158711.fb2 Zwei Esel auf Sardinien - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

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Hochzeit auf Italienisch

Jutta

Der Kirchplatz ist voller Menschen in traditionellen Gewändern. Wie hübsch, denke ich mir. Wie bei uns auf dem Land. Da zieht die Frau ihr Festtagsdirndl an und der Mann seine beste Joppe und die Lederhose. Dazu schmückt man sich. Wir Frauen tragen im Ausschnitt unserer Tracht Rosen und grüne Blätter, legen schöne Hängeohrringe an und eine sogenannte Kropfkette um den Hals. Der Name entstand vor vielen Jahrhunderten, weil sehr viele Bayern, vornehmlich Frauen, an Schilddrüsenunterfunktion gelitten haben, wobei sich am Hals ein unschöner Knoten bildete. Um diesen zu verdecken, legten sie sich mehrreihige goldene Ketten mit einem edelsteinverzierten Emblem um den Hals – je nachdem, wie vermögend der Gatte war. Die Männer tragen Hüte mit einem Gamsbart und am Bund ein Charivari. Je größer und je wertvoller beides ist, desto mehr zeigt es, wie bedeutend der Mann ist und welchen Einfluss er in der Gemeinde hat. Auch kann man am Charivari erkennen, wie viele Kinder er gezeugt hat, denn jeder Anhänger steht für ein Kind. Hat er dann noch einen Wildschweinzahn dranhängen, heißt das, das er auch ordentlich potent ist. Klar, dass jedes bayerische Mannsbild mindestens einen solchen Zahn dranhängen hat. Auch der Gamsbart ist meist ein bisschen zu groß, bedeutet es doch, dass der Träger ein guter Schütze ist und schon mächtig viele Säue erlegt hat. Man beliebt ein wenig aufzutrumpfen, um sich Respekt zu verschaffen.

Ich glaube, das ist hier nicht viel anders. Grundsätzlich tragen alle dieselbe Tracht, aber sie unterscheidet sich im Detail. Die Farben sind ein bisschen unterschiedlich, und auch die Hauben der Damen sind mal mehr und mal weniger reich bestickt. Die alten Frauen tragen dunklere Gewänder und große Tücher um die Schultern.

Bruno bremst scharf, um nicht in eine Horde Kinder hineinzufahren, die gerade im Laufschritt auf die Kirche zulaufen. Er hält die Ape an der Friedhofsmauer an. Wir springen hinaus und rennen Richtung Hochzeitsgesellschaft. Außer Atem faselt er etwas von Ringen, Koffern, keine Zeit, und mir wird klar: DER GUTE HAT EIN PROBLEM.

»Ich hab die Ringe nicht, die sind bei Guilias Eltern, ich muss jemanden suchen, der sie mir besorgt, und wir haben auch keine Zeit, in die Wohnung von Maurizio zu gehen und uns umzuziehen, das machen wir nach der Zeremonie. Ich muss jetzt Maurizio finden, geh du schon mal in die Kirche.« Ich protestiere.

»Ich werde den Teufel tun und in diesem Aufzug bei der Trauung erscheinen«, antworte ich wütend. »Jetzt sind wir endlich am Ziel, und nun soll ich das nicht genießen können, weil ich mich in jeder Sekunde geniere? Nein, du wirst jetzt eine Lösung finden, ansonsten bleib ich draußen.« Bevor es zwischen uns zu einem handfesten Krach kommt, mischt sich ein Mann in unser Gespräch und fragt, ob er uns helfen kann. Bruno erklärt ihm kurz unser Problem, und er lacht, nimmt meinen Lebensgefährten in den Arm und sagt zu mir: »Keine Probleme, Signora, viene viene.« Die beiden laufen zu einem Auto, und wenig später halte ich ein Folkloregewand im Arm.

