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»Mr. President, unseren neuesten Erkenntnissen zufolge befinden sich zwischen ein-und zweitausend bewaffnete Personen auf der Red Mesa. Sie glauben, dies sei Armageddon. Die Wiederkunft Christi. Deshalb bedeutet ihnen ein Menschenleben nichts, weder das eigene noch das Leben anderer. Wir können die Männer nicht schlechtausgerüstet und unvorbereitet in eine solche Situation werfen. Es gibt Berichte über Brände und große Explosionen auf der Red Mesa. Und immer noch weichen Hunderte von Leuten unseren Straßensperren aus und strömen querfeldein dorthin, viele haben Geländefahrzeuge. Der Flugplatz kann mit Starrflügel-Maschinen nicht mehr angeflogen werden. Eine Predator-Drohne müsste dort ankommen und uns zumindest Bilder liefern, in … weniger als zwanzig Minuten. Wir müssen einen strategischen, gutorganisierten Angriff auf die Mesa sorgfältig vorbereiten – sonst vergeuden wir nur noch mehr Menschenleben.«
»Das ist mir klar. Aber wir haben da oben auch noch eine Vierzig-Milliarden-Dollar-Maschine, elf FBI-Agenten und ein Dutzend Wissenschaftler, deren Leben ebenfalls auf dem Spiel steht …«
»Entschuldigen Sie, Mr. President«, unterbrach ihn der Energieminister. »Isabella läuft immer noch mit voller Kraft, doch anscheinend destabilisiert sie gerade. Unsere Fernüberwachung zeigt an, dass die Protonen-Antiprotonen-Strahlen dekollimiert sind und …«
»Drücken Sie sich verständlich aus.«
»Wenn Isabella nicht abgeschaltet wird, könnte die Röhre, in der sich die Strahlen bewegen, ein Leck bekommen, und das hätte eine Explosion zur Folge.
»Wie groß?«
Kurzes Zögern. »Ich bin kein Physiker, aber man hat mir erklärt, wenn die Strahlen sich vorher kreuzen, könnte diese Konvergenz eine Singularität erzeugen, die mit der Sprengkraft einer kleinen Atombombe von etwa einer halben Kilotonne detonieren würde.«
»Wann?«
»Könnte jeden Moment so weit sein.«
Der Vorsitzende des Generalstabs meldete sich zu Wort.
»Ich möchte Ihnen nicht noch zusätzlichen Druck machen, aber die Aufmerksamkeit der Medien entwickelt sich gerade zum Tsunami. Wir müssen das in den Griff bekommen – sofort.«
»Sperren Sie den Luftraum im Radius von hundertfünfzig Kilometern um die Mesa«, bellte der Präsident. »Verhängen Sie den Ausnahmezustand über das gesamte Reservat. Und rufen Sie das Kriegsrecht aus. Verbannen Sie sämtliche Presse. Sämtliche Presse.«
»Wird gemacht.«
»Zusätzlich zu den Truppen der Nationalgarde will ich überwältigende Militärpräsenz da oben. Ich will, dass das USMilitär die Kontrolle über die Red Mesa und das umliegende Gebiet übernimmt, und zwar bis zum Morgengrauen. Ich will keine Ausreden mehr hören, es gebe zu wenig Leute oder Transportmittel. Ich will, dass Sie auch zu Lande Soldaten da hinschaffen. Sie sollen eben querfeldein fahren. Das ist offenes Wüstenland. Setzen Sie alles ein, was Sie haben, eine überwältigende Streitmacht, ist das klar?«
»Mr. President, ich habe bereits sämtliches Militärpersonal im gesamten Südwesten mobilisieren lassen.«
»Und vier Uhr fünfundvierzig ist das Beste, was Sie mir bieten können?«
»Ja, Mr. President.«
»Bewaffnete Terroristen besetzen Eigentum der amerikanischen Regierung und ermorden amerikanische Staatsbeamte. Ihre Verbrechen gegen diesen Staat haben nichts mit Religion zu tun. Diese Leute sind Terroristen – Punkt, aus, Ende. Haben Sie das verstanden?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Als Erstes will ich, dass dieser Fernsehprediger, Spates, sofort verhaftet und wegen Terrorverdacht in Gewahrsam genommen wird – Handschellen, Fußfesseln, das volle Programm. Und so öffentlichkeitswirksam wie möglich – ich will ein Exempel statuieren. Falls es da draußen noch irgendwelche Priester, Fernsehprediger und Fundamentalisten gibt, die diese Menschen aufstacheln, dann lassen Sie sie ebenfalls verhaften. Diese Leute sind auch nicht anders als Al-Qaida oder die Taliban.«
67
Nelson Begay lag auf dem Bauch auf einer Anhöhe oberhalb des Nakai Valley, neben ihm Willy Becenti. Dies war der höchste Punkt der Mesa, von dem aus man das gesamte Wüstenplateau überblicken konnte.
