158711.fb2
Zu Besuch bei Signor Valdes
Jutta
Es ist sicher eine Stunde vergangen, als endlich Scheinwerfer auftauchen. Mittlerweile ist es stockdunkel. Der Marchese ist mit einem Landrover und Pferdeanhänger gekommen. Sein Gesicht spricht Bände, als er mich in all meiner durchnässten Jämmerlichkeit sieht. Er küsst zur Begrüßung mit einem Diener meine eiskalte feuchte Hand und sagt in akzentfreiem Italienisch: »Es ist mir eine Ehre, Signora.«
Als ich gerade darüber nachdenke, ob ich mich nun veräppelt fühlen sollte oder ob er eventuell durch meinen Dreck hindurch meine wahre Seele erkannt hat, taucht Bruno mit Ferru auf.
Mit geübter Hand und gebührender Strenge befördert der Marchese die beiden Maultiere in den Hänger.
Als ich auf den Rücksitz seines Landrovers klettern will, signalisiert mir Bruno, dass es wohl besser wäre, mit in den Anhänger zu steigen. Wahrscheinlich möchte er nicht, dass wir die gräflichen Polster beschmutzen. Enttäuscht folge ich ihm, und wir quetschen uns zwischen unsere beiden Freunde.
Wir haben unsere liebe Not, nicht umzufallen. Der Hänger hoppelt über den unebenen Boden, die Esel und auch wir stemmen uns in die Kurven, halten uns gegenseitig. Keiner von uns vieren findet das lustig, und als wir nach einer schier unendlich langen Fahrt endlich zum Stehen kommen, ist uns schlecht.
Als sich mir im Olivenhain der Marchese mit einem nicht enden wollenden Namen vorstellte, dachte ich zuerst, er mache einen schlechten Witz. Die Verbeugung vor meiner durchnässten Gestalt, der Handkuss auf meine verdreckte Hand, all das konnte doch nur einem Märchenfilm entspringen.
Doch inzwischen weiß ich, dass er es ernst meinte. Seine Erziehung gebietet ihm, sich stets würdevoll zu verhalten, wie kurios sein Gegenüber auch sein mag.
In der Abenddämmerung erkenne ich eine wunderschöne zypressengesäumte Straße vor einem Haus mit U-förmig angebauten Seitenflügeln. Es scheint inmitten eines Parks zu liegen. Zwei Laternen, die fahles Licht verströmen, erhellen den Eingang. Wunderschön geschnitzt ist die große schwere Eingangstür, die sich nun öffnet.
Eine uralte gekrümmte Frau tritt heraus und redet sofort lautstark auf Signore Marchese ein. Ich verstehe kein Wort, sie spricht mit schwerem sardischem Akzent. Bruno erwidert meine Blicke mit Schulterzucken, auch er scheint sie nicht zu verstehen.
Sie ist irgendwie sauer auf den Marchese, weil er uns mitgebracht hat und sie offenbar keine Zeit hatte, etwas vorzubereiten. Warum nur wollte Bruno die Einladung unbedingt annehmen? Natürlich ist eine Dusche verlockend, und ebenso ein üppiges Abendmahl, aber warum muss man dafür eine alte Frau in Aufregung versetzen? Ich wäre gerne direkt nach Gesturi gefahren, dann könnte ich meine Kleider wechseln und irgendetwas essen und danach in ein BETT fallen. Warum nur will einen jeder auf dieser Insel einladen? Das ist ja reizend, aber mein Bedürfnis danach ist erst einmal gedeckt. Als Bruno mit Valdes gesprochen hat und ich wie üblich nur die Hälfte verstand, hätte er mich doch einbinden können. Ständig wird über meinen Kopf hinweg bestimmt.
Was wäre schon dabei gewesen, die Einladung auszuschlagen! Der Alten hätte es gefallen. So aber sind wir beiden Frauen überrumpelt und müssen uns fügen. Wie im Mittelalter, denk ich mir.
Bruno und ich werden freundlich ins Haus gebeten. Während ich die Schwelle dieser ehrwürdigen Behausung überschreite und noch einmal kurz einen Blick auf die phantastische Auffahrt erhasche, sehe ich, wie ein Stallknecht unsere beiden Maultiere aus dem Anhänger holt und sie zu einer Stallung bringt. Er trägt Sorge, wie lieb, denke ich dankbar. Von nun an ist das Thema Esel für mich erledigt.
