158711.fb2 Zwei Esel auf Sardinien - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

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Auf ins Abenteuer!

Jutta

Als wir beide stumm und reichlich desolat auf unseren Maultieren dahintraben, sehe ich die berühmte Zeichnung Goyas von Don Quijote und seinem Diener Sancho Pansa vor mir, und ich muss unwillkürlich lachen. Wer von uns welcher ist, vermag ich nicht zu sagen, und auch unser Ziel ist ungewiss, aber mein Herz ist auf einmal leicht. Wird mir doch bewusst, dass es schon andere gab, die sich so auf den Weg gemacht haben. Stets ist alles geplant in unserer Zivilisation, hektisch rennen wir von einer Verabredung zur andern, wissen meistens, mit wem und wie wir den Abend verbringen, leben mit dem Terminkalender unter dem Arm und versuchen unsere Stunden sinnvoll und gewinnbringend zu füllen. Jetzt sitze ich einfach still auf einem Muli, das, wenn es ihm einfällt, stehen bleibt, weil ihm ein besonders schmackhaftes Kräutlein ins Auge fällt. Die Welt scheint uns zu entschleunigen, als wäre sie auf die Bremse getreten. »Öffnet mal eure Augen und Sinne und erkennt, wie schön alles sein kann«, scheint sie uns sagen zu wollen.

Heiterkeit breitet sich in mir aus, die die Verpflichtung, unsere Verabredung in Gesturi einzuhalten, verdrängt. Mein Bedürfnis nach einem gewohnten Tagesablauf verschwindet, und ich bin bereit für das Abenteuer. Ich drehe mich leicht zur Seite, um in der Satteltasche nachzuschauen, was uns Anna in letzter Sekunde zugesteckt hat, wer weiß, was da drin ist? Vier saftig-ölige Focaccias, hmm, ein großes Stück Salami und ein Stück Pecorino, zwei Tomaten und zwei gekochte Eier. Welch unverhoffter Genuss! Gerührt möchte ich ihr augenblicklich um den Hals fallen.

Sobald wir an ein schönes Plätzchen kommen, werde ich Bruno von unserem Reichtum berichten. Vielleicht gibt es ja eine Quelle oder wenigstens ein sauberes Rinnsal, dann wäre unser Mittagessen perfekt. Wie unklug von mir, kein Wasser mitzunehmen. So wie ich jedoch Anna und auch Bruno verstanden habe, sind es bis zu Claudios Bruder gerade mal ein paar Kilometer.

Felder und riesige Olivenhaine, so weit das Auge reicht, breiten sich vor uns aus, ziehen sanft bergauf, um dann hinter den Kuppen wieder abzufallen. Vor uns gabelt sich der Weg. Wir wissen nicht, wo wir weitergehen sollen. Wir bleiben stehen, ich steige vorsichtshalber ab, um nicht wieder der Willkür meines Maultiers ausgesetzt zu sein.

Auch ohne Wasser ist es doch ein guter Platz, um zu Kräften zu kommen, und vielleicht zeigt sich ja dann der Weg von selbst. Man muss nur abwarten und spüren, wo es einen hinzieht, dann wird es auch richtig sein, philosophiere ich still vor mich hin.

Ich frage Bruno, ob er Hunger hat, und wedele verlockend mit Annas Tüte aus der Satteltasche. Augenblicklich erhellen sich seine Züge, Essen ist doch ein Allheilmittel gegen schlechte Laune und sonstige Gebrechen. Ganz nach dem Motto »Füttere die Bestie« führe ich meinen Esel zu einem Baum, um ihn festzubinden. Dann breite ich meinen Mantel auf der sattbraunen Erde aus und lege die Köstlichkeiten darauf. Bruno entfährt ein erstauntes »No«, bevor auch er seinen Esel versorgt und sich niederlässt.

Früher hatte ich stets ein Schweizer Taschenmesser dabei, so war ich allzeit bereit, zu schnippeln, Flaschen zu entkorken oder meine Nägel zu feilen. Mit der kleinen scharfen Schere konnte man sogar Seile durchschneiden, aber dank der vor Jahren eingeführten Flugsicherheitsbestimmungen sind unzählige meiner kostbaren Messer unter den gnadenlosen Augen der Beamten an Flughäfen in Mülleimer gewandert. So haben wir leider heute kein Messer und müssen wie Raubtiere unsere Zähne in die Beute schlagen. Wer schneller kaut, kriegt mehr ab. Wer hat den größeren Mund, um sich das größere Stück abzubeißen? Aber wir teilen alles gerecht.

