172112.fb2 Congo. Romanvorlage zum Film. - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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4. TagNairobi16. Juni 1979

1. Zeitprojektion

Die Flugentfernung von Tanger nach Nairobi, quer über den afrikanischen Kontinent hinweg, ist größer als die über den Atlantik von New York nach London - fast sechstausend Kilometer, ein Flug von acht Stunden. Karen Ross verbrachte die Zeit an der Computer-Konsole und berechnete etwas, das sie »Wahrscheinlichkeitsprojektionen im Hyperraum« nannte. Der Bildschirm zeigte eine vom Computer erzeugte Afrika-Karte, über die bunte Linien verliefen. »Das sind lauter Zeitprojektionen«, sagte Ross. »Wir können sie nach der reinen Dauer und den Verzögerungsfaktoren gewichten.« Unter dem Bildschirm zeigte eine Digitaluhr die jeweilige Gesamtzeit an, die Werte wechselten ständig.

»Was bedeutet das?« erkundigte sich Elliot. »Der Computer sucht den schnellsten Weg. Wie Sie sehen, hat er gerade eine Zeitprojektion ausgearbeitet, mit deren Hilfe wir in sechs Tagen, achtzehn Stunden und einundfünfzig Minuten vor Ort gelangen. Jetzt versucht er, diese Zeit zu unterbieten.« Elliot mußte lächeln. Die Vorstellung, daß ein Computer minutengenau voraussagen konnte, wann sie ihren Bestimmungsort im Kongo erreichten, erschien ihm widersinnig. Aber es war Karen Ross ganz und gar ernst damit.

Vor ihren Augen änderte die Uhr am Computer die Zeitangabe auf fünf Tage, zweiundzwanzig Stunden und vierundzwanzig Minuten.

»Schon besser«, sagte Ross und nickte bekräftigend. »Aber noch nicht besonders gut.« Sie drückte auf eine andere Taste, und die Linien verschoben sich, zogen sich wie Gummibänder über den afrikanischen Kontinent. »Das ist der Weg des Konsortiums«, sagte sie, »wir haben ihn nach unseren Annahmen über die Expedition berechnet. Sie haben das ganz groß aufgezogen - dreißig Leute oder noch mehr, da ist an nichts gespart. Aber sie kennen die genaue Lage der Stadt nicht, zumindest nehmen wir das an. Dafür haben sie einen ziemlichen Vorsprung vor uns, mindestens zwölf Stunden, denn ihre Maschine wird bereits in Nairobi startklar gemacht.«

Die Uhr zeigte eine Gesamtzeit von fünf Tagen, neun Stunden und neunzehn Minuten. Ross drückte einen Knopf mit der Aufschrift DATUM, und er wanderte auf 06 21 79 0814. »Wenn das hier stimmt, kommt das Konsortium am 21. Juni nach acht Uhr morgens an der vorgesehenen Stelle im Kongo an.« Der Computer rechnete weiter, die Linien verschoben und dehnten sich erneut, und auf der Uhr wurde ein anderes Datum sichtbar: 06 21 79 1224.

»Schön«, sagte sie, »das sind jetzt wir. Wenn wir auf beiden Seiten die denkbar günstigsten Voraussetzungen annehmen, schlägt das Konsortium uns heute in fünf Tagen um etwas mehr als vier Stunden.«

Munro ging kauend vorüber. »Nehmen Sie besser eine andere Strecke«, sagte er. »Oder machen Sie's ganz radikal.« »Das möchte ich nicht gern, mit dem Affen.« Munro zuckte die Schultern. »Bei so einer Zeitprojektion muß man etwas machen.«

Elliot hörte ihnen zu und hatte dabei ein unwirkliches Gefühl:    sie    sprachen über einen Unterschied von Stunden, an einem Tag, der noch in der Zukunft lag. »Aber Sie können doch«, sagte Elliot, »nicht allzuviel auf diese Zahlen geben, wenn man bedenkt, was in den nächsten Tagen noch passieren kann, was wir in Nairobi alles noch zu erledigen haben. Dann müssen wir in den Dschungel -« »Das ist nicht mehr wie bei früheren AfrikaExpeditionen«, sagte Karen Ross, »bei denen Trupps auf Monate im Busch verschwanden. Äußerstenfalls liegt der Computer ein paar Minuten daneben, sagen wir etwa eine halbe Stunde auf die gesamte Fünf-Tage-Planung umgelegt.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben eine Aufgabe und müssen etwas tun. Dafür steht zuviel auf dem Spiel.«

»Sie meinen die Diamanten.«

Sie nickte und wies auf den unteren Rand des Bildschirms, auf dem die Wörter BLAUER AUFTRAG erschienen. Er fragte sie, worum es dabei gehe.

»Um eine ganze Menge Geld«, sagte Karen Ross. Und sie fügte hinzu, »glaube ich jedenfalls.« Sie wußte es tatsächlich nicht genau.

Jeder neue Auftrag der ERTS bekam einen Codenamen. Nur Travis und der Computer kannten den Namen des Unternehmens, das einen Auftrag erteilte. Alle anderen, vom Programmierer bis zu den Leuten draußen im Busch, kannten die Projekte lediglich mit ihren Farbcodierungen: Roter Auftrag, Gelber Auftrag, Weißer Auftrag. Damit wurden die Geschäftsinteressen der beteiligten Unternehmen geschützt. Doch konnten die Mathematiker der ERTS es sich nicht verkneifen, lebhafte Ratespiele über die Herkunft der Aufträge zu veranstalten - sie waren Gesprächsgegenstand der täglichen Unterhaltungen in der Kantine.

Der Blaue Auftrag war im Dezember 1978 gekommen. Darin wurde die ERTS aufgefordert, eine natürliche Quelle für Industriediamanten in einem Land zu finden, das, wenn schon nicht freundlich gesonnen, zumindest neutral war. Die Diamanten mußten vom Typ II b sein und aus »stickstoffarmen« Kristallen bestehen. Offenbar spielte die Kristallgröße keine Rolle, denn es war keine angegeben. Auch waren keine Fördermengen vorgeschrieben: der Auftraggeber würde nehmen, was er bekam. Das Ungewöhnlichste aber war, daß kein AKLE festgelegt war. Bei nahezu allen eingehenden Aufträgen war ein Abbau-Kosten-Limit pro Einheit festgelegt. Es genügte keineswegs, die Mineralien zu finden, sie mußten auch mit einem genau festgelegten Kostenaufwand abbaubar sein. In den Kosten pro Einheit Spiegelten sich jeweils die Mächtigkeit des Vorkommens, seine Entfernung, die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, politische Umstände, die möglicherweise bestehende Notwendigkeit, Anlagen der Infrastruktur zu errichten wie Flugplätze, Straßen, Krankenhäuser, Schulen und Raffinerien oder Abbauschächte abzuteufeln und Stollen voranzutreiben.

Wenn ein Auftrag ohne AKLE kam, konnte das nur eines bedeuten: irgend jemand brauchte blaue Diamanten so dringend, daß die Kosten für ihn keine Rolle spielten.

Innerhalb von achtundvierzig Stunden hatte man sich in der Kantine der ERTS einen Reim auf den Blauen Auftrag gemacht. Diamanten vom Typ II b waren mit Fremdatomen verunreinigt, in diesem Fall mit Boratomen, die bei hoher Temperatur ins Ausgangsmaterial hineindiffundiert waren. Diese Dotierung führte zu einer Blaufärbung, die die Diamanten als Schmucksteine wertlos machte, zugleich aber ihre elektrischen Eigenschaften veränderte, so daß sie einen äußerst niedrigen Widerstandswert in der Größenordnung von einem Ohm mal Meter hatten. Außerdem besaßen sie die Fähigkeit der optischen Lichtleitung.

Dann fand jemand einen kurzen Artikel in Electronic News vom 17. November 1978: »Das McPhee-Verfahren wurde aufgegeben«. Darin hieß es, die Silec Inc. aus Waltham, Massachusetts, habe das im Experimentierstadium befindliche McPhee-Verfahren zur künstlichen Dotierung von Diamanten mit einer Monomolekularschicht aus Bor aufgegeben. Es war zu teuer und erzielte nicht mit genügender Zuverlässigkeit die »erwünschten halbleitenden Eigenschaften«. Der Artikel schloß damit, daß andere Firmen ebenfalls die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einfachbeschichtung unterschätzt hatten. Beispielsweise habe »Morikawa aus Tokio im September dieses Jahres das Nagaura-Verfahren aufgegeben«. Indem sie aus diesen Angaben ihre Schlüsse zogen, brachten die Mitarbeiter in der ERTS-Kantine zusätzliche Stückchen des Puzzles an die richtige Stelle. 1971 hatte Intec, ein Unternehmen der Mikroelektronik mit Sitz in Santa Clara, erstmals vorausgesagt, in den achtziger Jahren würden Diamantenhalbleiter für eine zukünftige Generation »supraleitender« Computer wichtig sein.

Die erste Generation elektronischer Computer, ENIAC und UNIVAC, die man unter kriegsbedingter strenger Geheimhaltung in den vierziger Jahren gebaut hatte, arbeitete mit Vakuumröhren. Zwar betrug die durchschnittliche Lebensdauer einer solchen luftleer gepumpten Röhre zwanzig Stunden, doch fielen alle sieben bis zwölf Minuten einige von ihnen aus, da in den Computern Tausende solcher glühendheißer Röhren auf engem Raum dicht beieinanderstanden. Durch diese Vorgabe waren Größe und Leistungsfähigkeit der geplanten zweiten Generation von Computern von vornherein begrenzt.

Doch kam es nicht dazu - die zweite Generation arbeitete schon nicht mehr mit solchen Hochvakuumröhren. 1947 leitete die Erfindung des Transistors - ein daumennagelgroßer Schichtbaustein aus festem Material, der alle Funktionen einer Hochvakuumröhre übernahm - das Zeitalter elektronischer Halbleiterbausteine ein, die bei geringem Stromverbrauch wenig Hitze erzeugen und kleiner sowie zuverlässiger als die Röhren sind, an deren Stelle sie traten. Eine mit dem Ausgangsmaterial Silizium arbeitende Technik lieferte die Grundlage für drei Generationen von Computern, die im Verlauf der nächsten zwanzig Jahre immer kleiner, zuverlässiger und billiger wurden. Doch machten sich Anfang der siebziger Jahre die Computer-Entwickler daran, die naturgegebenen    Begrenzungen    der Siliziumbausteine zu überwinden. Zwar waren die Schaltkreise auf mikroskopische Abmessungen verkleinert worden, doch hing die Rechengeschwindigkeit immer noch von ihrer Länge ab. Da man hier bereits Größenordnungen von zehntausendstel Millimeter erreicht hatte, hätte eine weitere Verkleinerung der Schaltkreise wieder einen alten Feind auf den Plan gerufen:    die Wärmeentwicklung. Noch kleinere Schaltkreise würden buchstäblich in der entstehenden Hitze dahinschmelzen. Man brauchte also ein Verfahren, das den Widerstand verringerte, ohne gleichzeitig Wärme zu entwickeln und die Verlustleistung zu vergrößern.

