158711.fb2 Zwei Esel auf Sardinien - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 34

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Le Nozze

Bruno

Einige Kilometer vom Casale Valdes entfernt steht eine kleine Kirche, die der Madonna von Villamar geweiht ist. Die feierliche Prozession, die uns nun auf ihrem Weg dorthin entgegenkommt, besteht aus Reitern und den traccas, den typischen kunstvoll geschmückten Ochsenkarren. Die Gläubigen stimmen is coggus an, fromme, der Madonna gewidmete Lieder. Wir bremsen. Viele Menschen säumen die Straße und erwarten ungeduldig die Ankunft der großen Marienstatue auf der holzgeschnitzten Kutsche, die von einem Ochsengespann gezogen wird. Eigentlich findet dieser Umzug immer am dritten Sonntag im August statt, aber dieses Jahr hatte man ihn wegen sintflutartiger Regenfälle verschieben müssen. Weitere religiöse Bruderschaften in ihren Kapuzengewändern kommen hinzu, denen ein Zug von Pilgern folgt, die in leichte weiße Baumwollumhänge gehüllt sind. Man kommt kaum vorwärts und wird von dem Menschenstrom mitgezogen. Alle Gruppen sammeln sich allmählich auf einem großen freien Grasplatz um einige Pfarrer, die sich in der sengenden Sonne im Halbkreis aufgestellt haben. Wir fahren jetzt nur noch im Schritttempo. Vereinzelte Grüppchen von Jugendlichen stimmen ebenfalls religiöse Gesänge an, tanzen hüpfend und klatschen dazu fröhlich in die Hände. Ich weiß auch nicht, wie ich so etwas immer schaffe, aber genau in diesem Moment fliegt mir eine Mücke ins Auge, ich bremse heftig, und dann ist der Kühler meiner Ape schon gegen die Kutsche geprallt. Es folgt allgemeine Aufregung, ein Schutzpolizist und der Kutscher kommen hinzu und fordern uns auf, beiseitezufahren. Ich stelle den Motor ab. Der Hüter des Verkehrs hält unsere Papiere in der Hand, wir sagen ihm, dass wir Freunde des Marchese und zur Hochzeit meines Vetters unterwegs sind. Er bleibt stur, nein, wir können erst weiterfahren, wenn alle Festkarren vor der Kirche eingetroffen sind.

»Entschuldigen Sie mal, aber die Prozession war nicht ausgewiesen«, sage ich, aus dem Fenster gelehnt. »Sonst steht da immer ein Polizeiwagen am Anfang der Prozession und hält den Verkehr an. Warum hat denn hier niemand dafür gesorgt?« Wir bleiben eine gute Stunde lang auf dieser engen, überlaufenen Landstraße stecken und können nicht einmal aussteigen. Die Augen der Marienstatue auf dem riesigen, mit herrlichen Teppichen, Weizenähren und Girlanden aus Myrten geschmückten Wagen ruhen starr und unbeweglich auf uns, als wollten sie uns Trost spenden. Endlich kommt ein Pfarrer, der die letzten Karren anweist weiterzufahren. Die Belagerung ist vorbei. Wir ziehen hin in Frieden.

Von der Staatsstraße nehmen wir die Abzweigung nach Barumini, von dort die Straße nach Gesturi. Es ist unglaublich spät, wir werden es nie schaffen, bei Giulias Eltern vorbeizufahren, um uns umzuziehen. Und ich würde so gern in Su Nuraxi haltmachen. Das ist die bedeutendste Ausgrabungsstätte von ganz Sardinien, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, aber wir müssen uns damit begnügen, diese imposante und geheimnisvolle Nuraghenfestung vom Fuß des Hügels aus zu bewundern.