Die Eingangshalle ist mindestens ebenso beeindruckend. Eine breite geschwungene Treppe führt in die oberen Geschosse, dunkles Holz und Stein runden den Eindruck eines alten, von vielen Geschichten getragenen Gemäuers ab. Generationen müssen in diesem Haus gelebt haben, ich bin gespannt auf die Familie des edlen Herrn. Man erwartet, dass sich gleich alle Türen öffnen und Kinder, Hunde und die Ehefrau erscheinen, aber nichts von alledem geschieht. Wir stehen etwas verlegen herum und warten auf die Rückkehr des Hausbesitzers. Die alte Frau ist verschwunden. Ich flüstere Bruno leise zu:
»Meinst du, du könntest fragen, ob ich ein Bad nehmen dürfte?«
»Ma certo«, natürlich, antwortet er. Gleich wenn Signor de Valdes erscheint, wird er ihn fragen.
In der Tat werden wir wenig später von dem Faktotum nach oben geleitet. Ein muffig riechendes riesiges Zimmer tut sich auf, jahrhundertelang scheinen hier weder Licht noch Luft hereingekommen zu sein. Frischluft hatten wir ja genug die letzten Tage, wir werden es überleben, doch sobald die Madame den Raum verlässt, werde ich erst mal lüften.
Missmutig öffnet sie einen hölzernen Kleiderschrank mit schweren Messingbeschlägen, um mir schließlich ein großes weißes Unikum von Nachthemd in die Arme zu legen. Augenblicklich hüllt mich der süßliche Duft von Mottenkugeln ein und erzeugt leichtes Würgen.
Die Signora öffnet eine nicht erkennbare kleinere Tür und bedeutet uns, ihr zu folgen. Es ist ein Badezimmer. In der Mitte befindet sich eine große gusseiserne Badewanne, ein wahres Prachtstück aus einem anderen Jahrhundert. Wie lange schon träume ich davon, so etwas zu finden und bei mir zu Hause einbauen zu lassen. Auf vier bronzefarbenen Löwenpfoten steht das Ungetüm. Aus der Bronzearmatur läuft heißes, dampfendes Wasser in die Wanne, nachdem ich mit leicht angeekeltem Blick von der Dame, deren Namen ich nicht einmal kenne, begutachtet wurde. Sie drückt mir ein riesiges Stück Seife in die Hand, womit sie bestimmt zum Ausdruck bringen möchte, dass ich eine gründliche Reinigung dringend nötig habe. Bevor sie mich verlässt, deutet sie noch auf ein eisernes Regal, in dem sich Handtücher und allerlei Fläschchen befinden, dann schlägt sie geräuschvoll die Tür zu.
Während ich mich meiner Kleider zum ersten Mal seit drei Tagen entledige, muss ich laut auflachen. Das hier ist wirklich die Krönung dieser Reise. In etwas mehr als 48 Stunden haben wir das Leben auf dieser Insel auf die unterschiedlichste Weise kennengelernt. Ich bin mir sicher, dass es nicht viele deutsche Touristen gibt, denen Ähnliches widerfährt.
Mit einem tiefen Seufzer tauche ich ein und unter. Kann mich lang ausstrecken, fast schwebe ich im Wasser. Diese wohlige Wärme lässt meine Erschöpfung herauskommen, ganz still bleibe ich liegen, nur Nase und Mund ragen aus dem Wasser. Langsam, ganz langsam überkommt mich unendliche Müdigkeit. Still ist es. Wie schon die letzten Tage fühle ich mich allein gelassen, warum um Himmels willen wollte Bruno nur duschen? Zu gerne würde ich jetzt mit ihm gemeinsam in der Wanne sitzen. Wir würden uns gegenseitig abrubbeln und unsere Gedanken austauschen. Könnten ein bisschen lästern über die alte Frau und die Mottenkugeln, lachen über alles Geschehene, und vor allem könnte er mich über den Fortgang des heutigen Abends, der Nacht und des morgigen Tages aufklären. So aber verbringe ich ungezählte Minuten alleine im Wasser, bis meine Haut an Händen und Füßen zu schrumpeln beginnt.
