172330.fb2 Das Haus der verlorenen Herzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Das Haus der verlorenen Herzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Kapitel 13

Achmed ibn Thaleb hatte noch einmal zu Allah gebetet, ehe man ihn auf das Rollbett legte und zum Vorbereitungsraum schob. Die drei sterilen Isolierzimmer, in denen er nach der Operation wohnen mußte, waren noch einmal durchkontrolliert worden. Alle Geräte zur Intensivbehandlung waren vorhanden. Um das Bett standen Chromgalgen für die Tropfflaschen, Bildschirme für die elektronischen Meßanzeigen. Die Plastikbahnen für das Sauerstoffzelt waren hochgeschlagen.

Dr. Volkmar blickte auf die beiden Bildschirme vor seinem großen Schreibtisch. Fernsehkameras übertrugen das Geschehen in den OPs zu Volkmars Zimmer. Er sah die beiden Ärzteteams bereitstehen: Im OP I mit der Herz-Lungen-Maschine vierzehn, im OP II, wo man nur das Herz herausnehmen mußte, vier Ärzte. Auf OP-Schwestern hatte Dr. Soriano verzichtet; den Instrumentendienst besorgten ebenfalls Ärzte.

«Frauen haben ein zu großes Mitteilungsbedürfnis!«hatte Soriano behauptet.»Sie mögen sich noch so sehr zur Schweigsamkeit verpflichten — irgendwann im Bett reden sie doch!«

Achtzehn Ärzte, dachte Dr. Volkmar, als er auf den Bildschirmen die Tätigkeit in den OPs beobachtete. Glaubt Soriano wirklich, das sind achtzehn verschlossene Münder? Mit welch hohem Einsatz spielt dieser Mann!

Er sah, wie Achmed ibn Thaleb, schon vornarkotisiert, mit dem Tubus in der Luftröhre, in OP I gerollt wurde. Durch die automatische Tür von OP II schob man jetzt den Herzspender. Dr. Nardo hatte den jungen Fischer extra für Dr. Volkmar zurechtgemacht.

Der Kopf war dick umwickelt, vier Tropfflaschen waren mit den Venen verbunden, ein fahrbarer Impulsgeber rollte neben dem Bett und zwang das angeblich einzige in diesem toten Körper noch funktionsfähige Organ, das Herz, normal zu schlagen. Daß dort ein völlig gesunder Mann lag, war nicht mehr zu sehen. Wer käme auch auf einen solch fürchterlichen Gedanken!

Volkmar erhob sich, stellte die Fernsehschirme aus und ging hinüber in den Waschraum. Ibn Thaleb lag auf dem OP-Tisch, ein knochiger, schmaler, nackter Körper, mit grünen Tüchern abgedeckt bis auf das Operationsfeld.

Dr. Nardo blickte durch die Glaswand hinüber zu Volkmar. Können wir anfangen, fragte sein Blick. Einen Brustkorb eröffnen — das haben wir lange geübt.

Volkmar nickte. Er atmete tief auf. Die entscheidende Sekunde. Das größte medizinische Abenteuer hatte begonnen.

Im OP II saßen die vier Ärzte um den narkotisierten jungen Fischer und warteten. Die Eröffnung dieses Brustkorbes würde schnell gehen. Hier brauchte man kein Leben zu erhalten; hier brauchte man nur den gesunden, bis zuletzt pulsierenden Muskel herauszutrennen: das Herz.

Das Los hatte die vier Ärzte zu dieser Aufgabe bestimmt. Sorianos lebende >Herzbank< lieferte den ersten Menschen für die grauenvollste Operation unserer Zeit.

Dr. Volkmar aber ahnte nichts, als er in den OP kam und unter das gleißende Licht der Operationsscheinwerfer trat.

Dr. Nardo hatte bereits mit der Thorakotomie begonnen.

