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»Und das ist alles? Deshalb so ein Aufwand?«, fragte Kate.
Nein. Das ist nur eine Vorbereitung für eine größere Aufgabe.
Der Visualizer flackerte, Bahnen von Grieß huschten darüber hinweg. Dolby ackerte an seiner Kontrollstation, vornüber gebeugt und stumm. Die Worte verzerrten sich wellenförmig, wie auf dunklem Wasser reflektiert.
»Und die wäre?«, fragte Hazelius schließlich.
Den Hitzetod des Universums aufzuhalten.
Ford spürte, wie Kates Hand die seine unwillkürlich fester umklammerte.
51
Booker Crawley nahm sich eine Tasse Kaffee mit ins Arbeitszimmer und ließ sich im Sessel vor dem Fernseher nieder. Wieder einmal griff er nach der Fernbedienung und zappte sich durch die Nachrichtensender. Nichts. Die wüsten Anschuldigungen, die Spates in seiner Sendung vorgebracht hatte, schienen keine schwerwiegenden Folgen zu haben. Dennoch konnte Crawley das Gefühl nicht abschütteln, dass bald etwas passieren würde. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb zwei Eastern Daylight Time – halb zwölf in Arizona. Oder halb elf?
Er atmete seufzend aus und trank einen bitteren Schluck Kaffee. Er machte aus einer Mücke einen Elefanten. Bisher war alles nach Plan verlaufen, und Spates’ Sendung war zwar durchgeknallter Schwachsinn, würde dem Navajo-Stammesrat aber sicher den Angstschweiß auf die Stirn treiben.
Bei diesem Gedanken fühlte er sich gleich besser.
Trotzdem … Es konnte nicht schaden, sich mit Spates in Verbindung zu setzen und herauszufinden, woher zum Teufel er dieses verrückte Zeug hatte, dass Isabella von sich behaupte, Gott zu sein.
Zuerst rief er in Spates’ Büro an, in der Hoffnung, der Mann könnte noch dort sein. Überraschenderweise war besetzt. Kein Anrufbeantworter, es war besetzt. Er wartete ein paar Minuten, versuchte es dann erneut, und noch einmal, kam aber nicht durch.
Vermutlich war das Telefon kaputt.
Als Nächstes wählte er Spates’ Handynummer und wurde augenblicklich auf die Mailbox umgeleitet. »Dies ist die Mobilbox von Reverend Don T. Spates«, sagte eine angenehme Frauenstimme. »Die Mailbox ist derzeit leider überlastet. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.«
Crawley wählte die Privatnummer des Reverend. Auch da war besetzt.
Herrgott, war das Arbeitszimmer heute stickig. Er trat ans Fenster und öffnete es. Ein Schwall frischer, herrlicher Nachtluft drang herein und blähte die feinen Gardinen. Er atmete ein paarmal tief durch. Wieder sagte er sich, dass er keinen Grund hatte, sich so aufzuregen. Er nippte seinen Kaffee, starrte auf die dunkle Straße hinaus und fragte sich, was ihn eigentlich so aus der Fassung gebracht hatte. Eine besetzte Telefonleitung?
Der Reverend hatte sicher eine Website. Vielleicht würde er dort nähere Informationen finden.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch, fuhr seinen Laptop hoch und gab bei Google ein: Spates God’s Prime Time.
Der erste Treffer war tatsächlich die offizielle Website des Fernsehpredigers, www.godsprimetime.com. Er klickte den Link an und wartete.
Nach einer frustrierenden Minute erschien eine Fehlermeldung.
Bandbreite überlastet
Eingeschränkte Verfügbarkeit – die gewünschte Seite kann derzeit nicht angezeigt werden, da der Server überlastet ist. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.
Apache/1.3.37 Server at www.godsprimetime.com Port 80
Seine Besorgnis wuchs. Besetzte Telefone, der Server überlastet … War es möglich, dass die Website unter einem Hackerangriff zusammengebrochen war? Vielleicht war auf anderen christlichen Websites etwas zu finden.
Er gab bei Google ein: Isabella Gott Spates.
Ein Haufen christlicher Websites, die er nicht kannte, erschien auf dem Bildschirm. Er klickte einen beliebigen Link an, unter dem sich sofort ein Dokument öffnete.