Schon wieder eine Kostümierung, denke ich verzweifelt in Anbetracht meines verschollenen petrolfarbenen Cocktailkleides. Wo soll ich mich denn hier umziehen? Ich kann mich ja schlecht mitten auf dem Kirchplatz entkleiden! Es ist kurz vor zwölf, die Braut, so sie nicht schon in der Kirche ist, muss jeden Moment erscheinen. Die Ape fällt mir ein – ja, das ist die einzige Möglichkeit, offen wird sie ja hoffentlich sein. So ist es, und ich quetsche mich ins Führerhäuschen, um umständlich meinen Rock auszuziehen. Aber man hat mir leider keine Gebrauchsanweisung mitgegeben, wie ich dieses Gewand anziehen soll, denn zig Knöpfchen reihen sich quer über den Brustbereich, und ich muss erst mal herausfinden, wo vorne und wo hinten ist. In den Rock habe ich mich hineingezwängt und ihn auch schließen können, wenngleich ich die Luft anhalten musste. So, und jetzt das Oberteil über mein T-Shirt! Nein, das geht nicht, das verdreht sich, und ich komme nicht rein. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich obenherum ebenso auszuziehen. Ich komme ins Schwitzen. Jetzt sitze ich da und drehe das korsettähnliche Teil hin und her, stülpe es mir über den Kopf, bleibe darin hängen. Unter größter Anstrengung versuche ich, einen Arm durch den Ärmel zu schieben, geschafft! Während ich den zweiten Arm verrenke, um in den anderen Ärmel zu schlüpfen, fällt mir ein kleiner nasebohrender Junge auf der anderen Straßenseite auf, der mit wachsender Begeisterung meinen Verrenkungen zusieht. Na, das war ja klar, dass das nicht unentdeckt bleiben würde!

Außerhalb unseres Knattergefährts zupfe ich alles zurecht, knülle meine Klamotten zusammen und klemme sie mir unter den Arm. Dann gehe ich los.

Der Kirchhof liegt verlassen da, anscheinend sind alle bereits in der Kirche. Nicht einmal Bruno hat auf mich gewartet! Ich bin enttäuscht. Warum hat er nicht gewartet, um mit mir gemeinsam an der Zeremonie teilzunehmen? Sonst braucht er doch immer für alles viel länger als ich. Einmal muss er auf mich warten, und dann tut er es einfach nicht! Eine Hochzeit ist doch etwas Außergewöhnliches, gerade weil es nicht die eigene ist. Das ist mir auch viel lieber, denn ich ziehe ein solides Bratkartoffelverhältnis vor. Aber eine Romantikerin bin ich doch, und so ist eine Einladung zu einer Hochzeit für mich etwas Besonderes, und da will ich von Anfang an dabei sein. Vor allem nicht alleine. Bestimmt werde ich ein Taschentuch brauchen, wenn sie »Sì!« gesagt haben, und dann möchte ich, dass mich Bruno verliebt anschaut und mir sagt, dass er es schön findet, dass ich so gerührt bin, und wir beide könnten doch wenigstens, wenn wir schon nicht heiraten, eine private Zeremonie mit Freunden veranstalten! Dann werde ich ein zartes »Ja« hauchen und eine weitere Träne vergießen vor Rührung! Pfui Deibel, bin ich eine Kitschjule!

Leise öffne ich das schwere Portal. Ganz still ist es in der Kirche, die voller Menschen ist. Hin und wieder räuspert sich jemand, und man hört das Knarzen der alten Kirchenbänke. Ich recke meinen Hals, um zwischen all den Köpfen irgendwo Bruno zu entdecken. Aber ich sehe ihn nicht. Von der Empore setzt plötzlich Orgelmusik ein, und eine Seitentür öffnet sich, aus der der Pfarrer mit den Ministranten tritt, die eilig verschiedene Kelche und ein Gefäß, in dem sich mit Sicherheit die Hostien befinden, auf dem Altar abstellen.

Nun kann ich auch die Braut erkennen. Sie trägt eine prächtige weiße Tracht mit vielen Blumen und einem langen bestickten Schleier, der nach Handarbeit aus einem anderen Jahrhundert aussieht. An ihrer Seite steht ein Mann, ich nehme mal an, ihr zukünftiger Gatte.

Auch er trägt Tracht. Da er sich nur unwesentlich in seiner Kleidung von den anderen unterscheidet, lediglich sein Hut erscheint mir ein wenig höher, ist es schwer auszumachen, ob er auch wirklich der Glückliche ist.

Fast möchte ich sagen, dass diese männliche Tracht der griechischen oder auch der türkischen ähnlich ist. Der Hut sieht aus wie ein Fes. Ein Zylinder ohne Krempe, der den gesamten oberen Kopfbereich bis zu den Ohren bedeckt. Das Gewand besteht aus einer roten Weste, die mit schwarzem Samt eingefasst ist, und einem schwarzen weiten Rock, der bis zu den Knien reicht und in der Mitte von einem bestickten Gürtel mit reichverzierten Beschlägen gehalten wird. Darunter tragen die Männer eine weite weiße Hemdbluse und eine weiße Pluderhose, die in schwarzen Stiefeln steckt.

