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Die Metalltüren öffneten sich mit leisem Zischen und enthüllten einen Aufzug, der außen an der Bergflanke hinabging. Ein kleines Fenster in der Kabine gab den Blick auf die Aussicht beim Hinunterfahren frei. Als der Fahrstuhl anhielt, ermahnte Isabella sie, sie sollten aufpassen, wo sie hintraten.
Sie standen auf einer großzügigen Plattform unter freiem Himmel, die in die Klippe hineingehauen worden war. Vor ihnen, in der Felswand, war die riesige Titantür, die Ford schon aus der Luft gesehen hatte. Sie war etwa sieben Meter breit und mindestens zwölf Meter hoch.
»Das ist die Freilichtbühne. Auch eine nette Aussicht, was?«
»Sie sollten hier Luxusapartments bauen.«
»Das hier war der Zugang zu dem riesigen Wepco-Kohlenbergwerk. Allein aus diesem Flöz haben sie fünfundvierzig Millionen Tonnen Kohle abgebaut und dabei riesige Höhlen hinterlassen. Perfekte Voraussetzungen für uns. Es war unbedingt notwendig, Isabella unterirdisch bauen zu können, damit die Daten nicht von kosmischer Strahlung beeinflusst werden.«
Hazelius ging auf das Titanportal zu, das in die Felswand zurückversetzt war. »Diese Festung nennen wir den Bunker.«
»Gib mir deine Nummer, Süßer«, sagte Isabella.
Hazelius gab auf einem kleinen Tastenfeld eine Ziffernfolge ein.
Gleich darauf sagte die Stimme: »Kommt rein, Jungs.« Die Tür hob sich langsam vom Boden.
»Warum diese starken Sicherheitsvorkehrungen?«, fragte Ford.
»Eine Vierzig-Milliarden-Dollar-Investition muss gut geschützt werden. Und ein Großteil unserer Hard-und Software ist als geheim eingestuft.«
Die Tür gab den Weg in eine riesige, hallende Höhle frei, die aus dem Fels geschlagen worden war. Es roch nach Staub und Rauch, und die leicht muffige Luft erinnerte Ford an den Keller seiner Großmutter. Nach der Wüstenhitze draußen war es angenehm kühl hier drin. Rumpelnd senkte sich die Tür hinter ihnen, und Ford blinzelte, um sich an das Licht der Natriumdampflampen zu gewöhnen. Die Höhle war riesig, knapp zweihundert Meter lang und über fünfzehn Meter hoch. Direkt gegenüber, am anderen Ende der Höhle, konnte Ford eine ovale Tür zu einem Tunnel sehen, in dem Edelstahlröhren, dicke Rohre und Kabelstränge entlangliefen. Wasserdampf quoll durch die offene Tür, floss in kleinen Rinnsalen über den Boden und verschwand. Links davon war vor einer weiteren Öffnung im Fels eine Betonziegelwand errichtet worden, mit einer Stahltür darin. An der Tür stand: BRÜCKE. Auf der anderen Seite der Höhle stapelten sich stählerne Senkkästen, I-Träger und anderes übriggebliebenes Baumaterial, daneben einige schadstoffarme Toyotas und ein halbes Dutzend Golfwagen.
Hazelius nahm Ford beim Arm. »Dieser ovale Durchgang vor uns ist der Zugang zu Isabella selbst. Der Nebel ist Kondenswasser von den supraleitenden Magneten. Sie müssen mit flüssigem Helium konstant auf annähernd null Kelvin, also minus zweihundertdreiundsiebzig Grad Celsius, gekühlt werden, damit die Supraleitung erhalten bleibt. Dieser Tunnel führt unter die Mesa und bildet einen Torus mit einem Durchmesser von vierundzwanzig Kilometern – das ist der Ring, in dem wir die Teilchenstrahlen kreisen lassen. Die Flotte von Golfwagen da drüben brauchen wir für die langen Strecken. Kommen Sie, ich stelle Ihnen jetzt die anderen vor.«
Sie durchquerten die Höhle, wobei ihre Schritte hallten wie in einer Kathedrale. Ford fragte ganz nebenbei: »Wie läuft es denn so?«
»Probleme«, sagte Hazelius. »Ein verdammtes Problem nach dem nächsten.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Diesmal ist es die Software.«
Sie erreichten die Tür mit der Aufschrift »Brücke«. Hazelius öffnete sie und ließ Ford den Vortritt in einen Flur mit Betonziegelwänden, schleimgrün gestrichen und von Neonröhren an der Decke erhellt.