Er hielt sich dabei streng an die Weisungen, die ihm Volkmar gegeben hatte, und an die Methode, die sie gemeinsam an Schweinen, Affen, Lämmern und zuletzt an zwei Kälbern geübt hatten. Entgegen allen Modifikationen in der Schnittführung und Eröffnung eines Brustkorbs blieb Dr. Volkmar bei der alten, bewährten Technik nach Professor von Mikulicz, dem Lehrer des großen Sauerbruch: Eingang in die Brusthöhle mit Rippendurchtrennung. Die interkostale Thorakotomie, bei der man den Schnitt genau in der Mitte zwi-schen zwei Rippen setzt und dann die Rippen auseinanderzieht, ergab für Volkmar nicht genügend Raum, um ein ganzes Herz auszutauschen.

Die Arbeit geschah in der ersten halben Stunde fast wortlos. Man hörte nur das Schlurfen der Sauger, das rhythmische Klatschen des Atemsackes, das elektronische Knistern des Oszillographen und das leise, schlürfende Pumpen der Herz-Lungen-Maschine, als Dr. Nar-dos Team den Blutkreislauf außerhalb von Thalebs Körper verlegte. Ab und zu fielen ein paar Worte: Die Meldungen des Anästhesisten über Blutdruck, Puls, Atmung, Herzfrequenz, das Okay des Internisten am Bildschirm des Rheogramms, die leisen Anweisungen an die Instrumententische und das beruhigende» Alles in Ordnung «von der Herz-Lungen-Maschine.

Achmed ibn Thalebs Herz befand sich in einem katastrophalen Zustand. Nach der Eröffnung des Thorax und des breiten Zugangs lag der Muskel wie ein roter Klumpen vor Dr. Volkmar. Deutlich erkannte man die starken Schädigungen, die durch einen partiellen Verschluß der Herzkranzarterien eingetreten waren: Ein Motor, der nur noch mit einem Drittel seiner Kraft lief.

Dr. Nardo starrte über den Mundschutz zu Volkmar hinüber. Er schwitzte stark; ein junger Assistent tupfte ihm die Schweißperlen von der Stirn und aus den Augenhöhlen.

«Wie konnte der Mann mit so einem Herzen überhaupt noch leben?«fragte er und zeigte mit einer langen Pinzette auf die geschädigten Partien.»Verstehen Sie das?«

«Man wundert sich immer wieder, was ein menschlicher Körper aushalten kann. Ob Herz, Lunge, Leber, Galle oder Niere — es gibt da Kraftreserven, für die wir keine Erklärung wissen. Ich habe schon oft nach einer Operation gesagt: >Das ist uns zwar gelungen — aber überleben wird er es nicht!< Und dann sahen wir, wie das geschädigte Organ sich langsam regenerierte. So schnell kapituliert die Natur nicht, auch wenn man täglich die Sterbequote registriert. Die meisten vergessen, daß auf einen Toten mehr als hundert Geheilte kommen. «Dr. Volkmar blickte über sich in den Bildschirm, der neben der OP-Lampe von der Decke hing und das Geschehen im OP II wiedergab. Der Bildausschnitt zeigte den Brustkorb des Spenders und die Hände der Ärzte in den Gummihandschuhen: abwartend, bereit, sofort das gesunde Herz herauszuholen. Aus dem Lautsprecher ertönte eine nüchterne Stimme:»Keinerlei Hirnfanktion mehr.«

«Danke. «Dr. Volkmar war zufrieden. Für einen Mediziner war der junge Mann nebenan gestorben. Er sah nicht Dr. Nardos lauernden Blick, spürte nicht die hochgradige Spannung: Durchschaut er den Trick? Kommt er dahinter, daß da drüben ein völlig gesunder Mensch liegt, dem wir gleich das Herz herausnehmen und ihn dadurch erst töten?