Nun war schon seit den fünfziger Jahren bekannt, daß viele Metalle »supraleitend« wurden, wenn man sie auf extrem niedrige Temperaturen abkühlte. In diesem Zustand ist ein völlig ungehinderter Elektronendurchfluß möglich. Die IBM kündigte 1977 an, sie sei dabei, einen extrem schnellen Computer von der Größe einer Pampelmuse zu entwickeln, den man mit flüssigem Stickstoff kühlen werde. Der supraleitende Computer erforderte grundlegend neue technische Verfahren und zahlreiche neue Werkstoffe, die den extrem niedrigen Temperaturen zu widerstehen vermochten.

Diese Rolle sollten in großem Umfang dotierte Diamanten übernehmen.

Einige Tage später wurde in der Kantine der ERTS eine andere Erklärung diskutiert. Ihr zufolge waren die siebziger Jahre ein Jahrzehnt gewesen, in dessen Verlauf die Zahl an Computern in einem bis dahin unbekannten Ausmaß angewachsen war. Zwar hatten die ersten Computer-Hersteller in den vierziger Jahren vorausgesagt, vier Computer würden genügen, um in der vorhersehbaren Zukunft alle erforderlichen Berechnungen auf der ganzen Welt durchzuführen, doch gingen Fachleute inzwischen davon aus, daß es bis 1990 eine Milliarde Computer geben würde - die meisten von ihnen durch Datenleitungen mit anderen Computern verbunden. Die dafür nötigen Leitungsnetze gab es allerdings noch nicht, und vielleicht waren sie sogar theoretisch unmöglich. Eine vom Hanover Institute 1975 vorgelegte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, die Metallvorräte in der Erdkruste reichten nicht aus, um die erforderlichen Übertragungsleitungen zwischen den einzelnen Computern herzustellen. Der Erklärung von Harvey Rumbaugh zufolge würde das Kennzeichen der achtziger Jahre ein kritischer Mangel an DatenÜbertragungssystemen für Computer sein: »Ebenso wie die Verknappung an fossilen Brennstoffen in den Siebzigern die Industrieländer völlig unvorbereitet traf, wird im nächsten Jahrzehnt ein Mangel an Daten-Weitergabemöglichkeiten die Welt treffen. In den siebziger Jahren erschwerte man den Menschen die Fortbewegung, in den achtzigern wird man ihnen den Zugang zu Informationen verwehren, und es bleibt abzuwarten, welcher Mangel uns härter trifft.«

Laserstrahlen boten die einzige Hoffnung zur Lösung dieser hochgeschraubten Anforderungen, da über Laserleitungen zwanzigtausendmal so viele Informationen weitergegeben werden können wie über gewöhnliche Koaxialkabel aus Metall. Für die Laserübertragung aber war ebenfalls eine Vielzahl neuer technischer Verfahren erforderlich - unter anderem die Entwicklung der Glasfaseroptik und dotierte halbleitende Diamanten, die nach Rumbaughs Worten in den nächsten Jahren »wertvoller als öl« sein würden.

Rumbaugh ging sogar noch weiter und sah voraus, daß innerhalb des nächsten Jahrzehnts die Elektrizität völlig veralten werde. Zukünftige Computer würden ausschließlich mit lichtgesteuerten Schaltkreisen arbeiten und auch mit Datensystemen verbunden sein, deren Übertragungsmedium Licht wäre. Der Grund dafür lag in der Schnelligkeit. »Licht«, sagte Rumbaugh, »pflanzt sich eben mit Lichtgeschwindigkeit fort, und Elektrizität nicht, jedenfalls nicht in Schaltkreisen. Wir leben in den letzten Jahren der mikroelektronischen Technik.«

Dabei sah die Mikroelektronik keineswegs todgeweiht aus. Im Jahre 1979 war sie einer der Hauptindustriezweige in sämtlichen Industrieländern der Erde und stand allein in den Vereinigten Staaten für einen Jahresumsatz von achtzig Milliarden Dollar. Von den fünfhundert größten Unternehmen, deren Rangliste die Zeitschrift Fortune veröffentlichte, beschäftigten sich sechs der ersten zwanzig nicht nur am Rande mit Mikroelektronik. Die Unternehmen dieser Branche hatten in einem Zeitraum von weniger als dreißig Jahren einen unglaublichen Wettbewerb und einen ebenso unglaublichen Fortschritt erlebt. Während ein Hersteller 1958 zehn elektronische Funktionen auf einem einzigen Siliziumbaustein unterbringen konnte, fanden 1970 auf einem dieser »Chips« genannten Bausteine derselben Größe bereits hundert Funktionen Platz - das entsprach einer Verzehnfachung in kaum mehr als einem Jahrzehnt. 1972 aber war es bereits möglich, tausend Funktionen auf einem Chip unterzubringen und 1974 zehntausend. Man ging davon aus, von 1980 an auf einem einzigen Chip von der Größe eines Daumennagels eine Million Funktionen unterbringen zu können, und zwar mit Hilfe elektronischer Fotoprojektion. Tatsächlich wurde dieses Ziel bereits 1978 erreicht. Somit hieß im Frühjahr 1979 das neue Ziel: zehn Millionen -vielleicht sogar eine Milliarde - Funktionen auf einem einzigen Siliziumbaustein, zu verwirklichen bis 1980. Aber eigentlich glaubte niemand, daß man darauf länger als bis Juni oder Juli 1979 warten müßte. Ein Fortschritt solcher Größenordnung war beispiellos, einerlei, welchen Industriezweig man zum Vergleich heranzog. Man sehe sich nur ältere Produktionsverfahren an: die Automobilfabriken in Detroit begnügten sich damit, im Abstand von jeweils    drei    Jahren    unerhebliche Produktveränderungen vorzunehmen, während die Elektronikindustrie es als selbstverständlich ansah, im selben Zeitraum Fortschritte im Rahmen von Größenordnungen zu erzielen. Hätte Detroit damit Schritt halten wollen, hätte es den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge von knapp einunddreißig Liter auf hundert Kilometer im Jahre 1970 auf 0,00000031 Liter auf hundert Kilometer im Jahre 1979 verringern müssen. Statt dessen erzielte es in eben dem Zeitraum eine Verbrauchsminderung von einunddreißig auf gut fünfzehn Liter pro hundert Kilometer - ein weiteres Anzeichen dafür, daß die Kraftfahrzeugindustrie ihre führende Rolle in der Wirtschaft der Vereinigten Staaten bald würde abtreten müssen.

Auf einem Markt, der unter solchem Wettbewerbsdruck steht, ist jeder von der Angst vor Industriespionage besessen. Das galt vor allem gegenüber Japan, das seit 1973 in San Jose ein japanisches Kulturinstitut unterhielt - manche hielten es für ein finanziell gut ausgestattetes Tarnunternehmen zum Zwecke der Industriespionage. Eine solche Investition war dort besonders gut angelegt, denn um Santa Clara gruppierte sich - in dem wegen der Vielzahl der dort ansässigen Halbleiterfirmen »Silicon Valley« genannten Tal - eine der wichtigsten Ansammlungen von Wissen auf dem Gebiet der Elektronik, und zwar der ganzen Welt.

Der Blaue Auftrag war nur unter dem Gesichtswinkel einer Industrie verständlich, die in Abständen von wenigen Monaten jeweils größere Fortschritte erzielte. Travis hatte gesagt, der Blaue Auftrag sei »der dickste Fisch, den wir in den nächsten zehn Jahren an der Angel haben werden. Wer diese Diamanten findet, hat mindestens fünf Jahre lang die Nase auf diesem Anwendungsgebiet vorn. Fünf Jahre, ist Ihnen klar, was das bedeutet?«

Karen Ross wußte, was das bedeutete. In einer Industrie, in der Wettbewerbsvorteile nach Monaten gemessen werden, hatten Unternehmen ganze Vermögen damit gemacht, daß sie dem Wettbewerb mit einer neuen Technik oder einem neuen Bauteil um wenige Wochen zuvorgekommen waren. Als alle Welt noch Speicherbausteine von 16 K (also mit einer Kapazität von sechzehntausend Byte) machte und von solchen mit 64 K träumte, hatte Syntel in Kalifornien als erster einen Baustein mit 256 K herausgebracht. Das Unternehmen vermochte seinen Vorsprung nur sechzehn Wochen lang zu halten, erzielte in dieser Zeit aber über hundertunddreißig Millionen Dollar Gewinn. »Und wir sprechen von fünf Jahren«, sagte Travis. »Dieser Zeitvorsprung bedeutet Milliarden von Dollar, vielleicht zweistellige Dollar-Milliarden. Voraussetzung ist, daß wir an diese Diamanten herankommen.«

Das waren die Gründe für den ungeheuren Druck, dem sich Karen Ross ausgesetzt fühlte, als sie am Computer weiterarbeitete. Mit vierundzwanzig Jahren war sie Expeditionsleiterin bei einem Wettrennen auf dem Gebiet der höchsten technischen Entwicklung, an dem ein halbes Dutzend Länder der Erde beteiligt waren, die alle eifersüchtig    ihre    Geschäfts-    und Industriegeheimnisse voreinander hüteten.

Gemessen an diesem Einsatz erschien jeder gewöhnliche Wettlauf albern. Vor ihrem Aufbrach hatte Travis gesagt: »Machen Sie sich nichts daraus, wenn der Druck Sie zum Wahnsinn treibt. Sie tragen die Verantwortung für Milliarden Dollar. Geben Sie einfach Ihr Bestes.«

Indem sie genau das tat, gelang es ihr, die Zeitprojektion der Expedition um weitere drei Stunden und siebenunddreißig Minuten zu verkürzen - doch lagen sie immer noch geringfügig hinter der Planung des Konsortiums zurück. Nicht so schlimm, als daß sie es nicht hätten wettmachen können, vor allem mit Munros kaltblütigen Abkürzungen, aber sie lagen zurück - das konnte bei einem Wettlauf wie diesem, bei dem es um alles oder nichts ging, die Katastrophe bedeuten. Und dann kam die schlimme Nachricht.

