158711.fb2 Zwei Esel auf Sardinien - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 28

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Die Legende vom Granatapfel

Bruno

»Das ist ja mal eine gute Nachricht, Maurizio! Es müssen insgesamt drei Gepäckstücke sein. Mein Koffer, Juttas Koffer und ein in Noppenfolie eingeschweißtes Paket. Aber pass auf, das musst du wirklich vorsichtig behandeln, denn es ist zerbrechlich. Du musst gleich doppelt achtgeben. Es ist dein Geschenk! Ja, ja, uns geht es gut. Wir sind ein bisschen müde, aber das erzählen wir dir alles morgen, wenn wir uns sehen. Speicher vorsichtshalber mal die Nummer ab, die du jetzt auf dem Display hast. Das ist die Handynummer von Marchese Valdes. Ja, ich rufe dich gerade von unterwegs aus seinem Pferdetransporter an … Nein, na ja, das erzähle ich dir später, wir sind auf zwei Eseln geritten … Das ist eine lange Geschichte … Wir übernachten bei ihm, ja … Sehr, sehr nett … Ja, ich werde es ihm ausrichten, aber ich glaube nicht, dass er Zeit hat. Auf jeden Fall wird er uns ein Fahrzeug leihen, damit wir nach Gesturi kommen … Was? Ich bitte dich, keine Angst, wir werden gleich nach dem Frühstück aufbrechen. Es sind doch nur gute zwanzig Kilometer, oder? Das werden wir doch in einer halben Stunde schaffen … Die Trauung beginnt doch erst um zwölf. Nur die Ruhe, Maurizio. Kümmere du dich um deine Sachen. Wir fahren vorher bei Giulias Eltern vorbei, um die Trauringe zu holen und uns umzuziehen … Sagen wir mal, wir sind dann so um elf da. Maurizio, bitte mach du dir nicht auch noch Sorgen! Ich hab dir doch gesagt, es ist alles in Ordnung! Und wie geht es Giulia? Und dir, altes Haus? Mit wem feierst du denn deinen Junggesellenabschied, hmm? O ja, die ›Freunde‹ möchte ich sehen. Oder sollte ich besser ›Freundinnen‹ sagen? Schon gut … Amüsiert euch … Ja, ich grüße sie von dir … Ganz bestimmt. Bis morgen, Maurizio. Ciao, ciao.«

Nachdem wir das Anwesen erreicht haben, fängt der Marchese sogleich an, uns über seine Familiengeschichte zu unterrichten.

»Valdes ist ein für Südsardinien typischer Nachname und ursprünglich spanisch, wie Sie bestimmt schon bemerkt haben. Ich habe ihn von meiner Mutter Giuditta geerbt … Ach, Jutta ist ja eine deutsche Variante des Namens meiner Mutter, Gott hab sie selig … Ist das nicht seltsam? Ich habe lieber ihren Nachnamen angenommen, weil er hier verbreiteter ist. Ihre Familie kam aus dem Fürstentum von Asturien im Norden Spaniens, aber möglicherweise floss bereits italienisches, vielleicht ligurisches Blut in ihren Adern. Die Ärmste, sie ist erst vor einem Jahr gestorben. Seitdem lebe ich hier allein mit meinen Hunden, meinen Pferden, dem Stallknecht und der legendären Lenardedda, meiner Haushälterin, die Sie gleich kennenlernen werden. Mein Vater war ein Fernando Sanchez, ein Nachfahre jener Eleonore d’Albuquerque, Tochter des Infanten Sancho Alfonso von Kastilien, Graf von Albuquerque, und von Beatrix von Portugal und Gemahlin von König Ferdinand dem Ersten von Aragon …«

Während wir den weitläufigen zentralen Innenhof betreten, kann ich ein Gähnen nicht unterdrücken, das ich sofort mit einem höflichen Lächeln zu kaschieren versuche, aber Jutta folgt sofort meinem Beispiel mit einem noch längeren Gähnen.

»Verzeihen Sie bitte, Don Geraldo, Ihr Haus ist wunderschön, aber wir sind doch recht müde«, entschuldige ich mich bei ihm, tatsächlich fühlt sich mein Mund so rau und trocken wie Schmirgelpapier an, ich langweile mich und bin hungrig.

»Aber das verstehe ich nur zu gut! Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Lenardedda, wir sind es. Komm her, meine Liebe, ich stelle dir meine neuen Freunde vor, Signora Speidel und Dottore Maccallini. Bitte, richte ihnen doch das Gästezimmer her. Hast du schon das Bad eingelassen? Sehr gut … Bruno, lassen Sie sich ruhig Zeit, das Abendessen wird frühestens in einer Stunde serviert.«

»Vielen Dank, Marchese, aber das war doch nicht nötig. Wir sind auch mit einem Teller Suppe zufrieden …«

»Aber ich bitte Sie, Suppe! Es gibt Ravioli mit Artischocken und Safran und ein gutes Stück Schafsbraten! Muy bien, Lenardedda, begleite die Herrschaften nach oben …«

»Ich dusche nur schnell und bin gleich wieder bei Ihnen, Marchese«, sage ich.

