172166.fb2 Credo - Das letzte Geheimnis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 72

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»Isabella liegt knapp fünf Kilometer diese Straße runter. Wir müssen uns still verhalten, bis wir zum Angriff bereit sind. Sorgen Sie dafür, dass niemand vorprescht oder wilde Aktionen startet. Der Antichrist soll nicht ahnen, dass wir kommen, bis wir zahlenmäßig weit überlegen sind.«

»Amen«, sagten die beiden.

Eddy lächelte. Amen.

56

Um zwei Uhr morgens saß Reverend Don T. Spates am Schreibtisch in seinem Büro hinter der Silver Cathedral. Mehrere Stunden zuvor hatte er Charles und seine Sekretärin zu Hause angerufen und sie gebeten, ins Büro zu kommen, weil er der vielen Anrufe und E-Mails nicht mehr Herr wurde. Vor ihm lag der Stapel E-Mails, die Charles als wichtig ausgewählt hatte, bevor der Mail-Server zusammengebrochen war. Daneben ein Haufen Telefonnotizen. Im Vorzimmer konnte er das Telefon unablässig klingeln hören.

Spates versuchte, das gewaltige Ereignis zu begreifen, das sich gerade abspielte.

Ein sachtes Klopfen an der Tür, und seine Sekretärin trat mit frischem Kaffee ein. Sie stellte ihn auf den Tisch, daneben ein Porzellantellerchen mit einem Macadamiakeks.

»Ich will keinen Keks.«

»Ja, Reverend.«

»Und gehen Sie nicht mehr ans Telefon. Stöpseln Sie es einfach aus.«

»Ja, Reverend.« Teller und Keks verschwanden mit der Sekretärin. Gereizt beobachtete er, wie sie abzog; ihr Haar war nicht so aufgebauscht und glänzend wie sonst, ihr Kleid war zerknittert, und ohne Make-up sah man allzu deutlich, wie unscheinbar sie wirklich war. Sie war wohl schon im Bett gewesen, als er sie angerufen hatte, aber sie hätte sich wirklich mehr Mühe geben sollen.

Als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, fischte er eine Flasche Wodka aus einer stets verschlossenen Schublade und kippte etwas davon in den Kaffee. Dann wandte er sich wieder seinem Computer zu. Seine Website war unter der Last der Zugriffe ebenfalls zusammengebrochen, und nun schien das ganze World Wide Web immer träger zu werden. Mühevoll und quälend langsam klickte er sich durch die vertrauten christlichen Websites. Einige der großen, wie raptureready.com, waren ebenfalls zusammengebrochen. Andere bauten sich extrem langsam auf, zäh wie Sirup in Alaska. Der Aufruhr, den Eddys Brief verursacht hatte, war erstaunlich. Die wenigen christlichen Chatrooms, die noch funktionierten, quollen über vor hysterischen Usern. Viele verabschiedeten sich mit der Erklärung, sie wollten jetzt los und dem Aufruf folgen.

Spates schwitzte heftig, obwohl es im Büro recht kühl war, und sein Kragen juckte. Eddys Brief, den er inzwischen wohl zwanzig Mal gelesen hatte, ängstigte ihn. Der Brief war ein Aufruf zu einem gewalttätigen Angriff gegen eine Einrichtung der amerikanischen Regierung, und Eddy hatte Spates in seinem Brief namentlich genannt. Selbstverständlich würde man ihm die Schuld dafür geben. Andererseits, redete Spates sich ein, könnte sich diese unglaubliche Zurschaustellung christlicher Macht, christlicher Empörung, letztendlich als gut erweisen. Schon viel zu lange wurden Christen in ihrem eigenen Land diskriminiert, ignoriert, belächelt, verspottet. Ob er sich als richtig erwies oder nicht, dieser Aufruhr würde Amerika wachrütteln. Die Politiker und die Regierung würden endlich die Macht und den Einfluss der christlichen Mehrheit erkennen. Und er, Spates, hatte diese Revolution in Gang gesetzt. Robertson, Falwell, Swaggart – obwohl sie seit vielen Jahren predigten, obwohl sie so reich und mächtig waren, hatte keiner von ihnen so etwas zustande gebracht.

