172323.fb2 Das Dorf der verschwundenen Kinder - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 28

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Dreizehn

Andy Dalziel und Cap Marvell saßen sich im Nebenzimmer des »Book and Candle« gegenüber. Es war ein kleiner Raum mit Platz für gerade ein halbes Dutzend Stühle, und unter einem der zwei schmalen Tischchen berührten sich ihre Knie. Tatsächlich war es mehr als eine Berührung, da jeder das Knie des anderen zwischen den Beinen eingeklemmt hatte, doch da Dalziels entschuldigendes Grunzen nichts weiter auslöste als ein ironisches Lächeln, entspannte er sich einfach und genoß den Körperkontakt.

Das Pub gehörte nicht zu denen, die er häufig besuchte. Seine Lage im Glockenviertel und sein ultranobles Ambiente – weder Spielautomaten noch Billardtische, noch seichtes Hintergrundgedudel – machten es für berufliche Treffen eines Kriminalbeamten untauglich. Aber da es ein Pub war und in seinem Revier lag, kannte er es natürlich und war darin bekannt, so daß der Wirt weder über die Bestellung von drei Bier erstaunt war noch über die Ankündigung, daß er das Nebenzimmer für die nächste halbe Stunde als geschlossen betrachten sollte.

Das erste Bier hatte kaum die Wände des Glases berührt, und das zweite war bereits halb leer, als er das Gespräch eröffnete.

»Hab dich vermißt«, sagte er abrupt.

Cap Marvell lachte auf.

»Würdest du das bitte noch mal probieren, Andy? Und versuch dann doch, daß es etwas weniger nach schüchternem Schuljungen klingt, der zaudernd seine Selbstbefleckung bekennt.«

Er trank noch einen großen Schluck und brummte dann: »Vielleicht hab ich dich doch nicht so sehr vermißt.«

Sie drückte sein Knie zwischen ihren und sagte: »Tja, ich hab dich mehr vermißt, als ich für möglich gehalten hätte.«

Dieses Geständnis rief ein Gefühl in ihm hervor, das er nicht genau einordnen konnte.

Während er das versuchte, sagte er mürrisch: »Deine Entscheidung.«

»Nein«, erwiderte sie ruhig. »Es gab keine Entscheidung. Jedenfalls nicht damals.«

»Warum bist du dann hier?«

»Weil es jetzt vielleicht eine geben kann.«

»Und?«

»Und wenn dem so ist, dann werde ich entscheiden.«

»Vielleicht solltest du warten, bist du gefragt wirst«, sagte er. Er hatte das Gefühl als verschämte Freude identifiziert. Das störte ihn irgendwie. Als nächstes würde er noch rot werden!

»Oh, nein. Das ist nur ein Vorwand. Alle wichtigen Entscheidungen werden im voraus getroffen.«

Als er so dasaß und sie ansah, merkte er, daß er nicht nur das hübsche Gesicht, den kräftigen Körper und die großen Titten vermißt hatte, sondern auch ihren Humor, ihre Unabhängigkeit und die ganz und gar unzickige Art, sich auszudrücken – eine Eigenschaft, die durch ihren Upperclass-Akzent zuweilen verwischt und zuweilen noch verstärkt wurde. Dieser Akzent war anscheinend alles, was von ihrem früheren Leben übriggeblieben war, in dem sie, kaum daß sie die Schule verlassen hatte, in die unteren Adelsränge hineinheiratete, einen Sohn gebar und ihn (soweit Kindermädchen und Internat es erlaubten) zu einem jungen Offizier heranwachsen sah, der im Falkland-Krieg als vermißt gemeldet wurde und vermutlich umgekommen war.

Dies war ein einschneidendes Erlebnis gewesen, das sie gezwungen hatte, ihr Leben erneut zu überdenken. Und nicht einmal die Nachricht, daß ihr Sohn noch heldenhaft am Leben war, konnte ihre Entscheidung dann noch ändern. Es folgten Entfremdung von der feinen Gesellschaft, Scheidung, Auflösung aller vorheriger moralischer Gewißheiten, Ausschweifung, Engagement für eine Reihe radikaler Anliegen – und schließlich Dalziel.