Auf dem Bildschirm erschien die Schrift: SCHMAROTZER ENTDECKT / ALLES AUS.

»Verdammt noch mal«, sagte Karen Ross. Und plötzlich war sie todmüde. Wenn tatsächlich jemand die Leitungen angezapft hatte, waren ihre Aussichten, das Rennen zu gewinnen, jetzt unkalkulierbar gering, und das, bevor einer von ihnen auch nur einen Fuß in die Regenwälder Zentralafrikas gesetzt hatte.

2. Der Schmarotzer

Travis fühlte sich gefoppt.

Er las den ausgedruckten Bericht vom Goddard-Zentrum für Raumfahrt-Forschung in Greenbelt, Maryland: ERTS WARUM SCHICKEN SIE UNS ALL    DIE    MUHAVURA-DATEN INTERESSIEREN UNS IN KEINER WEISE TROTZDEM DANKE. Das war vor einer Stunde gekommen und damit um mehr als fünf Stunden zu spät.

»Verflucht und zugenäht!« sagte Travis, ohne die Augen von dem Fernschreiben zu nehmen.

Das erste Zeichen dafür, daß etwas nicht in Ordnung war, hatte Travis im schlagartigen Abbruch der Verhandlungen mit Munro durch die Japaner und Deutschen gesehen. Eben waren sie noch bereit gewesen, jeden Preis zu zahlen, im nächsten Augenblick konnten sie es kaum abwarten aufzubrechen. Das war wie aus heiterem Himmel und unvorhersehbar gekommen und konnte nur bedeuten, daß der Computer des Konsortiums über neue Daten verfügte. Neue Daten, aber woher?

Es gab nur eine mögliche Erklärung - und die wurde jetzt durch das Fernschreiben vom Zentrum für Raumfahrtforschung in Greenbelt, Maryland, bestätigt.

ERTS WARUM SCHICKEN SIE UNS ALL DIE MUHAVURA-DATEN.'

Es gab darauf eine ganz einfache Antwort: die ERTS sandte keine Daten, zumindest nicht absichtlich. Zwischen der ERTS und dem Zentrum bestand eine Übereinkunft, Datenergänzungen auszutauschen und sich so gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen - dieses Abkommen hatte Travis 1978 getroffen, um billiger an Bilder von Landerkundungssatelliten zu kommen. Die Ausgaben für Satellitenbilder waren der größte Einzelposten in der Kostenrechnung seines Unternehmens. Als Gegenleistung für die Erlaubnis, die von der ERTS daraus abgeleiteten Daten zu benutzen, gewährte das Forschungszentrum ihr einen Bruttorabatt von dreißig Prozent auf die Lieferung von Satellitenbildern. Das schien damals ein guter Tausch, und die zu verwendenden Schlüssel wurden im Abkommen gleich mit aufgeführt. Doch jetzt erhoben sich die möglichen Nachteile drohend vor Travis, der seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Wer von Houston nach Greenbelt eine Leitung über dreitausend Kilometer legte, lud andere förmlich dazu ein, sie anzuzapfen. Irgendwo zwischen Texas und Maryland hatte jemand ein Datengerät angeschlossen -wahrscheinlich in der Trägerfrequenz-Telefonleitung - und Daten über einen Trittbrettfahrer- oder Huckepack-Computer herausgeholt. Diese Form der Industriespionage fürchteten sie am meisten: einen Huckepack-Computer, der als Schmarotzer zwischen zwei »echten« Abruf- und Eingabestellen auf die Leitung geschaltet wurde und alles mitbekam, was in beiden Richtungen gesendet wurde. Nach einer Weile wußte der Mensch an diesem Computer genug, um selbst in die Leitung hineinzugehen und aus beiden Richtungen Daten zu holen, indem er sich gegenüber Houston als Zentrum für Raumfahrtforschung und diesem gegenüber als Houston ausgab. Ein solcher Huckepack-Computer konnte so lange arbeiten, bis einer oder beide der Teilnehmer merkten, daß die Leitung angezapft war. Die Frage lautete jetzt: Was hatte der Trittbrettfahrer in den letzten zweiundsiebzig Stunden in Erfahrung gebracht? Travis hatte Kontrollen mittels Abtaster rund um die Uhr angefordert, aber ihre Ergebnisse waren niederschmetternd. Es schien, als habe der Computer der ERTS nicht nur Bestandteile seiner Datei hergegeben, sondern auch Einzelheiten zur Auswertung der darin enthaltenen Daten - praktisch die gesamte Datenverarbeitung der ERTS im Verlauf der letzten vier Wochen.

Wenn das stimmte, konnte es nur bedeuten, daß der Huckepack-Computer des europäischjapanischen Konsortiums über die Veränderung informiert war, die die ERTS an den Muhavura-Daten vorgenommen hatte - und damit kannten sie natürlich auch haargenau die Koordinaten der toten Stadt. Sie kannten die Lage der Stadt jetzt ebenso genau wie Ross.

Die Zeitprojektionen mußten angepaßt werden, was für die Expedition der ERTS einen Rückschlag bedeutete. In einem Punkt ließen die auf den neuesten Stand gebrachten Computer-Projektionen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig - Karen Ross hin oder her, die Wahrscheinlichkeit, daß die ERTS-Leute vor den Japanern und Deutschen an Ort und Stelle eintrafen, war praktisch gleich Null.

Von Travis' Standpunkt aus gesehen war damit das ganze Unternehmen ein Schlag ins Wasser und reine Zeitvergeudung. Es bestand keine Hoffnung auf Erfolg. Die einzige nicht kalkulierbare Größe war Amy, aber Travis hatte das sichere Gefühl, daß ein Gorilla namens Amy bei der Entdeckung abbauwürdiger Minerallager im Nordostkongo keine entscheidende Rolle spielen konnte.

Es war aussichtslos.

Ob er die Gruppe zurückrief? Erschöpft blickte er auf die Konsole neben seinem Schreibtisch. »ZeitKosten-Analyse abrufen«, sagte er.

Auf dem Computerschirm leuchtete auf: ZEITKOSTEN-ANALYSE ABRUFBEREIT. »KongoExpedition«, sagte er.

Auf dem Bildschirm marschierten die Zahlenkolonnen für die Kongo-Expedition auf: Kosten pro Stunde, Gesamtkosten, voraussichtliche weitere Kosten, Abbruchzeitpunkte, weitere mögliche Kostenverzweigungen ... Die Gruppe war jetzt fast in Nairobi, und das Projekt hatte bisher Gesamtkosten von knapp hundertneunzigtausend Dollar verursacht. Ein Rückruf würde zweihundertsiebenundzwanzigtausendvierhundert-fünfundfünfzig Dollar kosten. »Faktor BF«, sagte er.

Eine andere Anzeige erschien. BF. Er hatte jetzt eine Reihe von Wahrscheinlichkeitsberechnungen vor sich. Der »Faktor BF« stand für bonafortuna, glückliche Umstände vorausgesetzt - was sich bei keiner Expedition berechnen ließ, vor allem nicht bei solchen, die in ferne und gefährliche Gebiete vordrangen. BEDENKZEIT leuchtete die Bildschirmschrift auf. Travis wartete. Er wußte, daß es einige Sekunden dauern würde, bis der Computer die willkürlichen Faktofen gewichten konnte, deren Eintreten die Erfolgsaussichten der Expedition, die noch fünf oder mehr Tage von ihrem Ziel entfernt war, möglicherweise zu beeinflussen vermochten.

Der Summer auf seinem Schreibtisch ertönte. Rogers, der Spezialist für das Aufspüren von Zapfstellen, sagte: »Wir haben den Schmarotzer. Er steht in Norman, Oklahoma, angeblich in der North Central Insurance Corporation of America. Sie gehört zu einundfünfzig Prozent einer hawaiischen Holding, Haiekuli Inc., ihrerseits Tochter eines Unternehmens mit Sitz in Japan. Was sollen wir machen?« »Ein großes Feuer«, sagte Travis. »Alles klar«, sagte Rogers und legte den Hörer auf. Auf dem Bildschirm blinkte die Anzeige GESCHAETZTER BF-FAKTOR, und eine Wahrscheinlichkeitsangabe von 0,449. Das überraschte ihn, denn diese Zahl bedeutete, daß die Aussichten der ERTS, das Ziel vor dem Konsortium zu erreichen, nahezu eins zu eins standen. Travis verstand zwar nicht, auf Grund welcher mathematischen Berechnungen der Computer zu diesem Ergebnis gelangt war, aber er stellte es nicht in Frage. Er hatte seine Antwort. 0,449 war gut genug.

Die Expedition der ERTS würde also weiter am Ball bleiben, zumindest vorläufig. Inzwischen würde er tun, was er konnte, um dem Konsortium Steine in den Weg zu legen. Ohne großes Überlegen fielen Travis ein oder zwei Möglichkeiten ein.

3. Zusätzliche Daten

Die Düsenmaschine glitt südwärts über den Rudolfsee, der im nördlichen Teil    des zentralafrikanischen Grabens liegt, als Tom Seamans Elliot anrief.

Seamans hatte die Computer-Funktion fertiggestellt, mit deren Hilfe man Gorillas von anderen Menschenaffen, vor allem    von Schimpansen, unterscheiden konnte.

Er hatte sich sodann von Houston ein Videoband von drei Sekunden Dauer durchspielen lassen, auf dem allem Anschein nach ein Gorilla    eine Parabolantenne zerschmetterte und dann in die Kamera stierte.

