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»Ah, Peter«, sagte Wardlaw, der den Pfad entlang auf sie zukam. »Und Wyman Ford. Seid gegrüßt.« Seine angenehme Stimme, die seltsam ironisch klang, legte besondere Betonung auf die letzten Worte.
Wolkonski zuckte zusammen.
»Kommen Sie aus dem Bunker, Peter?« Wardlaws Worte wirkten drohend.
Wolkonski behielt sein irres Grinsen bei, doch Ford sah nun Verlegenheit in seinem Blick – oder war es Angst?
»Das Sicherheitslogbuch sagt aus, dass Sie die ganze Nacht lang dort drin waren«, fuhr Wardlaw fort. »Ich mache mir Sorgen um Sie. Ich hoffe, Sie bekommen trotzdem genug Schlaf, Peter.«
Stumm ging Wolkonski an ihm vorbei und marschierte steif den Weg entlang davon.
Wardlaw wandte sich Ford zu, als sei nichts Ungewöhnliches geschehen. »Schöner Tag für einen Ausritt.«
»Darüber hatten wir uns gerade unterhalten«, bemerkte Ford trocken.
»Wo waren Sie denn?«
»Ich bin nach Blackhorse geritten, um den Medizinmann kennenzulernen.«
»Und?«
»Ich habe ihn kennengelernt.«
Wardlaw schüttelte den Kopf. »Dieser Wolkonski … regt sich ständig über irgendetwas auf.« Er ging einen Schritt weiter und blieb dann erneut stehen. »Er hat nichts gesagt, was Ihnen … seltsam vorkam, oder?«
»Zum Beispiel?«, fragte Ford.
Wardlaw zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Der Mann ist nicht ganz richtig im Kopf.«
Ford beobachtete, wie Wardlaw weiterging, die fleischigen Fäuste in die Taschen gestopft – wie die anderen stand auch dieser Mann offenbar kurz vor dem Zusammenbruch, er war nur viel besser darin, das zu verbergen.
11
Eddy stand vor seinem Wohnwagen, ein Glas kaltes Wasser in der Hand, und sah zu, wie die Sonne hinter dem fernen Horizont versank. Lorenzo war nirgends zu sehen – er war irgendwann gegen Mittag verschwunden, ebenso lautlos, wie er gekommen war, und ohne seine Arbeit beendet zu haben. Ein Haufen unsortierter Kleidung lag auf einem Tisch, und der Sand um die Kirche herum war nicht mit dem Rechen geglättet. Eddy starrte auf den Horizont, innerlich glühend vor Ärger. Er hätte sich nie bereit erklären sollen, Lorenzo einzustellen. Der junge Mann hatte im Gefängnis gesessen, wegen fahrlässiger Tötung – die Verteidigung hatte das Gericht von Mord so weit heruntergehandelt. Er hatte bei einer Prügelei im Suff jemanden erstochen, in Gallup. Und dafür nur achtzehn Monate abgesessen. Eddy war nur bereit gewesen, ihn einzustellen, weil die Familie, die in der Nähe wohnte, ihn darum gebeten hatte, damit der junge Mann die Bewährungsauflagen erfüllen konnte.
Schwerer Fehler.
Eddy trank noch einen Schluck kaltes Wasser, als könnte es ihm helfen, den heißen Groll und die Wut zu kühlen, die in ihm kochten. Er hatte noch nichts von dem Händler in Blue Gap gehört, aber er zweifelte nicht daran, dass der sich bald melden würde. Dann würde er endlich den Beweis haben, den er brauchte, um Lorenzo endgültig loszuwerden, ihn zurück ins Gefängnis zu schicken, wo er hingehörte. Achtzehn Monate für einen Mord – kein Wunder, dass die Verbrechensrate im Reservat so hoch war.
Er trank einen weiteren Schluck und entdeckte zu seiner Überraschung einen Mann, der die Straße zur Mission entlangkam und vor der sinkenden Sonne nur als Silhouette auszumachen war. Er kniff die Augen zusammen und starrte hinüber.
Lorenzo.
Selbst auf diese Entfernung konnte er an Lorenzos unsicherem Gang erkennen, dass der Mann betrunken war. Eddy verschränkte die Arme und wartete, und beim Gedanken an die bevorstehende Konfrontation schlug sein Herz schneller. Er würde das nicht einfach auf sich beruhen lassen – nicht diesmal.
Lorenzo erreichte das Tor, lehnte sich einen Moment lang gegen den Pfosten und trat dann ein.
»Lorenzo?«
Der Navajo wandte langsam den Kopf. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine albernen Zöpfe halb aufgelöst, das Stirnband saß schief. Er sah furchtbar aus und hielt sich so krumm, als trüge er die Last der gesamten Welt auf seinen Schultern.
»Komm bitte her. Ich möchte mit dir sprechen.«
Lorenzo starrte ihn nur an.
»Lorenzo, hast du mich nicht gehört?«
Der Indianer wandte sich ab und schlurfte zu dem Haufen Kleidung.
Eddy hastete hinüber und stellte sich Lorenzo in den Weg. Der Indianer blieb stehen, hob den Kopf und sah ihn an. Der säuerliche Geruch von Bourbon hüllte Eddy ein.
»Lorenzo, du weißt genau, dass der Genuss von Alkohol einen Verstoß gegen deine Bewährungsauflagen darstellt.«
Lorenzo starrte ihn stumm an.
»Außerdem bist du einfach gegangen, obwohl du noch nicht mit der Arbeit fertig warst. Ich muss deinem Bewährungs helfer berichten, ob du hier anständig arbeitest, und ich werde ihn nicht belügen. Ich werde nicht für dich lügen, hörst du? Du bist entlassen.«
Lorenzo ließ den Kopf sinken. Einen Moment lang hielt Eddy das für ein Anzeichen von Reue, doch dann hörte er ein röchelndes Geräusch, Lorenzo hustete Schleim hoch, schob den Schleimklumpen über die Lippen und ließ ihn zu Eddys Füßen in den Sand klatschen wie eine rohe Auster.
Eddys Herz hämmerte. Er raste vor Zorn.
»Spuck mich nicht an, wenn ich mit dir rede, Bürschchen«, sagte er laut.
Lorenzo versuchte, mit einem Schritt zur Seite um Eddy herumzugehen, doch der Pastor vertrat ihm erneut den Weg. »Hörst du mir überhaupt zu, oder bist du betrunken?«
Der Indianer stand einfach nur da.
»Woher hattest du das Geld für deinen Schnaps?«
Lorenzo hob die Hand und ließ sie schwer wieder sinken.
»Ich habe dich etwas gefragt.«
»Jemand war mir was schuldig.« Seine Stimme klang heiser.
»Ach ja? Wer denn?«
»Sie kennen seinen Namen nicht.«
»Du kennst seinen Namen nicht«, erwiderte Eddy.
Lorenzo machte einen weiteren halbherzigen Versuch, ihn zu umgehen, und Eddy trat wieder dazwischen. Er merkte, dass seine Hände zitterten. »Zufällig weiß ich, woher du das Geld hast. Du hast es gestohlen. Aus der Kirchenkollekte.«
»Niemals.«
»O doch. Du hast es gestohlen. Über fünfzig Dollar.«