Meine lieben Freunde in Jesus Christus,
viele von euch haben heute Abend die Sendung Roundtable America
von Reverend Don T. Spates gesehen …
Crawley las den Brief einmal durch. Und ein zweites Mal. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das also war Spates’ Quelle, ein wahnsinniger Prediger da draußen im Navajo-Land. Die Zeile am Ende zeigte an, dass der verrückte Pastor den Brief erst vor einer Stunde verschickt hatte. Der Trefferliste nach zu schließen, war er offenbar auf nicht wenigen Websites veröffentlicht worden.
Aber auf wie vielen? Es gab eine Möglichkeit, das herauszufinden. Er gab den ersten Satz des Briefes Wort für Wort und in Anführungszeichen bei Google ein, um nur Websites angezeigt zu bekommen, die den vollen Text ins Netz gestellt hatten. Gleich darauf erschien die Trefferliste. Die Standardnotiz am oberen Bildrand zeigte die Trefferzahl an:
Ergebnisse 1–10 von ungefähr 56 500 für »viele von euch haben heute Abend die Sendung Roundtable America von Reverend Don T. Spates gesehen«.
Crawley blieb lange in seinem stillen Arbeitszimmer in Georgetown sitzen. Konnte es wirklich wahr sein, dass der Brief bereits auf über fünfzigtausend Websites eingestellt worden war? Undenkbar. Er atmete bewusst langsam ein und aus, um sich wieder zu fassen. Falls jemals bekannt wurde, dass er hinter Spates’ Attacke gegen das Isabella-Projekt steckte, würde er noch tiefer stürzen als sein alter Kumpel Jack Abramoff. Das Problem war: Wenn er ehrlich war, wusste er kaum etwas über Spates und dessen evangelikale Kreise. Crawley kam sich vor wie ein Mann, der gedankenlos einen Stein an eine dunkle Stelle geworfen hatte und nun Dutzende Klapperschlangen rasseln hörte. Er stand auf und trat ans Fenster. Georgetown dort draußen schlief. Die Straße war leer. Die Welt war friedlich.
Während er dort stand, hörte er ein Piepsen von seinem Computer, das ihn auf eine neue E-Mail hinwies. Er ging zum Schreibtisch, um nachzusehen. Ein kleines Fenster öffnete sich und zeigte ihm den Betreff: FW:FW: Red Mesa = Armageddon.
Er öffnete die Mail, begann zu lesen und stellte entsetzt fest, dass es genau der Brief war, den er eben im Netz gelesen hatte. Wusste jemand, dass er Kontakt zu Spates hatte? War das eine Art verhüllter Drohung? Hatte Spates ihm das geschickt? Doch als er sich den Header ansah, der Dutzende von E-Mail-Adressen auflistete, wurde ihm klar, dass es nichts Persönliches sein konnte. Die Absenderadresse kannte er auch nicht. Das war eine Massen-Mail, die willkürlich verbreitet wurde – virales Marketing, sozusagen. Virales Marketing für Armageddon. Und sie war zufällig in seinem Posteingang gelandet.
Während er den Brief, immer noch ungläubig, ein weiteres Mal las und einzuschätzen versuchte, wie wahrscheinlich es war, dass er gerade diese E-Mail gerade jetzt rein zufällig erhielt, piepste sein Mail-Programm erneut, und eine weitere E-Mail erschien. Sie hatte denselben Betreff – nun ja, beinahe.
FW:FW:FW:FW: Red Mesa = Armageddon.
Booker Crawley klammerte sich an die Armlehnen seines Sessels und stand mit zittrigen Knien auf. Während er sein Arbeitszimmer durchquerte, piepste der Computer wieder und immer wieder, weitere E-Mails trafen ein. Er taumelte durch die Tür in das kleine Bad neben seinem Arbeitszimmer. Mit einer Hand packte er den Rand des Waschbeckens, hielt mit der anderen seine Krawatte fest und übergab sich.