Es ist schon bemerkenswert, wie sich eine solche Ausnahmesituation auf das Verhalten auswirkt. Normalerweise bin ich es als Mutter gewöhnt, mich beim Essen hinten anzustellen. Da ich jedoch noch wütend auf Bruno bin, auch weil er sich wie so oft kaum um etwas gekümmert hat, sondern es anderen überlässt, hab ich heute keine Lust dazu. So hat er es auch diesmal mir beziehungsweise Anna zu verdanken, dass er nicht verhungert. Und als ich jetzt in seine glücklichen Augen sehe, während er genüsslich ein großes Stück Brot mit Salami und Käse in den Mund schiebt, erkenne ich Dankbarkeit und fühle mich in meiner blöden Erwartungshaltung bestätigt. Sofort ärgere ich mich über mich. Wie viel schöner ist doch jeder Moment, wenn man ihn einfach so nehmen kann, wie er ist.

Die saftigen Tomaten löschen unseren Durst, und irgendwo finden wir sicher demnächst Wasser. Nachdem wir unsere Esel von den Bäumen losgebunden haben, stellen wir uns orakelnd an die Weggabelung. Ich schließe meine Augen, nachdem ich intensiv beide Möglichkeiten betrachtet habe. Bis zum Horizont bin ich im Geiste gelaufen, um die richtige Richtung zu erspüren.

Soll es nach rechts gehen oder nach links? Etwas zieht mich tatsächlich, aber am Handgelenk, und es ist keine fremde Macht, sondern der Esel.

»Na, hoffentlich hat der Blödmann recht«, schreie ich gerade noch Bruno zu, bevor ich weitergezogen werde. Wir ergeben uns und laufen mit unseren Maultieren mit, an Aufsteigen ist gar nicht zu denken.

»Bist du sicher, dass die Esel den Weg kennen?«, frage ich Bruno. Aber das ist natürlich die dümmste Frage, die ich stellen konnte! Wie kann ich nur sein Urteilsvermögen in Frage stellen? Er wisse schon, was er zu tun habe, und ich solle ihm vertrauen. Es müsse nach links gehen, die Esel hätten schon recht, und es sei letztendlich auch genau die Richtung, die ihm Claudio gestern Abend beschrieben habe.

»Ach, und daran willst du dich nach der Nacht noch genau erinnern, zumal es stockfinster war und du wohl kaum auch nur irgendeine Richtung erkennen konntest«, blaffe ich zurück.

Oje, jetzt wird es heiß zwischen uns. In puncto Sturheit sind wir beide Weltmeister. Aus Erfahrung weiß ich, dass er nichts annehmen wird, egal, was ich ihm jetzt vorschlage. Außerdem hat sich Bruno noch nie durch einen guten Orientierungssinn ausgezeichnet. Wenn ich jedoch nun einen anderen Weg einschlage und dieser absolut falsch ist, liegt der Schwarze Peter bei mir. Zugegeben, ich weiß es ja auch nicht besser, also folge ich ihm, indem ich mein Vertrauen in seinen Instinkt beteuere.

Auf einmal tauchen Frauen vor uns auf, vor sich Berge von nasser Wäsche, die sie in einem sanft dahinfließenden Bächlein waschen. Sofort führe ich mein Maultier ans Wasser, und es beginnt gierig zu trinken. Auch ich schöpfe mehrere Handvoll aus dem Bach und hoffe inständig, dass das Wasser nicht verseucht ist. Woran ich letztlich sterbe, ist jetzt auch schon egal, denke ich fatalistisch. Bruno, das weiß ich sicher, wird nie und nimmer davon trinken, lieber verdurstet er.