In der Hoffnung, dass es sich um ein Haarwaschmittel handelt, nehme ich ein Fläschchen mit silbernem Schraubverschluss, dessen Inhalt eine parfümierte goldgelbe Flüssigkeit enthält. Ich schütte etwas davon auf meinen Kopf und massiere es ein. So dreckig, wie meine Haare sind, würde ich mir auch ein Ei draufschlagen.
Wenig später bin ich ein neuer Mensch. Ich hülle mich in ein etwas kratziges Handtuch von der Größe einer Tischdecke und gehe ins Schlafzimmer. Auf dem Bett liegt ein rosafarbener Brokatbademantel mit Spitzenkragen, und ein Paar Pantoffeln steht einsatzbereit daneben. Zieh mich an, schlüpf rein und geh runter, scheinen sie mich aufzufordern. Wenn bloß nicht alles so müffeln würde. Aber die Aussicht auf meine Dreckklamotten ist so gar nicht verlockend.
Ich öffne die großen Fenster. Die Fensterläden, deren Sicherungen wohl seit Jahren nicht umgelegt wurden, lassen sich nur schwer bewegen, aber schließlich schwingen die Läden zur Seite, und würzige Abendluft strömt mir entgegen. Ich atme tief ein, horche nach draußen auf das Zirpen der Grillen, dieses untrügliche Geräusch des Südens, das bei uns nur in lauen Nächten zu hören ist und den Sommer verkündet. Ein Gecko, der sich offensichtlich an der Außenmauer in der Nähe des Fensters versteckt hatte, schlüpft herein und saugt sich mit seinen Näpfen an der Zimmerwand fest. Das ist ein gutes Zeichen, Geckos bringen Glück!
Ich lächle ihm zu und sage: »Herzlich willkommen, friss bitte alle Motten und Moskitos auf, ich geh jetzt in der Zwischenzeit hinunter und esse.«
Mit diesen Worten entschwinde ich, als Königinmutter verkleidet.
Sie heißt Lenardedda, nie zuvor habe ich diesen Namen gehört. Es sei ein sehr alter, traditioneller Name aus Sardinien, und sie sei schon vor der Geburt des Marchese als Zimmermädchen in dieses Haus gekommen, habe der ehrwürdigen Frau Mutter gedient, um dann die Erziehung des kleinen Marchese zu übernehmen. Das erzählt mir Marchese Valdes auf meine Frage, wer denn die alte Frau sei, die mich ins Bad begleitet hat. Akzentfreies Italienisch bietet er mir, flechtet elegant hin und wieder ein Wort Französisch ein, um seine Vielsprachigkeit zu demonstrieren. Spanisch sei seine Muttersprache, diese jedoch könne er hier nur in bestimmten Kreisen sprechen, das Volk würde ihn nicht verstehen.
Aber jetzt sollen wir ihm doch bitte in den Salon folgen, dort würde er uns seine Mutter vorstellen! Ich bin gespannt, und wir folgen ihm. Er öffnet die Tür und lässt uns eintreten, doch kann ich in diesem Raum niemanden sehen. Der lange Refektoriumstisch ist für vier Personen gedeckt. Auch dieser Saal steht in nichts den übrigen Räumen, die ich bisher gesehen habe, nach. Reichverziertes Holz täfelt die Wände, zur einen Seite öffnet sich eine Bibliothek, die vollgestopft ist mit Büchern, auch diese vornehmlich aus einer anderen Zeit. Die Tafel schmücken silberne Kandelaber, und das Porzellan zieren Paradiesvögel inmitten vereinzelter Blumen. Auch das Besteck ist aus schwerem Silber, und die Weinkelche schimmern im Kerzenlicht. Wie kitschig perfekt alles ist, denke ich mir insgeheim, während ich der Aufforderung des Marchese, an der Längsseite der Tafel Platz zu nehmen, nachkomme. Wo wohl seine Mutter bleibt? Sicher hat sie schon gegessen, denn sie wird ja eine sehr betagte Dame sein und kommt wohl nur für einen Augenblick, um uns zu begrüßen. Bruno soll sich mir gegenüber setzen, er selbst nimmt seinen angestammten Platz am oberen Tischende ein. Ich verfolge mit meinen Augen Bruno, der Mühe hat, den schweren Stuhl zu bewegen. Dann gefriert mir das Lächeln im Gesicht. Ich schlucke, blicke nach unten auf meinen Teller, aber etwas zwingt mich magisch, meinen Blick zu heben. An der Wand hinter Bruno hängt ein gruseliges Porträt. Warum hat man mich an diesen Platz gesetzt? Soll ich irgendwelche Sünden abbüßen? Wenn ich hier sitzen bleibe, bringe ich keinen Bissen hinunter. Der Marchese füllt unsere Gläser mit Rotwein, erhebt sein Glas und sagt mit lauter Stimme: »Zum Gedenken an meine geliebte Mutter!« Auch wir erheben unsere Gläser, und ich schlucke hastig, ohne diesen köstlichen Tropfen genießen zu können. Was mir zuvor als schlechte Kopie eines Gemäldes aus einer Geisterbahn erschien, ist das Abbild seiner geliebten Mutter, auf deren Wohl wir soeben getrunken haben. Die Gute hat wohl das Zeitliche gesegnet.