»Nun?« fragte Elliot und sah auf den Bildschirm. Darauf erschien nun:

UNTBB SCHEIDUNGSFUNKTION GORILLA    /

SCHIMPANSE VERTEILUNG WIE FOLGT:

GORILLA: 0,9934 SCHIMPANSE: 0,1132

UEBERPRUEFUNG VIDEOBAND {HOUSTON}: 0,3349

»Was soll denn das nun wieder?« sagte Elliot. Diese Zahlen machten die Untersuchung mehrdeutig und somit nutzlos. »Tut mir leid«, sagte Seamans durchs Telefon. »Aber ein Teil der Schwierigkeiten liegt im überprüften Material. Wir mußten die Computer-Leitung des Bilds als Ausgangsbasis nehmen. Das Bild ist aber bearbeitet worden, und dabei sind die Abweichungen verschwunden, so daß die eigentlich aussagekräftigen Elemente weg sind. Ich würde gern mit der originalen digitalisierten Matrix arbeiten. Kannst du mir die besorgen?« Karen Ross nickte zustimmend. »Klar«, sagte Elliot. »Ich laß das dann noch mal durchlaufen«, sagte Seamans. »Aber wenn du wissen willst, was ich rein gefühlsmäßig davon halte -"das ist ein Schuß in den Ofen! Gorillas haben so starke individuelle Abweichungen im Gesichtsaufbau wie Menschen. Wenn wir unsere Materialbasis erweitern, bekommen wir mehr Abweichungen und damit größere Abstände zwischen Individuen. Ich glaube, da hast du dich festgefahren. Mathematisch läßt sich nie und nimmer nachweisen, daß es kein Gorilla ist -gerade darauf würde ich jeden Betrag wetten.« »Und was ist es dann?« fragte Elliot.

»Etwas Neues«, sagte Seamans. »Ich sage dir, wenn das ein Gorilla wäre, käme für ihn bei dieser Funktion ein Wert zwischen 0,89 oder 0,94 in Frage. Dem Bild ist aber 0,33 zugeordnet, und das genügt bei weitem nicht. Es ist kein Gorilla, Peter.« »Sondern?«

»Es muß so eine Art Übergangsform sein. Ich habe eine Funktion durchlaufen lassen, um festzustellen, wo die Abweichungen liegen. Und weißt du, was das Hauptunterscheidungsmerkmal ist? Die Hautfarbe. Nicht einmal auf einem Schwarzweiß-Bild ist das Vieh dunkel genug, um ein Gorilla zu sein, Peter. Das ist ein ganz neues Tier, laß dir das gesagt sein.«

Elliot sah Karen Ross an. »Welchen Einfluß hat das auf Ihre Zeitprojektion?«

»Im Augenblick keine«, sagte sie. »Andere Elemente sind kritischer, und das hier ist nicht bewertbar.«

Der Pilot machte eine Durchsage: »Wir beginnen unseren Landeanflug auf Nairobi«, sagte er.

4. Nairobi

Schon acht Kilometer außerhalb Nairobis kann man das Wild der ostafrikanischen Savanne finden. Zahlreiche Bewohner der Stadt erinnerten sich daran, daß es früher noch näher gekommen war -Gazellen, Büffel und Giraffen streiften durch die Vorgärten der Häuser, und es war sogar vorgekommen, daß ein Leopard sich in ein Schlafzimmer verirrte. Damals hatte die Stadt noch einen durchaus unzivilisierten Charakter, und sie war in ihren besten Zeiten ungeheuer schnellebig, so daß die Standardfrage hieß: »Bist du verheiratet oder wohnst du in Nairobi?« Die Männer waren rauh und trinkfest, die Frauen schön und von lockeren Sitten, und die Lebensumstände etwa ebenso vorhersehbar wie das Ergebnis der Fuchsjagden, die an jedem Wochenende durch das wilde Gelände tobten.

Nichts im neuen Nairobi erinnerte mehr an die Tage jener Kolonialepoche. Die wenigen noch erhaltenen viktorianischen Gebäude lagen verloren in einer modernen Stadt mit einer halben Million Einwohner, eine Stadt mit ihren Verkehrsstaus, Ampeln, Wolkenkratzern, Supermärkten, Schnellreinigungen, französischen Restaurants und ihrer Luftverschmutzung. Die Frachtmaschine der ERTS landete im Morgengrauen des 16. Juni auf dem internationalen Flughafen von Jomo Kenyatta, und Munro knüpfte für die bevorstehende Unternehmung Kontakte zu Trägern und Helfern.

Sie wollten nur zwei Stunden in Nairobi bleiben -bis Travis ihnen mitteilte, Peterson, einer der Geologen von der ersten Kongo-Expedition, habe sich auf irgendeine Weise bis Nairobi durchgeschlagen.

Karen Ross war Feuer und Flamme. »Wo ist er jetzt?« fragte sie. »Im Leichenschauhaus«, sagte Travis.

Peter Elliot krampfte sich der Magen zusammen, als er näher trat: Auf dem Tisch aus Edelstahl lag ein blonder Mann etwa seines Alters. Die Arme waren an mehreren Stellen gebrochen, die Haut war gequollen und von scheußlicher Purpurfarbe. Er warf einen Blick auf Karen Ross. Sie schien gänzlich gefaßt, verzog keine Miene und wandte sich auch nicht ab. Der Pathologe betätigte einen Fußschalter, der ein Deckenmikrofon aktivierte. »Würden Sie freundlicherweise Ihren Namen sagen?« »Karen Ellen Ross.«

»Ihre    Staatsangehörigkeit    und Reisepaßnummer?« »Amerikanerin, F 1413649.«

»Können Sie den Mann dort identifizieren, Miss Ross?« »Ja«, sagte sie. »Es ist James Robert Peterson.« »Welcher Art war die Beziehung zwischen Ihnen und dem verstorbenen James Robert Peterson?«

»Wir waren Arbeitskollegen«, sagte sie tonlos, als ginge es um ein geologisches Fundstück, das sie unbewegt untersuchte. Auf ihrem Gesicht war keine Reaktion zu erkennen.

Der Pathologe sprach ins Mikrofon. »Identifiziert als James Robert Peterson, männlicher Angehöriger der weißen Rasse, neunundzwanzig Jahre alt, amerikanischer Staatsangehöriger.« Er wandte sich wieder an Ross. »Wann haben Sie Mr. Peterson zum letztenmal gesehen?«

»Im Mai dieses Jahres, als er in den Kongo aufbrach.« »Und seitdem nicht mehr?« »Nein«, sagte sie. »Was ist vorgefallen?«

Der Pathologe legte die Fingerspitzen auf die aufgequollenen purpurfarbenen Verletzungen an den Armen. Sie sanken ein und hinterließen Spuren wie von Zähnen. »Das ist eine sehr eigentümliche Geschichte«, sagte der Pathologe.

Am Vortag, dem 15. Juni, hatte eine kleine Charter-Frachtmaschine Peterson nach Nairobi gebracht. Er stand unter schwerer Schockeinwirkung und starb einige Stunden nach der Ankunft, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. »Es ist unglaublich, daß er es überhaupt geschafft hat. Wie es scheint, hat die Maschine eine unplanmäßige Zwischenlandung auf dem Feldflugplatz Garona in Zai're gemacht, weil etwas repariert werden mußte. Plötzlich kam dieser Kerl aus dem Busch gestolpert und brach vor den Füßen der Leute zusammen.« Der Pathologe wies darauf hin, daß die Knochen beider Arme gebrochen waren. Die Verletzungen, so erklärte er, waren nicht neu, sondern mindestens vier Tage alt, möglicherweise älter. »Er muß unsagbare Schmerzen gelitten haben.«

Elliot erkundigte sich: »Woher könnten diese Verletzungen stammen?«

Der Pathologe hatte ähnliches noch nie gesehen. »Rein oberflächlich betrachtet sieht es aus wie ein mechanisches Trauma, wie es beispielsweise durch einen Autounfall verursacht wird. Davon haben wir hier ziemlich viele. Allerdings treten solche Verletzungen nie auf beiden Seiten zugleich auf, wie in diesem Fall.«

»Es ist also keine mechanische Verletzung?« fragte Karen Ross. »Ich habe keine Ahnung, was es ist. So etwas sehe ich zum erstenmal«, sagte der Pathologe lebhaft. »Wir haben auch Blutreste unter seinen Fingernägeln gefunden und einige graue Haare. Das überprüfen wir gerade.«

Am anderen Ende des Raums blickte ein weiterer Pathologe von seinem Mikroskop auf. »Das ist mit Sicherheit kein Menschenhaar, der Querschnitt stimmt nicht. Stammt von irgendeinem Tier, das mit dem Menschen eng verwandt ist.« »Der Querschnitt?« fragte Ross.

»Der beste Nachweis, den wir kennen, wenn es um die Herkunftsbestimmung von Haaren geht«, sagte der Pathologe. »Menschliches Schamhaar beispielsweise ist im Vergleich zu anderem Körperhaar oder Gesichtshaar eher elliptisch. Der Nachweis ist so charakteristisch, daß er sogar als Beweismittel vor Gericht zugelassen ist. Da wir hier auch ziemlich viele Tierhaare bekommen, sind wir auf dem Gebiet einigermaßen erfahren.« Eine große Analysevorrichtung aus Edelstahl gab pfeifende Geräusche von sich. »Die Blutanalyse kommt«, sagte der Pathologe.

Auf einem Bildschirm sahen sie ein Zwillingsmuster aus pastellfarbenen Streifen. »Das ist das Elektrophorese-Muster«, erklärte der Pathologe. »Zur Untersuchung auf Serumeiweiß. Links haben wir menschliches Blut und rechts das Muster des Bluts, das wir unter seinen Nägeln gefunden haben. Sie können sehen, daß es bestimmt kein menschliches Blut ist.«

»Kein menschliches Blut?« fragte Karen Ross und warf einen Blick auf Elliot.

»Es ist von einem Tier, das dem Menschen nahe verwandt ist«, sagte der Pathologe und faßte das Muster näher ins Auge. »Aber es stammt nicht vom Menschen. Es könnte von einem Haustier sein -beispielsweise einem Schwein, aber auch von einem Herrentier, einem Primaten. Altweltaffen und Menschenaffen stehen dem Menschen serologisch sehr nahe. Wir werden gleich die Computeranalyse haben.« Auf dem Bildschirm erschien die Computerschrift:

ALPHA- UND BETA-SERUMGLOBULINWERTE STIMMEN UEBEREIN: GOBILLABLUT.

