172166.fb2 Credo - Das letzte Geheimnis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 50

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»Warum, brauchen Sie eine?«

Kate lachte. »Ich könnte mal eine ordentliche Blessing-Way-Reinigung vertragen.«

Begay wirkte beleidigt. »Das ist keine leichtfertige Angelegenheit. Dazu braucht es sehr umfangreiche Vorbereitungen, und Sie müssen daran glauben, damit es funktioniert. Viele Bilagaana haben Schwierigkeiten damit, an etwas zu glauben, das sie nicht mit eigenen Augen sehen können. Oder New-Age-Anhänger, denen die harten Vorbereitungen nicht schmecken – Schwitzhütte, Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit. Aber ich würde auch einem Bilagaana die Zeremonie nicht verweigern, nur weil er ein Weißer ist.«

»Ich wollte mich keineswegs darüber lustig machen«, sagte sie. »Es ist nur … Ich frage mich schon so lange, was das alles für einen Sinn haben soll. Was wir hier eigentlich tun.«

Er nickte. »Willkommen im Club.«

Nach langem Schweigen sagte Kate: »Danke, dass Sie uns davon erzählt haben.«

Begay lehnte sich zurück und legte die Hände auf die Knie. »In der Kultur der Diné gilt es als weise, Informationen auszutauschen. Ich habe Ihnen etwas von meiner Arbeit erzählt. Jetzt würde ich gern mehr über Ihre erfahren. Mr. Ford hier hat mir gesagt, dass Sie da oben beim Isabella-Projekt etwas erforschen, was sich Urknall nennt.«

»So ist es.«

»Ich habe darüber nachgedacht. Wenn das Universum durch einen Urknall erschaffen wurde, was kam dann vor dem Knall?«

»Das weiß niemand. Viele Physiker glauben, dass es vorher gar nichts gab. Ja, dass es nicht einmal ein ›vorher‹ gab. Dass die Existenz selbst erst mit dem Urknall angefangen hat.«

Begay stieß einen Pfiff aus. »Was hat dann den Urknall verursacht?«

»Es ist sehr schwierig, das einem Nichtwissenschaftler zu erklären.«

»Lassen Sie’s drauf ankommen.«

»Die Theorie der Quantenmechanik besagt, dass manche Dinge einfach passieren können, ohne jede Ursache.«

»Sie meinen, Sie kennen die Ursache nicht.«

»Nein, ich meine, dass es keine Ursache gibt. Es könnte sein, dass die plötzliche Entstehung des Universums aus dem Nichts tatsächlich keinem physikalischen Gesetz widerspricht beziehungsweise weder als unnatürlich noch als unwissenschaftlich anzusehen ist. Vorher gab es absolut nichts. Keinen Raum, keine Zeit, nichts existierte. Und dann ist es einfach geschehen – es entstand Existenz.«

Begay starrte sie an und schüttelte dann den Kopf. »Sie reden wie mein Neffe Lorenzo. Kluger Junge, Vollstipendium an der Columbia University, hat dort Mathematik studiert. Das hat ihn versaut – die ganze Bilagaana-Welt hat ihn um den Verstand gebracht. Hat das Studium abgebrochen, ist in den Irak gegangen, und als er zurückkam, glaubte er an gar nichts mehr. Und ich meine damit: wirklich nichts. Jetzt verdient er sein Geld damit, eine verdammte Kirche zu fegen. Zumindest bis er neulich einfach abgehauen ist.«

»Und Sie geben der Wissenschaft die Schuld daran?«, fragte Kate.

Begay schüttelte den Kopf. »Nein, nein, natürlich nicht. Nur als ich gerade gehört habe, wie Sie so reden, dass die Welt aus dem Nichts entstanden sei, das hörte sich an wie der Unsinn, den er oft von sich gibt … Wie konnte die Schöpfung einfach passieren?«

»Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Stephen Hawking hat die Idee postuliert, dass es vor dem Urknall noch keine Zeit gab. Ohne Zeit kann es keinerlei definierbare Existenz geben. Hawking hat es geschafft, mathematisch zu beweisen, dass die Nicht-Existenz dennoch eine Art räumliches Potenzial besitzt, und dass Raum sich unter bestimmten merkwürdigen Umständen in Zeit verwandeln kann und umgekehrt. Wenn ein winzig kleines Stück Raum sich in Zeit verwandelt, dann würde dieses Erscheinen der Zeit den Urknall auslösen – weil es plötzlich Bewegung geben konnte, Ursache und Wirkung, echten Raum und echte Energie. Er hat nachgewiesen, dass die Zeit all das möglich macht. Für uns sieht der Urknall aus wie eine Explosion aus Raum, Zeit und Materie von einem einzigen Punkt aus. Aber jetzt kommt das wirklich Seltsame. Wenn man diesen Sekundenbruchteil betrachtet, in dem das passiert, dann sieht man, dass es überhaupt keinen Anfang gab – es scheint so, als hätte die Zeit schon immer existiert. Deshalb haben wir eine Theorie über den Urknall, die sich in ihren beiden Aussagen zu widersprechen scheint: erstens, dass die Zeit nicht schon immer existiert hat; und zweitens, dass die Zeit keinen Anfang hat. Was bedeutet, dass Zeit ewig ist. Beides stimmt. Und wenn man mal wirklich darüber nachdenkt, erkennt man Folgendes: Wenn die Zeit vorher nicht existierte, dann kann es keinen Unterschied zwischen der Ewigkeit und einer Sekunde gegeben haben. Sobald also die Zeit erst einmal existierte, hatte sie schon immer existiert. Es gab keine Zeit, in der sie nicht existiert hätte.«

Begay schüttelte den Kopf. »Das ist doch total verrückt.«

Unbehagliches Schweigen senkte sich über das schäbige Wohnzimmer.

»Haben die Navajos eine Schöpfungsgeschichte?«, fragte Kate.

»Ja. Wir nennen sie Diné Bahané. Sie ist nirgends aufgeschrieben. Man muss sie auswendig lernen. Es dauert neun Nächte, sie vollständig zu singen. Das ist das Blessing-Way-Ritual, von dem ich Ihnen erzählt habe – ein Gesang, der die Schöpfungsgeschichte dieser Welt erzählt. Wenn man sie in Gegenwart eines kranken Menschen singt, wird er von der Geschichte geheilt.«

»Sie haben sie auswendig gelernt?«

»Natürlich, mein Onkel hat sie mir beigebracht. Hat fünf Jahre gedauert.«

»Etwa so lange, wie ich für meinen Doktortitel gebraucht habe.«

Begay schien sich über diesen Vergleich zu freuen.

»Würden Sie mir ein paar Zeilen vorsingen?«

Begay erwiderte: »Der Blessing-Way-Gesang sollte nie beiläufig angestimmt werden.«

»Ich weiß nicht, ob unsere Unterhaltung hier wirklich beiläufig ist.«

Er sah ihr lange in die Augen. »Ja, das ist wahr.«

Begay schloss die Augen. Als er den Mund öffnete, klang seine Stimme schrill und zittrig, und er sang in einer fremdartigen Fünftonleiter. Die nichtwestlichen Harmonien und der Klang der Navajo-Worte – einige wenige kannte Ford, die meisten nicht – erfüllten Ford mit einer Sehnsucht nach etwas, das er nicht benennen konnte. Nach etwa fünf Minuten verstummte Begay. Seine Augen waren feucht. »So fängt es an«, sagte er leise. »Die schönste Po esie, die je ersonnen wurde, zumindest meiner Meinung nach.«

»Könnten Sie das für uns übersetzen?«, bat Kate.

»Ich hatte gehofft, dass Sie mich nicht darum bitten würden. Also gut, bitte sehr.« Begay holte tief Luft.

»Daran denkt er, denkt er.

Vor langer Zeit, daran denkt er.

Wie die Dunkelheit entstehen wird, denkt er.

Wie die Erde entstehen wird, denkt er.

Wie der blaue Himmel entstehen wird, denkt er.

Wie der gelbe Morgen entstehen wird, denkt er.

Wie die Abenddämmerung entstehen wird, denkt er.

Wie Tau auf dunklem Moos entstehen wird, denkt er.

An Ordnung denkt er, an Schönheit denkt er.

Wie alles sich vermehren kann, ohne zu verlieren, denkt er.«

Begay hielt inne. »In Ihrer Sprache hört es sich nicht gut an, aber so ähnlich könnte man es übersetzen.«

»Wer ist ›er‹?«, fragte Kate.

»Der Schöpfer.«

Kate lächelte. »Sagen Sie mir, Mr. Begay: Wer hat den Schöpfer geschaffen?«

Begay zuckte mit den Schultern. »Das sagt uns die Geschichte nicht.«