Kurz nach halb zwölf erreichen wir endlich Gesturi und parken auf dem Hauptplatz direkt vor der Kirche der heiligen Teresa von Avila. Sofort werden wir buchstäblich von einigen Musikern der örtlichen Kapelle überfallen, die einen Marsch für den Auszug der Frischvermählten aus der Kirche proben. Sie betrachten uns neugierig, die Frauen mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen, die Männer unverschämt grinsend. Na sicher, in unseren speckigen Klamotten und eingequetscht wie Sardinen in dieser schrottreifen Ape machen wir wirklich nicht viel her! Jutta weigert sich auszusteigen, sie meint, sie würde sich zu sehr schämen. Die Gäste sind schon alle in der Kirche, jetzt fehlen nur noch wir – und die Braut. Die Glocken läuten bereits, und ich habe noch nicht einmal die Trauringe abgeholt!!! Ich hoffe im Stillen, dass Maurizio sie mitgebracht hat.

»Aber wenn du gesagt hast, dass wir bei Giulias Eltern vorbeifahren, glaubt er jetzt sicher, dass du sie hast!«

Jutta hat recht. Aber was soll ich tun? Die Zeremonie beginnt. Und dann ist auch noch die Posaune da draußen, das heißt, der Mann, der die Posaune spielt und uns unverständliche Zeichen macht.

»Was der wohl hat?« Ich kurble das Seitenfenster runter, um zu hören, was er will.

»Disiggiate?« Aha, er fragt, was wir wollen.

»Guten Tag, ich bin der Trauzeuge des Bräutigams … Aufgrund einiger unglücklicher Umstände konnten meine Frau und ich uns noch nicht für die Trauung umziehen. Wir sind spät dran und möchten hier parken.«

»Ach so, in Ordnung.«

Ich stelle mich an den Straßenrand und steige aus. Alle, einschließlich der Klarinette und des Fagotts, starren mich unentwegt an. Jutta fühlt sich genauso beobachtet und bedeckt ihr Gesicht mit der Hand. Die Posaune trägt ein rotschwarzes Wams, die Große Trommel, eine schöne, etwas reifere Signora, ein vergoldetes Leibchen, einen roten Rock und auf dem Kopf einen weißen Schleier. Das Fagott trägt die typische schwarze Stoffmütze der Sarden und eine Weste aus Widderleder mit der Fellseite nach außen. Nach und nach trauen sich auch die Becken, die Oboen und die Piccoloflöten heran. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, alle reden so schnell durcheinander, und ich verstehe kein Wort. Ich versuche es mit dem Dirigenten der Kapelle, der mir gerade mit dem Taktstock auf die Schulter klopft und mich anstrahlt. Ich erkläre ihm das Problem mit den Trauringen und der Festtagsgarderobe. Er denkt kurz nach, dann ruft er einen Jungen zu sich und flüstert ihm etwas ins Ohr. Er ist noch nicht fertig, da saust der schon los wie eine Rakete. Dann richtet er den Taktstock auf die Große Trommel, die wieder der Klarinette zuzwinkert. Der Musiker klettert blitzschnell hinten in einen Kleinbus mit der Aufschrift »Banda Municipale«. Es vergehen keine dreißig Sekunden, da kommt er mit zwei dicken, auf Metallbügeln hängenden Gewändern zurück. Sie sind wunderschön, fein genäht und bestickt, eins ist für mich, das andere für Jutta.

»Zieht das an.«

Inzwischen sind sogar die traccas der Brautleute eingetroffen. Ein Karren prächtiger als der andere! Maurizio steigt aus und geht in Richtung Kirche. Giulia bleibt stehen und plaudert mit ihren Brautjungfern, während sie darauf wartet, dass ihr Vater sie abholt, um sie zum Altar zu führen. Unentschlossen stehe ich vor diesen beiden Gewändern.

»Zieht das an!«, beharrt der Dirigent.

Ich sehe, wie Giulias Vater in einem alten Fiat 500 ankommt, aussteigt und mit einem wunderbaren Bukett aus weißen Rosenknospen und Lilien auf sie zugeht. Mir bleibt keine Zeit. Ich reiße der Klarinette das Gewand aus der Hand, verschwinde hinter der Kirche, reiße mir die Hose vom Leib, lege Jacke und Hemd ab, und im Nu habe ich mir das schwarzrote Wams angezogen.

