaun hängt. Dahinter sind noch mehr Ziegen und Schafe. Zu meinem Erstaunen suhlt sich auch eine Herde Wildschweine in einer schlammigen Pfütze. Bestimmt sechs oder sieben kleine Frischlinge sind darunter. Dann gibt es noch zwei Esel. Alle leben zusammen in einem Verschlag. Ärmlich, aber eine Idylle. Selten hab ich mich so deplatziert gefühlt in meinem Outfit.

Was muss diese Frau von mir denken? Wie soll ich ihr sagen, dass ich keine deutsche Zicke bin, sondern nur so aussehe?

Sie winkt mich zu sich herein in den Steinhaufen. Bruno darf sich die Wildschweine aus der Nähe ansehen. Ich könnte laut loslachen, denn ich weiß, dass er sich gerade vor Angst fast in die Hosen macht. Das geschieht ihm recht, soll ihn ruhig der Eber über den Hof jagen, feixe ich.

Claudios Frau drückt meine Hand. »Sono Anna, e tu?«, fragt sie. Hurra, ich hab was verstanden!

»Sono Jutta«, antworte ich.

»Udda, ah, sì.« Sie reicht mir ein schmuddeliges Glas mit Wasser. Dankbar nehme ich es an, es wird mich schon nicht umbringen.

Anna, durchaus nicht so unfreundlich, wie mein erster Eindruck war, mustert mich noch einmal ausgiebig, um dann ein bewunderndes »Sei bella« loszuwerden. Sie zupft begeistert an meinem angeschmuddelten Röckchen und fragt mich, ob ich Deutsche bin. »Sei tedesca?«

»Sì, sì, di Monaco, München, sono una bavaresa.«

»Uiuiui, Oktoberfest«, strahlt sie, um gleich darauf zu bezeugen, dass sie Bier kennt.

Na, sie scheint doch nicht völlig hinter dem Mond zu leben. Sicher haben sie hier irgendwo auch einen Fernseher versteckt.

Als es wenig später im Steinhaufen so dunkel ist, dass man kaum mehr etwas sehen kann und Anna mit Getöse einen Generator unweit von hier in Gang setzt, wird mir klar, dass hier doch kein Fernseher versteckt ist, ebenso wenig wie ein Radio. Auch entdecke ich kein Telefon, aber mit Sicherheit haben sie ein Handy! Sonst muss man die beiden ins Guinnessbuch der Rekorde eintragen lassen – als einzige Italiener ohne Telefon.

Draußen höre ich die beiden Männer angeregt reden, Claudio kommt herein und holt zwei Gläser. Von einem Steinvorsprung nimmt er eine Flasche und entschwindet, nicht ohne Anna ein paar Worte zuzurufen, die ich nicht verstehe. Ich überlege, welchem Sprachstamm Sardisch wohl entsprungen ist. Fast glaube ich, arabische Worte herauszuhören. Wer weiß, welche Seefahrer hier vor Jahrhunderten gestrandet sind? Schon verrückt, wie sich eine Sprache verändert, sobald sie anderen Einflüssen ausgesetzt ist. Ich muss bloß an den tiefsten bayrischen Wald und seine Urlaute denken, da muss ich mich auch sehr konzentrieren, um etwas zu verstehen.

Hinsetzen kann man sich in dem Raum eigentlich nicht, ohne in die Privatsphäre der beiden einzudringen. Es ist mir unangenehm, mich hier aufzuhalten, aber die beiden Männer haben so gar keine Anstalten gemacht, mich mitzunehmen, also bleibe ich lieber hier. Ob sie denken, dass wir zwei Frauen uns unglaublich viel zu erzählen haben? Über Kindererziehung oder Nagelverlängerungen?

Einen kleinen Tisch gibt es hier und einen Schemel, auf dem sich Klamotten türmen, eine Kommode und ein langes Brett, auf dem Töpfe, Tassen, Teller und Besteck stehen. Ich möchte nicht sagen, dass es schmuddelig ist, aber von so kläglicher Armut, dass es mein Herz erbarmt. Aber Anna scheint stolz darauf zu sein, und nun ist es an mir, beschämt zu sein. Ich weiß doch eigentlich von meinen vielen Reisen, wie unterschiedlich die Ansprüche der Menschen auf dieser Welt sind und wie wenig Glück mit Reichtum zu tun hat. Je weniger ich mich darum kümmere, was andere besitzen und was man unbedingt haben muss, desto freier und glücklicher kann ich doch leben. Anna öffnet am Boden eine kleine Holzluke und holt eine Salami und einen tiefen Teller mit einem weißlich gelben wabbeligen Käse heraus.

