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»Ich auch.«
Sie hob die Arme und ließ sie wieder sinken. »Da sind wir also. Wieder.«
Sie sah so hoffnungsvoll aus, wie sie in der staubigen Luft vor ihm stand, mit Heu im Haar. Und so atemberaubend schön. »Hast du Lust auf einen Ausritt?«, fragte er. »Ich will Begay noch einen Besuch abstatten.«
»Ich habe so viel zu tun …«
»Wir waren aber letztes Mal ein ziemlich gutes Team.«
Sie strich sich das Haar zurück und sah ihn an – ein langer, forschender Blick. Schließlich sagte sie: »Also gut.«
Sie sattelten zwei Pferde, Ford nahm Ballew, und ritten in südwestlicher Richtung los, auf die Sandsteinklippen am Rand des Tals zu. Kate ritt voran. Ihr schlanker Körper passte sich gekonnt dem Pferd an, schwankte in einer rhythmischen, beinahe erotischen Bewegung mit. Ein zerknautschter australischer Cowboyhut saß auf ihrem Kopf, und ihr schwarzes Haar flatterte leicht im Wind.
O Gott, wie soll ich es ihr nur sagen?
Als sie sich dem Rand der Mesa näherten, wo der Midnight Trail durch eine Felsspalte hinunterführte, trieb Ford Ballew voran, bis er neben ihr ritt. Drei Meter vor dem Rand der Klippe hielten sie an. Kate starrte zum Horizont hinüber, einen bekümmerten Ausdruck auf dem Gesicht. Der Wind stieg in kräftigen Böen von unten auf und trug Wolken unsichtbaren Staubs mit sich. Ford spuckte den knirschenden Staub aus und rutschte im Sattel herum. »Denkst du immer noch über das nach, was gestern Nacht passiert ist?«, fragte er.
»Ich kann gar nicht mehr aufhören, daran zu denken. Wyman, wie konnte es diese Zahlen erraten?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie blickte über die weite rote Wüste hinaus, die sich bis zu blauen Bergen und von Wolken verhüllter Unendlichkeit hinzog. »Wenn man das hier so sieht«, murmelte sie, »fällt es einem nicht schwer, an Gott zu glauben. Ich meine, wer weiß? Vielleicht ist es Gott, mit dem wir sprechen.«
Sie strich sich das Haar zurück und sah ihn mit schiefem Lächeln an.
Ford war erstaunt. Das war eine völlig andere Kate als die überzeugte Atheistin, die er an der Universität kennengelernt hatte. Wieder einmal fragte er sich, was in jenen fehlenden zwei Jahren geschehen sein mochte.
32
Booker Crawley schob sich die Churchill zwischen die Lippen, während er das Billard-Spiel aufbaute. Als er mit der Anordnung zufrieden war, stieß er den Spielball mit einem entschiedenen Knall an und sah zu, wie die kleinen Kugeln ihre Bahnen liefen.
»Nett«, sagte sein Mitspieler, als die Kugel mit der Nummer drei in der ledernen Tasche landete.
Durch eine Reihe schmaler Fenster sah er die Sonne auf dem Fluss glitzern. Es war ein angenehmer Donnerstagvormittag im Potomac Club, die meisten Mitglieder bei der Arbeit. Crawley war auch bei der Arbeit, zumindest betrachtete er es so – er bespaßte gerade einen potenziellen Klienten, der eine Insel vor Kap Hatteras besaß und wollte, dass die Regierung zwanzig Millionen für eine Brücke auf seine Insel ausgab. Eine solche Brücke würde den Wert seiner spekulativen Investition, der Insel nämlich, verdoppeln oder verdreifachen. Für Crawley war das ein Kinderspiel. Der Junior Senator von North Carolina schuldete ihm nach diesem Golftrip nach St. Andrews einen Gefallen, und auf diesen Mann konnte man zählen, denn er war loyal und wusste solche netten Anreize zu schätzen. Ein Anruf, eine kleine Anweisung am offiziellen Budget vorbei, und Crawley würde dem Immobilienspekulanten Millionen einbringen und ein siebenstelliges Honorar dafür einstreichen. Wenn Alaska eine Brücke ins Nirgendwo bauen konnte, dann sollte North Carolina doch auch eine haben.