Auf meinem Weg zurück sehe ich, wie die Brautjungfern vor Giulia Aufstellung nehmen, ihr Vater reicht ihr den Arm. Sie wollen gerade die Kirche betreten, als der Kleine von vorhin schweißbedeckt mit einem roten Samtsäckchen in der Hand zurückkommt.

»Gott sei Dank, die Ringe!«

Der Dirigent, der sich an die Ape gelehnt hatte, wendet sich mit einem nicht ganz eindeutigen Blick – ist es ein schelmisches Augenzwinkern oder doch eher Mitleid? – zu mir und trommelt ungeduldig auf den Seitenspiegel; die Posaune bringt einen langen Misston heraus, die Große Trommel und alle anderen Musiker schreien: »AJÒ!«

Ich renne in die Kirche. Gerade spielt die Orgel die ersten Noten des Hochzeitsmarsches von Mendelssohn.

Die Kirche ist gerammelt voll, man glaubt es kaum: Einwohner von Gesturi, Verwandte und Freunde, die aus Rom, den Abruzzen und sogar aus Kalifornien angereist sind. Maurizio steht schon wartend vor dem Altar, von Kopf bis Fuß gegelt und gelackt. Ich hatte mir so schöne Streiche ausgedacht, die ich ihm spielen wollte. Zum Beispiel wollte ich mir gestern Abend einen seiner Schuhe für die Trauung besorgen und mit einem weißen Stift auf die Sohle »Holt mich hier raus!« schreiben. Im letzten Moment hatte ich mir noch überlegt, mich als Braut zu verkleiden, oder dass er nach der Kirche statt seines traccas nur noch unsere kleine Ape vorfinden sollte. Doch jetzt muss ich mich beeilen. Wegen der vielen Leute ist so gut wie kein Durchkommen. Ich kann gerade einmal Giulia ausmachen, die am Arm ihres Vaters sichtlich angespannt langsam vorwärtsschreitet. Die Ärmste, um in dieses alte Spitzenkorsett zu passen, muss sie wohl seit gestern Nachmittag um drei den Atem angehalten haben! Genau wie Maurizio hat sie sich ziemlich herausgeputzt, mit dickem Make-up und kunstvoller Haarpracht à la Lady Gaga. Bosheit mal beiseite, sie ist wunderschön, auch wenn ich ein natürliches Aussehen bevorzuge. Was Maurizio betrifft, so trägt er ein weißes Hemd und darüber ein Leibchen aus scharlachroter grober Wolle, dazu lange weiße Strümpfe. Bis hierhin ist alles noch normal, schauten sie nicht unter einem in der Taille mit einem Ledergürtel zusammengehaltenen kurzen Rock hervor. Was tut man nicht alles aus Liebe! Giulias Vater ist vor Rührung ganz verwirrt, seit sie die Kirche betreten haben. Er konnte sich zunächst nicht mal entscheiden, ob er links oder rechts von der Braut gehen sollte, und beinahe wären die beiden im Gänsemarsch hintereinander hergelaufen wie bei der Silvesterpolonaise.