»Perfettu, dann zeige ich Ihnen den Weinkeller, und Sie können l’olio noeddu, das neue Öl, verkosten …«

Ehe wir die herrschaftliche Treppe in den zweiten Stock hinaufgehen, gibt uns Lenardedda Filzpantoffeln, damit wir den wunderschönen gebohnerten Fußboden nicht schmutzig machen, aber vor allem nicht darauf ausrutschen. Sie ist eine von diesen Hausdamen, wie man sie heutzutage eigentlich nicht mehr findet, und sorgt nicht nur für den Marchese, sondern schmeißt den gesamten Haushalt. Sie wirkt mürrisch und verärgert, würdigt uns keines Blickes und spricht die ganze Zeit kein einziges Wort. Jutta meint, dass sie so eifersüchtig über ihren Herrn wache, dass sie der ganzen Welt misstraue. Mit offensichtlichem Unwillen öffnet sie die Tür zu unserem Schlafgemach. Von dem Geruch, der uns entgegenschlägt, könnte einem übel werden, und das ist noch milde ausgedrückt. Es riecht abgestanden, darüber ein leichter Schimmelgeruch von dem Stapel alter Bücher auf dem Nachttischchen. Und dazu die Feuchtigkeit, die aus der Gewölbedecke mit dem Familienwappen austritt. Lenardedda lässt die Hand auf dem Türgriff liegen und bedeutet uns einzutreten. Das Parkett ächzt unter unseren Füßen, ein Hund bellt in der Ferne, wir entdecken ein vergilbtes altes Schwarzweißfoto von einem kleinen Kind mit laufender Nase, das fünf Kerzen auf einer Torte ausbläst, und auf dem Bett liegen der Schlafanzug und das Nachthemd, die wer weiß wie viele Jahre in einem Schrank mit Mottenpulver eingelagert waren. Juttas Gesicht hat sich zu einer Grimasse verzerrt. Lenardedda lehnt die Tür an und geht. Im Bad riecht es zwar ziemlich streng nach Mückenkerzen, dafür ist die Badewanne voller Schaum. Der Hahn in der Duschkabine ist völlig verrostet, und ich habe Mühe, ihn aufzudrehen. Als es mir schließlich gelingt, ist das Wasser natürlich erst einmal gelb, und ich muss es eine Weile laufen lassen. Dafür finde ich ein schönes neues Stück Seife, zwei Handtücher aus Leinenbatist für das Bidet und zwei große Frotteeduschtücher, die zusammengefaltet neben dem Waschbecken liegen. Schade, dass sie so nach Mückenmittel riechen! Ich habe zwar einen Dreitagebart, aber ich möchte mich erst morgen früh rasieren. Daher dusche ich nur kurz und trockne mich eilig ab, schlüpfe in den Bademantel aus Waffelpikee mit den ineinander verschlungenen, handgestickten Initialen »GV« und überlasse Jutta ihrem warmen Bad. Es muss ihr wohl wirklich guttun und sie entspannen, denn ich habe schon seit zehn Minuten keine Klagen mehr von ihr gehört. Mit neuer Energie laufe ich die herrschaftliche Treppe hinunter. Auf Höhe des ersten Stockes befinden sich zwei Nischen. In der rechten halten zwei Putten ein Medaillon mit Ahnenporträts, zu meiner Linken entdecke ich ein Gipsrelief von Don Geraldo zu Pferde. Ich fühle mich wie ein König. Und da kommt auch schon der Marchese, um mir voller Stolz sein Haus zu zeigen.

»Meine hochverehrte Mutter erzählte mir immer, dass ihre Urururahnin, die einige umstrittene Liebesaffären mit verschiedenen jungen Liebhabern hatte, in Vollmondnächten mit ihrem jeweiligen Auserwählten in den Keller hinabstieg und hier ihre Leidenschaft auslebte … Selbstverständlich ohne das Wissen ihres Gatten, der auf Reisen war. Doch die edle Dame gab sich nicht jedem hin. Der Auserwählte musste einen Granatapfel verspeisen können, ohne dass ein einziger Kern zu Boden fiel. Erst dann belohnte sie ihn mit ihrem reichen Schatz. Diese Geschichte heißt daher auch die Legende vom Granatapfel. Und das hier ist der berühmt-berüchtigte Weinkeller. Kommen Sie nur, Bruno, ich gehe voran …«

Nur mit Bademantel und Pyjama ist es ein wenig kühl im Keller, aber nach ein paar Schlucken Vermentino und Cannonau akklimatisiere ich mich. Allerdings nehme ich mir eingedenk des letzten Saufgelages vor, es diesmal nicht zu übertreiben. Die Besichtigung des Weinkellers ist eine hochinteressante Einführung in die modernen Keltereitechniken und eine Reise in Don Geraldos Familiengeschichte.

