Mistral
Jutta
Signore Marchese Geraldo Valdes kommt um kurz nach vier, um seine Arbeiter samt den gepflückten Oliven abzuholen. Von weitem hört man das herannahende Brummen eines Lastwagens.
Augenblicklich unterbrechen die Männer ihre Arbeit, und die Frauen sortieren in Windeseile die Oliven. Die Körbe werden bis zum Rand gefüllt und die schlechten Früchte auf einen Haufen geschüttet. Unseren Eseln legen sie die abgeschlagenen Äste vor die Füße, bis dato wusste ich nicht, dass Maultiere auch Oliven fressen. Hier auf Sardinien scheint alles anders zu laufen. Der sardische Gourmetesel frisst wahrscheinlich auch Spaghetti.
Angesichts des Lastwagens, der schaukelnd zwischen Bäumen und Furchen heranrumpelt, bezweifle ich, dass wir beide mit unseren Mulis Platz darauf finden.
Zwischen emsigem Aufladen und dem Verstauen der Körbe, den Frauen und Männern, die auf die Ladefläche klettern, sehe ich für uns keine Chance. Auch hier können alle nur stehend mitfahren. Wo bitte sollen da noch zwei Esel Platz haben? Ich und auch Bruno könnten uns irgendwie noch dazwischenquetschen, aber die Tiere müssen dringend zu Claudio und Anna zurückgebracht werden.
Eine Diskussion zwischen Bruno und dem Gutsbesitzer scheint eine Lösung gebracht zu haben, denn Bruno, der fleißige Olivenpflücker, kommt strahlend auf mich zu.
»Binde die Esel wieder fest«, sagt er zu mir, »wir müssen noch ein bisschen warten. Der Marchese bringt jetzt die Arbeiter nach Hause und kommt später mit einem Pferdeanhänger, um uns abzuholen. Alles wird gut!«, meint er, während er mein skeptisches Gesicht streichelt.
Nun gut, so binde ich unsere beiden mir liebgewordenen Tiere wieder an den Baum.
Aus tiefstem Herzen wünsche ich mir nur, nicht noch eine Nacht hier draußen verbringen zu müssen. Aber Bruno beruhigt mich. Spätestens in einer Stunde würden wir abgeholt, das wäre so sicher wie das Amen in der Kirche.
»Dein Wort in Gottes Gehörgang«, sage ich auf Deutsch, was er eh nicht versteht.
»Tuo parole al oriecchi di dio«, versuche ich zu übersetzen, aber er sieht mich verständnislos an.
»Your word in the ear of god«, sag ich halt jetzt auf Dinglisch!
»Aha«, meint er und schaut mich nicht weniger verständnislos an.
Manchmal ist es ja vielleicht auch gar nicht so schlecht, wenn einen der andere nicht versteht, denke ich resigniert. Ist ja nun wirklich momentan auch wurscht.
»Now it is really sausage«, würde unser allseits beliebter Loddar Maddäus sagen.
Ich setze mich neben mein Eselchen und reiche ihm ein schönes Blatt, das er dankbar frisst.
»Gell, wir zwei verstehen uns«, flüstere ich ihm ins Ohr.
Bruno möchte sich ein bisschen bewegen und schlägt einen kleinen Spaziergang vor. Der Sonnenuntergang scheint wunderschön zu werden, total windstill ist es und ganz lau die Luft, fast ein bisschen zu warm. Da ich keine Lust habe, mich noch mal zu verirren, bestehe ich darauf, dass wir uns nicht zu weit wegbewegen.
Mit der langsam sinkenden Nachmittagssonne kommt Wind auf. Erst bewegt er freundlich die Zweige der Bäume, um sich dann schließlich auf die trockene Erde zu stürzen. Staub wirbelt auf. Wir gehen zurück zu den Eseln. Sie werden zunehmend unruhiger und treten tänzelnd von einem Bein aufs andere. Ich rufe laut nach Bruno, den ich aus den Augen verloren habe, schreie, er solle augenblicklich zurückkommen. Ferru schlägt nach hinten aus und zerrt an seinem Strick. Ich versuche ihn zu beruhigen, befürchte aber, dass er mir einen schmerzenden Tritt versetzen wird. Gerade als er sich mit einem Ruck losreißt und mit lauten »Iiiii-Aaaaas« die Flucht ergreift und ich gerade noch rechtzeitig meinen Esel bremsen kann, erscheint Bruno.
