158711.fb2 Zwei Esel auf Sardinien - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 31

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4. Tag – Sonntag

Aufbruch nach Gesturi

Jutta

Mein Rücken, mein Hals und mein Schulterbereich sind völlig verspannt, als ich aufwache. Was für ein idiotischer Traum! Während ich versuche, mich zu orientieren, und meine Augen langsam öffne, wird mir schwindelig. Auch ist mir leicht übel. Ich drehe mich auf die Seite, um langsam den Morgen in mir ankommen zu lassen. Sicherlich habe ich mich in der Nacht tausendmal herumgedreht und spüre deshalb die Verspannungen. Dieses Bett ist aber auch schrecklich für zwei Menschen. Es ist durchgelegen, und man kullert automatisch in der Mitte zusammen. Das mag ja manchmal ganz schön sein, aber nicht, wenn man einen erholsamen Tiefschlaf braucht. Das Nachthemd hat sich um meinen Leib gewickelt, und immerzu drückte mich eine Falte. Dazu diese blöden Spitzen, die entweder im Gesicht kitzeln oder sich zusammenwurschteln und aufs Schlüsselbein drücken. Mein Gott, ich bin wie gerädert, dabei hatte ich mich doch so auf ein richtiges Bett gefreut. Fast möchte ich sagen, dass der Nuraghe bequemer zum Schlafen war als diese von pikenden Sprungfedern unterlegte Lottermatratze. Plötzlich wird mir klar: ES IST DAS BETT DER ALTEN!!!!

Kein Wunder, dass ich einen Alptraum hatte! Wer weiß, vielleicht ist sie sogar darin gestorben!!!

Ich will nur noch raus aus diesem Bett, aus diesem Zimmer, aus diesem Haus! Meine Hände packen Brunos Schultern, und ich rüttle ihn wach.

»Bitte steh auf, Schatz, ich halte es hier nicht länger aus, lass uns sofort verschwinden, hier gibt’s böse Geister.«

Bruno, der bislang eine hohe Meinung von meinem geistigen und seelischen Zustand hatte, ist verwirrt. Verschlafen sieht er mich an.

»Wie spät ist es denn? Leg dich noch mal hin, ich muss noch zu Ende schlafen, hab grad so was Schönes geträumt.« Damit rollt er sich wieder ein.

Weiterschlafen geht für mich überhaupt nicht, also steige ich aus den Federn, laufe zu den Fenstern, schiebe alle Vorhänge beiseite und öffne weit die Flügel, um das Morgenlicht mit seinem feuchten Tau hereinzulassen. Nachdem ich meine Lungen mit wohltuendem Sauerstoff vollgepumpt habe, geht es mir ein wenig besser. Ich lehne mich aus einem Fenster, um die Umgebung zu inspizieren. Vor mir liegt ein herrlicher Park. Auf sattem Grün stehen vereinzelt Zypressen und andere Gehölze, kleine Kieswege schlängeln sich zu einem Pavillon, in dem ich eine Gestalt sehe, die langsame Bewegungen ausführt. Was macht der da? Es sieht aus, als ob sich jemand wie in Trance bewegt. Vielleicht praktiziert er Zen, die Kunst des Bogenschießens? Als ich noch am Englischen Garten in München lebte, habe ich oft ganze Gruppen von Menschen gesehen, die sich im frühen Morgenlicht dieser Meditation hingegeben haben. Ich selbst mache seit über zwanzig Jahren Yoga und habe dazu einige Übungen aus dem Qigong übernommen. Zen jedoch ist eine erweiterte Stufe, in die ich bislang noch nicht eingetreten bin.

Da ich neugierig bin, beschließe ich, mich im Bad fertigzumachen und in meine schmutzigen Klamotten zu steigen. Der Gedanke daran ist zwar wenig erbaulich, andererseits will ich aber dieses Zelt so schnell wie möglich loswerden. Das kühle Wasser erfrischt meine Lebensgeister, und Schritt für Schritt werde ich wieder zur fröhlichen und positiven Jutta. Was für ein Zufall, dass die Alte den gleichen Namen wie ich trägt. Ich bin erstaunt darüber, wie tief mich diese Begegnung beeindruckt hat.