Spates surfte weiter durchs Internet und suchte nach mehr Information, doch er fand nichts als Aufstand, Empörung und Hysterie. Und Tausende Kopien des Briefs.

Während er zum x-ten Male den Brief überflog, kam ihm ein neuer, verstörender Gedanke.

Was, wenn Eddy recht hat?

Plötzlich lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er war noch nicht bereit, sich aus diesem Leben zu verabschieden. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass es mit all seinem Geld, seinem Einfluss, seiner Kathedrale, seiner Tele-Gemeinde nun vorbei sein sollte – dass bald alles vorbei sein sollte, noch ehe es richtig begonnen hatte.

Und gleich darauf folgte ein noch beunruhigenderer Gedanke: Wie würde er selbst an jenem großen Tag der Herrlichkeit Gottes beurteilt werden? War er wahrhaftig mit Gott im Reinen? Spates’ sämtliche Sünden traten ihm vor Augen, um ihn zu quälen. Die Lügen, die Genusssucht, der Betrug, die Frauen und die protzigen Geschenke, die er ihnen vom gespendeten Geld der Gläubigen gekauft hatte. Doch das Schrecklichste war die Erinnerung daran, dass er sich mehr als einmal dabei ertappt hatte, wie er auf der Straße lüstern kleinen Jungen nachgestarrt hatte: All diese Sünden – die großen wie die kleinen – quollen aus den finsteren Ecken seines Geistes hervor und verlangten, betrachtet und neu bedacht zu werden.

Angst, Schuldgefühle und Verzweiflung überkamen ihn. Gott sah alles. Alles. Bitte, Herr, bitte vergib mir. Ich bin Dein unwürdiger Diener, betete er immer wieder, bis es ihm mit einer gewaltigen geistigen Anstrengung gelang, die Sünden wieder in irgendein dunkles Loch in seinem Verstand zu verbannen. Gott hatte ihm bereits vergeben – worum sich also Sorgen machen?

Und außerdem konnte dies gar nicht die Wiederkunft Christi sein. Was zum Teufel dachte er da überhaupt? Eddy war verrückt. Natürlich, völlig durchgedreht. Spates hatte das von dem Moment an gewusst, als er diese schrille, krächzende Stimme am Telefon zum ersten Mal gehört hatte. Jeder, der bereit war, mit einer Rotte Indianer mitten in der Wüste zu leben, Hunderte Kilometer von einem anständigen Restaurant entfernt, war per definitionem verrückt.

Er las den Brief dieses Irren noch einmal, suchte nach Anzeichen des Wahnsinns, und eine neue Woge des Grauens erfasste ihn. Der Brief klang völlig vernünftig. Er war machtvoll. Und das war nicht das Geschreibsel eines Irren. Und diese Sache, dass »ARIZONA« und »ISABELLA« jeweils 666 ergaben, beunruhigte ihn am meisten.

Gott, er schwitzte wie ein Schwein.

Er öffnete die Glastür der Büchervitrine aus edlem Kirschholz, holte ein dickes Buch heraus und blätterte sich durch die Gematrie-Tabellen. Er schlug die hebräischen Buchstaben nach und notierte sich die Zahlenwerte auf einem Blatt Papier. Dabei fiel ihm auf, dass Eddy ein paar Buchstaben falsch transkribiert und andere mit falschen Zahlenwerten belegt hatte.

Er ordnete die korrekten Zahlen zu und addierte sie mit zitternder Hand. Keines der beiden Worte ergab 666.

Er lehnte sich zurück, keuchend vor Erleichterung. Die ganze Sache war eine Farce, genau wie er vermutet hatte. Er fühlte sich, als sei ein Engel herabgestoßen, um ihn aus dem Feuersee zu retten. Mit fahrigen Bewegungen zerrte er ein Leinentaschentuch aus seiner Tasche und wischte sich den Schweiß von Stirn und Schläfen.