Der Pathologe sagte: »Jetzt wissen Sie, was er unter den Fingernägeln hatte - Gorillablut.«

5. Untersuchung

»Sie tut Ihnen nichts«, sagte Peter Elliot zu dem furchtsamen Pfleger. Sie waren im Fluggastabteil des Jumbo-Frachtflugzeugs. »Sehen Sie, sie lächelt Sie an.«

Amy zeigte ihr gewinnendstes Lächeln, wobei sie darauf achtete, daß sie ihre Zähne nicht entblößte. Doch solche Feinheiten der Gorilla-Etikette waren dem Pfleger aus der Privatklinik in Nairobi nicht vertraut. Seine Hand mit der Spritze zitterte. Nairobi war die letzte Gelegenheit, Amy einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Ihr großer, mächtiger Leib ließ leicht vergessen, daß sie von sehr schwächlicher Konstitution war - so Wie man beim Anblick ihres dräuenden Gesichts mit den vorspringenden Augenbrauen ihr sanftmütiges, freundliches Wesen vergessen konnte. In San Francisco wurde Amys Gesundheitszustand von der Projektgruppe ständig gründlich überwacht - jeden zweiten Tag Urinproben, wöchentliche Stuhluntersuchung auf sonst nicht erkennbare Blutungen, jeden Monat eine vollständige Blutuntersuchung und alle drei Monate ein Besuch beim Zahnarzt zur Entfernung des schwarzen Zahnsteins, eine Begleiterscheinung ihrer vegetarischen Lebensweise. All das ließ Amy stets gelassen über sich ergehen, doch wußte der furchterfüllte Pfleger das nicht. Er ging auf sie zu und hielt die Spritze wie eine Waffe vor sich. »Sind Sie sicher, daß er nicht beißt?«

Amy gab hilfsbereit durch Zeichen zu erkennen Amy versprechen nicht beißen. Sie machte die Zeichen langsam und deutlich, wie immer, wenn sie mit jemandem zu tun hatte, der ihre Sprache nicht verstand.

»Sie verspricht, Sie nicht zu beißen«, sagte Elliot. »Das sagen Sie so«, sagte der Pfleger. Elliot machte sich nicht die Mühe zu erklären, daß nicht er, sondern Amy es gesagt hatte.

Nachdem die Blutprobe entnommen war, wurde der Pfleger etwas ruhiger. Beim Zusammenpacken sagte er: »Aber das ist doch ein ziemlich häßliches Untier.« »Sie haben ihre Empfindungen verletzt«, sagte Elliot. In der Tat begehrte Amy heftig zu wissen was häßlich?, was Elliot besänftigend mit »nichts, Amy« beantwortete. »Er hat eben noch nie einen Gorilla gesehen.« Der Pfleger fragte: »Wie bitte?«

»Sie haben ihre Empfindungen verletzt. Es wäre besser, Sie entschuldigten sich.«

Der Pfleger schloß nachdrücklich seine Tasche. Er sah Elliot und dann Amy zweifelnd an. »Bei dem da entschuldigen?« »Es ist eine sie«, sagte Elliot. »Ja. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn man Ihnen sagte, Sie seien häßlich?« Es ging Elliot ums Prinzip. Im Verlauf der Jahre spürte er immer deutlicher die Vorurteile von Menschen gegenüber ihren nächsten Verwandten, den Herrentieren:

Schimpansen galten ihnen als süße Kinder, Orang-Utans als abgeklärte Greise und Gorillas eben als dräuende, gefährliche Bestien - Fehleinschätzungen in allen drei Fällen.

Jedes dieser Tiere war einzigartig und entsprach keinem der menschlichen Klischees. Schimpansen zum Beispiel waren weit heimtückischer, als Gorillas das jemals sein konnten. Wegen ihrer extravertierten Veranlagung waren gereizte Schimpansen weit gefährlicher als gereizte Gorillas. Es verblüffte Elliot jedesmal, wenn er im Zoo sah, wie Mütter ihre Kinder näher an den Käfig heranschoben, damit sie sich die Schimpansen ansahen, aber sie beschützend an sich zogen, sobald sie die Gorillas erblickten. Diese Mütter wußten offenbar nichts davon, daß wildlebende Schimpansen Kleinkinder fingen und aßen - was Gorillas niemals taten.

Wiederholt hatte Elliot das menschliche Vorurteil gegenüber Gorillas beobachten können und gemerkt, welche Wirkung es auf Amy hatte. Amy konnte nichts dafür, daß sie groß und schwarz war - und daß aus ihrem gequetschten Gesicht schwere Brauen hervorsprangen. Hinter diesem Gesicht, das den Menschen abstoßend und widerlich erschien, lag ein intelligentes und empfindsames Bewußtsein, das auf die Menschen um sie herum einging. Es tat ihr weh, wenn Menschen vor ihr davonliefen, vor Furcht aufschrien oder unfreundliche Bemerkungen machten. Der Pfleger runzelte die Stirn: »Soll das heißen, daß er Englisch versteht?«

»Ja, sie versteht Englisch.« Auch die Geschlechtsumwandlung gefiel Elliot nicht. Wer Angst vor Amy hatte, meinte immer, es handle sich um ein Männchen.

Der Pfleger schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Elliot sagte: »Amy, führ den Mann bitte hinaus.« Amy beugte sich zur Tür hinüber und öffnete sie dem Pfleger, dessen Augen immer größer wurden. Dann schloß sie die Tür hinter ihm.

Mensch albern, kommentierte Amy.

»Mach dir nichts draus«, sagte Elliot. »Komm, Peter krault Amy.« Und die nächste Viertelstunde lang kraulte er sie, während sie sich hocherfreut auf dem Boden wälzte und grunzte. Elliot merkte nicht, daß die Tür hinter ihm sich geöffnet hatte, und erst als es zu spät war, sah er, daß ein Schatten über den Fußboden fiel. Er wandte noch den Kopf, um aufzublicken, sah den dunklen Zylinder abwärts sausen, dann barst sein Kopf vor wildem, brennendem Schmerz, und um ihn herum versank alles in Nacht.

6. Entführt

Er erwachte vom durchdringenden Kreischen eines elektronischen Geräts.

»Bewegen Sie sich nicht, Sir«, sagte eine Stimme. Elliot schlug die Augen auf und sah genau in den Strahl einer Lampe, die auf ihn niederleuchtete. Er lag auf dem Rücken, immer noch im Flugzeug, und jemand beugte sich über ihn. »Nach rechts sehen ... nach links sehen ... können Sie Ihre Finger beugen?«

Er befolgte die Anweisungen. Die Lampe wurde beiseite genommen, und er sah, daß ein Schwarzer, der einen Straßenanzug trug, neben ihm hockte. Der Mann tastete Elliots Kopf ab. Als er die Finger vom Kopf nahm, waren sie voller Blut. »Nichts Gefährliches«, sagte der Mann, »eine oberflächliche Wunde.« Er sah zur Seite. »Was meinen Sie, wie lange er wohl bewußtlos war?« »Ein paar Minuten, höchstens«, sagte Munro. Wieder hörte er das hohe Pfeifen. Er sah Karen Ross, die etwas über die Schulter gehängt trug und mit einem Stab, den sie vor sich hielt, durch die Fluggastkabine ging. Wieder das Geräusch. »Verdammt!« sagte sie und nahm etwas von der Fensterverkleidung ab. »Das ist schon die fünfte. Sie haben sich wirklich Mühe gegeben.«

Munro sah auf Elliot hinab und fragte ihn: »Wie fühlen Sie sich?« »Er sollte vierundzwanzig Stunden lang beobachtet werden«, sagte der Schwarze. »Eine Vorsichtsmaßnahme, aber wichtig!«

»Vierundzwanzig Stunden!« rief Karen Ross, ohne auf ihrem Weg durch die Kabine innezuhalten. Elliot fragte: »Wo ist sie?«

»Sie haben sie mitgenommen«, sagte Munro. »Sie haben die Hecktür geöffnet, die pneumatische Rutsche aufgeblasen und waren weg, bevor jemand merkte, was geschehen war. Das hier haben wir neben Ihnen gefunden.«

Munro gab ihm ein kleines Glasröhrchen mit japanischen Schriftzeichen. Es war verkratzt und mit Kerben bedeckt, hatte am einen Ende einen Gummikolben und am anderen eine zerbrochene Nadel.

Peter Elliot setzte sich auf. »Sachte, sachte«, sagte der Arzt.

»Mir fehlt nichts«, sagte Elliot. Er spürte, wie sein Schädel dröhnte. Er wendete das Röhrchen in seinen Händen hin und her. »War Reif darauf, als Sie es gefunden haben?« Munro nickte. »Jedenfalls fühlte es sich sehr kalt an.« »CO2«, sagte Elliot. Ein Geschoß aus einem Narkosegewehr. Er schüttelte den Kopf. »Die Nadel ist in ihr abgebrochen.« Er konnte sich Amys wütende Schreie vorstellen. Sie war eine äußerst behutsame Behandlung gewöhnt. Vielleicht hatte er da bei seiner Arbeit mit ihr einen Fehler gemacht, möglicherweise hätte er sie besser auf die rauhe Wirklichkeit vorbereiten sollen. Er roch an dem Röhrchen und bemerkte einen beißenden Geruch. »Lobaxin, schnell wirkendes Betäubungsmittel, die Wirkung tritt nach fünfzehn Sekunden ein. Natürlich arbeiten die mit so etwas.« Elliot war wütend. Man benutzte Lobaxin nicht oft bei Tieren, weil es Leberschädigungen hervorrufen konnte. Und die Nadel hatten sie auch noch abgebrochen ... Er stand auf und stützte sich auf Munro, der einen Arm um ihn legte. Der Arzt protestierte. »Mir fehlt nichts«, sagte Elliot.