Alle erheben sich jetzt, und ich sehe gar nichts mehr außer den Rücken der Hochzeitsgäste.

Die Musik schwillt an, und alle fangen an zu singen. Fremd klingt es in meinen Ohren, auch kann ich nicht ein einziges italienisches Wort heraushören. Ist es Lateinisch oder Sardisch? Die Frauen wechseln sich wie in einem Choral mit den Männern ab. Wunderschöne Stimmen sind darunter. Männerstimmen, fast so hoch im Sopran wie Frauenstimmen. Dann setzen verschiedene Musikinstrumente ein, lange Flöten und Tamburine. Die ganze Kirche bebt unter dieser kraftvollen und fröhlichen Musik. Ich bekomme sofort gute Laune und summe und klatsche mit. Neben mir steht eine ältere dunkel gekleidete Frau und reicht mir eine Stoffrosette mit weißen Bändern, die ich an mein Kleid heften soll. Somit gehöre ich jetzt dazu, ich bin ein Hochzeitsgast! Aber wo ist mein Mann?

Was nun passiert, unterscheidet sich nicht sehr von unserer Tradition. Der Pfarrer feiert eine katholische Messe. Er predigt auf Italienisch, was ich in Teilen verstehen kann, und hält die Messe auf Lateinisch. Andächtig und sehr ernst hören alle zu, beten mit und sagen ihre Sprüchlein auf. Viele Kinder sind auch unter den Gästen, belustigt sehe ich, dass einige Mädel ihre Kommunionkleider tragen.

Jetzt scheint es ernst zu werden für das Hochzeitspaar. Beide knien nieder, und vier Personen stellen sich rechts und links neben sie. Ich traue meinen Augen nicht: Bruno ist wie ein echter Sarde gekleidet, mit Fes und allem Drum und Dran, und steht mit einem Teller in der Hand neben dem Bräutigam. Ich muss ein Foto mit meinem Handy machen und es per SMS nach München schicken, schießt es mir durch den Kopf. Sobald ich den Akku von meinem Handy aufgeladen habe, werde ich Bruno nötigen, sich noch mal in diese Tracht zu quetschen, das ist ja zum Totlachen komisch. In mir gluckst es. Er kann sich ja auch ein neues Autogrammfoto machen lassen, so wie er aussieht, da würden sich seine Fans bestimmt sehr freuen! In Gedanken spiele ich alles durch, bis ich an mir selbst hinuntersehe und mein Aussehen nicht weniger skurril finde. Wir sind wirklich ein großartiges Paar und gehören unbedingt auf die Titelseite der bunten Blätter. Als sardische Witzfiguren erobern wir uns eine neue Karriere!

Einige Ungereimtheiten verhindern einen zügigen Ablauf der Zeremonie. Ich kann leider nicht erkennen, woran die Verzögerung liegt, aber endlich scheinen die Ringe getauscht zu sein, denn Braut und Bräutigam küssen sich, und alle um mich herum zücken ihre Taschentücher. Mist, jetzt hab ich genau das verpasst, was ich doch so gern gesehen hätte. Die Menge vor mir teilt sich, und unter Musik, die von einem vielstimmigen Chor begleitet wird, schreitet Maurizio mit seiner Giulia an mir vorbei. Im Schlepptau ihre Trauzeugen, und als Bruno bei mir vorbeikommt, hakt er mich unter und zieht mich mit nach draußen.

Ein wunderschön geschmückter Karren, den zwei prächtige Ochsen mit verziertem Joch um den Hals ziehen, steht mitten auf dem Platz. Darauf befinden sich ein Sofa und eine Truhe, Körbe mit Silberschalen und diversem anderen.

»Was ist das, tesoro?«, frage ich meinen Schatz.

»Il dote«, antwortet er mir.

»Und was bedeutet il dote

Aber er kann es mir nicht erklären, und ich reime mir zusammen, dass es sich um die Mitgift handelt.