Er beobachtete, wie der Spekulant seinen Stoß vorbereitete. Der Mann gehörte zu diesem ganz besonderen Stamm Südstaatlern, die drei Nachnamen und obendrein eine römische Zahl dahinter aufwiesen. Safford hieß er, Safford Montague McGrath III. McGrath war von bester schottisch-irischer Abstammung, ein großer, blonder, fescher Spross des Großgrundbesitzertums in den Südstaaten. Mit anderen Worten, er war dumm wie eine Kuh im Regen. McGrath tat gern so, als wisse er genau, wie der Hase in Washington lief, doch es war offensichtlich, dass er in jedem seiner Landlümmel-Ohren eine dicke Bohne stecken hatte. Crawley hatte das Gefühl, dass der Kerl um das Honorar feilschen würde wie auf dem Viehmarkt. Er gehörte zu der Sorte Männer, die eine Verhandlung stets mit dem Gefühl beenden mussten, der anderen Seite das letzte Hemd ausgezogen zu haben, weil sie sonst zu Hause keinen mehr hochkriegten.
»Und, wie geht es Senator Stratham denn so?«, erkundigte sich McGrath, als würde er den Alten von früher kennen.
»Gut, ganz prächtig.« Zweifellos genoss der alte Knabe heutzutage seine Erbsen nur noch püriert oder trank gleich Flüssignahrung aus dem Strohhalm. In Wahrheit hatte Crawley niemals mit dem alten Senator Stratham zusammengearbeitet; er hatte die Firma Stratham & Co. gekauft, als Stratham sich zur Ruhe gesetzt hatte. Damit hatte Crawley sich den Nimbus der Achtbarkeit erkauft, eine Verbindung zur guten alten Zeit, was ihn auf angenehme Weise von den anderen Lobbyisten der K Street abhob, die nach der letzten Wahl wie die Pilze aus dem Boden geschossen waren.
McGraths nächster Ball berührte die Ecke, kullerte vor der Tasche vorbei und trieb über den Filz ab. Der Mann richtete sich stumm auf, presste aber die Lippen zusammen.
Crawley hätte ihn mit verbundenen Augen vom Tisch putzen können, aber das ging natürlich nicht. Nein – das Beste war, bis kurz vor Schluss dichtauf zu bleiben und dann zu verlieren. Er wollte den Deal abschließen, wenn der Kerl im Triumphrausch schwelgte.
Also versaute er den nächsten Stoß, aber so knapp, dass es echt aussah.
»Netter Versuch«, sagte McGrath. Er tat einen tiefen Zug an seiner Zigarre, legte sie in dem marmornen Aschenbecher ab, beugte sich vor und zielte. Dann der Stoß. Offensichtlich hielt er sich für einen verdammt tollen Spieler, doch er besaß nicht genug Finesse für Poolbillard. Trotzdem, dieser Stoß war einfach, und der Ball ging in die Tasche.
»Puh«, sagte Crawley. »Sie machen es mir wirklich nicht leicht, Safford.«
Ein Angestellter des Clubs trat ein, mit einer Nachricht auf einem Silbertablett. »Mr. Crawley?«
Crawley nahm mit großer Geste den Umschlag vom Tablett. Das Management des Clubs, dachte er lächelnd, hielt sich eben immer noch an das bewährte System einer kleinen Armee guter, alter, dunkelhäutiger Diener, die mit Nachrichten auf Silbertabletts herumschwebten – sehr nostalgisch. Ein Briefchen von einem Silbertablett entgegenzunehmen war schon verdammt viel angenehmer, als die Taschen nach einem schrillenden Handy zu durchwühlen.
»Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment, Safford.« Crawley faltete den Brief auf. Da stand Delbert Yazzie, Vorsitzender Navajo Nation, Anruf um 11.35 Uhr. Bitte so bald wie möglich zurückrufen. Dann eine Telefonnummer.