Sie hatten sich kennengelernt, als ein Tierschutzverein unter ihrer Leitung in die Ermittlungen eines Mordfalls verwickelt wurde. Getrennt durch mehrere Lebensjahre, diverse Klassenschichten und meilenweit unterschiedliche Auffassungen, hatten sie dennoch eine gegenseitige Anziehung verspürt, die alle Abgründe überbrückte, bis ihr Verlangen nach Vertrauen und sein Bedürfnis nach beruflichen Gewißheiten eine zu weitgehende Bindung erfordert hatten.

Diese zufällige Begegnung schien nun die Möglichkeit zu eröffnen, um die fehlende Verbindung schließlich doch noch herbeiführen zu können.

Sie sagte: »Während wir also entscheiden, laß uns plaudern. Was hat dich in Walters Haus geführt? Habe ich nicht gelesen, daß du diesen Fall mit dem vermißten Kind leitest?«

Sie sah es also, wenn sein Name in der Zeitung stand. Das gefiel ihm, aber er zeigte es nicht.

»Stimmt. Sein Wagen wurde in der Nähe von ihrem Wohnhaus gesehen. Der vom Smörebröd auch.«

»Bitte?«

»Von Krog. Dem Schweden.«

»Norweger, glaube ich. Auf jeden Fall klingt das nicht gerade höflich.«

»Ich und höflich? Vielleicht war’s ’n andrer Kerl, den du vermißt hast.«

»Kann sein. Du wolltest sie also sehen. Walter und den Sm … Krog.«

»Richtig. Um sie als Verdächtige auszuschließen.«

»Ich dachte, für so was schickst du deine Sergeants.«

Es war eine Anspielung darauf, daß er sie damals von Wield hatte befragen lassen, als die Sache zwischen ihnen zu heiß wurde.

»Nicht, wenn es um jemanden wie Wulfstan geht.«

»Andy, du willst damit doch nicht etwa sagen, daß die Reichen und Mächtigen eine Sonderbehandlung vor dem armen Pöbel bekommen?« frotzelte sie.

Er runzelte die Stirn, die dadurch aussah wie von einem betrunkenen Pflüger zerfurcht. Würde sie die Geschichte der Wulfstans kennen, hätte sie das sicher nicht gesagt.

»Wie gut kennst du die Wulfstans?« fragte er.

»Nicht so gut. Die Frau fast gar nicht. Walter nur als Vorsitzenden des Festival-Komitees. Als ich vor ein paar Jahren hierher zog, fing ich an, die Konzerte vor Ort zu besuchen und mich mit ein paar Leuten aus der Musikszene anzufreunden – niemand, der meine sonstigen Aktivitäten teilt, muß ich wohl schnell hinzufügen, ehe du anfängst, nach Namen zu fragen. Eine Freundin war in dem Komitee. Als sie beruflich den Bezirk hier verlassen mußte, empfahl sie mich für ihre Stelle, und so lernte ich Walter kennen.«

»Ach ja? Und der war natürlich beeindruckt von deiner Erfahrung, Streikposten und Demos und illegale Durchsuchungen von Privatgrundstücken zu organisieren.«

»Ich halte die verschiedenen Bereiche meines Lebens strikt getrennt, Andy«, entgegnete sie. »Bohr Löcher in Deiche, und der Ärger sickert durch, wie du und ich gemerkt haben. Dies ist mein erstes Jahr im Komitee, ich bin also noch dabei, mich einzuleben.«

»Ich dachte, da hättest du den Laden schon übernommen.«

»Darauf besteht nicht viel Aussicht«, meinte sie lächelnd. »Alles ist so gut organisiert, daß es sehr wenig zu tun gibt. Diese Verlegung des Aufführungsortes ist unsere erste echte Krise, und Walter scheint alles gut unter Kontrolle zu haben.«

»Das scheint mir auch so. Ihr werdet also gleich in Danby Möbel rücken, wie?«

»Heute nicht mehr. Aber für morgen habe ich meine Hilfe angeboten, falls sie mich brauchen. Walter führt ein strenges Regiment, da sind Drückeberger nicht gefragt. Aber das ist eigentlich alles, was ich über ihn weiß. Es hat keinen Zweck, mich weiter über ihn auszufragen, Superintendent.«

»Das will ich auch gar nicht«, entgegnete Dalziel. »Ich schätze, ich weiß alles, was ich wissen muß. Wahrscheinlich ist es besser, du weißt es auch, für den Fall, daß du unsere Bekanntschaft andeuten möchtest.«

Sie wollte einen Witz darüber machen, doch als sie sein Gesicht sah, hielt sie inne. Bestürzt lauschte sie der Geschichte über die verschwundenen Kinder von Dendale.