»Zweite Tür rechts. Moment, ich mache Ihnen auf.«
Ford betrat einen kreisrunden Raum, hell erleuchtet. Riesige Flachbildschirme an den Wänden ließen den Raum tatsächlich wie die Kommandobrücke eines Raumschiffs wirken, mit Fenstern zum Weltraum. Die Monitore wurden gerade nicht benutzt, und ein Bildschirmschoner mit Enterprise-Motiv, der auf allen gleichzeitig lief, perfektionierte die Illusion eines Raumschiffs, das durch ein Sternenfeld flog. Unter den Monitoren waren riesige Instrumentenpulte, Steuerkonsolen und Computerarbeitsplätze angeordnet. Im Zentrum des Raums war der Boden abgesenkt, und genau in der Mitte stand ein retrofuturistischer Drehstuhl.
Die meisten Wissenschaftler hatten ihre Arbeit unterbrochen und blickten Ford neugierig entgegen. Ihm fiel sofort auf, wie zermürbt alle aussahen; sie hatten die bleichen Gesichter von unterirdisch lebenden Wesen und trugen zerknitterte Kleidung. Sie sahen schlimmer aus als ein Haufen Doktoranden im bitteren Endspurt vor der Prüfung. Instinktiv suchte sein Blick Kate Mercer, doch er tadelte sich sogleich für sein Interesse an ihr.
»Kommt Ihnen bekannt vor, was?«, fragte Hazelius mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen.
Überrascht blickte Ford sich noch einmal um. Der Raum kam ihm in der Tat bekannt vor – und plötzlich erkannte er auch, warum.
»Der Weltraum – unendliche Weiten …«, sagte er.
Hazelius lachte erfreut. »So ist es! Dies ist ein Nachbau der Kommandobrücke des Raumschiffs Enterprise aus Star Trek. Stellte sich zufällig als ideales Design für den Kontrollraum eines Teilchenbeschleunigers heraus.«
Die Illusion, man befinde sich auf der Kommandobrücke der U.S.S. Enterprise, wurde vor allem durch eine große Mülltonne gestört, die von Coladosen und Tiefkühlpizza-Schachteln überquoll. Notizzettel und Schokoriegelverpackungen waren über den Boden verstreut, und eine ungeöffnete Flasche Veuve Clicquot lag auf dem Boden an der gebogenen Wand.
»Entschuldigen Sie die Unordnung – wir sind gerade in der Endphase eines Testdurchlaufs. Das ist nur etwa die Hälfte des Teams – die anderen werden Sie beim Abendessen kennenlernen.« Er wandte sich an die Gruppe. »Meine Lieben, ich möchte euch das neueste Mitglied unseres Teams vorstellen, Wyman Ford. Er ist der Ethnologe, den ich angefordert habe, als Verbindungsmann zur indianischen Bevölkerung.«
Nicken, gemurmelte Begrüßungen, ein flüchtiges Lächeln hier und da – er war kaum mehr als eine kleine Ablenkung. Was ihm nur lieb sein konnte.
»Ich führe Sie schnell herum und stelle Ihnen kurz die Kollegen vor. Beim Abendessen haben Sie dann Gelegenheit, uns besser kennenzulernen.«
Die Gruppe wartete ergeben.
