172166.fb2 Credo - Das letzte Geheimnis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 100

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Zweite Sitzung

Wir können uns also wieder unterhalten.

Erzähl mir alles über dich.

Ich kann dir ebenso wenig erklären, wer ich bin, wie du einem Käfer erklären könntest, wer du bist.

Versuch es trotzdem.

Ich werde dir stattdessen erklären, warum du mich nicht begreifen kannst.

Nur zu.

Ihr bewohnt eine Welt mit einer Skala etwa in der Mitte zwischen der Planck-Länge und dem Durchmesser des Universums. Euer Gehirn wurde hervorragend darauf eingestellt, eure Welt zu manipulieren – aber nicht, ihre fundamentale Realität zu begreifen. Ihr habt euch so entwickelt, dass ihr Steine werfen könnt, keine Quarks. Als Resultat eurer Evolution unterliegt eure Sichtweise der Welt einem fundamentalen Irrtum. Ihr glaubt beispielsweise, dass ihr einen dreidimensionalen Raum bewohnt, in dem einzelne Objekte glatte, vorhersagbare Bahnen beschreiben, geprägt von etwas, das ihr Zeit nennt. Das Ganze bezeichnet ihr als Realität.

Willst du damit sagen, dass unsere Realität eine Illusion ist?

Ja. Die natürliche Auslese hat in euch die Illusion entstehen lassen, dass ihr die fundamentale Realität begreift. Aber das stimmt nicht. Wie könntet ihr sie begreifen? Begreifen Käfer die fundamentale Realität? Oder Schimpansen? Ihr seid Tiere wie sie. Ihr habt euch wie sie entwickelt, vermehrt euch wie sie, besitzt im Prinzip dieselben neuronalen Strukturen. Ihr unterscheidet euch vom Schimpansen durch bloße zweihundert Gene. Wie könnte dieser winzige Unterschied euch dazu befähigen, das Universum zu begreifen, wenn der Schimpanse nicht einmal in der Lage ist, ein Sandkorn zu begreifen? Wenn unsere Unterhaltung fruchtbar sein soll, müsst ihr alle Hoffnung aufgeben, mich zu begreifen.

Was sind unsere Illusionen?

Aufgrund eurer Evolution glaubt ihr, die Welt bestehe aus einzelnen Objekten. Das ist nicht richtig. Vom ersten Augenblick der Schöpfung an war alles mit allem verbunden. Was ihr Raum und Zeit nennt, sind nur Randerscheinungen einer tieferen, darunterliegenden Realität. In dieser Realität gibt es keine getrennte Existenz. Es gibt keinen Raum. Alles ist eins.

Erkläre mir das.

Eure eigene Theorie der Quantenmechanik, so fehlerhaft sie auch ist, rührt bereits an die Wahrheit, dass im Universum alles eins ist. Schön und gut, aber spielt das für unser heutiges Leben überhaupt eine Rolle?

Es spielt sogar eine große Rolle. Ihr betrachtet euch selbst als »Individuen«, als Persönlichkeit mit einem einmaligen, in sich geschlossenen Geist. Ihr glaubt, dass ihr geboren werdet, und ihr glaubt, dass ihr sterbt. Euer ganzes Leben lang habt ihr das Gefühl, von allem getrennt und allein zu sein. Manchmal fühlt ihr euch sogar schrecklich allein. Ihr fürchtet den Tod, weil ihr den Verlust der Individualität fürchtet. All das ist Illusion. Du, er, sie, alle Dinge um euch herum, ob lebendig oder nicht, die Sterne und Galaxien, der leere Raum dazwischen – all das sind keine einzelnen, getrennten Objekte. Im Grunde ist alles miteinander verbunden. Geburt und Tod, Schmerz und Leid, Liebe und Hass, Gut und Böse sind sämtlich Illusionen. Sie sind Atavismen des Evolutionsprozesses. In Wirklichkeit existieren sie nicht. Es ist also so, wie die Buddhisten glauben – alles nur Illu sion? Ganz und gar nicht. Es gibt eine absolute Wahrheit, eine Realität. Doch selbst ein kurzer Blick auf diese Realität würde einen menschlichen Geist brechen.

Wenn du Gott bist, dann sparen wir uns doch die Tipperei. Dann solltest du mich nämlich hören können.

Laut und deutlich.

Du sagst ›Alles ist eins‹? Wir haben aber ein Zählsystem: Eins, zwei, drei – damit widerlege ich deine Aussage.

Eins, zwei, drei … Eine weitere Illusion. Es gibt keine Abzählbarkeit.

Das ist mathematische Sophisterei. Keine Abzählbarkeit – das habe ich gerade widerlegt, indem ich gezählt habe. Ein wei terer Gegenbeweis: Hier zeige ich dir die Ganzzahl Fünf!

Du zeigst mir eine Hand mit fünf Fingern, nicht die Ganzzahl Fünf. Euer Zahlensystem ist in der wirklichen Welt nicht unabhängig existent. Es ist nichts weiter als eine anspruchsvolle Metapher.

Ich würde gern deinen Beweis für diese lächerliche Mutmaßung hören.