»Diese armen Leute … Ich weiß noch, wie es mir ging, als sie mir sagten, daß Piers verschwunden ist …«

»Ich versteh nicht, daß du nix davon gelesen hast«, meinte er halb anklagend.

»Vielleicht hab ich das. Aber, Andy, vor fünfzehn Jahren hatte ich andere Dinge im Kopf. Jetzt verstehe ich, warum du Walter die Samthandschuh-Nummer angedeihen läßt. Armer Mann. Aber das erklärt auch, warum sie sie adoptiert haben.«

»Elizabeth? Na, du hast recht, sie ist nicht ihr Kind. Und du hast das ausbaldowern können, obwohl du sagst, du kennst die Wulfstans kaum? Tja, einmal Schnüffler, immer Schnüffler, wie man so schön sagt.«

Dieser nicht sehr schmeichelhafte Kommentar war eine weitere Anspielung auf die Zeiten ihrer alte Liebelei, als sie die Quelle einiger nützlicher Informationen für ihn gewesen war.

»Nein, das habe ich nicht ausbaldowert«, erklärte sie energisch. »Das hat mir jemand einfach so erzählt, und bestimmt keiner von den Wulfstans oder sonst jemand von hier. Durch einen dieser Zufälle, die keinesfalls Teil eines göttlichen Plans sein können, da sie auch uns immer wieder zusammenführen, habe ich eine Freundin in London, Beryl Blakiston, die zufällig Schulleiterin der Schule ist, auf die Elizabeth eine Zeitlang ging.«

»Alle Achtung«, sagte er bewundernd. »Wer braucht mit euch High-Society-Fuzzies schon das Internet?«

Sie musterte ihn kritisch und vermutete, daß seine Vertrautheit mit dem Internet etwa so vage war wie ihre mit dem großen Mysterium der Rugby-Taktiken im vordersten Gedränge. Aber sie hatte gelernt, daß man Dalziel besser nicht reizte, und fuhr fort: »Im Frühjahr war ich mit Beryl mal wieder zum Lunch. Dabei erwähnte ich meine neuen Pflichten als Mitglied des Komitees – es beruhigt sie zu hören, daß ich auch hin und wieder etwas Ehrbares mache –, und sie fragte, ob dieser Wulfstan der Vater der Sängerin sei. Und ich sagte ja, weil ich wußte, daß Elizabeth für das diesjährige Festival geplant war. Ende der Geschichte.«

Er nahm einen tiefen Zug, und damit war das zweite Bier fast leer.

»Blödsinn«, sagte er.

»Wie bitte?«

»Zuerst mal hast du vorhin schon angedeutet, daß deine Freundin Beryl dir erzählt hat, daß das Mädchen adoptiert ist. Und zweitens besteht kaum die Chance, daß zwei gleichgesinnte Ladys wie ihr mit dem Bauch voller Gin Tonics und einer Flasche Burgunder auf dem Tisch ein interessantes Thema fallenlaßt, ohne es vorher gründlich durchgekaut zu haben.«

»Wieso bezeichnest du eine Frau, die du noch nie gesehen hast, als meine Gleichgesinnte?«

»Weil du dich sonst nicht immer wieder mit ihr zum Lunch verabreden würdest. Also, was hat sie gesagt?«

Cap Marvell fixierte ihn mit kühlem, abschätzendem Blick und sagte: »Andy, das ist doch hoffentlich nicht irgendwie offiziell, oder? Ein Drink mit einem alten Freund ist eine Sache, aber wenn das hier zum Verhör wird, möchte ich doch lieber meinen Anwalt Mäuschen spielen lassen.«

Er sah verletzt aus.