Wenn Crawley einen potenziellen Kunden umgarnte, machte er gern deutlich, dass er mindestens einen Klienten hatte, der noch wichtiger war. Die Leute verloren den Respekt, wenn sie glaubten, sie seien die Nummer eins.
»Ich bedaure sehr, Safford, aber diesen Anruf muss ich dringend erwidern. Bestellen Sie uns doch in der Zwischenzeit noch eine Runde Martini.«
Er eilte in eine der mit Eichenholz vertäfelten Telefonkabinen, die auf jedem Stockwerk zur Verfügung standen, schloss sich ein und wählte. Gleich darauf hatte er Delbert Yazzie am Apparat.
»Mr. Booker Crawley?« Die Stimme des Navajo klang schwach, alt und zittrig, als spreche Crawley mit Timbuktu.
»Wie geht es Ihnen, Mr. Yazzie?« Crawley achtete darauf, dass sein Tonfall freundlich, aber entschieden kühl klang.
Kurzes Schweigen. »Hier hat sich etwas Unerwartetes ergeben. Haben Sie schon mal von diesem Fernsehprediger gehört, Don T. Spates?«
»Ja, allerdings.«
»Also, seine Predigt hat hier draußen schon ganz schön Staub aufgewirbelt, und das nicht nur bei unseren eigenen Leuten. Wie Sie wissen, wird in der Navajo Nation eifrig missioniert. Jetzt muss ich hören, dass diese Sache vielleicht auch in Washington ein Problem werden könnte.«
»Ja«, sagte Crawley. »Das ist es bereits.«
»Ich glaube allmählich, das könnte das Isabella-Projekt gefährden.«
»Ganz sicher.« Crawley spürte eine Woge des Triumphs in sich aufsteigen. Er hatte Spates vor nicht einmal einer Woche angerufen. Das hier dürfte eines der Meisterstücke seiner Karriere werden.
»Na ja, Mr. Crawley, was können wir denn dagegen tun?«
Crawley zog sein Schweigen bewusst in die Länge. »Nun, ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas dagegen tun könnte. Ich hatte den Eindruck, dass Sie unsere Dienste nicht länger in Anspruch nehmen möchten.«
»Unser Vertrag mit Ihnen läuft erst in sechs Wochen aus. Wir haben bis zum ersten November bezahlt.«
»Mr. Yazzie, wir sprechen hier nicht über eine Mietwohnung. So läuft das in Washington nicht. Das tut mir leid. Unsere Arbeit für das Isabella-Projekt ist bedauerlicherweise auf Ihren Wunsch hin beendet.«
Knistern und Zischen in der Leitung. »Die Pacht zu verlieren, die wir von der Regierung für das Isabella-Projekt bekommen, wäre ein herber Schlag für die Navajo Nation.«
Crawley blieb stumm, den Hörer in der Hand.
»Soweit ich höre, will Spates in seiner Fernsehsendung morgen Abend wieder über das Isabella-Projekt herfallen. Und wir hören Gerüchte, mit Isabella soll etwas nicht stimmen. Einer der Wissenschaftler hat Selbstmord begangen. Mr. Crawley, ich werde mich mit dem Stammesrat zusammensetzen und zusehen, ob wir den Vertrag mit Ihnen verlängern können. Wir werden Ihre Hilfe wohl doch noch länger brauchen.«
»Ich bedaure sehr, Mr. Yazzie, aber wir haben an Ihrer Stelle einen neuen Klienten angenommen. Das tut mir wirklich aufrichtig leid – aber, wenn ich das sagen darf, ich hatte Sie eigens darauf hingewiesen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das bedauere, auch ganz persönlich. Vielleicht finden Sie ein anderes Unternehmen, das sich Ihres Falles annimmt? Ich könnte Ihnen einige empfehlen.«
Die schlechte Verbindung füllte das Schweigen mit seltsamem Rauschen. Crawley hörte eine schwache, geisterhafte Unterhaltung vor dem Hintergrund der Statik. Herrgott, was hatten die da draußen eigentlich für ein Telefonnetz? Vermutlich waren das noch die Telegrafenleitungen, die Kit Carson persönlich verlegt hatte.