Die Mutter aller Verkehrsstaus blockierte inzwischen den Dugway an der Stelle, wo er das Plateau erreichte. Hunderte, vielleicht Tausende von Fahrzeugen waren kreuz und quer geparkt, auf der riesigen offenen Fläche am Ende des Dugway. Viele waren einfach stehengelassen worden, mit eingeschaltetem Licht und offenen Türen. Zahllose Menschen stiegen zu Fuß den Dugway hinauf, weil sie ihre Fahrzeuge irgendwo weiter unten hatten zurücklassen müssen. Sie strömten die Straße zum Isabella-Projekt entlang, schnurstracks zum Zentrum des Geschehens am Rand der Mesa, ohne den Umweg durch das Nakai Valley einzuschlagen.
Er folgte der Straße mit dem Fernglas. Die Hangars brannten lichterloh. Die Trümmer des Hubschraubers, in dem die Soldaten gekommen waren, brannten ebenfalls, und die Flammen schlugen gut dreißig Meter hoch in den Himmel. Leichen lagen überall darum herum verstreut, Opfer der blutigen Schießerei, die er vor ein paar Minuten von hier aus beobachtet hatte. Die meisten Angreifer hatten den Flugplatz verlassen, nachdem sie den Hubschrauber in die Luft gejagt hatten, doch ein paar waren zurückgeblieben, um mit Hilfe eines großen Baggers Gräben quer über die Landebahn zu ziehen.
Er folgte der strömenden Menschenmasse weiter, bis er im Fernglas den abgezäunten Bereich am Rand der Mesa sah. In der Sicherheitszone wimmelte es von Menschen; Begay schätzte, dass es mindestens tausend waren. Eine brodelnde Masse schob sich an einem der riesigen Strommasten empor, die Obersten hatten schon drei Viertel der Höhe geschafft. Andere hatten auf einem hohen Gebäude ganz am Rand der Mesa ein grob gezimmertes Kreuz errichtet und beschäftigten sich nun damit, alle möglichen Sendemasten einzureißen, die vom Dach aufragten.
Langsam ließ Begay sein Fernglas sinken.
»Hast du eine Ahnung, was zum Teufel da los ist?«, fragte Becenti.
Begay schüttelte den Kopf.
»Eine Art Ku-Klux-Klan-Treffen? Oder die Aryan Nation?«
»Da sind Schwarze und Spanischstämmige dabei. Sogar ein paar Indianer.«
»Das will ich sehen.«
Während Becenti zum östlichen Ende der Mesa starrte, verdaute Begay, was er eben gesehen hatte. Zunächst hatte er geglaubt, das sei eine Versammlung von irgendwelchen Esoterik-Spinnern – so etwas kam im Reservat häufiger vor. Doch als sie den Hubschrauber in Brand gesteckt hatten, war ihm klargeworden, dass es hier um etwas ganz anderes gehen musste. Vielleicht hatte es etwas mit diesem Fernsehprediger zu tun, von dem einige Leute ihm erzählt hatten – er hatte eine Predigt gegen das Isabella-Projekt gehalten.
Becenti brummte und starrte immer noch durch das Fernglas. »Sieh dir nur an, wie viele Leute sie auf dem Flugplatz getötet haben.«
»Ja«, sagte Begay. »Und du kannst darauf wetten, dass es irgendeine Reaktion geben wird. Die vom FBI, oder wem der Hubschrauber sonst gehört hat, werden nicht einfach rumhocken und sich diese Scheiße in Ruhe angucken. Wir sollten lieber nicht mehr hier sein, wenn das Feuerwerk losgeht.«
»Wir könnten doch noch ein bisschen bleiben und zuschauen. Schließlich sitzt man nicht jeden Tag in der ersten Reihe, wenn die Bilagaana sich gegenseitig in die Luft jagen. Wir haben doch immer gewusst, dass die Weißen das eines Tages fertigbringen würden, nicht wahr? Erinnerst du dich an diese Prophezeiung?«
»Willy, hör auf. Wir müssen alle zusammenrufen und zusehen, dass wir von diesem verdammten Berg runterkommen.«
Sie standen auf und gingen zurück ins Tal.