Doch die Furcht kehrte zurück. Gott mochte ihn verschont haben. Aber würden die Medien das auch tun? Die Regierung? Konnte man ihn womöglich vor Gericht stellen, weil er zu Gewalttaten aufgerufen hatte? Oder ihm gar noch Schlimmeres vorwerfen? Er sollte wohl besser seinen Anwalt aus dem Bett zerren, solange er noch nicht behelligt wurde. Er musste eine Möglichkeit finden, Crawley die Schuld in die Schuhe zu schieben. Schließlich war es Crawley gewesen, der den Anstoß zu alldem gegeben hatte.

Er zerrte an seinem Kragen, um ein wenig Luft an seinen erhitzten, klebrigen Hals zu lassen. Es war ein dummer Fehler gewesen, diesen Spinner Pastor Eddy mit ins Boot zu holen. Der Kerl war unberechenbar, unkontrollierbar. Dumm, dumm, dumm.

Er drückte auf den Knopf an der Sprechanlage. »Charles, ich brauche Sie.«

Der sonst so flinke junge Mann erschien nicht.

»Charles? Ich brauche Sie hier.«

Stattdessen öffnete seine Sekretärin die Tür. Sie wirkte so erschöpft, wie er sie noch nie gesehen hatte.

»Charles ist gegangen«, sagte sie tonlos.

»Das habe ich ihm aber nicht erlaubt.«

»Er will zu Isabella.«

Spates starrte von seinem Sessel aus zu ihr auf. Er konnte es nicht glauben. Charles?

»Er ist vor zehn Minuten weg. Er sagte, Gott habe ihn gerufen. Dann ist er gegangen.«

»Das darf doch wohl nicht wahr sein!« Spates schlug mit der Hand auf den Tisch. Dann bemerkte er, dass sie ihren Mantel trug und ihre Tasche in der Hand hielt. »Jetzt sagen Sie bloß, Sie wollen diesem Trottel nachrennen!«

»Nein«, sagte sie. »Ich gehe nach Hause.«

»Bedaure, aber das wird nicht möglich sein. Ich brauche Sie hier die ganze Nacht. Rufen Sie Ralph Dobson an, meinen Anwalt. Sagen Sie ihm, er soll sofort herkommen. Ich habe hier ein kleines Problem, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.«

»Nein.«

»Nein? Nein was? Was soll das heißen?«

»Das heißt, dass ich nicht mehr für Sie arbeiten möchte, Mr. Spates.«

»Was reden Sie denn da?«

Sie umklammerte mit beiden Händen ihre Handtasche und hielt sie vor ihren Bauch, als wolle sie sich damit schützen. »Weil Sie ein abscheulicher Mensch sind.« Steif machte sie kehrt und ging hinaus.

Spates hörte das leise Klicken einer Tür, die vorsichtig geschlossen wurde – dann Stille.

Er saß allein hinter seinem Schreibtisch, schweißnass – und völlig verängstigt.

57

Das Wort »Angriff« hing schwer in der Luft. Die anderen drängten heran und starrten ebenfalls auf den Hauptmonitor des Überwachungssystems. Sie sahen Live-Bilder von einer Kamera, die auf dem Dach des Fahrstuhls befestigt war und aus großer Höhe alles zeigte, was sich draußen abspielte. Am Rand der Klippen oberhalb von Isabella erkannte Ford eine Gruppe schwarz gekleideter Männer, die Seile bereitmachten und Ausrüstung und Waffen aufstapelten. Offensichtlich hatten sie vor, sich abzuseilen. Kate trat neben ihn und nahm wieder seine Hand. Ihre Handfläche war schweißfeucht und zitterte.

George Innes brach das entsetzte Schweigen. »Angriff? Warum denn, um Himmels willen?«

»Sie konnten keinen Kontakt zu uns herstellen«, erklärte Wardlaw. »Und das ist ihre Reaktion darauf.«