Mein Gott, was hatte die Arme nur verbrochen, dass sie mit so abgrundtiefer Hässlichkeit gestraft worden war? Welch Glück, dass der liebe Marchese ihr nicht ähnelt. Viel schlimmer jedoch ist, dass ihr Aussehen sie offenbar total verbittert hat, denn der Blick, mit dem sie mich in ihrer Strenge ansieht, zeigt einen Hass und eine Resignation, wie ich sie noch nie gesehen habe.
»Was willst du hier, benimm dich gefälligst so, wie es diesem Hause gebührt, du nichtsnutziger deutscher Zwerg!«, scheint sie sagen zu wollen. Fast möchte ich mich entschuldigen, dass ich es wage, hier in den Gewändern einer Adligen am Tisch des Sohnes zu sitzen.
»Es tut mir leid, aber ich habe mir diese Kostümierung nicht ausgesucht, gnädige Frau. Ihre Kammerfrau hat mich so verkleidet, aber glauben Sie mir, das ist immer noch besser als mein Aufzug, in dem ich hier angereist bin!« Suggestiv versuchen meine Gedanken diese harte Frau zu erweichen. Erstaunlich, dass ein solcher Sohn an ihrer Seite gedeihen konnte. Sofort schließe ich Lenardedda in mein Herz. Sie ist zwar kein Ausbund an Herzlichkeit oder Wärme, aber ihr ist es mit Sicherheit zu verdanken, dass Signor Valdes so großzügig und zuvorkommend ist. Von dieser Mutter strahlt mir der pure Geiz entgegen. Da sie mit ihrem Aussehen keine Großzügigkeit verschenken konnte, war sie bestimmt auch sich selbst gegenüber geizig. Kaum zu glauben, dass sie sich einst einem Mann hingegeben hatte.
Die Stimme unseres Gönners reißt mich aus meinen Gedanken. Er hat offensichtlich bemerkt, dass mich das Gemälde seiner Mutter in den Bann gezogen hat, nur interpretiert er es völlig falsch. Er vermutet Begeisterung, denn er beginnt einen Monolog, dem ich entnehmen kann, wie sehr er seine Mutter vergöttert hat. Ganz alleine hätte sie das gesamte Gut organisiert (kein Wunder!, denke ich), das viele Gesinde im Griff gehabt (die Armen, denke ich), den Weinkeller verwaltet (aha, daher die große Säufernase), die Pferde beritten (ja, der Hintern scheint ausladend zu sein), selbst die Näherinnen hätte sie mit ihrem internationalen Modegeschmack beeinflusst. O Gott, hat sie etwa diesen Bademantel entworfen?
Er findet gar kein Ende, so begeistert ihn sein Redefluss, dem ich lediglich einige »Mmhhs« entgegensetze. Zum einen gibt es absolut nichts dazu zu sagen, und zum anderen will ich mich nicht mit meinem spärlichen Italienisch blamieren. Je weniger ich sage, desto mehr scheint er zu glauben, ich verstünde alles. Ein Wort gibt begeistert das andere, und so schleicht sich von ihm unbemerkt Lenardedda mit dem Essen herein. Sie füllt uns auf, der Duft des Fleisches steigt mir in die Nase, eine Schüssel Pasta dampft fröhlich vor sich hin, aber nichts kann ihn zum Schweigen bringen. Unsere Höflichkeit verbietet uns, mit dem Essen anzufangen, so wird alles kalt. Schließlich erhebt er sich, nimmt erneut sein Glas, wendet sich an seine Mutter, indem er sich für sein wunderbares Leben mit ihr bedankt, faltet seine Hände und kniet nieder, um ein Gebet zu sprechen. Ich bin völlig verwirrt, falte sicherheitshalber auch meine Hände und murmle etwas Unverständliches als Zeichen meines Respekts. Was für ein Kauz dieser Mann doch ist, aber bei allem sehr sympathisch! Er scheint wirklich in Frieden zu leben mit sich und all den Menschen um ihn herum, für die er der Padrone ist und denen er Arbeit gibt. Vielleicht erkenne ich nur einfach die inneren Werte dieser Frau nicht und müsste sie durch seine Augen sehen. Viel Appetit habe ich nicht mehr, als er endlich aufsteht und uns »Buon apppetito« wünscht. Wenn die Dame mir doch wenigstens nicht beim Essen zusehen würde. Auch Bruno scheint etwas geistesabwesend zu sein, denn er reagiert nicht auf meine versteckten Zeichen. Ich würde so gerne wissen, wie er dieses Bild findet.