Volkmar überblickte noch einmal den Instrumententisch und die in Sterilkästen bereitliegenden Teflonprothesen für die großen Gefäße.»Ich beginne mit der Exzision!«sagte er laut.»Beginnen Sie mit der Thorakotomie. Ist das Bild bei Ihnen klar?«

Volkmar sah, wie zwei Hände sich hoben und ein Zeichen gaben. Dann wieder die Stimme im Lautsprecher:»Fernsehbild von Ihnen ganz klar, Chef.«

Chef! Dr. Volkmar beugte sich über den geöffneten Brustkasten ibn Thalebs. Zum erstenmal war im Operationssaal dieses Wort gefallen. Zwar hatte er es oft genug von Dr. Soriano gehört, aber es hatte nie eine solche Wirkung erzeugt wie in diesem Augenblick.

Chef der Mafia-Klinik. Mit dem nächsten Handgriff dokumentierte er sein Ja-Wort.

Die Aderklemmen saßen gut, der Blutkreislauf funktionierte mittels der Herz-Lungen-Maschine einwandfrei. Wenn er jetzt das Herz heraustrennte und die großen Gefäße zunächst einseitig mit den Tef lonzwischenstücken vernähte, war das nicht mehr als die Arbeit an einem Präparat. Thalebs altes, zerstörtes Herz war tot, sein Leben durchpulste ihn nur noch maschinell, eine raffinierte Pumpe, die sein Blut nicht nur transportierte, sondern gleichzeitig aufbereitete mit Sauerstoff, reinigte und durch zwischengeschaltete Konserven mengenmäßig ausglich.

Im Bildschirm über sich sah Volkmar, wie das Team im OP II die

Brust des >Verunglückten< öffnete. Die Schnittführung war grob; man brauchte ja den Körper nicht mehr.

Mit einem schnellen Scherenschlag durchtrennte Volkmar die große Lungenvene und den Aortabogen unterhalb der Verzweigungen. Dr. Nardo schnaufte durch die Nase. Man hatte das so oft geübt, aber jetzt, wo Volkmars Herzaustausch zum erstenmal an einem Menschen praktiziert wurde, überfiel ihn doch eine kaum beherrschbare innere Erregung. Eine Sternstunde der Medizin zu erleben, war auch für eine abgebrühte Natur wie Nardo etwas Erhebendes.

Dr. Volkmar sah ihn kurz an.»Was ist, Pietro?«fragte er.

«Nichts, Chef. «Dr. Nardo schob beide Hände unter das tote Herz.»Nur ein Stoßgebet für die neue Zeit der Chirurgie.«

Nach wenigen Minuten war Thaleb ohne Herz. Dr. Nardo gab den Muskelklumpen weiter, man legte ihn in eine Glasschale und trug ihn vom Tisch weg. Ein Dokument: Das erste vollständig entfernte Herz! Das Vernähen der Teflonverbindungen konnte beginnen: die Grundlage für die später stattfindende Anastomose der großen Hohlorgane.

Dr. Volkmar blickte wieder auf den Bildschirm über sich. Das Herz des Spenders lag frei, der Brustkorb war weit geöffnet. Man hatte sich nicht damit aufgehalten, die durchtrennten Adern abzuklammern; mit einem Elektrodraht hatte man sie einfach verschmort. Es gab kein Blut, das die Übersicht behinderte und das man absaugen mußte. Die Elektrokoagulation schuf einen sauberen Operationsraum.

Das Herz des jungen Mannes klopfte kräftig, mit einem herrlich gesunden Rhythmus. Volkmar beobachtete ihn auf dem Bildschirm: Eine Pulsation, die Freude machte.

«Frequenz?«fragte er.