52
Bern Wolf kauerte im Passagierraum des Hubschraubers, kaute nervös auf einem Kaugummi herum und sah zu, wie elf schwerbewaffnete Männer ganz in Schwarz einstiegen und stumm ihre Plätze einnahmen. Das einzige Abzeichen an ihren Uniformen war ein kleines FBI-Siegel auf der Brust. Wolf fühlte sich in seinem Tarnanzug samt schusssicherer Weste und Helm sehr unbehaglich. Vergeblich versuchte er, seine schlaksigen Glieder halbwegs bequem zu arrangieren, er rutschte gereizt herum und verschränkte die Arme. Sein Pferdeschwanz lugte unter dem Helm hervor, und er brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, wie lächerlich das aussah. Er schwitzte am Kopf, und in seinen Ohren rauschte es noch vom ersten Abschnitt des Fluges bis hierher.
Sobald die Männer angeschnallt waren, hob der Helikopter ab. Er stieg in den Nachthimmel auf, flog eine Kurve und beschleunigte. Der zu drei Viertel volle Mond war aufgegangen und warf einen silbrigen Glanz auf die Wüstenlandschaft unter ihm.
Wolf kaute und kaute. Was zur Hölle war hier los? Sie hatten ihn ohne jede Erklärung aus dem Haus gezerrt, zum Flugplatz in Los Alamos gebracht und in einen Hubschrauber verfrachtet. Niemand wollte ihm irgendetwas sagen. Er kam sich vor wie in einem schlechten Film.
Durch das Fenster sah er die fernen Gipfel der San Juan Mountains in Colorado. Der Hubschrauber überflog das Vorgebirge, und Wolf erhaschte einen Blick auf ein Band, das die Sterne reflektierte: der San Juan River.
Sie folgten ungefähr dem Flusslauf, vorbei an Ansammlungen von Lichtern, den Orten Bloomfield und Farmington, dann voran in die leere Dunkelheit. Als der Hubschrauber weiter gen Süden einschwenkte, sah Wolf den dunklen Umriss des Navajo Mountain in der Ferne, und nun konnte er das Ziel dieses Fluges erraten: das Isabella-Projekt.
Er malmte nachdenklich auf seinem Kaugummi herum. Er hatte Gerüchte gehört – wie alle in der kleinen Gemeinschaft der Hochenergiephysik –, dass es bei Isabella Probleme geben sollte. Er war ebenso schockiert gewesen wie die anderen, als er vom Tod seines ehemaligen Kollegen Peter Wolkonski erfahren hatte. Nicht, dass er den Russen sonderlich gemocht hätte, aber dessen Fähigkeiten als Programmierer hatte er stets respektiert. Er fragte sich, was das für ein Problem sein könnte, das den Einsatz eines uniformierten Sondereinsatzkommandos erforderlich machte.
Fünfzehn Minuten später ragte die schwarze Silhouette der Red Mesa vor ihnen auf. Ein Lichtfleck am Rand zeigte die Lage des Zugangs zu Isabella an. Der Helikopter sank herab, raste über die Mesa hinweg, hielt dann langsamer auf einen Flugplatz zu, der von zwei langen Reihen blauer Strahler erhellt wurde, und setzte schließlich auf einem Helipad auf.
Die Rotoren liefen aus, einer der Kämpfer stand von seinem Sitz auf und öffnete die Frachtluke. Wolfs Bewacher legte ihm eine Hand auf die Schulter und bedeutete ihm, zu warten. Die Tür glitt auf, die Männer des FBI-Kommandos sprangen einer nach dem anderen hinaus und rannten sofort geduckt unter den Rotorblättern los, als müssten sie die Landezone sichern.
Fünf Minuten vergingen. Dann winkte sein Bewacher ihn hinaus. Wolf hängte sich seinen Rucksack über eine Schulter und ließ sich hübsch Zeit beim Aussteigen – er hatte nicht vor, sich hier ein Bein zu brechen. Übertrieben vorsichtig kletterte er hinaus und ging geduckt durch die aufgepeitschte Luft unter den Rotorblättern. Sein Begleiter berührte ihn leicht am Ellbogen und deutete auf eine Blechhütte. Sie gingen dorthin, und der Bewacher öffnete ihm die Tür. In der Hütte roch es nach frischem Holz und Leim, doch sie war leer bis auf einen Tisch und eine Reihe billiger Stühle.
»Setzen Sie sich, Dr. Wolf.«