Maurizios Vater, Onkel Peppo, sieht noch genauso aus wie vor dreißig Jahren, als ich ihn zum letzten Mal getroffen habe. Er steht vor dem Platz auf der Bank links vom Altar, der für mich bestimmt ist, und hält seinen Ehering und den von Tante Clara in der Hand. Offensichtlich hatte er sich schon darauf vorbereitet, dass ich verschollen bleibe. Während wir uns umarmen, raune ich ihm zu: »Ich bin dein Neffe Bruno! Achte nicht auf meine Kleidung, aber wenn du mir nicht glaubst, hier sind die Ringe …« Tante Clara ist in diesen Jahren unglaublich gealtert. Ich hätte sie kaum wiedererkannt. Sie steht ganz allein hinter dem Altar. Ich frage ihn nach dem Grund, und er sagt mir, das sei wegen ihrer kleinen Mimi. Seit man ihr als große Ausnahme erlaubt hat, die Hündin zur Trauung mitzubringen – aber nur wenn sie in der Tasche bliebe und nicht bellen würde –, hat sich die ein wenig sonderliche Tante hier hinten verkrochen, aus Angst, ihre weiße Zwergpudeldame könnte herausspringen. Ich muss aber sagen, dass die kleine Mimi nicht einmal fünf Minuten in der Tasche geblieben ist. Von Kopf bis Fuß mit Schleifen geschmückt wie die rosa Zuckermandelsäckchen, die man bei der Hochzeit verteilt, hat sie die ganze Zeit bei ihrem fürsorglichen Frauchen im Arm gelegen. Tante Clara hat sich keinen Moment von Mimi getrennt, nicht einmal, als das Brautpaar die Ringe getauscht hat. Jetzt haben sich neben dem Haupteingang zwei Carabinieri in Gardeuniform aufgebaut. Ob Giulia heil durch die Kirche kommt, ist nicht klar. Da sie nicht an dreizehn Zentimeter hohe High Heels gewöhnt ist, klammert sie sich ständig an ihren Vater, um nicht zu fallen. Inzwischen habe ich es bis zum Altar geschafft.

Ich dränge mich zu Maurizio, der mich natürlich nicht wiedererkennt und mich für einen von der Kapelle hält. »Psst …« Er achtet nicht auf mich, oder vielleicht will er jetzt auch keine Zeit an einen Unbekannten verschwenden. Er ist ganz in eine leise Unterredung mit Padre Mariano versunken. Vielleicht erteilt ihm der Pfarrer die letzten Ratschläge vor der Zeremonie. Jetzt kommt ein Freund hinzu und gibt ihm einen Zettel. Maurizio wird rot, er weiß, dass es einer dieser »Streiche« seiner Kumpel ist, die ihm peinlich sein werden. Er liest nur ein paar Zeilen und muss prompt laut loslachen. So fassungslos, wie der ehrwürdige Pfarrer schaut, muss es sich um einen unanständigen Brief handeln. Padre Mariano entfernt sich verlegen. Giulia hat endlich den Altar erreicht, nachdem sie auf dem Weg ständig über ihre Schleppe gestolpert ist. Maurizio kriegt sich gar nicht mehr ein. Der Zettel rutscht ihm aus der Hand auf den roten Läufer, und bevor der Ministrant sich hinunterbeugen und ihn mit seiner schmalen Knabenhand aufheben kann, stelle ich meinen Schuh darauf, schnappe ihn mir und lasse ihn in meiner Tasche verschwinden. Maurizios Lachen wirkt ansteckend, so ansteckend, dass es jetzt die ersten Reihen hinter den Bänken für die Verwandten des Bräutigams erreicht hat. Dort sitzen seine Freunde: eine Bande von Spaßvögeln, die ihm wohl jede Menge Blödsinn mit der Botschaft geschickt haben und sich jetzt köstlich über ihren gelungenen Scherz amüsieren. Zum Glück dröhnt Mendelssohn jetzt mit voller Wucht. Maurizio kann sich immer noch nicht beruhigen. Giulia steht jetzt vor den Stufen zum Altar, sie sieht ihn empört an. Was denn? Sehe ich da etwa Verachtung für den Mann, den sie gleich heiraten wird?

»Maurizio, Maurizio, was ist denn mit dir los? Jetzt beruhige dich! Ich habe keine Lust, mich völlig zu blamieren, ich bitte dich!«

Kopfschüttelnd geht Padre Mariano zu den Eltern der Braut, um kurz mit ihnen zu reden. Doch ihren Vater kitzelt es in der Nase, und deshalb öffnet er instinktiv den Mund. Anscheinend muss er niesen, aber der Mann hält es geistesgegenwärtig zurück und verbirgt es hinter einem Gähnen. Padre Mariano konzentriert sich jetzt lieber auf seine Pflichten und läutet kräftig die Glöckchen. Daraufhin gehe ich zu Maurizio.

