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»Waco?«, wiederholte Lockwood ungläubig. »Wir reden hier von zwölf angesehenen Wissenschaftlern, angeführt von einem Nobelpreisträger. Das ist doch keine durchgeknallte Sekte!«
Der Stabschef wandte sich an den Präsidenten. »Mr. President, ich kann nicht energisch genug betonen, dass diese Operation auf jeden Fall bis zum Morgengrauen abgeschlossen sein muss. Sobald die Medien eintreffen, verändert sich die Situa tion völlig. Wir haben keine Zeit, jemanden da hinzuschicken, der ›an die Tür klopft‹.« Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
»Dem kann ich nur zustimmen«, sagte Galdone.
»Keine Alternative?«, fragte der Präsident leise.
»Keine.«
Lockwood schluckte. Ihm war übel. Er hatte den Kürzeren gezogen, und nun würde er gezwungen sein, an der Abschaltung von Isabella mitzuwirken. »Die Operation, die Sie vorschlagen, ist auch nicht ganz problemlos.«
»Was gibt es da für Probleme?«
»Sie können Isabella nicht einfach den Strom abstellen. Das könnte eine Explosion auslösen. Die Energiezufuhr ist eine heikle Sache, und sie kann nur von innen kontrolliert werden, über den Computer. Für den Fall, dass die Wissenschaftler da drin aus irgendeinem Grund nicht … kooperieren sollten, müssen Sie jemanden dabeihaben, der Isabella sicher abschalten kann.«
»Wen empfehlen Sie dafür?«
»Denselben Mann, den ich schon vorhin erwähnt habe – Bernard Wolf aus Los Alamos.«
»Wir lassen ihn von einem Hubschrauber abholen. Wie kommen wir dann rein?«
»Der Hauptzugang zum Bunker ist gegen äußere Angriffe gesichert. Alle Belüftungssysteme entsprechen ebenfalls der höchsten Sicherheitsstufe. Wenn das Team nicht bereit oder in der Lage ist, die Tür zu öffnen, könnte es schwierig werden, überhaupt hineinzukommen.«
»Es gibt keine Möglichkeit, die Sicherheitssysteme in einem Notfall auszuschalten?«
»Die Homeland Security war der Meinung, so etwas könnte Terroristen einen Angriffspunkt bieten.«
»Wie kommen wir dann rein?«
Herrgott, wie er das verabscheute. »Am besten durch den Haupteingang, mit Sprengstoff. Der Zugang liegt auf halber Höhe einer steilen Klippe. Davor befindet sich ein offener Arbeitsbereich, der aber größtenteils aus der Klippe gehauen ist. Da könnte man ganz sicher nicht mit einem Militärhubschrauber landen. Das Einsatzkommando müsste oben abgesetzt werden, sich abseilen und die Tür sprengen. Aber Sie gehen damit wirklich vom allerschlimmsten Fall aus. Wahrscheinlich würden die Wissenschaftler Ihrem Kommando auch einfach die Tür aufmachen.«
»Wie haben sie beim Bau schwere Ausrüstung da reingebracht, wenn es keine Straße gibt?«
»Sie haben die alte Zufahrtsstraße der Kohlenmine benutzt, die außen am Berg entlanglief, und sie dann abgesprengt, als Isabella fertiggebaut war. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen.«
»Ich verstehe. Erzählen Sie mir mehr über diese gesicherte Tür.«
»Eine Titan-Wabenkonstruktion. Extrem schwer zu durchbrechen. Sprengstoff wäre die einzige Möglichkeit.«
»Ich will genaue Daten. Und dann?«
»Dahinter ist eine große Höhle. Direkt geradeaus ist der Zugang zu Isabellas Tunnel. Links liegt der Kontrollraum, den wir die Brücke nennen. Diese Tür ist aus zwei Komma fünf Zentimeter dickem Edelstahl, die letzte Bastion gegen Eindringlinge. Ich besorge Ihnen die genauen Pläne.«
»Das ist alles, was die Sicherheitsvorkehrungen angeht?«
»Das ist alles.«
»Sind sie bewaffnet?«
»Der Sicherheitschef, Wardlaw, trägt eine Waffe. Weitere Feuerwaffen sind nicht gestattet.«
Morton wandte sich dem Präsidenten zu. »Mr. President, wir brauchen Ihren ausdrücklichen Befehl, um diese Operation anlaufen zu lassen.«
Lockwood beobachtete, wie der Präsident zögerte, ihm einen Blick zuwarf, dann dem FBI-Chef. »Schicken Sie das Geiselrettungsteam des FBI. Holen Sie die Wissenschaftler aus dem Berg, und schalten Sie Isabella ab.«
»Ja, Mr. President.«
Der Stabschef schloss seine Aktenmappe mit einem Klatschen, das sich anhörte wie ein Schlag in Lockwoods Gesicht.