»Fatto mano«, sagt sie stolz. Alles handgemacht! Mein Magen knurrt unüberhörbar beim Anblick der Salami. Anna lacht und schneidet mir ein Stück von der Wurst ab. Dem Himmel sei Dank, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe. Die Salami schmeckt etwas eigen, aber nicht schlecht. Nein, ganz und gar nicht übel.

»Che carne, Anna?« Woraus ist sie?

»Certo pecore, Signora Udda, buono?« Natürlich Schaf! Ob sie mir schmeckt?

»Sì, sì, molto buono, grazie, Anna!« Das Eis ist gebrochen. Sie fängt an, wie ein Wasserfall zu reden. Lacht wie ein kleines Kind, wenn sie etwas offensichtlich Lustiges erzählt, und ich versuche, ein paar Brocken zu verstehen. Schließlich komme ich dahinter, dass sie leidenschaftlich gerne kocht und sie mir jetzt ihre Küche zeigen möchte. Wieder öffnet sie die Luke im Boden. Eine schmale Leiter führt in einen tiefer gelegenen Hohlraum, die Speisekammer. Kühle dringt von unten herauf. Anna bedeutet mir, hinunterzusteigen und ihre Schätze zu betrachten. Sorgfältig ausgehoben ist dieser Raum, in dem ein Mensch meiner Größe aufrecht stehen kann. An den erstaunlich glatten Wänden sind Regale angebracht, voll mit riesigen Käselaiben. Butterfässer stehen auf dem Boden. Anna lässt mich probieren. Sie schneidet mir bei jedem Fass ein Stückchen Butter ab, und auch sie schmeckt sehr eigen, aber köstlich, besonders die gesalzene. Ich habe noch nie Ziegenbutter gegessen. Dann schiebt sie mir ein Stück Käse in den Mund, und ich könnte mich augenblicklich über den ganzen Laib hermachen. Ein wunderbarer Schafskäse liegt hier im Erdloch versteckt, und die Welt weiß nichts davon. Noch nicht mal Schuhbeck!

Vielleicht lass ich mich einfach hier mit einer Kerze, einem Krug Wein und einem Stück Brot bis morgen einschließen … Ich hätte nichts dagegen. Als ich Anna mein Kompliment für diese Köstlichkeiten mache, habe ich restlos ihr Herz gewonnen. Sie zeigt auf die lange Stange, die von der Decke herabhängt, um die Hunderte von kleinen Würstchen, aufgereiht wie eine Perlenkette, geschlungen sind.

»Salsicce, buone, prova!« Und schwupp! hab ich ein geräuchertes Schafswürstel im Mund. Ich könnte sterben, so gut ist es, aber höllenscharf. Über einer anderen Stange hängen, schön in Reih und Glied, Fettuccine, Spaghetti, Tagliolini, fatto mano, certo!

»Vuoi, Signora Udda?« Ich nicke, was soll ich sonst hier in Schlaraffenhausen tun? So packt sie eine Handvoll Pasta, zwei Höllenwürstel, ein großes Stück Schafskäse und einen Plastikkanister mit Olivenöl, sicher auch aus eigener Produktion, und stemmt alles nach oben. Ich folge ihr.

Dort gibt es einen kleinen Nebenraum mit einem alten gusseisernen Herd, einem Backofen und einer Wasserstelle. Darüber entdecke ich, in Stein gehauen und halb in die Mauer versenkt, ein Ungetüm, halbrund wie ein Iglu mit Eisentür.

»Che cosa, Anna?« Was ist das?, frage ich. Sie legt den Finger an den Mund, blitzt mich mit kohlrabenschwarzen Augen an und öffnet die Eisentür. Ein Duft von kalter Holzkohle, vermischt mit Speck, versetzt meine kleine Nase augenblicklich in Trance. Hier also werden die salsicce geräuchert. So einfach alles und doch so ausgeklügelt. Das ist die kleine Fabrik von Anna und Claudio. Ihre Lebensgrundlage, ihre Selbständigkeit, ihr Reichtum. Dafür geht Claudio auf die Straße und kämpft. Augenblicklich hege ich volle Sympathie für diese beiden fleißigen Menschen.