»Psst … Erkennst du mich jetzt, ja oder nein?«

Er hört auf zu lachen, dann wird er ganz blass:

»Duuu? Wie siehst du denn aus?«

»Erkläre ich dir später.«

Giulia steht jetzt neben ihm. Ich stelle mich vor. Sie grüßt mich nicht einmal, sondern zischt mir leise zu:

»Wo sind die Ringe?«

»Die habe ich gerade einer deiner Brautjungfern gegeben«, beruhige ich sie hastig.

Maurizio scheint jetzt ernst geworden zu sein.

»Entschuldige, Liebes, ich konnte einfach nicht mehr aufhören …«

Jutta versucht derweil, weiter hinten in der Kirche in einem Grüppchen von Hochzeitsgästen möglichst wenig aufzufallen. Die Orgel verstummt. Stille. Nun beginnt die Zeremonie. Endlich lächelt Giulia einmal. Das Brautpaar will gerade niederknien, da hört es gedämpfte Schritte hinter sich, wie die eines Hühnerdiebs, aber es ist der Fotograf, dem der Objektivdeckel unter das Kleid der Braut gerutscht ist. »Entschuldigung, aber mir ist da der …«

Giulia starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an und ist zu keiner Reaktion mehr fähig. Maurizio kommt ihr ziemlich verärgert zu Hilfe:

»Was erlauben Sie sich, weg da.«

Nun läutet es wieder. Maurizio beißt sich nervös auf die Lippe. Ich setze mich neben den anderen Trauzeugen auf die Bank, es ist Giulias Bruder. Während der Pfarrer mit der Zeremonie beginnt, ziehe ich den zerknitterten Zettel aus der Tasche und überfliege ihn heimlich.

REGELN FÜR EINE GUTE EHE

Lieber Maurizio, liebe Giulia, hier eine Liste der Regeln, die ihr zum Wohl eurer Ehe einhalten solltet:

Meidet den Gebrauch von Kondomen, eine Erektion, die nicht vom heiligen Sakrament der Ehe gesegnet ist, Selbstbefriedigung, Potenzmittel, schmutzige Gedanken, Tiramisu und andere erregende Speisen, Spiegel im Schlafzimmer, den Gebrauch von Peitsche und Handschellen, erotische Phantasien, schmutzige Worte oder antörnende Bemerkungen (wie zum Beispiel diesen unglaublich originellen Anmachspruch, Maurizio, bei eurer ersten Begegnung am Skilift: »Soll ich dir mal meinen ganz persönlichen Skistock zeigen?«).

Vermeidet, über einem Sexshop zu wohnen, zu füßeln, außer ihr tragt Moonboots, Kalender von bekannten Reifenherstellern.

Vermeidet unzüchtige Taten und Gedanken, alles, was einem wohlanständigen Sexualleben entgegensteht, selbst wenn ihr zu einer babylonischen Orgie eingeladen seid oder der Party zum Fünfzigsten eures Lieblingspornostars.

Liebt euch nur, um Kinder zu zeugen. Vollzieht den Beischlaf auf jeden Fall nur in der Missionarsstellung, übereinander wie zwei Toastscheiben bei einem Sandwich, sie unten, schlafend, und er oben, vollkommen regungslos.