Nachdem ich im Badezimmer ordentlich rumort habe, steht Bruno leicht genervt auf. »Es ist gerade mal acht Uhr vorbei, und wir müssen gegen elf bei Maurizio sein. Wir haben alle Zeit der Welt, Gesturi ist nicht mal zwanzig Kilometer von hier entfernt.«

Zu gerne würde ich jetzt fragen, warum um alles in der Welt er uns nicht gestern Abend mal kurz dorthin gefahren hat, aber da jegliche Diskussion eh zwecklos ist und nur Missstimmung heraufbeschwören würde, verkneife ich es mir. »Brauchst du lange im Bad, oder soll ich auf dich warten?«

»Nein, nein, geh schon mal«, fordert er mich auf, und ich weiß doch, wie es ihn stört, wenn ich um ihn herum bin und ihm das Gefühl vermittle, auf ihn zu warten.

Also schleiche ich leise durchs Haus, hinaus in den Park, in der Hoffnung, dass mich Lenardedda, die sicherlich schon längst in ihrer Küche arbeitet, nicht hört.

Draußen ziehe ich meine Schuhe aus und gehe über den Kiesweg auf das taunasse Gras. Es ist unbeschreiblich schön hier. Fast toskanisch mutet dieses Gut an. Mit weit ausholenden Schritten überquere ich die Wiese und erhole mich zusehends von dieser Nacht. Als ich weit genug gelaufen bin, um das Haus mit Stallungen und Anbauten im Ganzen sehen zu können, drehe ich mich um. Es ist wahrlich beeindruckend. Da ich die Läden unserer Fenster geöffnet habe, ist leicht auszumachen, wo wir geschlafen haben. Alle anderen Fenster sind, wie üblich im Süden, was ich einfach nicht nachvollziehen kann, fest verrammelt. Gut, wenn es im Sommer richtig heiß ist, verstehe ich das ja noch, aber wie man jetzt im Herbst auch noch freiwillig im Dunkeln sitzen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Ich kann Brunos Schatten erkennen, als er vom Bad ins Zimmer geht, und winke. Er sieht mich nicht, er sucht mich ja auch nicht! Ich suche eigentlich immer, wenn ich jemanden für kurze Zeit verlasse. Dann denke ich, er wird gleich irgendwo erscheinen, und diesen Moment will ich nicht verpassen. Ich lasse Menschen nicht gerne warten! Zum einen wurde ich so erzogen, zum anderen steckt es einfach in mir, denn Warten empfinde ich als vergeudete Zeit. Bruno hingegen wartet immer auf irgendetwas. Darauf, dass sich was verändert, dass die Person, die schon lange versprochen hat anzurufen, sich endlich meldet, dass das Meer so warm wird, dass man endlich darin schwimmen kann … Warten, warten, warten – auf tausendundeine Sache. Ich selbst verabscheue das, lieber springe ich ins zu kalte Meer, als dass ich auf den Genuss zu schwimmen verzichte. Auf mich muss niemand warten. Ich komme dann, wenn es ausgemacht ist. Ich brauche keine Notlügen. Wenn’s mal wirklich nicht geklappt hat, sag ich, warum. In Italien glaubt man, den anderen zu beleidigen, wenn man sagt: »Sorry, aber ich hab heut Morgen getrödelt, das hab ich einfach gebraucht.« Nein, es wird herumlaviert und irgendein Mist erzählt, und der andere weiß genau, dass er angelogen wird. Aber das zieht er der Wahrheit vor. Was für ein komisches Volk!

Ja, was soll man machen, wenn die Italiener ihn sympathisch finden? Dann müssen sie halt alles, was ihnen diese Regierung antut, aussitzen und warten, dass ein neuer und besserer Präsident vom Himmel fällt. Na, hoffentlich passiert es bald, sonst versinkt dieses wunderbare Land für immer im Dreck und korruptem Sumpf.

Wenig später erscheint Bruno, und wir machen uns auf die Suche nach dem Marchese.