Auf der anderen Seite der Kabine war wieder ein Pfeifen zu hören, diesmal laut und lange. Ross führte ihren Stab am Medikamentenschrank mit den Tablettenröhrchen und den Päckchen mit Verbandszeug vorbei. Das Geräusch schien sie zu irritieren, sie schloß den Schrank rasch und entfernte sich von ihm. Sie ging zur gegenüberliegenden Seite der Fluggastkabine, und wieder hörte man ein Pfeifen. Sie nahm einen kleinen schwarzen Gegenstand unter einem Sitz ab. »Sehen Sie sich das an. Sie müssen jemanden mitgebracht haben, der nichts anderes zu tun hatte, als Wanzen anzubringen. Es kann Stunden dauern, bis wir die Maschine wieder sauber haben. So lange können wir nicht warten.«

Sie ging sofort zur Computer-Konsole und tastete etwas ein. Elliot erkundigte sich: »Wo sind sie jetzt? Die Leute vom Konsortium?«

»Der Haupttrupp hat vor sechs Stunden Nairobi über den Flughafen Kubala verlassen«, sagte Munro. »Dann haben sie Amy nicht mitgenommen.« »Natürlich nicht«, sagte Karen Ross. Ihre Stimme klang ärgerlich. »Sie können doch gar nichts mit ihr anfangen.« »Ob sie sie umgebracht haben?« fragte Elliot. Karen Ross wich seinem Blick aus, er sah Munro an. »Vielleicht«, sagte Munro gelassen. »O Gott im Himmel... «

»Ich bezweifle es jedoch«, fuhr Munro fort. »Aufsehen in der Öffentlichkeit können sie nicht brauchen, und Amy ist berühmt -in gewissen Kreisen ebenso berühmt wie ein Botschafter oder ein Staatsoberhaupt. Sie gehört zu den sprachfähigen Gorillas, und davon gibt es nicht viele. Sie war schon im Fernsehen und in der Zeitung ... Die würden eher Sie als Amy umbringen.« »Hauptsache, sie tun ihr nichts an«, sagte Elliot. »Keine Sorge«, sagte Karen Ross mit einer Stimme, in der etwas Endgültiges lag. »Das Konsortium hat kein Interesse an Amy. Sie wissen nicht einmal, warum wir sie mitgebracht haben. Sie versuchen bloß, unsere Zeitprojektion kaputtzumachen - aber das schaffen sie nicht.«

Irgend etwas in ihrer Stimme ließ erkennen, daß sie die Absicht hatte, Amy zurückzulassen. Der Gedanke entsetzte Elliot. »Wir müssen sie wiederhaben«, sagte er. »Ich bin für Amy verantwortlich. Ich kann sie unmöglich hierlassen.«

»- zweiundsiebzig Minuten«, sagte Karen Ross und wies auf den Bildschirm. »Uns bleibt genau eine Stunde und zwölf Minuten, wenn wir unsere Zeitprojektion einhaltet! wollen.« Sie wandte sich Munro zu. »Und dabei müssen wir dann schon auf die zweite Dringlichkeitsstufe umschalten.«

»Großartig«, sagte Munro. »Ich werde es den Leuten sagen, damit sie sich drum kümmern.«

»Mit einem neuen Flugzeug«, sagte Karen Ross. »Diese Maschine können wir unmöglich nehmen, sie ist von vorn bis hinten verwanzt.« Sie tastete einen Rufcode in den Computer ein, ihre Finger huschten blitzschnell über die Tasten. »Wir fliegen von hier aus auf dem kürzesten Weg zum Punkt M«, sagte Karen Ross. »Okay?« »Aber klar«, sagte Munro.

Elliot wiederholte: »Ich lasse Amy nicht im Stich. Wenn Sie sie hierlassen, bleibe ich auch hier -« Er hielt inne. Auf dem Bildschirm stand die Botschaft: LASST    GORILLA    SAUSEN / AUF    ZUM

NAECHSTEN KONTROLLPUNKT / DRINGEND /    AFFE    UNERHEBLICH    /

ZEITPROJEKTIONSERGEBNIS    DURCH

COMPUTER UEBERPRUEFEN / WIEDERHOLE OHNE AMY WEITERMACHEN. »Sie können sie nicht hierlassen«, sagte Peter Elliot. »Dann komme ich auch nicht mit.«

»Hören Sie zu«, sagte Karen Ross, »ich habe Amy nie als wichtig für diese Expedition angesehen - und auch Sie nicht. Daß wir Amy mitgenommen haben, war von Anfang an nur ein Täuschungsmanöver. Man ist mir in San Francisco gefolgt; Sie und Amy haben mir eine Gelegenheit geboten, eine falsche Fährte zu legen. Ihre Anwesenheit hat das Konsortium verunsichert, und das hat sich gelohnt. Jetzt lohnt es sich nicht mehr. Wir können Sie auch entbehren. Mir ist das egal.«

7. Wanzen

»Herrgott im Himmel«, brauste Elliot auf, »soll das heißen, daß Sie von Anfang an ...«

»Genau das«, sagte Karen Ross kalt. »Sie sind entbehrlich.«

Doch noch während sie sprach, ergriff sie seinen Arm und führte ihn aus der Maschine, wobei sie ihm Schweigen gebot, indem sie den Zeigefinger auf ihre Lippen legte.

Elliot verstand, daß sie ihn unter vier Augen beruhigen wollte, aber er war entschlossen, keinen Fußbreit von seiner Haltung abzuweichen. Er war nun einmal für Amy verantwortlich, und dann sollte der Teufel alle Diamanten und diese ganze internationale Intrigenwirtschaft holen. Draußen auf dem Beton des, Vorfelds, wiederholte er trotzig: »Ohne Amy mache ich nicht mehr mit.« »Ich auch nicht.« Karen Ross ging rasch übet das Vorfeld zu einem Polizeihubschrauber. Elliot eilte ihr nach. »Was ist los?«

»Verstehen Sie denn gar nichtsl« fragte Karen Ross, »Die Maschine wird abgehört, sie steckt voller Wanzen. Ich habe das nur gesagt, damit sich die mithörenden Leute vom Konsortium in Sicherheit wiegen.«

»Und wer ist Ihnen denn in San Francisco gefolgt?« »Niemand. Aber die werden stundenlang versuchen rauszukriegen, wer das wohl war.«

»Amy und ich sollten also nicht nur eine falsche Fährte liefern?« »Nein, natürlich nicht!« sagte sie. »Passen Sie auf, wir wissen nicht, was.dem letzten Kongo-Team zugestoßen ist, aber einerlei, was Sie oder Travis oder sonst jemand sagt, ich glaube, daß Gorillas dabei im Spiel waren. Und ich vermute, daß Amy uns helfen kann, wenn wir erst einmal an Ort und Stelle sind.« »Sozusagen als Botschafterin?«

»Wir brauchen Informationen«, sagte Karen Ross. »Und Amy weiß mehr über Gorillas als wir.«

»Aber genügen Ihnen denn eine Stunde und zehn Minuten, um sie zu finden?«

»Unsinn!« sagte Karen Ross mit einem Blick auf die Uhr. »Das dauert äußerstenfalls zwanzig Minuten.«

»Tiefer! Tiefer!«

Karen Ross rief das Kommando laut in das Mikrofon ihrer Kopfhörergarnitur. Sie saß neben dem Piloten des Polizeihubschraubers, der eine Schleife um das Regierungsgebäude und dann eine Kurve flog und Richtung nach Norden nahm, auf das Hilton Hotel zu.

»Das geht nicht, Madam«, sagte der Pilot freundlich. »Wir fliegen unterhalb der festgesetzten Flughöhen.«

»Sie sind noch viel zu hoch!« sagte Karen Ross. Sie sah auf einen Kasten, den sie auf den Knien hielt und der vier Werte für Himmelsrichtungen digital anzeigte. Sie legte rasch auf einige Tasten um, während aus dem Funkgerät wütende Beschwerden vom Kontrollturm des Flughafens Nairobi drangen. »Jetzt nach Osten, genau nach Osten«, wies sie den Piloten an. Der Hubschrauber änderte seine Richtung und flog ostwärts, auf die Elendsviertel am Stadtrand zu.

Elliot saß hinten, und bei jeder Richtungsänderung der Maschine wurde ihm flau im Magen. Sein Kopf dröhnte, er fühlte sich elend, aber er hatte darauf bestanden, mitgenommen zu werden. Er war der einzige Mensch, der genug Kenntnisse hatte, um Amy zu helfen, wenn sie medizinisch versorgt werden mußte.

Jetzt sagte Karen Ross: »Ich habe einen Wert«, und sie wies nach Nordosten. Unter ihnen lagen jetzt grob zusammengezimmerte Hütten, Autofriedhöfe, unbefestigte Wege. »Langsam jetzt, ganz langsam ... «

Die Anzeige leuchtete, die Ziffern auf dem kleinen Schirm änderten sich ständig. Dann sah Elliot, wie sie mit einem Schlag alle auf Null gingen.

»Runter!« rief Karen Ross, und der Hubschrauber ging auf einer riesigen Müllkippe nieder.

Der Pilot blieb bei der Maschine. Was er sagte, klang beunruhigend: »Wo Unrat ist, sind auch Ratten.«

»Mich stören Ratten nicht«, sagte Karen Ross und stieg mit dem Kasten in der Hand aus.

»Wo Ratten sind, sind auch Kobras«, sagte der Pilot. »Oh«, sagte Karen Ross.

Sie ging mit Elliot über den Müllberg. Es wehte eine steife Brise, die Papier und andere Abfälle aufwirbelte. Elliots Schädel dröhnte, und die von der Müllkippe aufsteigenden Gerüche verursachten ihm Übelkeit.

»Es ist nicht mehr weit«, sagte Karen Ross und hielt den Blick auf den Kasten gerichtet. Sie war erregt und sah auf die Uhr. »Hier!«

Sie bückte sich, griff unter die Abfälle, grub verzweifelt tiefer, bis ihr Arm ellbogentief im Müll steckte.

Schließlich kam ihre Hand mit einem Halsband zum Vorschein -dem, das sie Amy geschenkt hatte, als sie in San Francisco an Bord der Maschine gegangen waren. Sie wandte es um und sah sich das daran befindliche Namensschild aus Kunststoff an, das, wie Elliot jetzt merkte, ungewöhnlich dick war. Auf seiner Rückseite waren frische Kratzspuren zu sehen.

»Verdammt!« sagte sie. »Sechzehn Minuten verschenkt.« Dann eilte sie zu dem wartenden Hubschrauber zurück. Elliot versuchte, mit ihr Schritt zu halten. »Aber wie wollen Sie sie finden, wenn die Entführer ihr Halsband mit der Wanze weggeworfen haben?«

»Niemand«, belehrte ihn Karen Ross, »bringt irgendwo nur eine Wanze an. Die war nur ein Köder, die sollten sie finden.« Sie wies auf die Kratzer an der Rückseite. »Kluge Burschen, sie haben die Frequenzen neu eingestellt.«

»Und wenn sie die zweite Wanze auch gefunden und weggeworfen haben?« wollte Elliot wissen.

»Das haben sie auf keinen Fall«, sagte Karen Ross. Der Hubschrauber erhob sich, und im Abwind der Rotorblätter tanzten Papier und Abfälle auf der Kippe unter ihnen durcheinander. Sie hielt das Mikrofon an die Lippen und sagte zu dem Piloten: »Fliegen Sie zum größten Schrottplatz von Nairobi.«

Neun Minuten später hatten sie ein neues, sehr schwaches Signal aufgefangen. Es kam von einem Autofriedhof. Der Hubschrauber landete auf der Straße davor, was Dutzende von lärmenden Kindern herbeilockte. Karen Ross ging mit Elliot an rostenden Ruinen von Personen- und Lastwagen vorbei. »Sind Sie sicher, daß sie hier ist?« fragte Elliot.