Der Thron, auf den ein italienischer Mann seine Mutter setzt, kann nie hoch genug sein. Sie mag in ihrer Aufgabe als Mutter noch so inkompetent sein, er wird es nie zugeben. Wir in Deutschland sehen unsere Eltern nicht so verklärt, spätestens in den sechziger Jahren fing die Jugend an, die Gesellschaft zu kritisieren und somit auch die Eltern. Wir nannten unsere Eltern beim Vornamen und wollten uns mit ihnen auf eine Ebene stellen. Dies war schwierig für beide Seiten. Diskussionen waren an der Tagesordnung, und man musste seine politische Haltung verteidigen. Wehe dem, der kontrovers dachte. In dieser Zeit brachen viele Familien auseinander. Aber es barg auch neue Chancen.
Undenkbar ist für mich diese für meine Begriffe verlogene Haltung einer Mutter gegenüber. Ich bin zweifache Mutter und könnte es nicht ertragen, von meinen Kindern unkritisch vergöttert zu werden. Aber hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Für Bruno, so glaube ich, ist diese Verehrung ganz normal, niemals habe ich ihn ein ungutes Wort über seine Mama sprechen hören.
Während ich meinen Gedanken nachhänge und lustlos auf dem kalten Essen herumkaue, haben sich Bruno und der Marchese in eine politische Diskussion verstrickt. Ich kann ihr nicht folgen, geschweige denn eine eigene Meinung einbringen. Gerne würde ich mich beteiligen, aber ich bleibe außen vor, so wie schon in den vorangegangenen Tagen. Wie wichtig es ist, verschiedene Sprachen zu sprechen, wird mir wieder einmal bewusst, und ich ärgere mich, nie die Zeit investiert zu haben, diese schöne, aber auch schwierige Sprache gut zu erlernen. So bedeutet es jedes Mal einen Rückzug für einen von uns beiden. Bei Bruno in Deutschland und bei mir in Italien. Wichtige partnerschaftliche Entwicklungen gehen dabei verloren, und man resigniert in Stummheit, da man dem anderen nicht vermitteln kann, was einen bewegt. Für tiefgehende Offenbarungen braucht man die Muttersprache, alles andere bleibt im Versuch stecken.
Sei es nun, weil ich mich ausgegrenzt fühle oder weil mir das heiße Bad in der Badewanne der Madame de Valdes in die Glieder gefahren ist, ich bin todmüde. Mir ist auch leicht schwindelig, was ich auf den Geruch der Mottenkugeln, der diesem opulenten Bademantel entströmt, zurückführe.
Wie nur kann ich mich verdrücken, ohne dabei den Hausherrn zu kompromittieren? Ich warte eine kleine Weile, um mich in ein Gedankenloch der beiden einzuklinken.
»Ich bin hundemüde, ich möchte mich gerne verabschieden, bitte erfinde etwas, damit ich gehen kann«, wende ich mich an Bruno. Oje, hoffentlich hat er das verstanden! Sicherheitshalber klappe ich ein paarmal die Augendeckel zu, um zu signalisieren, dass ich müde bin. Irgendwie hat er wohl kapiert, was ich möchte, denn er erklärt unserem Gastgeber, wie stanca die Signora ist und dass sie sich ein wenig male fühlt.
Der Marchese darauf in entzückendem Deutsch: »Ick vastehe, und wir wolle alle nickte, dass fallen der Signora ihre Kopfe in Teller.«