»Nee, Schätzchen, ich hab’s dir doch gesagt. Der einzige Grund, warum ich selbst zu den Wulfstans gefahr’n bin, war wegen dieser Sache damals. Eine Routinebefragung. Er steht nicht unter Verdacht. Alles, was ich hier mache, ist höfliche Konversation, bis ich sehe, mit welcher Seite der Toast auf den Boden klatscht. Wenn du willst, können wir auch über das englische Kricket-Team reden. Oder die Regierung. Zum Heulen, oder?«

»Die Regierung?«

»Sei nicht albern. Ich verschwende keine Tränen für diese Fatzkes.«

Sie lachte und sagte: »Na gut. Ich glaube dir, Andy. Also, Beryl erzählte mir, daß Elizabeth adoptiert ist und daß es früher mal Schwierigkeiten mit ihr gab, aber das hätte sich gelegt …«

»Schwierigkeiten?« unterbrach Dalziel. »Ich liebe Schwierigkeiten. Erzähl mir mehr.«

»Beryl ist nicht ins Detail gegangen. Es gibt so was wie berufliche Diskretion, selbst nach eine Flasche Burgunder. Aber ich hatte den Eindruck, es ging um nicht erfüllte Erwartungen. Das Mädchen war unzufrieden mit den Eltern und umgekehrt. Es war so ernst, daß sie einen Psychologen oder Psychiater zu Hilfe nahmen, ich weiß nicht mehr, was. Aber am Ende ging alles gut, und das, wie Beryl wähnte, hauptsächlich wegen Elizabeths aufkeimenden musikalischen Talents. Was natürlich Hauptanlaß und Thema unseres eigentlichen Gesprächs war.«

»Wähnte«, meinte Dalziel verträumt. »Aufkeimend. Ich liebe es, wenn du so geschraubt daherredest. Selbst wenn ich nur die Hälfte davon verstehe.«

»Ich meine, daß Elizabeth durch ihren Gesang ein Gefühl der eigenen Wertschätzung bekam und außerdem die Anerkennung ihrer Adoptiveltern. Danach war es ihr möglich, ihre normale Entwicklung fortzusetzen.«

»Normal? Hast du mal gehört, wie sie redet?«

»Meinst du ihren Dialekt? Nun, es wundert mich, daß du daran etwas Abnormales findest, Andy«, sagte sie mit treuherzigem Blick.

»Ha, ha. Für einen ignoranten Yorkshire-Dämel wie mich mag das ja angeh’n, aber ein Mädchen, das bei den Wulfstans aufgewachsen ist und auf irgendwelchen Eliteschulen unten im Süden war, sie redet freiwillig und aus Überzeugung so. Man muß sie nur singen hören, um das zu erkennen.«

»Du hast sie singen gehört?«

»Klar. Im Radio. Mit diesem trübseligen Zeugs, das du auch immer gespielt hast.«

»Diesem trübseligen Zeugs«, wiederholte sie. »Ist das ein Oberbegriff für meine ganze Sammlung? Oder hattest du ein bestimmtes Stück der Trübseligkeit im Sinn?«

»Es war eins dieser Lieder über tote Kinder. Mahler. Aber auf Englisch, und sie hat ohne Yorkie-Akzent gesungen.«

»Ah, ihre ›Kindertotenlieder‹-CD. Hab ich gehört. Sehr interessant.«

Der Dicke lachte.

»Hat dir nicht besonders gefallen, wie?«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich hab da diesen Kollegen, Peter Pascoe – du erinnerst dich vielleicht an ihn, Ellie Pascoes Mann –, der ist mächtig kulturbeflissen, mit Studium und so. Ich hab versucht, es ihm abzugewöhnen, aber das ist wie Malaria, wenn man’s mal hat, bleibt’s im Blut, und du weißt nie, wann der nächste Anfall kommt. Na ja, und bei ihm und seinesgleichen ist mir aufgefallen, wenn die mal was nicht mögen, es aber unhöflich oder unpassend ist, das direkt zu sagen, dann sagen sie: es ist sehr interessant.«

Cap Marvell schmunzelte und sagte: »Da hast du uns mal wieder festgepinnt wie die Schmetterlinge, Andy. Aber du hast recht. Die Übersetzung fand ich nicht überragend, und ihre Stimme ist meiner Meinung nach noch nicht reif für diese Lieder.«

»Warum hat sie sie dann ausgesucht? Oder eher: warum hat die Plattenfirma sie sie aussuchen lassen?«