Randy Doke stand auf der Motorhaube des Humvee über der tobenden Menge, die stämmigen Arme vor der Brust verschränkt. Sein Aussichtspunkt bot ihm einen guten Blick auf die Leute, die den Hochspannungsmast erklommen. Die Ersten kamen gerade oben an. Die Stromleitungen summten und knisterten. Er fühlte sich so energiegeladen wie noch nie in seinem Leben. Früher hatte Doke sich in Heroin, Kokain und Alkohol verloren. Auf dem absoluten Tiefpunkt – betrunken und mit vollgeschissener Hose in einem Bewässerungsgraben irgendwo außerhalb von Belén, New Mexico – drängte sich eine tiefverschüttete Erinnerung, ein Gebet aus Kindertagen, in seine Gedanken. Seine Mutter hatte ihn dieses Gebet gelehrt, ehe der versoffene alte Drecksack, mit dem sie zusammenlebte, erst sie und dann sich selbst erschossen hatte. Der Singsang der Verse hallte in seinem Kopf wider: Jesus liebt mich ganz gewiss, denn die Bibel sagt mir dies … Und genau in diesem Augenblick, in dem stinkenden Graben in Belén, hatte Jesus die Hand ausgestreckt und Dokes wertlosen Arsch gerettet. Jetzt schuldete er dem Kerl etwas – er schuldete ihm was. Für Jesus würde er alles tun.
Er hob sein Fernglas. Ein Mann hatte eine Stelle direkt unterhalb der Isolatoren erreicht. Doke beobachtete, wie der Mann sich abstützte und die Beine um die oberste Strebe schlang. Sobald er sicher darauf saß, nahm er eine Pumpgun von seiner Schulter, lud sie und legte an.
Das sieht gut aus.
Er sah zu, wie der Mann da oben durchlud und sorgfältig zielte. Die Leute, die von unten nachkletterten, hielten inne und sahen zu. Ein Lichtblitz zerriss die Nacht, und gleich darauf drang der krachende Schuss an Dokes Ohren. Ein Funkenregen prasselte von der Starkstromleitung herab, die Leitung schwankte hin und her. Jubelrufe waren zu hören.
Der Mann setzte sich wieder sicher zurecht und lud durch. Ein zweiter Lichtblitz, gefolgt von einem Krachen. Die Leitung versprühte Tausende Funken und zog sich von dem Mast zurück wie eine drohende Klapperschlange vor einer Schrotladung. Die Menge brüllte vor Begeisterung.
Ein dritter Schuss. Diesmal explodierte ein Feuerregen in der Dunkelheit. Die nächste Leitung wurde durchtrennt, mit einem tiefen, bebenden Schwirren, das in der Luft zu vibrieren schien; das abgetrennte Ende, aus dem Feuer tropfte, stürzte wie ein Peitschenhieb in Zeitlupe in die Menge unterhalb des Mastes. Beim Aufprall krachte es, Flammen und Rauch zischten, Leute wurden kreuz und quer durch die Gegend geschleudert, Panik brach aus.
Hammermäßig.
Doke richtete das Fernglas wieder nach oben. Der Mann lud erneut durch und zielte. Doch nun brüllten die Leute auf dem Turm – was? Schrien sie ihm zu, er solle aufhören? Nein, dachte Doke. Mach weiter, Mann.
Wieder krachte ein Gewehrschuss. Ein Stück eines Isolators stürzte in einem wahren Feuerwerk herab, eine weitere Leitung riss und schlug gegen den Mast zurück. Es war, als rüttele ein unsichtbarer Riese an dem Turm aus Metall; die Leute fielen einfach von den Leitern, Körper stürzten herab, prallten gegen die unteren Streben, wurden herumgeschleudert und trafen mit einer Reihe dumpfer Schläge auf dem Boden auf.
Die Leitung peitschte durch die Luft auf ihn zu, sie klang wie das Feedback einer gigantischen E-Gitarre. Doke sprang von dem Humvee, als das zischende Kabel darüberpeitschte und einen Funkenregen aufsteigen ließ. Er fiel in die panische Menge und krabbelte über gestürzte Menschen hinweg, um dem Ding zu entkommen. Der Humvee stand plötzlich in Flammen, und gleich darauf spürte er die Hitze des explodierenden Benzintanks, die Schockwelle, das plötzliche Glühen in der Luft.
Er rappelte sich auf und versuchte, den Schaden zu überblicken.
Die Leitung war quer über die halbe Sicherheitszone gepeitscht und hatte eine Spur aus Flammen hinterlassen. Das Aufzugsgebäude brannte ebenso wie ein halbes Dutzend Kiefern. Tote und grässlich verbrannte Menschen lagen um das brennende Fahrzeug verstreut.