Die Trauungszeremonie ist gerade mit dem Ritual de sa cadena zu Ende gegangen, mit dem der Bund fürs Leben symbolisch besiegelt wird. Maurizio steckt den kleinen Finger der rechten Hand in einen Ring, der den Schluss einer Kette bildet, die wiederum um Giulias Taille gegürtet ist. Das Brautpaar hat die »Liebesversprechen« unterschrieben, dieses Dokument wird nun die nächsten fünfundzwanzig Jahre hier in der Kirche aufbewahrt. Erst dann wird man sie lesen! Ob die beiden dann überhaupt noch zusammen sind? Ich wünsche es ihnen von Herzen. Salvatore, genannt Tore, einer der Schutzpolizisten, der den Platz überwacht, aber gleichzeitig Basstuba in der Dorfkapelle spielt, sollte jetzt eigentlich das Zeichen für den Marsch zum feierlichen Auszug aus der Kirche geben. Aber Salvatore hat nur Augen für eine von Giulias Brautjungfern, die mit einem Teller in der Hand das Brautpaar vor der Kirche erwartet. Der feurige Musiker würde gern ihre Bekanntschaft machen. Und das, obwohl der Leiter der Kapelle, der ihn nur zu gut kennt und außerdem weiß, dass er Familienvater ist, ihn vor der Trauung ermahnt hat, nur ja die jungen Mädchen in Ruhe zu lassen. Aber Salvatore hat nun mal eine Schwäche für Frauen – besonders für Dunkelhaarige –, und anstatt das Mundstück seines Instruments anzusetzen und die erste Note anzustimmen, steht er da und raspelt Süßholz. In Gesturi setzt sich die Musikkapelle üblicherweise aus Einwohnern des Dorfes zusammen. Also kennen sich alle untereinander gut. Unter den Musikern, die nur zu Begräbnissen, Prozessionen und Hochzeiten spielen, findet man auch viele junge Leute. Das Sopransaxhorn, ein Neunzehnjähriger, der seit langem leidenschaftlich in Borgia verliebt ist, eben jenes junge Mädchen, das Salvatore sich gerade ausgeguckt hat, kann nicht losspielen, bevor Salvatore nicht die erste Note vorgibt. Das kleine Bombardon, der Apotheker neben ihm, sagt, er solle trotzdem anfangen. Aber der junge Mann will nichts davon wissen. Als er seine kleine Brünette lächelnd und offensichtlich geschmeichelt mit Salvatore reden sieht, wird er von heftiger Eifersucht gepackt und macht ihr eine wütende Szene. Erst der Leiter der Kapelle kann diese beenden. So schnell gibt sich Salvatore allerdings nicht geschlagen, er geht zwar folgsam an seinen Platz zurück, aber mit geschickter Bosheit gelingt es ihm, die Eifersucht des jungen Mannes aufs Neue anzustacheln, indem er ihm triumphierend eine Blume zeigt, die das Mädchen ihm ins Knopfloch seiner Uniform gesteckt hat. Jetzt endlich lässt Salvatore sein Instrument ertönen, begleitet von den anderen Blech- und den Schlaginstrumenten, dabei lässt er die Brautjungfer jedoch nie aus den Augen.

Am Ausgang empfängt die fröhliche Menge die Neuvermählten: Auf dem ganzen Platz wird gefeiert. Sobald das Brautpaar die Schwelle überschreitet, wird es im wahrsten Sinne des Wortes »überschüttet«. Dieser Brauch nennt sich s’arazza, was sich auf den Inhalt der Teller, die die Brautjungfern tragen, bezieht: Korn, grobes Salz, Blüten, aber auch bunte Papierstückchen, Zuckermandeln und Münzen. Der Brauch verlangt nun, dass all dies als gutes Vorzeichen auf das Brautpaar geworfen wird und die Teller danach vor ihren Füßen auf den Boden geworfen werden. Sie müssen unbedingt zerbrechen, damit alles für das Paar günstig ist. Laut Giulias Bruder gibt es dafür einen anderen Grund: Die zerbrechenden Teller könnten eine Anspielung auf die Jungfräulichkeit der Braut sein, ein plausibler Gedanke, wenn man bedenkt, dass keine Teller zerbrochen werden, wenn eine Frau zum zweiten Mal heiratet oder man zweifelt, dass sie noch Jungfrau ist.

»Das waren noch andere Zeiten!«, meint er augenzwinkernd.

Einem anderen Brauch nach soll der Bräutigam im Hochzeitszug immer rechts gehen, um daran zu erinnern, dass der Mann Gott nähersteht als das Weib.