Feuchtigkeit steigt von dem dunkelbraunen Lehmboden vor dem Häuschen auf, und die tiefstehende Sonne taucht alles in ein sattorangenes Licht. Während ich diesem Schauspiel zusehe, befällt mich eine Vorahnung, dass unser Aufenthalt hier nicht von kurzer Dauer sein wird. Bruno ist nirgends zu sehen, und nur ganz entfernt vernehme ich Stimmen. Natürlich bin auch ich beeindruckt von der Gastfreundschaft der beiden, aber von einem ausgiebigen Abendessen, das Anna dem Klappern der Töpfe nach zu schließen offensichtlich zubereitet, war bislang nicht die Rede.

So mache ich mich auf die Suche nach den beiden Männern. In spätestens einer Stunde wird es hier stockfinster sein und ziemlich kühl. In Anbetracht meiner Sandaletten und der sommerlichen Kleidung gefällt mir die Idee eines Abendessens gar nicht. Wo sollen wir uns denn niederlassen? Im Haus ist absolut kein Platz für vier. Na großartig, ich hole mir bestimmt einen Schnupfen zur Hochzeit.

Zwischen Olivenbäumen sitzen die zwei an einem alten Tisch. Zugegeben, die Aussicht ist großartig. Felder ziehen sich rundum an den Hügeln hinauf, in der Ferne erkennt man ein paar Häuser und einen Kirchturm.

Ich stupse Bruno an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, er jedoch legt seinen linken Arm um meine Hüfte und redet unbekümmert weiter. Ich warte darauf, dass einer der beiden eine Pause macht, doch es erweist sich als hoffnungsloses Unterfangen. Die beiden scheinen sich prächtig zu verstehen; wie unschwer herauszuhören ist, sprechen sie über Politik. Hin und wieder verdrehen sie die Augen, ziehen mit einem Seufzer die Schultern hoch, um danach noch heftiger weiterzudiskutieren. Mehrmals hole ich Luft, um mich einzubringen, habe aber keine Chance. Zu sehr sind sie mit sich beschäftigt. Schließlich platze ich laut in ihr Gespräch:

»Scusi, Bruno, sag mal, hast du vor, hier zu übernachten, oder siehst du eine Chance, von hier wegzukommen?« Sicherheitshalber habe ich deutsch gesprochen, ich hoffe, dass er auch alles richtig versteht.

Bruno schaut mich mit großen Augen an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. »Natürlich kommen wir heute noch ans Ziel, aber Anna kocht jetzt, und danach bringt uns Claudio mit seinem Traktor zu seinem Bruder, und der fährt uns nach Gesturi.« So sei es besprochen worden, ich solle mich nicht so haben, denn das hier sei ein wichtiges Gespräch, und er wolle auch in Zukunft Claudio unterstützen, denn was sich hier auf der Insel abspiele, sei einfach ein Skandal. Ob ich nicht wieder zu Anna gehen wolle, vielleicht brauche sie Hilfe?

Bevor ich aber den Rückzug antrete, hält mir Claudio ein Wasserglas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hin. Sicherlich wieder fatto mano, denke ich. Ich nippe nur ein kleines bisschen daran, und augenblicklich brennt meine Kehle wie Feuer. Halleluja, wie kann man nur so was trinken? Die beiden Männer brechen in schallendes Gelächter aus, als sie sehen, wie ich das Gesicht verziehe.

»Trinkst du das etwa, Bruno?«, frage ich ihn. Er nickt, »solo un goccio«. Na, hoffentlich bleibt es bei einem Schlückchen, sonst kann der Abend ja noch heiter werden.

»Mir ist kalt, ich hab nichts zum Umziehen, die Koffer sind am Flugplatz, und ich würde mir eigentlich gerne auch die Hände waschen, verstehst du, mein Lieber?«

Natürlich, ihm sei auch kalt, aber ich solle mich jetzt beruhigen. »Va bene tutto«, alles wird gut, sagt er und dreht mir wieder den Rücken zu.