Die Stimme aus dem Lautsprecher antwortete sofort:»70!«

«Hervorragend! In einer halben Stunde sind wir soweit! Decken Sie ab.«

«Verstanden, Chef.«

Im OP II wurde die große Brustöffnung mit warmen Tüchern zugedeckt. Dann starrten die vier Ärzte wieder auf den Bildschirm und erlebten, wie Dr. Volkmar die Stümpfe der großen Gefäße mit den Teflonadern vernähte. Die Haare sträubten sich ihnen, wie auch den anderen Ärzten, die um Volkmars Tisch standen, als er, nach dem Vernähen des ersten Zwischenstücks mit der Lungenvene, an dem implantierten Stück zog.

Die Naht hielt. Die nächsten Tage würden den Beweis erbringen, daß sie auch das neue Herz tragen konnten. Ein Herz, das jetzt nur noch ein Motor war, an Kunststoffadern aufgehängt, die einen unmittelbaren Kontakt zwischen den beiden fremden Geweben verhinderten. Damit war natürlich die Immunreaktion nicht aufgehoben, aber eine Abstoßung und Nekrose der Gewebe — wenn sie überhaupt eintrat! — äußerte sich nicht mehr als sofortige Unverträglichkeitserscheinung.

Dr. Volkmar trat einen Schritt vom Tisch zurück, ließ seine Handschuhe wechseln und das Gesicht mit einer Sterillösung waschen. Auch Dr. Nardo und die beiden Assistenten am OP-Tisch tauschten die Gummihandschuhe aus. Als sie wieder unter das Licht der Operationslampe traten, schien es, als sei Dr. Nardo bleicher geworden.

Jetzt, dachte er. Jetzt! Gleich kommt das Kommando: Herzaustausch.

Er blickte, genau wie Dr. Volkmar, auf den Bildschirm. Die Ärzte im OP II hatten den Körper wieder abgedeckt. Das junge Herz schlug kräftig. Sechs Hände mit Scheren und Gefäßklammern hielten sich bereit für dieses junge, heftig schlagende Herz.

«Austausch!«sagte Volkmar laut und klar.»Lassen Sie lange Gefäßstümpfe dran. Ich amputiere lieber hier nach.«

«Verstanden, Chef!«

Die Klammern packten zu, unterbanden den Blutstrom, die Scheren durchtrennten Venen und Arterien. Das junge, gesunde Herz zuckte krampfhaft, als könne es aufschreien.

In diesem Augenblick starb der junge Fischer Rinaldi Sampieri, zweiundzwanzig Jahre alt. Auf dem OP-Tisch ermordet, weil man sein Herz brauchte. Es brachte zwei Millionen Dollar ein.

Das war die furchtbarste Sekunde in der Geschichte der modernen Medizin.

Die Operation dauerte vier Stunden.

Dr. Volkmar blieb am Tisch, bis der Blutkreislauf von der Herz-Lungen-Maschine wieder in das neue Herz umgeleitet worden war. Ein Elektrostoß zwang es, zu pumpen — und dann hoben sich, erst zaghaft, dann immer schneller und höher und gleichmäßiger, die Zacken auf dem Oszillographen; das junge Herz klopfte mit voller Leistung und trieb das Blut, sauerstoffreich, durch Achmed ibn Thalebs Körper.

Noch einmal blickte Volkmar in den offenen Brustkorb. Die Nähte hielten, es gab keine Leckstelle. In Kürze würden die Innenwände der Teflonprothesen vom Blut ausgekleidet sein, eine Schutzschicht, glatt und den Blutstrom unterstützend.»Die Adern werden geschmiert!«- so nannte es Volkmar.

Er nickte, trat vom Tisch zurück und streckte die Arme weit von sich. Ein junger Arzt riß ihm die Handschuhe ab und löste das Mundtuch. Volkmar ging noch ein paar Schritte zurück, blickte auf den Oszillographen und atmete tief auf.

«Das wäre es!«sagte er langsam.»Er wird überleben. Wenn wir Glück haben!«

Als er sich umwandte, um zu gehen, begannen alle im OP zu klatschen. Spontan geschah das, es war die Befreiung von einer Anspannung, die zuletzt kaum noch zu ertragen gewesen war. Achtzehn Ärzte schlugen die Hände gegeneinander und stampften mit ihren weißen Schuhen.