50
Ein jammernder Gesang heulte durch den Bunker. Der Bildschirm flackerte. Ford stand wie angewurzelt vor dem Visualizer, Kate neben ihm. Irgendwie, er wusste gar nicht mehr, wann, hatte sie ihre Hand in seine geschmiegt.
Als Antwort auf Hazelius’ Frage erschienen weitere Worte auf dem Bildschirm.
Die großen monotheistischen Religionen waren ein notwendiges Stadium in der Entwicklung der menschlichen Kultur. Eure Aufgabe ist es, die Menschheit zum nächsten Glaubenssystem hinzuführen.
»Und welches ist das?«
Die Wissenschaft.
»Das ist lächerlich – die Wissenschaft kann keine Religion sein!«, sagte Hazelius.
Ihr habt bereits eine neue Religion begründet – ihr weigert euch lediglich, das zu sehen. Religionen waren einst eine Möglichkeit, die Welt zu verstehen, einen Sinn in ihr zu sehen. Diese Rolle hat nun die Wissenschaft übernommen.
»Religion und Wissenschaft sind zwei völlig verschiedene Dinge«, mischte Ford sich ein. »Sie stellen unterschiedliche Fragen und erfordern unterschiedliche Arten von Beweisen.«
Wissenschaft und Religion suchen dasselbe: die Wahrheit. Beide sind miteinander unvereinbar. Die Konfrontation dieser Weltanschauungen hat längst begonnen und wird immer schlimmer. Die Wissenschaft hat bereits die meisten grundlegenden Glaubenssätze der historischen Weltreligionen widerlegt und diese Religionsgemeinschaften damit in Aufruhr versetzt. Eure Aufgabe ist es nun, der Menschheit zu helfen, einen Weg durch diese Krise zu finden.
»Oh, bitte!«, rief Edelstein. »Du glaubst, die Fanatiker im Nahen Osten – oder die Bibeltreuen hierzulande, wenn wir schon dabei sind – werden sich einfach damit abfinden und die Wissenschaft als neue Religion akzeptieren? Das ist verrückt.«
Ihr werdet der Welt meine Worte bringen und die Geschichte dessen erzählen, was hier geschehen ist. Unterschätzt niemals meine Macht – die Macht der Wahrheit.
»Wo sollen wir denn hin mit dieser neuen Religion? Wozu soll sie gut sein? Wer braucht sie?«, fragte Hazelius.
Das nächste Ziel der Menschheit ist die Befreiung von den Begrenzungen der Biochemie. Ihr müsst lernen, euren Geist vom Fleisch eurer Körper zu trennen.
»Das Fleisch? Das verstehe ich nicht«, sagte Hazelius.
Fleisch. Nerven. Zellen. Biochemie. Das Medium, mittels dessen ihr denkt. Ihr müsst euren Geist vom Fleisch befreien.
»Wie?«
Ihr habt bereits damit begonnen, Informationen jenseits eurer Existenz als Fleisch zu verarbeiten, nämlich durch Computer. Bald werdet ihr eine Möglichkeit zur Verarbeitung finden, die auf Rechenmaschinen im Quantenstadium beruht. Dies wird euch dahin führen, dass ihr die natürlichen Quantenprozesse in der Welt um euch herum als Mittel der Berechnung verwenden könnt. Ihr werdet nicht länger Maschinen bauen müssen, um Informationen zu verarbeiten. Ihr werdet euch ins Universum ausbreiten, buchstäblich und im übertragenen Sinne, wie andere intelligente Wesen das vor euch getan haben. Ihr werdet dem Gefängnis der biologischen Intelligenz entkommen.
»Und was dann?«