»Keine Frage. Sie mußten sie mit möglichst viel Metall umgeben, das war ihre einzige Möglichkeit.« »Warum das?«

»Um sie abzuschirmen.« Sie suchte sich um die Schrottautos herum ihren Weg und blieb oft stehen, um sich von ihrem elektronischen Kasten neue Anweisungen zu holen. Dann hörte Elliot ein Grunzen.

Es kam 'aus einem uralten, völlig verrosteten Mercedes-Bus. Elliot bestieg ihn durch die zerschmetterten Scheiben einer Tür. Die Gummidichtungen der Türscheibe zerbröselten unter seinen Händen. Amy lag auf dem Rücken, mit Klebeband gefesselt. Sie war benommen, gab aber kräftige Klagelaute von sich, als er die Streifen von ihrem Fell abriß.

Er fand die abgebrochene Nadelspitze in ihrer rechten Brust und zog sie mit einer Pinzette heraus. Amy schrie auf, dann warf sie die Arme um ihn. Elliot hörte in der Ferne das Jaulen einer Polizeisirene.

»Es ist alles gut, Amy, es ist alles gut«, sagte er, stellte sie auf die Füße und nahm sie gründlich in Augenschein. Es sah aus, als sei alles in Ordnung.

Dann fragte er: »Wo ist die zweite Wanze?« Karen Ross grinste ihn an. »Die hat sie runtergeschluckt.« Jetzt, da Amy in Sicherheit war, spürte Elliot, wie ihn eine große Wut überkam. »Sie haben das arme Tier ein Abhörgerät schlukken lasseh? Ist Ihnen eigentlich klar, daß sie ein sehr empfindliches Geschöpf ist, dessen Gesundheit ständig bedroht ist -« »Regen Sie sich nicht auf«, sagte Karen Ross. »Erinnern Sie sich an die Vitamintabletten, die sie bekommt? Sie haben übrigens auch solche Dinger geschluckt.« Sie sah auf die Uhr. »Zweiunddreißig Minuten«, sagte sie. »Gar nicht schlecht. Uns bleiben vierzig Minuten bis zum letzten Abflugtermin.«

8. Ausgangspunkt

Munro saß in der 747 und tastete etwas auf dem Computer ein. Er sah zu, wie Linien kreuz und quer über Karten wanderten:    Zeitprojektionen und Koordinaten zur Frequenzabgleichung. Der Computer spielte verschiedene Wege durch, die die Expedition nehmen konnte, und prüfte alle zehn Sekunden eine neue Route. Nach jeder neuen Datenanpassung wurden die Ergebnisse auf dem Bildschirm    gezeigt    -    Kosten, Nachschubschwierigkeiten, Versorgungsprobleme, Gesamtzeit von Houston und vom gegenwärtigen Ausgangspunkt (Nairobi). Sie suchten eine Lösung.

Das ist nicht wie früher, dachte Munro. Noch vor fünf Jahren peilte man die Aussichten von Expeditionen über den Daumen und verließ sich auf sein Glück. Doch inzwischen arbeiteten alle Expeditionen mit Echtzeitplanungen von Computern. Schon längst hatte Munro BASIC, TW/GeSHUND und andere wichtige Programmiersprachen lernen müssen. Niemand verließ sich mehr auf sein Gefühl; die ganze Branche hatte sich gewandelt.

Gerade deswegen hatte Munro beschlossen, bei der ERTS-Expedition mitzumachen, obwohl ihre Leiterin Karen Ross dickköpfig und unerfahren war. Die ERTS hatte eine umfassendere aktive Datei und raffiniertere Planungsprogramme als alle anderen. Er ging davon aus, daß diese Programme auf die Dauer den entscheidenden Unterschied ausmachen würden. Außerdem arbeitete er gern mit einer kleineren Gruppe zusammen. Das Konsortium würde schon merken, wie schwerfällig eine Expedition von dreißig Personen war.

Er mußte jetzt unbedingt eine Zeitprojektion finden, mit deren Hilfe er seine Gruppe schneller ans Ziel bringen konnte. Munro drückte auf die Tasten und sah sich die aufleuchtenden Werte an. Er gab Kurse ein, Überschneidungen, Verzweigungen. Dann sichtete er mit erfahrenem Auge die verschiedenen Möglichkeiten. Er blockierte Pfade, schloß Flughäfen, verwarf Lkw-Pisten und vermied Flußüberquerungen.

Der Computer gab immer geringere Zeitabstände an, aber immer wieder war die Gesamtzeit vom Ausgangspunkt (Nairobi) aus zu lang. Bei der günstigsten Planung konnten sie das Konsortium um siebenunddreißig Minuten schlagen - so gut wie gar nichts. Er runzelte die Stirn und rauchte eine Zigarre. Vielleicht, wenn er den Liko bei Mugana überschritt ... Wieder tastete er Werte ein.

Es nützte nichts, es ging sogar langsamer. Er versuchte es mit dem Weg durch das Goroba-Tal, obwohl das wahrscheinlich zu gefahrenreich sein würde.

VORGESCHLAGENE ROUTE UEBERATJS GEFAHREITREICH.

»Erstaunlich, wie die Gedanken großer Geister sich ähneln«, sagte Munro und sog nachdenklich an seiner Zigarre. Dann kam ihm ein anderer Gedanke: gab es andere, ungewöhnliche Vorgehensweisen, an die sie bisher nicht gedacht hatten? Und ihm fiel eine ein.

Den anderen würde es nicht gefallen, aber es konnte klappen ... Munro rief die Ausrüstungsliste ab. Ja, von der Ausrüstung her ging es. Er gab die neue Route ein und lächelte, als er sie sah, wie sie sich in der Luftlinie quer über Afrika hinstreckte, nur wenige Kilometer an ihrem Bestimmungsort vorbei. Er rief das Ergebnis ab.

VORGESCHLAGEN ROUTE UNANNEHMBAR.

Er drückte auf die Taste, mit der er selbst in das Programm eingreifen konnte, und bekam die geforderten Werte. Es war, wie er es sich gedacht hatte - sie konnten das Konsortium um volle vierzig Stunden schlagen: fast zwei ganze Tage! Der Computer wiederholte seine vorherige Aussage:

VORGESCHLAGENE ROUTE UNANNEHMBAR / HOEHENEINWIRKUNG /UEBERGROSSE GEFAHREN FUER    MENSCHEN    /

ERFOLGSAUS SICHTEN    UNTER    DEM GRENZWERT /

Munro teilte in dem Punkt die Ansicht nicht, die der Computer vertrat. Er war überzeugt, daß sie es schaffen könnten, vor allem bei gutem Wetter. Die Höhe würde keine Schwierigkeit sein, und das Gelände, wenn auch schwer, mußte sich bewältigen lassen.

Je länger Munro darüber nachdachte, um so sicherer war er, daß es klappen mußte.

9. Aufbruch

Die kleine Propellermaschine vom Typ Fokker S-144 stand neben dem riesigen Fracht-Jumbo wie ein Kind, das an der Brust der Mutter liegt. Auf zwei Laderampen herrschte geschäftige Bewegung. Arbeiter luden die Ausrüstung aus dem großen in das kleine Flugzeug um. Auf dem Rückweg zum Flugplatz erklärte Karen Ross Elliot, daß sie die kleinere Maschine nehmen würden, da der Jumbo »entwanzt« werden müßte und für ihre jetzigen Bedürfnisse ohnehin »zu groß« war. »Aber er ist doch bestimmt schneller«, sagte Elliot. »Nicht unbedingt«, sagte Karen Ross, gab aber keine weiteren Erklärungen ab.

Auf jeden Fall ging jetzt alles sehr schnell, und Elliot hatte andere Sorgen. Er half Amy beim Besteigen der Fokker und untersuchte sie gründlich. Sie schien am ganzen Leib blaue Flecken zu haben -zumindest beklagte sie sich, daß es überall da schmerze, wo er sie berührte -, aber immerhin war nichts gebrochen, und Amy war guter Dinge.

Mehrere Schwarze waren damit beschäftigt, die Ausrüstung in die Maschine zu verladen. Dabei lachten sie, schlugen sich gegenseitig auf den Rücken und schienen sich königlich zu amüsieren. Amy fand das seltsam und wollte gern wissen, was es da zu lachen gebe. Doch sie nahmen sie nicht zur Kenntnis und konzentrierten sich auf ihre Arbeit.

Auch war sie immer noch benommen und schlief bald ein.

Karen Ross überwachte das Beladen, und Elliot ging zum Heck der Maschine, wo sie mit einem freundlichen Schwarzen sprach, den sie als Kahega vorstellte.

»Aha«, sagte Kahega und schüttelte Elliot die Hand. »Dr. Elliot, Dr. Ross und Dr. Elliot, zwei Doktoren, ausgezeichnet.« Elliot wußte nicht, was daran ausgezeichnet sein sollte. Kahega lachte ansteckend. »Sehr gute Tarnung«, verkündete er. »Nicht wie früher bei Captain Munro. Jetzt zwei Doktoren - ein medizinisches Unternehmen, was? Ganz ausgezeichnet. Wo sind die >Medikamente und Arzneimittel?« fragte er augenzwinkernd. »Wir haben keine«, seufzte Karen Ross.

»Ganz ausgezeichnet, Doktor, Sie gefallen mir«, sagte Kahega. »Sie sind Amerikanerin, nicht? Was haben wir, M-16? Sehr gutes Gewehr, ich nehme es auch am liebsten.« »Kahega denkt, daß wir Waffen schmuggeln«, sagte Karen Ross. »Er kann einfach nicht glauben, daß es nicht so ist.« Kahega lachte. »Sie sind mit Captain Munro zusammen!« sagte er, als erkläre das alles. Dann ging er davon, um das Beladen zu beaufsichtigen.

»Sind Sie sicher, daß wir keine Waffen schmuggeln?« erkundigte sich Elliot, als sie allein waren.