»Jutta, weißt du noch den Namen des Ortes, wo wir hinmüssen? Anna hat ihn mir gesagt, aber ich habe ihn vergessen.«

Wie bitte? Das kann nicht wahr sein. »Du hast mit ihr gesprochen, wie soll ich den Namen wissen?«, antworte ich entsetzt. Bruno ist bereits intensiv im Gespräch mit den Wäscherinnen und scheint sich weder an das Dorf, geschweige denn an den Namen dieses ominösen Bruders zu erinnern, denn soweit ich überhaupt etwas davon verstehen kann, beschreibt er gerade die Behausung unserer Schäferfamilie, die den Damen jedoch nicht allzu bekannt vorkommt. Freundlich und durchaus hilfsbereit sind sie, aber besonders ortskundig scheinen sie nicht zu sein. Wahrscheinlich kommen sie über ihre Hügel nicht hinaus. Vielleicht fahren sie ja auch nur einmal im Jahr in die Großstadt Cagliari.

In meiner Jugend war ich oft mit Freunden auf deren Bauernhof im österreichischen Burgenland. Von dort aus waren es genau sechs Kilometer zum großen Neusiedler See. Die Nachbarin, eine bereits in die Jahre gekommene Bäuerin, hatte, und das muss man sich mal vergegenwärtigen, noch NIE den See gesehen. Sie hatte große Angst davor und erzählte immerfort, wie tückisch dieser sei und wie viele dort schon ertrunken wären. Hier in dem Dorf hätte sie alles, was sie brauche, warum also in die Ferne ziehen? Das sollten die Männer machen, aber die Weiberleut sollten zu Hause bleiben.

Wer weiß, vielleicht denken diese Frauen genauso?

Wie auch immer, sie scheinen uns keine große Hilfe zu sein! Nachdem unsere Eselchen genug getrunken haben und selbst Bruno dem Nass nicht widerstehen konnte, setzen wir unseren Weg fort. Wenn wir jetzt Bauchweh kriegen, wissen wir wenigstens, warum, und gemeinsam jammern verbindet dann auch wieder.

Meine Füße tun mir furchtbar weh, und selbst die Erdkruste, die ich mittlerweile unter den Sohlen habe, ist nicht wirklich hilfreich. So eine richtige Hornhaut wünsche ich mir, wie die Ureinwohner Australiens sie sicher haben. Die laufen über heißen Wüstensand, hab ich gelesen, als hätten sie die komfortabelsten Treckingschuhe an.

»Brrrrrr«, raune ich meinem Eselchen zu, »brrrrrr, bleib stehen, sei so lieb und lass mich aufsteigen, und wirf mich bitte nicht ab!« Ganz zärtlich hab ich es ihm gesagt.

»Bruno, weißt du, wie die zwei heißen?«, rufe ich ihm zu. Er ist bereits ein ganzes Stück weiter gekommen als ich.

»Meiner heißt Ferru, deiner Fil’e!«, antwortet er. Fil’e! Was für ein merkwürdiger Name!

»Fil’e, mein lieber Fil’e!« Sehr beeindruckt scheint er von seinem Namen nicht zu sein, wahrscheinlich mag er ihn auch nicht. Ich muss abwarten, bis er wieder irgendetwas fressen will, und dann, schwupps, schwinge ich mich auf ihn drauf! Esel, verflixter! So humpele ich dem Miststück hinterher, das mit mir macht, was es will.

In der Ferne sehe ich eine Staubwolke auftauchen, die beim Herankommen einen Mann auf einem Moped enthüllt. Bruno winkt ihn zu sich heran, scheint ihn etwas zu fragen, woraufhin der Mann den Kopf schüttelt und nach rechts deutet. Als Bruno ihm wieder eine Frage stellt, zeigt der Mann erneut nach rechts, zögert dann kurz und weist in die linke Richtung. Dann löst er sich mit lautem Getöse erneut in Staub auf.

»Wir sind falsch und müssen zurück. Wir hätten uns rechts halten sollen«, schreit Bruno mir entgegen und schwingt sich mutig auf Ferrus Rücken. Na wunderbar, denke ich, beruhige mich aber innerlich damit, dass wir nun ja zumindest auf dem richtigen Weg sind.

»Ich komme sofort«, rufe ich zurück und versuche es ihm gleichzutun. Fil’e hat wohl einen Mordsschreck erlitten und verharrt in panischer Starre, ich hab nun mal ein geschultes Theaterorgan. Ich nutze die Situation aus, um blitzschnell meinen Fuß in den Steigbügel zu stellen, kralle mich am Sattel fest und bin schon halb oben, als das verdammte Miststück sich wieder in Bewegung setzt.