In Annas kleiner Küche stimmt mich der Duft von warmem Rosmarin und Olivenöl sofort versöhnlich. In einem anderen Topf brodelt das Wasser, und sicher schwimmen darin in wenigen Minuten die Nudeln. Sie drückt mir vier tiefe Teller und vier Gabeln in die Hand und deutet nach draußen. Ich hab’s ja gewusst. Ich stolpere auf meinen Stöckeln nach draußen und decke zwischen den beiden Männern den Tisch. Bruno lächelt mich an, und ich erkenne in diesem Lächeln eine gewisse Glückseligkeit, die mit Sicherheit nichts mit diesem Gespräch zu tun hat.

Anna hält inzwischen ein Brett mit Brot und dem komischen wabbeligen Käse für mich bereit. So laufe ich mehrere Male zwischen dem Steinhaufen und den Olivenbäumen hin und her. Nicht nur, dass mir die Füße weh tun, auch sinken meine Absätze regelmäßig in der Erde ein. Außerdem ist es bereits fast dunkel, ich sehe so gut wie nichts mehr und weiß nicht, ob ich nun in Erde oder Ziegenscheiße wate. Von der Koppel ertönt es »määäähhhh« und »iiiiiiiiaaaaaaah«. Was für eine Idylle!

»Pronto, pronto«, höre ich Bruno rufen, na, wenigstens versucht er zu telefonieren. Das Essen ist fertig, wie wunderbar! Eine dampfende Schüssel landet auf dem wackeligen Tisch, und Anna teilt riesige Portionen aus. Claudio sticht in den Käse und legt ein Stück davon neben meine Pasta, für sich nimmt er auch eines und reicht dann das Messer Bruno. Der will sich zurückhalten, aber er hat keine Chance. Warum verzieht er denn so sein Gesicht? Das ist Schafskäse, der ist sicher gut. Ich probiere ihn jetzt, denn die beiden scheinen ja ganz begierig darauf zu sein, zu hören, wie er uns schmeckt.

Also stecke ich mir eine Gabel davon in den Mund. Weich ist er, ein bisschen wie Wackelpudding, nicht besonders aufregend im Geschmack, für meine Begriffe fehlt Salz. Na ja!

»Buono«, sage ich und widme mich dann meinen Nudeln, die mir wesentlich besser schmecken. Jedoch ist irgendein Gewürz daran, das ich nicht besonders mag. Es schmeckt fischig, aber ich entdecke bei dem schwachen Licht weit und breit keinen Fisch. Ich frage nach den Gewürzen und bekomme mal wieder eine Auskunft, die ich nicht verstehe. Bruno sagt, »uova di pesce«, aha, ich bin beeindruckt. Erkennen kann ich jedoch keine Fischeier, höchstens kleine dunkle Punkte, die nicht im Entferntesten an Kaviar erinnern. Was soll’s, der Hunger treibt’s rein, wie wir in Bayern sagen. Ich nehme noch ein Stück von dem Käse, um eine andere Geschmacksrichtung zu bekommen.

»Buoni il formaggio con vermi, eh?«, fragt mich Claudio.

»Er fragt«, dolmetscht Bruno, »wie der Käse mit den Würmern schmeckt?«

»Was? Käse mit Würmern?!«, schreie ich fast.

»Sì, sì, molto buono«, antwortet er mir. Pfui Teufel, mich schüttelt es augenblicklich. Hätte ich nicht schon alles hinuntergeschluckt, würde ich es auf den Boden spucken. Es würgt mich, und mir ist augenblicklich der Appetit vergangen. Erst Nudeln mit merkwürdigem Fischgeschmack und dann lebendige Würmer in einem Käse! Und das soll eine sardische Delikatesse sein?

Wir sind doch nicht im Busch! Ich habe noch nie von so einer sardischen Spezialität gehört. Wenn man in München beim Sarden so was anbietet, schließen die Behörden augenblicklich das Lokal. Nur Ratten sind noch schlimmer. Mir reicht’s, ich will jetzt weg von hier, und zwar augenblicklich, aber Bruno lacht nur. Wie mir scheint, ein bisschen irre. Wie viel hat der denn schon von dem Höllenzeugs getrunken? Und musste Claudio noch diesen sardischen Wein aus dem Keller holen? Wenn Bruno beschwipst ist, dauert es nicht lange, und er ist total betrunken. Er verträgt rein gar nichts. Da bin ich bei weitem trinkfester. Etwas resigniert betrachte ich meinen Lebensgefährten. Wie kann er mich bloß so im Stich lassen?