»Wir sind hinter etwas viel Wichtigerem her«, sagte Karen Ross. Sie packte Teile der Ausrüstung um, arbeitete rasch und konzentriert. Elliot fragte, ob er helfen könne, doch sie schüttelte den Kopf. »Das muß ich selber machen. Wir müssen zusehen, daß wir mit achtzehn Kilogramm pro Person auskommen.« »Achtzehn Kilo? Für alles?«

»So viel erlaubt die Computer-Berechnung. Munro hat Kahega und acht weitere Helfer vom Stamm der Kikuyu mitgebracht. Mit uns dreien macht das insgesamt zwölf Leute. Dazu Amy - auch sie bekommt ihre achtzehn Kilogramm. Und insgesamt sind das immerhin gut zweihundertdreißig.« Ross wog weiterhin Rationen und abgepackte Vorräte ab.

Die Angaben ließen Elliot Schlimmes befürchten. Die Expedition nahm offensichtlich eine neue Wendung, ging noch größeren Gefahren entgegen. Seinem Wunsch, nicht länger mitzumachen, stand die Erinnerung an das Videobild entgegen, das ihm ein großes graues Wesen gezeigt hatte, von dem er insgeheim annahm, daß es sich um ein bisher nicht bekanntes Tier handelte, eine neue Art. Eine solche Entdeckung war es schon wert, daß man Gefahren auf sich nahm. Er sah nachdenklich aus dem Fenster auf die Träger: »Und das sind also Kikuyu?« »Ja«, sagte Karen Ross. »Es sind gute Träger, auch wenn sie unaufhörlich plappern, wie alle Angehörigen dieses Bantu-stamms. Es sind übrigens lauter Brüder, also seien Sie vorsichtig, was Sie sagen. Ich hoffe nur, daß Munro ihnen nicht zuviel erzählen mußte.« »Den Kikuyu?«

»Nein, den Leuten vom NCNA.« »NCNA?« wiederholte Elliot.

»Das sind die Chinesen. Sie sind ebenfalls an Computern und Elektronik interessiert«, sagte Karen Ross. »Munro mußte ihnen etwas verraten, als Gegengabe für die Ratschläge, die sie ihm geben.« Sie wies aus dem Fenster, und Elliot sah hinaus. Tatsächlich stand Munro dort im Schatten einer Tragfläche der 747 und sprach mit vier Chinesen.

»Hier«, sagte Karen Ross, »verstauen Sie-die da in der Ecke.« Sie zeigte auf. drei große Styroporpackungen mit dem Aufdruck AMERICAN SPORT DIVERS, LAKE ELSINORE, CALIF. »Wozu brauchen wir eine Sporttaucher-Ausrüstung? Arbeiten wir etwa unter Wasser?« fragte Elliot verwirrt. Aber Karen Ross hörte ihm nicht zu. »Ich würde nur zu gern wissen, was er ihnen erzählt«, sagte sie und warf einen Blick aus dem Fenster. Wie sich später herausstellte, hätte Karen Ross sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchen, denn Munro hatte die Chinesen mit etwas bezahlt, das ihnen wertvoller erschien als Angaben über Elektronik.

Die Fokker hob um 14 Uhr 24 von der Startbahn in Nairobi ab, drei Minuten früher, als die neue Zeitprojektion vorsah.

In den sechzehn Stunden nach der Wiederauffindung Amys legte die ERTS-Expedition neunhundert Kilometer zurück und überquerte dabei die Grenzen von vier Ländern - Kenia, Tansania, Ruanda und Zaire. Damit waren sie von Nairobi bis zum Bala-kundawald am Rand des Regenwaldes im Kongo-Becken gelangt - ein Schachzug, wie er ihnen ohne die Hilfe Dritter nicht möglich gewesen wäre. Munro sagte, er habe »Freunde in niedriger Position«, was in diesem Fall bedeutete, daß er sich an den chinesischen Geheimdienst in Tansania gewandt hatte. Die Chinesen waren seit Beginn der sechziger Jahre in Afrika tätig gewesen. Damals hatten sie mit ihrem Spionagenetz versucht, den Verlauf des Bürgerkriegs im Kongo zu beeinflussen, denn China wollte Zugang zu den reichen Uranvorkommen des Kongo haben. Dirigiert wurden die Unternehmungen von der Bank of China oder, häufiger, vom Pressedienst des neuen China, der New China News Agency. Als Munro von 1963 bis 1968 im Waffengeschäft tätig gewesen war, hatte er mit einigen der »Kriegskorrespondenten« der NCNA zu tun gehabt, und er hatte die Kontakte nie ganz abreißen lassen.

Die Chinesen hatten sich in beträchtlichem Maße finanziell in Afrika engagiert. Gegen Ende der sechziger Jahre ging über die Hälfte der zwei Milliarden Dollar, die China an Auslandshilfe aufbrachte, an afrikanische Länder. Ein ähnlich hoher Betrag wurde insgeheim zugeschossen. 1973 beklagte sich Mao Zedong öffentlich darüber, wieviel Geld er vergeblich bei dem Versuch aufgewandt hatte, die Regierung des Präsidenten Mobutu zu stürzen.

Ursprünglich waren die chinesischen Aktivitäten in Afrika als Gegengewicht zum sowjetischen Einfluß gedacht, doch da seit dem Zweiten Weltkrieg die Chinesen den Japanern nicht grün waren, hatte Munros Wunsch, dem Konsortium aus Europäern und Japanern zuvorzukommen, offene Ohren gefunden. Zur Besiegelung des Bündnisses hatte Munro drei fettfleckige Kartons mit der Herkunftsbezeichnung Hongkong mitgebracht. Die beiden ranghöchsten chinesischen Funktionäre in Afrika, Li T'ao und Liu Shu-wen, stammten beide aus der Provinz Hunan. Beiden war ihr afrikanischer Auftrag wegen der ungewürzten afrikanischen Speisen zuwider, so daß sie Munros Gabe dankbar entgegennahmen: einen Karton mit chinesischen Baumpilzen, mit scharfer Soße und mit Chilipaste und Knoblauch. Daß diese Gewürze aus dem neutralen Hongkong kamen und nicht die mindere Qualität der in Taiwan hergestellten Waren hatten, rief zusätzliche Freude hervor. Auf jeden Fall schuf die Gabe genau die richtige Stimmung für eine formlose Aussprache. Mitarbeiter der NCNA halfen Munro bei der Bewältigung der Papierflut, beim Auf treiben einiger schwer zu beschaffender Ausrüstungsteile und mit Informationen. Die Chinesen verfügten über ausgezeichnete Karten und bemerkenswert genaue Kenntnisse der Bedingungen, die an der Nordostgrenze Zaires herrschten - aus der Zeit, da sie die tansanischen Truppen beim Einmarsch in Uganda unterstützt hatten. Von den Chinesen wußte er, daß die Dschungelflüsse Hochwasser führten, und sie hatten ihm geraten, sich für deren Überquerung einen Ballon zu besorgen. Munro dachte nicht daran, diesen Rat zu befolgen. Er schien einen besonderen Plan zu haben, wie er seinen Bestimmungsort erreichen konnte, ohne daß er Flüsse überqueren mußte. Allerdings war es den Chinesen rätselhaft, wie er das bewerkstelligen wollte.

Am 16. Juni um 22 Uhr wurde die Fokkerauf dem Flugplatz von Rawamagena in der Nähe der Stadt Kigali in Rwanda aufgetankt. Der Überwachungsbeamte kam mit einem Notizblock und Formularen an Bord und erkundigte sich nach ihrem nächsten Ziel. Munro nannte Rawamagena, womit er sagen wollte, daß die Maschine eine Schleife fliegen und zurückkehren würde. Elliot wunderte sich. »Aber wir landen doch irgendwo im ...« »Pst«, sagte Karen Ross und schüttelte den Kopf. »Lassen Sie es gut sein.«

Offenkundig war der Beamte mit der Auskunft zufrieden, und nachdem der Pilot ihm eine Unterschrift gegeben hatte, ging er wieder davon. Karen Ross erklärte, Fluglotsen in Rwanda erscheine es nicht außergewöhnlich, daß Piloten keine vollständig gen Unterlagen einreichten. »Er will nur wissen, wann die Maschine wieder auf seinen Flugplatz zurückkehrt, alles andere interessiert ihn nicht.«

Auf dem Flugplatz von Rawamagena herrschte ein gemächliches Tempo. Sie mußten zwei Stunden warten, bis man ihnen Treibstoff brachte, aber die sonst so ungeduldige Karen Ross blieb gelassen. Munro döste vor sich hin, ihn schien die Verzögerung ebenfalls nicht zu berühren. »Was ist mit der Zeitprojektion?« fragte Elliot. »Keine Schwierigkeit«, sagte sie. »Wir können sowieso erst in drei Stunden hier weg, am Muhavura muß es hell sein.« »Ist da der Landeplatz?« fragte Elliot.

»Wenn Sie es einen Landeplatz nennen wollen«, sagte Munro, zog seinen verdrückten Hut über die Augen und schlief wieder ein.

Das beunruhigte Elliot, bis Karen Ross ihm erklärte, die Mehrzahl der abgelegeneren afrikanischen Landeplätze seien nichts weiter als unbefestigte Schneisen im Busch, auf denen man weder nachts noch im Morgennebel landen könne, weil sich oft Tiere auf der Landepiste aufhielten, Nomaden dort ihre Zelte aufgeschlagen hatten oder noch eine Maschine vom Vortag dort stand. »Es muß hell sein«, erklärte sie, »damit der Pilot eine Sichtlandung machen kann. Also nur keine Sorgen, es ist an alles gedacht.« Elliot nahm ihre Erklärung hin und kümmerte sich wieder um Amy. Karen Ross seufzte. »Meinen Sie nicht, wir sollten ihn besser einweihen?« fragte sie Munro.

»Wozu?« murmelte dieser, ohne seinen Hut vom Mund zu heben. »Vielleicht gibt es Schwierigkeiten mit Amy.« »Um Amy kümmere ich mich«, sagte Munro. »Wenn Elliot es merkt, wird er wütend«, sagte Karen Ross. »Klar wird er wütend«, sagte Munro. »Es genügt aber doch, daß wir es erst dann so weit kommen lassen, wenn es sich nicht mehr vermeiden läßt. Was bringt uns der Absprang ein?« »Mindestens vierzig Stunden. Er ist gefährlich, aber er gibt uns eine ganz neue Zeitprojektion. Damit können wir sie immer noch schlagen.«

»Na, da haben Sie ja Ihre Antwort«, sagte Munro. »Halten Sie also mal 'ne Weile den Mund und ruhen Sie sich aus.«