Dr. Volkmar wandte sich an der Tür noch einmal um.

«Danke«, sagte er müde. Jetzt sah man ihm die Erschöpfung an. Sein Gesicht zerfiel, schien uralt geworden.

Nach vorn gebeugt, mit der großen Sehnsucht nach einem Bett und völliger Ruhe, mit Heißhunger auf einen dreistöckigen Kognak und doch innerlich so aufgewühlt, daß seine Hände zu zittern begannen, durchlief er die drei Schleusen und riß die Tür seines großen Zimmers auf.

Auch hier empfing ihn Applaus. Dr. Soriano und ein fremder Herr standen vor dem Ledersofa und klatschten begeistert.

«Das war genial!«rief Soriano.»Enrico, dafür gibt es keine Worte. Mein Gott, welche Gnade liegt in deinen Fingern!«

Er stürzte auf Volkmar zu, zog ihn an sich und küßte ihn auf beide Wangen. Der fremde Mann, ein wenig grün im Gesicht, denn auch auf dem Bildschirm kann nicht jeder aufgeschnittene Leiber ansehen, und einen Herzaustausch schon gar nicht, füllte Kognak in drei Gläser, als habe er Volkmars Wunsch erraten.

Soriano führte Volkmar wie einen Blinden zu dem Sofa und drückte ihn auf das Polster. Er reichte ihm das Glas, küßte ihn noch einmal voll Überschwang auf die Stirn und ließ sich dann an seine Seite fallen. Der fremde Herr schielte zu dem Bildschirm und verzog die blaßgewordenen Lippen. Dr. Nardo hatte begonnen, Thalebs Brustkorb zu schließen.

«Müssen wir uns das auch noch ansehen?«fragte er. Dabei prostete er Volkmar zu und kippte seinen Kognak hinunter.

«Das ist Dr. Ludovici Daniele«, stellte Dr. Soriano seinen Gast vor.

«Ein Kollege?«fragte Volkmar müde.

«Nein, Jurist. «Dr. Daniele schenkte sich noch einen Kognak ein. Soriano stellte das Fernsehbild aus und hielt Volkmar eine goldene Zigarettendose hin. Er nahm eine der würzigen Orientzigaretten, die Soriano bevorzugte, und inhalierte die ersten Züge mit geschlossenen Augen. Der Kognak und die Zigarette brachten etwas Farbe in sein grau gewordenes Gesicht zurück. Aber die physische Erschöpfung blieb, sie wurde sogar noch stärker. Umfallen und schlafen, dachte Volkmar. Wie schön wäre das! Oder jetzt in Lorettas Armen liegen, den Kopf zwischen ihren Brüsten, und an nichts denken, an gar nichts. nur Ruhe. Ruhe. Ruhe.

Er hatte das Gefühl, zu schweben, lehnte sich weit zurück und schloß die Augen.

«Dr. Daniele ist der Justitiar unserer Vereinigung«, sagte Dr. Soriano. Für Volkmar klang es, als habe Don Eugenio Watte vor dem Mund.»Ich hielt es für gut, daß er deinen großen Erfolg miterlebt und allen unseren Freunden davon erzählt. Thalebs Scheck ist übrigens in Ordnung. Bei einer Schweizer Bank eingezahlt.«

«Wie schön!«sagte Volkmar halblaut.»Noch etwas?«

«Barnards Patient, Louis Waskansky, liegt im Sterben. Es gelingt ihnen nicht, die Lungenentzündung zu beherrschen. «Soriano strich Volkmar fast zärtlich über das Gesicht.»Noch einen Kognak, Enrico?«