Zu allem Überfluss setzen sich im Zuge des Sonnenuntergangs jetzt auch noch Mücken auf meine nackten Beine. Aber nicht nur auf die Beine, Sekunden später attackieren sie auch meine Arme, stechen in meine Kopfhaut, und ich schlage um mich, was sehr meiner derzeitigen inneren Haltung entspricht. Ich verstehe einfach nicht, warum wir jetzt nicht fahren können, hier versäumen wir ja nun wirklich nichts mehr.

Anscheinend bin ich die Einzige hier, die sich nicht wohl fühlt, aber meine Befindlichkeit interessiert absolut niemanden. Die drei amüsieren sich prächtig, als wären sie schon Jahrzehnte befreundet. Bruno, der eigentlich viel Heiklere von uns beiden, mampft und trinkt, was das Zeug hält. Ganz still werde ich. Unscheinbar sitze ich zwischen den anderen, und wenn nicht hin und wieder für einen Moment Brunos Hand die meine suchen würde, könnte ich mich auflösen. Die drei befinden sich in einer anderen Welt, zu der ich keinen Zutritt habe. Ich verstehe ihre Sprache nicht, und niemand bezieht mich ein. Ich bin ein unbequemer Außenseiter, der ihnen das Spiel verdirbt. Da haben wir es mal wieder: Wahrnehmung und Erwartungshaltung! Bruno scheint von alldem nichts zu merken.

So kenne ich ihn gar nicht. In München sucht er immer sehr meine Nähe, um sich ja nicht allein zu fühlen. Er will eingebunden sein, über alles Bescheid wissen. Hier, so scheint es, ist er in seinem Element. Von Minute zu Minute wird er betrunkener. Er lallt schon ein bisschen, und das hat nichts mit dem Dialekt zu tun. Auch Claudio scheint nicht mehr ganz so sicher auf den Beinen zu sein.

Bis auf mich haben alle brav aufgegessen, und mit leicht traurigem Blick bemerkt es Anna, während sie das Geschirr zusammenstellt, um es in die Küche zu tragen. Ich bin froh, aufstehen zu können, und folge ihr. Vorsichtig versuche ich ihr beizubringen, dass wir gerne fahren würden, und ob sie nicht mit Claudio sprechen könnte, aber Anna winkt heftig ab, in solche Angelegenheiten mischt sie sich grundsätzlich nicht ein. Die würden schon noch fahren, da solle ich mir keine Sorgen machen. So jedenfalls interpretiere ich ihre Worte.

Mir ist kalt, und ich fühle mich erschöpft. Mühsam versuche ich meine Augen offen zu halten. Zu lange schon bin ich heute auf den Beinen, viel habe ich erlebt. In meiner Handtasche habe ich eine Nylonstrumpfhose, die ich sicherheitshalber zum Schutz gegen die Klimaanlage im Flieger eingesteckt habe, die ziehe ich nun an. Jetzt rutsche ich zwar in meinen Sandaletten herum, aber ich habe auch nicht vor, heute noch eine Wanderung zu unternehmen. Ich setze mich auf den einsamen Schemel im Steinhaufen, Anna redet unaufhörlich auf mich ein, und ich nicke ab und an freundlich. Irgendwann streift mich etwas am Arm, ich muss eingeschlafen sein.

»Signora Udda, prego, vieni qui.« Sie nimmt meine Hand, und wir gehen hinaus in die stockfinstere Nacht. Sie führt mich quer über den Hof, an den Ziegen und Wildschweinen vorbei, von denen nur ein Grunzen zu hören ist, zu einem Holzverschlag. Dort nimmt sie ein Bündel Stroh vom Haufen und breitet es notdürftig auf dem Boden aus, legt eine Decke darüber, und mit einem beruhigenden »Dormi bene« verschwindet sie in der Dunkelheit.

Kläglich rufe ich nach Bruno, aber keiner hört mich. Irgendwo meine ich, seine Stimme zu vernehmen. Während ich Kraft sammle, um aufzustehen, damit ich nach ihm suchen und Claudio dazu bewegen kann, uns endlich zu seinem Bruder zu bringen, schlafe ich erschöpft ein.