Das Paar setzt sich auf den Kutschbock, und während die Frauen einen lauten Singsang anstimmen und ich aus lauter Begeisterung mitsinge, setzt sich die Prozession, angeführt von dem Ochsenkarren, langsam in Gang. Die Männer spielen auf ihren Flöten, und Bruno, der sich noch nie durch besondere Musikalität ausgezeichnet hat, schwingt das Tamburin.

Wir gehen zum Elternhaus der Braut. Rechts und links unseres Weges steht die gesamte Dorfbevölkerung und wünscht dem Brautpaar alles Gute.

Nach wenigen Minuten haben wir das Dorf durchquert und stehen vor dem Haus von Giulias Eltern, in dem sich laut Bruno wundersamerweise unsere verlorenen Koffer befinden. Von dem Moment an will ich nur noch eines: rein, Koffer suchen und dann nichts wie raus aus diesem Kostüm und endlich wieder Jutta sein. Nein, besser »elegante, saubere, schöne Jutta« sein. Ich schäle mich aus der singenden Gruppe heraus, winke meinem Tamburinmann, er solle mir doch folgen. Dieser ist jedoch noch heftig dabei, musikalisch sein Bestes zu geben, und so mache ich mich auf die Suche nach meinem Gepäck. Gottlob steht es gleich im ersten Raum. Ich will ja nicht langweilen, aber soll ich jetzt ernsthaft beschreiben, wie ein Kleid aus Seide nach vier Tagen zusammengepressten Zustandes aussieht?

Ich suche das Bad, hänge das Cocktailkleid über die Stange von der Dusche, ziehe den Duschvorhang zu, drehe den Heißwasserhahn auf und verwandle das Badezimmer in eine Dampfsauna. Dann kehre ich zurück zu meinem Koffer, wo sich hübsche saubere Schuhe, meine Schminke, meine Zahnbürste und alles, was ein Frauenherz begehrt, befinden. Im Badezimmer dampft mein Kleid vor sich hin, und nachdem ich es kräftig ausgeschüttelt und mit der flachen Hand glattgestrichen habe, sieht es in der Tat wesentlich besser aus.

Lachen und kräftige Anfeuerungsrufe aus sardischen Kehlen dringen durch das geöffnete Fenster zu mir herein, während ich mich fertigmache. Offenbar versäume ich ein wichtiges Hochzeitsritual. Meine Gedanken schweifen ab zu meiner eigenen Hochzeit, die schon so lange zurückliegt. Als mein damaliger Mann und ich aus der Kirche traten, hatten meine Schwiegereltern, die einen großen Holzverarbeitungsbetrieb besaßen, auf zwei Holzböcke einen dicken Baumstamm gelegt. Unter lauten Anfeuerungsrufen unserer Freunde und Verwandten mussten wir mit einer Säge, so schnell wir eben konnten, diesen Stamm durchsägen. Danach gab es für uns beide ein Schnapsstamperl, und erst dann waren wir in den Augen unserer Hochzeitsgäste ein richtiges Ehepaar. Schön war unser Fest danach. Eine Band spielte auf, launige Reden wurden geschwungen, und meine Eltern trugen ein selbstgeschriebenes Gedicht über das abenteuerliche Leben ihrer einzigen Tochter vor. Peinlich, wie man sich denken kann, jedenfalls für mich! Unsere Gäste fanden es aber lustig! Ja, und dann wurde ich entführt. Das ist Tradition bei uns und meistens der Killer einer schönen Hochzeit. Gottlob wurde ich gleich ins nächste Gasthaus an der Ecke gebracht, und man hatte meinem frischgebackenen Ehemann gesteckt, er solle doch mal als Erstes dort nachsehen. So musste ich nur kurze Zeit unserem wirklich lustigen Fest fernbleiben. Ich bin gespannt, was mich heute hier erwartet!

Als ich jedoch in all meiner Pracht endlich aus dem Haus trete, ist schon alles vorbei. Man versammelt sich wieder zu einer Art Prozession. Nirgends entdecke ich Bruno und hoffe, er zieht sich ebenfalls um. Soll ich nun auf ihn warten? Ehe ich mich’s versehe, ergreift eine Frau meinen Arm und zieht mich mit zu der Folkloregruppe. Die Musikantenschar setzt sich in Bewegung, bergauf, singend und musizierend, und mittendrin das Hochzeitspaar.

Ich befinde mich bereits auf einer Anhöhe, als ich mich umdrehe und Bruno aus dem Haus stürmen sehe. Er eilt uns hinterher. Ich bin erleichtert.