»Ein Mistral zieht auf«, ruft er. Ein für Sardinien typischer Wind, nicht wirklich schlimm und auch nicht außergewöhnlich, die Menschen hier sind ihn gewohnt. Er kommt meist mit Regen, entlädt sich, hält kurz und heftig an, um anschließend das sanfteste Licht und Wärme zu verbreiten.
»Geh mit dem Esel in den Nuraghe und bringt euch in Sicherheit, ich suche mein dummes Tier und bin gleich wieder da.« Mit diesen Worten verschwindet er.
Ich binde meinen sehr beunruhigten Esel – schließlich hat sich der Gefährte aus dem Staub gemacht – los und zerre ihn in unseren Unterschlupf. Gar nicht so einfach, diesen bockigen, sich mit allen vieren wehrenden Esel gegen seinen Willen auch nur einen Schritt vorwärtszubringen. Ich ziehe und zerre, rede freundlich, dann wieder zornig auf Fil’e ein, singe ihm ein Lied, und schließlich reißt mir der Geduldsfaden, und ich schreie ihn aus voller Kehle laut bayrisch fluchend an: »Kruzifix, verdammtes Vieh, geh endlich vorwärts.« Just in diesem Augenblick fährt ganz in unserer Nähe ein gewaltiger Blitz herunter, dem Sekunden später ein noch stärkerer Donner folgt. Ich bin halb im Nuraghe, der Esel am Strick halb draußen, er macht einen Satz nach vorne, ich fliege nach hinten auf meinen Allerwertesten, während ich immer noch den Strick in den Händen halte. Kurz bevor sich mein Maultier umdrehen kann, um das Weite zu suchen, kann ich mich gegen einen Stein stemmen. Nun bin ich fest verkeilt, nur loslassen darf ich nicht. Er will steigen, dann will er ausschlagen, aber der Nuraghe ist zu klein, und er schlägt den Huf an die Wand. Mein Fil’e iaht ganz jämmerlich, und ich hab ordentlich Angst vor dieser Eselskraft. Als er sich ein bisschen beruhigt, rapple ich mich auf und umarme seinen Hals, dann binde ich ihn an einem Pfosten vor dem Nuraghe an und bete, dass Bruno bald kommt.
Er kommt tatsächlich kurz darauf, ganz offensichtlich hat er mit Ferru dieselben Probleme. Bruno hangelt sich von Baum zu Baum, wobei er immer wieder den Strick festzurrt, um dann von hinten den Esel anzuschieben. Inzwischen hat mit diesem Donner ein sintflutartiger Regen eingesetzt. Er ergießt sich über uns, der Nuraghe ist in Minuten völlig durchnässt, und der mit Heu bedeckte Boden verwandelt sich in Schlamm. Blitz und Donner lassen nach, ziehen mit der Geschwindigkeit des Mistrals weiter. Nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Kein Wind mehr, kein Regen, das Gewitter donnert in der Ferne und richtet dort seinen Schaden an. Um das Schauspiel zu vervollständigen, kommt die untergehende Sonne mit ihrem letzten Licht durch die vorüberziehenden Wolken und hüllt den Olivenhain in ein Orangerot.
Klitschnass sind wir, zittern am ganzen Leib, teils weil uns saukalt ist und teils weil wir mal wieder an unsere Grenzen gestoßen sind. Was, wenn wir doch nicht abgeholt werden?
Bruno kann sich das nicht vorstellen. Der Gutsbesitzer sei ein Ehrenmann, da würde er sich nicht täuschen. In Sardinien gelte ein Handschlag noch als Versprechen. Wir müssten uns vielleicht noch ein bisschen gedulden.
»Ja, wir gedulden uns, aber kannst du das bitte machen, indem du mich ganz fest umarmst, dann ist mir nicht so kalt«, sage ich zu meinem Ritter.
So stehen wir, uns gegenseitig wärmend, im Matsch und setzen auf die Ehre des Marchese.