»Aber wie du siehst, geht dein Vetter links. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Gott es sich anders überlegt haben muss.«

Das Brautpaar steigt nicht wieder auf den traditionellen Wagen, sondern geht zu Fuß zum Haus von Giulias Eltern. Jetzt begreife ich auch, warum ihre Mutter die Kirche bereits vor dem Schlusssegen verlassen hat. Der Brauch will, dass sie das Brautpaar auf der Türschwelle mit einem Teller mit s’arazza und einem Glas Wasser empfängt. Davon trinken die Neuvermählten dann, und der Rest wird vor der Braut ausgegossen, während sie das eheliche Schlafgemach betritt. Die Wege sind ebenfalls mit Korn und Salz bedeckt. Zwei Züge haben sich gebildet, die vor dem Brautpaar hergehen. Der, in dem Jutta und ich gelandet sind, wird von Frauen in Tracht angeführt, die Weidenkörbe mit Brot und besonderem Gebäck wie den pardulas oder papassinas auf dem Kopf tragen. Diese werden wir später am Ende des Hochzeitsbanketts essen. Der andere ist der Zug mit den traccas, angeführt von der Kapelle, in dem auch die Brautjungfern mit einigen Tänzern gehen. Der feurige Salvatore hat die ganze Zeit unter den eifersüchtigen Blicken des jungen Saxhorns munter gespielt und ist nun mit der Kapelle vor dem Haus der Brauteltern angekommen. Jetzt setzt er die Basstuba ab und lässt sich von einem Kollegen die launedda geben, eine Art Dudelsack aus drei Pfeifen unterschiedlicher Länge und Dicke, die einen mehrstimmigen Klang hervorbringen. Bekanntermaßen gibt es zahlreiche sardische Volkstänze, aber der eigentliche Nationaltanz ist der ballu tundu, ein Kreistanz, der von dieser Launedda begleitet wird. Frauen und Männer halten sich an den Händen und bilden einen Kreis um den Launeddaspieler. Obwohl der Tanz auf den ersten Blick ziemlich einfach erscheint, wird er doch schnell zu kompliziert für jemanden, der ihn nicht von Kindesbeinen an kennt. Seine Schwierigkeit besteht nicht so sehr in der Schrittfolge, sondern in den richtigen Körperbewegungen und dem Rhythmusgefühl. Giulias Bruder meint, es gäbe nichts Vergleichbares zu der Verbissenheit, mit der die Südsarden diesen Tanz betreiben: Man könnte oft meinen, dass es ihnen keinen Spaß macht, aber das stimmt überhaupt nicht, denn in allen Dörfern des Campidano legen die jungen Leute zusammen, damit sie einen Launeddaspieler bezahlen und sonntags tanzen können.

Die Tänzer scheren jetzt aus dem Zug aus. Zuerst verteilen sie sich, dann formieren sie sich allmählich zu einem Kreis um Salvatore. Sie fassen sich bei den Händen und drehen sich langsam um ihn, gehen im Rhythmus seiner Musik vor und zurück. Ein bezwingendes und geradezu hypnotisches Muster aus verschiedenen Schritten und genau festgelegten einheitlichen Bewegungen, die vom wechselnden Tempo der Musik bestimmt werden. So ein Tanz dauert durchschnittlich zwanzig Minuten, kann sich aber auch über eine Stunde hinziehen. Während wir auf die Ankunft des Brautpaars warten, löst sich eine Frau von ihrem Partner, geht in die Mitte des Kreises und tanzt allein vor dem Launeddaspieler. Es ist Borgia. Sobald das Saxhorn seine Angebetete erkennt, fleht er sie an, zu ihrem Tänzer zurückzugehen. Sie weigert sich verächtlich, und der junge Mann wird wütend. Als das Mädchen sich immer sinnlicher und zarter bewegt, wirft er sein Instrument auf den Boden und verschwindet niedergeschmettert.