Wähle eine zufällige Zahl aus der Reihe der realen Zahlen: Mit Wahrscheinlichkeit eins hast du eine Zahl ausgewählt, die keinen Namen hat, keine Definition, die weder berechnet noch aufgeschrieben werden kann, selbst dann nicht, wenn man das ganze Universum für diese Aufgabe einspannen würde. Dieses Problem erstreckt sich auch auf angeblich definierbare Zahlen wie Π oder die Quadratwurzel aus zwei. Selbst mit einer zeitlich unendlichen Berechnung auf einem Computer von der Größe des Universums könntest du keine dieser beiden Zahlen exakt berechnen. Sag mir, Edelstein: Wie kann man dann behaupten, dass solche Zahlen existieren? Wie kann man dann behaupten, dass der Kreis oder das Quadrat, von denen sich diese Zahlen herleiten, existieren? Wie kann dimensionaler Raum existieren, wenn er nicht gemessen werden kann? Du, Edelstein, bist wie ein Affe, der mittels heroischer geistiger Anstrengung dahintergekommen ist, wie man bis drei zählt. Dann findest du vier Kieselsteinchen und glaubst, die Unendlichkeit entdeckt zu haben.

Ach ja? Du schwingst hier schöne Reden und gibst damit an, dass selbst das Wort Gott nicht angemessen sei, um deine Gran diosität zu beschreiben. Also schön – dann beweise es. Beweise, dass du Gott bist. Hast du mich gehört? Beweise, dass du Gott bist.

Konstruiere du den Beweis, Hazelius. Aber ich warne dich, dies ist der letzte Test, mit dem ich mich einverstanden erkläre. Wir haben Wichtigeres zu tun und nur sehr wenig Zeit.

Meine Frau Astrid war schwanger, als sie starb. Wir hatten es gerade erst festgestellt. Niemand sonst wusste von ihrer Schwangerschaft. Niemand. Hier ist deine Testaufgabe: Nenn mir den Namen, den wir für unser Kind ausgesucht hatten.

Albert Leibniz Gund Hazelius, falls es ein Junge werden sollte.

Und wenn es ein Mädchen geworden wäre? Was, wenn es ein Mädchen gewesen wäre? Wie hätte der Name dann ge lautet? Rosalind Curie Gund Hazelius.

Also schön, fangen wir noch mal von vorn an. Wer zum Teufel bist du – wirklich?

Aus Gründen, die ich bereits erläutert habe, könnt ihr nicht wissen, was ich bin. Das Wort Gott kommt dem nahe, doch auch das bleibt eine äußerst ärmliche Beschreibung.

Bist du ein Teil dieses Universums oder davon getrennt?

Es gibt keine Getrenntheit. Wir alle sind eins.

Warum existiert das Universum?

Das Universum existiert, weil es einfacher ist als Nichts. Das ist auch der Grund für meine Existenz. Das Universum könnte nicht einfacher sein, als es ist. Dies ist das physikalische Gesetz, aus dem sich alle anderen ergeben.

Was könnte einfacher sein als Nichts?

»Nichts« kann nicht existieren. Das ist ein intuitives Paradoxon. Das Universum ist der Zustand, der Nichts am nächsten kommt.

Wenn alles so einfach ist, warum ist das Universum dann so komplex?

Das komplizierte Universum, das ihr seht, ist eine emergente Eigenschaft seiner Einfachheit.

Was ist denn dann diese profunde Einfachheit, die allem zugrunde liegen soll?

Das ist die Realität, die euren Verstand sprengen würde.

Allmählich reicht es mir! Wenn du so klug bist, solltest du uns armen, geistig umnachteten Menschen so etwas erklären können! Willst du vielleicht behaupten, wir wüssten so wenig über die Realität, dass unsere physikalischen Gesetze reine Täuschung sind?

Ihr habt eure physikalischen Gesetze auf die Annahme aufgebaut, dass Zeit und Raum existieren. All eure Gesetze basieren auf bestimmten Bezugssystemen. Das ist bereits formal falsch. Bald werden eure liebgewonnenen Annahmen über die wirkliche Welt einstürzen und in Flammen aufgehen. Aus der Asche werdet ihr eine neue Art von Wissenschaft aufbauen.

Wenn unsere physikalischen Gesetze falsch sind, warum ist unsere Wissenschaft dann so spektakulär erfolgreich?

Newtons Bewegungsgesetze waren zwar fehlerhaft, aber ausreichend, um Menschen zum Mond zu schicken. Dasselbe gilt für alle eure Gesetze: Sie sind Näherungen, mit denen man zwar arbeiten kann, die aber grundsätzlich fehlerhaft sind.

Wie soll man denn physikalische Gesetze konstruieren oh ne Zeit und Raum?

Wir verschwenden unsere Zeit, indem wir uns gegenseitig mit metaphysischen Konzepten bewerfen.

Worüber sollten wir denn besser sprechen? Über den Grund, weshalb ich euch aufgesucht habe.

Und der wäre?

Ich habe eine Aufgabe für euch.

Also dann. Sag uns doch bitte, was das für eine Aufgabe ist.