Jetzt schreie ich »Brrrrrrrr«, was das Zeug hält, und ziehe mit aller Kraft am Zügel, hier geht’s ums Überleben. Gottlob, er hat Erbarmen mit mir und lässt mich aufsteigen. Ich zittere am ganzen Leib. Die Vorstellung, er würde im Eselsgalopp mit mir, wenn ich lediglich einen Fuß im Steigbügel habe, davonspurten, treibt mir Tränen in die Augen.

Laut sage ich: »Danke, lieber Schutzengel, danke, dass du mich gerettet hast.« Bruno scheint von alldem nichts mitbekommen zu haben, denn unbeirrt trabt er weit vor mir dem Horizont entgegen.

Minuten später, nachdem ich eine Anhöhe erreicht habe, stoße ich wieder auf die beiden. Nett, dass er auch mal auf mich wartet, denke ich mir und möchte ihm von meinem Reitversuch erzählen. Als ich jedoch den verzweifelten Ausdruck in Brunos Augen sehe, lasse ich es bleiben. Weit und breit nur Landschaft. Weder ein Gehöft noch ein Kirchturm, der immer Gutes verheißt, ist zu erkennen.

»Vielleicht habe ich den Mopedfahrer vorhin falsch verstanden, der hat ja nicht mal richtig angehalten«, versucht er sich zu entschuldigen.

»Das gibt’s doch nicht, bitte sag, dass das nicht stimmt, ich kann nicht mehr zurückreiten, und gehen kann ich erst recht nicht mehr, ich bin restlos am Ende!«, flehe ich meinen Lebensgefährten an. Am Himmel brennt die Sonne, meine Uhr zeigt Viertel nach drei an. Wir haben maximal noch zwei Stunden, bis uns die Dunkelheit einholt, und das bedeutet eine zweite Nacht irgendwo hier in der Wildnis. Es ist doch zum Verzweifeln! Hemmungslos lasse ich jetzt meinen Tränen ihren Lauf.

»Wir haben nichts mehr zu essen und zu trinken, es wird gleich saukalt, und wir werden erfrieren. Diese blöden Viecher wissen ja offenbar nicht mal, wie es wieder nach Hause zurückgeht, und was passiert mit uns, wenn es hier Bären gibt oder irgendwelche gefährlichen Krabbeltiere, Skorpione oder Spinnen?«, heule ich schluchzend in seinen Armen.

Mein Ritter breitet seine Arme um mich, und ich überlasse mich völlig meinen Emotionen. All meine Ängste und meine Frustration brechen aus mir heraus. Keine Ahnung, wie lange ich mich so gehenlasse, aber es zeigt seine Wirkung. Alle drei, Esel wie Mensch, sind milde gestimmt. Fast möchte mich mein kleiner Esel mit seinen Nüstern abbusseln. Er hat sein Mäulchen ganz eng an meinen Hals gedrückt, und ich spüre den feuchten Atem. Das lässt mich innehalten, und mein Weinen geht in Lachen über. Ein bisschen schäme ich mich, aber das habe ich gebraucht, jetzt geht es mir gleich besser.

»Amore, wir finden schon etwas, wo wir unterkriechen können. Es wird bald dunkel, und ich fürchte, so schnell kommt hier heute keiner mehr vorbei«, sagt mein starker Mann und hilft mir, wieder aufzusteigen. So zieht er mich und seinen Ferru mit sich weiter. Er erzählt mir von alten Häuschen, aus Stein gebaut, die früher den Bewohnern Schutz vor Hitze und Kälte geboten haben und die heutzutage als Unterschlupf für Tiere dienen oder um Stroh zu lagern. Genau in dieser Gegend stünden sie. Nuraghen hießen sie, und bestimmt würden wir bald so einen turmartigen Bau finden. Wenn es nun mal nicht anders ginge, sollten wir lieber mit so einem Unterschlupf vorliebnehmen, als Gefahr zu laufen, im Freien zu übernachten.

Das leuchtet mir ein, zumindest ein wenig, und so halten wir beide Ausschau nach einer geeigneten Übernachtungsmöglichkeit.