»Das ist Tony Wardlaw, der hier für die Sicherheit zuständig ist. Er sorgt dafür, dass wir keine Scherereien bekommen.«
Ein Mann, so breit und massig wie ein Hackklotz, trat vor. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir.« Er trug das Haar kurzgeschoren wie ein Soldat, seine Haltung hatte etwas Militärisches, seine Miene wirkte humorlos – und sein Gesicht war grau vor Erschöpfung. Wie Ford erwartet hatte, wurde seine Hand beim Händedruck beinahe zerquetscht. Er quetschte kräftig zurück.
»Das ist George Innes, unser Psychologe. Er leitet eine wöchentliche Gesprächsrunde und hilft uns, nicht den Verstand zu verlieren. Ich weiß nicht, was ohne seine Unterstützung und seinen beruhigenden Einfluss aus uns geworden wäre.«
Ein paar Leute wechselten Blicke und verdrehten die Augen, was Ford deutlich machte, was die anderen von Innes’ Unterstützung hielten. Innes’ Händedruck war kühl und professionell, Druck und Länge genau richtig. Er sah aus wie ein Mann, der sich gern im Freien aufhielt, und trug eine säuberlich gebügelte, khakifarbene Hose und ein kariertes Hemd. Hielt sich fit, machte einen gepflegten Eindruck – die Sorte Mensch, die glaubte, alle anderen außer ihm hätten Probleme.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Wyman«, sagte er und spähte über den Rand seiner Perlmuttbrille hinweg. »Sie müssen sich ein bisschen vorkommen wie ein Neuer, der mitten im Schuljahr in die Klasse kommt.«
»Allerdings.«
»Ich bin für Sie da, wenn Sie einmal über etwas sprechen möchten.«
»Danke.«
Hazelius schob ihn weiter zu einem Wrack von einem jungen Mann, Anfang dreißig, dürr wie ein Rechen, mit langem, fettigem blonden Haar. »Das ist Peter Wolkonski, unser Software-Ingenieur. Peter kommt aus Jekaterinburg in Russland.«
Widerstrebend löste Wolkonski sich von der Konsole, an der er gelümmelt hatte. Der Blick seiner rastlosen, irren Augen huschte über Ford. Er streckte nicht die Hand aus, sondern nuschelte nur mit einem gedankenverlorenen Nicken: »Hallo.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Peter.«
Wolkonski schlurfte zurück zu seiner Tastatur und tippte weiter. Seine dünnen Schulterblätter zeichneten sich unter dem zerschlissenen T-Shirt ab wie die eines mageren Kindes.
»Und das ist Ken Dolby, unser Chefingenieur, der Isabella entworfen hat. Eines Tages werden sie ihm im Smithsonian ein Denkmal errichten.«
Dolby kam herüber – rundlich, groß, freundlich, schwarz, neununddreißig Jahre alt, mit der lockeren Ausstrahlung eines kalifornischen Windsurfers. Ford war er auf der Stelle sympathisch – ein vernünftiger Kerl. Auch er wirkte überanstrengt und hatte rotgeränderte Augen. Er streckte die Hand aus. »Willkommen«, sagte er. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass wir gerade nicht besonders präsentabel aussehen. Einige von uns haben seit sechsunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen.«
Sie gingen weiter. »Und das ist Alan Edelstein«, fuhr Hazelius fort, »unser Mathematiker.«
Ein Mann, den Ford kaum bemerkt hatte, weil er abseits von den anderen saß, blickte von dem Buch auf, das er gerade las – Joyce’ Finnegans Wake. Er hob nur den Zeigefinger zur Begrüßung und sah Ford mit durchdringendem Blick an. Der schelmische Ausdruck in seinen Augen verriet eine Art hochmütiger Belustigung über die Welt im Allgemeinen.
»Und, wie ist das Buch?«, fragte Ford.
»Fesselnd.«
»Alan macht nicht viele Worte«, sagte Hazelius. »Aber in der Sprache der Mathematik ist er sehr beredt. Ganz zu schweigen von seinen Fähigkeiten als Schlangenbeschwörer.«