»Der alte Stuhl, in dem sich die bewusste Ahnin von ihren Liebesabenteuern ausruhte, musste einem Sessel aus dem achtzehnten Jahrhundert weichen. Die Fässer aus rostfreiem Stahl stehen, wie Sie vielleicht bemerkt haben, jedoch keineswegs im Widerspruch zu denen aus Holz. Und das hier in der Mitte ist die alte Drehscheibe, sie steht hier, um uns daran zu erinnern, wie sich damals alles um den Wein drehte. Wer weiß, vielleicht drehte sich die lebenslustige Urururahnin in einer frühen Form von Lapdance darauf? Probieren Sie doch diesen Vermentino hier …«

Wir gehen durch einen drei Meter langen Gang zur Ölmühle. Don Geraldo erklärt mir jetzt sämtliche wichtigen Phasen der Ölherstellung, von der Sortierung bis zum Pressvorgang, bei dem man schließlich sein geschätztes Novello-Öl erhält. Während er eine Scheibe Carasau-Brot mit einem Löffelchen davon tränkt, fährt er fort:

»Ich möchte Ihnen noch eine Legende über den Granatapfel erzählen … Folgen Sie mir bitte.«

Nun geht es weiter nach unten, ein Gang mit einer Fassdecke führt in einen weiteren Keller.

»Hier hing früher die rodda, das Schweinsrad. In diesem Keller reiften die Würste. Jetzt haben wir einen Holzschuppen daraus gemacht. Aber zu Zeiten der bewussten Urururahnin war es das Antichambre, in dem die jungen Liebhaber mit den Granatäpfeln übten. Doch ich wollte eine andere Geschichte erzählen: die Legende vom Gespenst einer traurigen Nonne, die nach Aussagen einiger Einwohner von Villamar auch heute immer noch bei Vollmond mit einem Granatapfel hier umgehen soll. Sie basiert auf einer Sage über eine andere Urahnin, die sich in einen jungen Soldaten verliebte. Als der Vater das Liebespaar entdeckte, ließ er den Soldaten unverzüglich umbringen, aber aus Trotz weigerte sich das Mädchen, einen anderen zum Mann zu nehmen, und daher zwang der Vater sie, ins Kloster zu gehen. Das junge Ding starb aus Gram, aber ihr Geist versucht immer noch, in den Gemäuern des Familienguts Frieden zu finden.«

»Hoffentlich hat sie noch niemand wirklich gesehen …«

»Ich bestimmt nicht, lieber Freund, aber Lenardedda schon. Zumindest behauptet sie das …«

»Das hätte ich mir ja denken können …«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich möchte Sie ja nicht beleidigen, Marchese, aber diese Frau scheint mir für solche Geschichten empfänglich …«

»Ja, sie ist tatsächlich etwas naiv. Aber Lenardedda ist bestimmt nicht dumm. Außerdem ist sie nicht die Einzige, die meint, das Gespenst gesehen zu haben. Auch meine alte Mutter sagte, dass sie ihm in einer Sommernacht begegnet ist … Aber das ist schon viele Jahre her. Nun, wie ist das olio novello?

»Wirklich ausgezeichnet, ein Öl mit einem intensiven und lang anhaltenden Duft.«

»Das freut mich, kommen Sie … Gehen wir wieder nach oben. Das Abendessen dürfte jetzt serviert werden.«

Ich schäme mich beinahe, wenn ich Ihnen nun aufzähle, was sich alles auf dieser Tafel türmt: ein großartiger Tafelaufsatz aus dem achtzehnten Jahrhundert mit kreisförmig angeordneten Schalen und wunderbaren Putten aus Biskuitporzellan, zwei Kandelaber rechts und links sowie silberne Brotkörbchen, das Meisterwerk eines Goldschmieds aus Iglesias, das aus England stammende Besteck, ebenfalls aus Silber, Kristallgläser, auf denen Jagdszenen eingeschliffen sind, Teller und Unterteller aus altem Porzellan mit dem klassischen blauweißen Muster aus Cagliari und den unverwechselbaren Goldinitialen »GV« in der Mitte. Schließlich an beiden Enden der Tafel für uns Gäste aufgestellte Stühle und der Sessel mit merkwürdigem Flammenschnitzwerk in der Lehne für den Marchese vor dem Kamin. Von meinem Tischende sehe ich auf ein Stillleben mit einem toten Pfau an der Wand, dessen Kopf auf einen Korb mit Granatäpfeln weist. Jutta blickt auf ein wesentlich erschreckenderes Bild, ein Porträt von Donna Giuditta Valdes. Lenardedda kommt langsam mit einer riesigen dampfenden Suppenschüssel aus der Küche. Zum ersten Mal hören wir ihre schrille Stimme:

»ES IST SERVIERT!«

Während der Marchese eine endlose Eloge auf seine verstorbene Mutter hält, kann ich meinen Blick gar nicht mehr von dem Gemälde lösen. In meinem Kopf entspinnt sich langsam ein Film, dessen Hauptfigur eine Adlige aus Aragonien ist, die nach einem zügellosen Leben im Luxus von ihrem Vater, einem Gutsbesitzer aus Villamar, ins Kloster gezwungen wurde. Dort verbrachte sie die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens in absoluter Einsamkeit, um für ihre Sünden zu büßen. Sie meditierte und fügte ihrem Körper unsägliche Martern zu, und schließlich starb sie an innerem Fieber. Eines Tages spross unter den vielen Pflanzen, die die Erde rund um ihr Grab wachsen ließ, ein Granatapfelbaum. Dessen unzählige Samen, so leuchtend rot wie kostbare Rubine, die ein Symbol für ein blühendes Leben sind, gaben nicht nur Frauen, die keine Kinder mehr bekommen konnten, die Fruchtbarkeit zurück, sondern konnten die weibliche Lust verlängern. So wurde dieses Grab zu einem beliebten Pilgerort, vor allem für die Frauen aus dem Campidano, aber auch für viele Menschen aus anderen Städten und Grafschaften des Königreichs. Irgendwann bemerkten die Ehemänner, dass auch andere Männer von den Wohltaten dieses Baumes profitierten, und da sie die Affären ihrer Gemahlinnen nicht mehr dulden wollten, beschlossen sie einstimmig, einen Pfau als Wächter dieses Grantapfelbaums einzusetzen. Mit seinem stolzen Blick sollte er von nun an das ständige Hin und Her unterbinden. Seit der Antike hatte dieses Tier sich als unerbittlicher Schlangenjäger hervorgetan, so dass man allgemein annahm, es würde die typischen bunten Farben seiner Schwanzfedern durch Aufnahme des Schlangengifts erhalten. So wurde der Pfau nun der Beschützer der unglückseligen gebrochenen Herzen. Auch Bruno war so ein junger Ehemann, und jemand hatte sich in den Kopf gesetzt, sein Liebesleben zu stören, indem er Jutta den Hof machte, seinem wunderschönen Weib, das sich gemeinsam mit ihm auf den Weg zum Grabmal der adligen Nonne gemacht hatte. Seit diesem Tag wurde sie von einem Jüngling aus Cagliari umworben. Zunächst wies sie sein Ansinnen zurück, doch dann folgte sie ihren niederen Instinkten und schließlich den berückenden Blicken des jungen Mannes, der sich bald als äußerst gefährlicher Liebhaber erwies. Als sie eines Tages mit ihm wieder zu dem alten Grabmal pilgerte, um erneut von dessen kostbaren Samen zu naschen, stand der Frau auf einmal ein riesiger Pfau gegenüber. Um die Lüsternheit der beiden zu bestrafen, fächerte dieser seinen Schwanz auf und schüttelte von seinen bunten Federn Gift in die Luft, womit er die beiden sündigen Ehebrecher vertrieb.

»Liiiebling, wo bist du denn wieder mit deinen Gedanken? Komm mal wieder auf den Boden zurück …«, ruft die einzig wahre Jutta.

Ich kehre ganz plötzlich in die Wirklichkeit zurück, doch dann gelingt es mir, mich an dem Gespräch zu beteiligen, da ich doch – zwischen Pfau und Granatapfel – die eine oder andere Bemerkung aufgeschnappt habe.

»Aaaach, wissen Sie, ich habe gerade gedacht, dass Safran und neues Öl ihr Tod sind.«

»Was, von den Ravioli?«

»Genau, von den Ravioli und allen Liebhabern.«

»LIEBHABER?! WAS FÜR LIEBHABER?«, fragen Jutta und der Marchese im Chor.

»Liebhaber … äh … der guten sardischen Küche.«

»AAACH SOOO!«, meint Jutta.

»Guten Appetit, meine Lieben. Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, Gäste im Haus zu haben«, beendet der Marchese das Thema.

Ich seufze erleichtert auf. Glücklich taucht meine Gabel in eine wunderbar luftige Artischockencreme.