»Was Elizabeth für Gründe hat, weiß ich nicht. Aber die Plattenfirma … na ja, es ist ein recht unbekanntes Label, zu unbedeutend, um jemand Berühmtes zu kriegen, also konzentrieren sie sich auf junge Hoffnungsträger, lassen sie für drei oder vier Platten unterschreiben und hoffen, daß sie bis zur dritten oder vierten berühmt geworden sind. Elizabeth hat großes Potential. Nach dem Konzert geht sie nach Rom, wo sie von Claudia Albertini unterrichtet wird, einer der besten Gesangslehrerinnen in Europa. Ich nehme an, sie hat sich auf stur gestellt und der Plattenfirma gesagt, daß sie nur unter Vertrag geht, wenn sie mit den ›Kindertotenliedern‹ anfangen kann. Und die Firma entschied dann, es sei das Risiko wert. Vor allem, wo sie sie in ihrer eigenen Übersetzung singt.«

»Wieso?«

»Es wird darüber geredet. Alles, was Interesse weckt und Reklame kriegt, ist gut. Man muß immer noch gut sein, um berühmt zu werden, aber wenn man gut und interessant ist, schafft man es viel schneller an die Spitze. Wie Nigel Kennedy in den Achtzigern.«

»Hat der nicht auch angefangen, komisch zu reden?«

»Ja, stimmt. Und du könntest recht haben«, sagte Cap. »Beryl meinte, sie hat in der Schule so gesprochen, um ihre Individualität zu betonen; du weißt schon: ›Ich bin zwar adoptiert, aber von niemandem abhängig.‹ Aber jetzt, wo sie ihre Karriere startet, kann es natürlich auch eine Image-Sache sein. Ich weiß nicht. Wie ich schon sagte, ich kenne das Mädchen eigentlich gar nicht. Aber die Lieder am Mittwochabend zu singen scheint mir keine gute Wahl.«

»Wegen Lorraine Dacre, meinst du?«

»Genau. Und auch musikalisch. Ich habe sie noch nie ohne die ursprüngliche Orchesterbegleitung gehört. Sandel ist eine gute Pianistin, aber da geht auf jeden Fall was verloren.«

Ein Telefon klingelte. Es dauerte eine Weile, bis Dalziel merkte, daß es in seiner eigenen Tasche war.

»Verdammt«, sagte er. »Diese Dinger lassen einen nie in Ruhe, nicht mal beim Scheißen. Hallo! Wieldy, was ist los? Warten Sie, ich kann Sie kaum versteh’n.«

Er stand auf, sagte zu Cap: »Den Bierpegel hab ich mir gemerkt« und verließ das Nebenzimmer.

Als er zurückkam, sagte sie: »Das war ja nicht lang. Ich hab dein Bier kaum angerührt.«

Er trank das zweite Glas leer, warf einen traurigen Blick auf das dritte und sagte: »Ich muß geh’n.«

»Immer noch Arbeit vor Vergnügen?«

»Bei dieser Arbeit, ja«, erwiderte er düster. »Sie haben jemanden verhaftet. Nur zum Verhör, nichts Definitives, aber ich muß hin. Tut mir leid.«

»Natürlich mußt du gehen«, sagte sie. »Andy …«

Sie zögerte. Sie hatte damit gerechnet, vor dem Abschied mehr Zeit für Verhandlungen über eine mögliches späteres Treffen zu haben. Sie hatte sich noch nicht entschieden, wie sie die Sache angehen sollte, aber jetzt war keine Zeit für Spielchen.

»Andy, es gibt noch viel zu sagen«, fuhr sie fort. »Versprich, daß du mich anrufst. Oder noch besser: komm vorbei. Du weißt, ich habe immer reichlich Tofu im Kühlschrank.«

Diese Anspielung auf ihren vegetarischen Speiseplan ließ ihn schmunzeln.

»Abgemacht«, sagte er. »Bis dann.«

Er eilte hinaus und ließ vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben ein unangetastetes Bier auf dem Tisch zurück.

Sie zog es zu sich herüber und nahm einen Schluck.

Kein Abgrund überbrückt, dachte sie. Aber eine Brücke begonnen, auch wenn sie erst einmal nur aus Pontons bestand, die sich in Wellen und Gezeiten hoben und senkten und einen riskanten Übergang von einer Seite zur anderen versprachen.