In der Tat übt sich dieser immer noch in seinen Exerzitien und fordert uns zum Mitmachen auf. Das hat mir gerade noch gefehlt! Er zeigt uns einige merkwürdige Übungen, die wenig mit dem landläufigen Yoga zu tun haben, aber ich bin ja offen für alles. Nur zu lange sollte es wirklich nicht dauern! Bruno hingegen ist völlig von den Socken und macht begeistert mit.

Danach erwartet uns ein kurzes, typisch italienisches Frühstück, und dann begleiten wir den Marchese in den Hof. Er habe leider keine Zeit, uns nach Gesturi zu fahren, aber wir könnten seine Ape nehmen, diesen typisch italienischen Kleinlaster auf drei Rädern, er würde sie später holen. Kann es denn nicht EINMAL einfach sein? Muss IMMER wieder was dazwischenkommen? Ich krieg noch die Krise! Halleluja! Nichts wie weg hier!

»Grazie mille, Signor de Valdes, für alles.« Ich lass mir wieder die Hand küssen und nehme Platz! Eng ist es und nicht gerade bequem, aber es erfüllt hoffentlich seinen Zweck! Bis sich die beiden Männer mit viel Trara endlich verabschiedet haben, vergeht eine kleine Weile, und ich befürchte, Bruno hat uns auf ein baldiges Wiedersehen bei ihm angekündigt. Dann starten wir unter viel Getöse. Ich winke sicherheitshalber noch mal freundlich, denn die alte Lenardedda ist doch wirklich zum Abschied auf der Außentreppe erschienen. Die schlägt sicher drei Kreuze, sobald wir um die Kurve gerattert sind.

Bei Tageslicht bewundere ich noch einmal ausgiebig die zypressengesäumte Auffahrt. Hinter uns wird der Gutshof kleiner und kleiner, bis er endlich nach einer Kurve ganz verschwindet und wir eine geteerte Straße erreichen. So, nun aber ein bisschen DALLI, es ist schon kurz vor zehn Uhr. Mich beutelt es zur Abwechslung mal wieder, aber mein Rennfahrer neben mir zischt weiter ungebremst um die Kurven. Nach einer Dreiviertelstunde verlangsamt Bruno das Tempo, und wir nähern uns einem kleinen Städtchen. Was ich jedoch außerdem sehe und was mich sehr beunruhigt, ist eine Autokolonne vor dem Städtchen. Über Hunderte von Metern reiht sich Auto an Auto, Menschen sind auf der Straße und stehen tatenlos rum. Hinter uns hat sich bereits eine weitere kleine Schlange gebildet, wir stecken mittendrin. Na, hoffentlich kein Unfall! Ich sehe auf meine Uhr, es ist Viertel vor elf. Um zwölf, so sagte mir Bruno, beginnt die Hochzeitszeremonie. Panik steigt in mir auf. Ich habe mir so fest vorgenommen, hübsch zu sein auf diesem Fest! Unmöglich, dass ich in meinem derzeitigen Aufzug die Kirche betrete!

Wenn das da vor uns Gesturi ist, laufe ich dorthin! Da bin ich allemal schneller als all die Autos. Mein Vorhaben stößt bei Bruno jedoch auf Widerstand. Ich wüsste ja gar nicht, wohin ich in Gesturi muss, und erklären könne er es selbst nicht, weil er noch nie da gewesen sei. Ich solle mal schön cool bleiben, der Stau löse sich bestimmt gleich auf. Na schön, mein Cousin ist es ja nicht, und Trauzeuge bin ich auch nicht! Mir kann’s eigentlich egal sein, wann oder ob ich überhaupt ankomme. Schade ist es allerdings schon, wenn man die Zeremonie versäumt, weil man so kurz vorm Ziel festgehalten wird! Minutenlang palavern wir hin und her, was man tun kann, um hier wegzukommen, aber es bietet sich keine Lösung an. Langsam, aber sicher begeben sich die Fahrer wieder in ihre Autos, und die ersten setzen sich in Bewegung. Auch Bruno stellt den Motor an, und siehe da, wir fahren.

Eine Prozession biegt gerade um die Ecke, als wir in das Dorfsträßchen einbiegen, das zur Kirche im oberen Teil von Gesturi führt. Es ist kurz nach halb zwölf!!!!