«Nein.«

«Einen anderen Wunsch?«

«Ja. Laßt mich allein! Geht raus! Ich will jetzt nichts mehr hören.«

Er legte sich auf das Sofa, streckte die Beine von sich, drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und ballte die Fäuste. Warum schlage ich nicht zu, dachte er. Warum trete ich sie nicht in den Unterleib! Der Scheck ist in der Schweiz. der Justitiar der Mafia beobachtet am Fernsehen meine Operation. O Himmel, was ist aus mir geworden! Eine Operationsmaschine, die Herzen herausholt und Millionen Dollar einbringt. Ein blutiger Handlanger! Und es gibt keine Flucht davor, denn jeder, den sie mir bringen werden, ist wirklich krank und fordert mein ärztliches Gewissen heraus. Das ist das Fürchterlichste! Ich muß es tun, um zu helfen!

Soriano winkte Dr. Daniele stumm zu und zeigte auf die Tür. Leise verließen sie das Zimmer und zogen lautlos die Tür ins Schloß. Erst, als sie im Lift standen, der sie aus dem Keller in das prunkvolle Kinderheim von Camporeale brachte, sprachen sie wieder.

«Er ist wirklich ein Genie«, sagte Dr. Daniele. Der Kognak hatte auch ihm gutgetan; die grünliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.»Nun müssen wir abwarten, ob es diesem Thaleb nicht so ergeht wie Waskansky. Erfolge sprechen sich herum. Niederlagen aber noch mehr!«

«Wir haben bis heute schon zwölf Anmeldungen für Herztransplantationen. Alles von Kapstadt Abgewiesene. Meine Agenten in

Südafrika arbeiten vorzüglich.«

«Zwölf Herzkranke?«Dr. Daniele starrte Soriano entgeistert an.»Don Eugenio, wo wollen Sie die Herzen hernehmen?!«

«Die Frage ist bereits gelöst. «Der Lift hielt in der herrlichen, mit Marmor verkleideten Halle, an deren hoher Wand, von Blumen umrahmt, die jeden Tag ausgewechselt wurden, der eingerahmte Brief des Papstes hing. Soriano blieb unter dem Dokument stehen, während Dr. Daniele kopfschüttelnd den Text las. Er ist schon ein eiskalter Hund, dieser Don Eugenio, dachte er. Der beste Chef seit hundert Jahren! Das kann ihm keiner absprechen.

«Ich muß vor allem den Franzosen danken«, sagte Soriano in freundlichem Ton.

«Den Franzosen?«

«Genauer gesagt: Einer ihrer markantesten Einrichtungen: der Fremdenlegion!«

Dr. Daniele blickte Soriano entgeistert an.»Das verstehe ich nicht«, meinte er achselzuckend.

«Noch immer übt die Fremdenlegion, obwohl ihre große, glorreiche Zeit — von ihr aus gesehen! — vorbei ist, einen eigentümlichen, faszinierenden Reiz auf junge Männer aus. Auch in Italien. Auch in Sizilien. Das Leben ist ein Abenteuer — wer weiß das besser als wir?! Seit vier Tagen arbeiten drei illegale Werbebüros der Fremdenlegion in Catania, Messina und auf dem Festland in Neapel.«

Dr. Eugenio wischte sich über die Stirn.»Ich verstehe noch immer nicht, Don Eugenio.«

«In den Werbebüros — es spricht sich schnell herum, daß es sie gibt — melden sich die jungen Männer, die von Abenteuern und schönen Frauen träumen. Wir nehmen sie genau unter die Lupe, untersuchen sie, vor allem ihr Herz, denn die Legion nimmt nur kerngesunde, harte Burschen. Und wenn sie unseren Maßstäben genügen, bekommen sie, wie üblich, ihr Handgeld und werden in kleinen Sammeltransporten, immer fünf Mann und zwei Mann Begleitung, hierher gebracht. Im Augenblick leben schon neunzehn Kerle, stark wie Stiere, in einem schalldichten Stockwerk von Haus

«Hier? Im Kinderheim?«Dr. Daniele verspürte ein geheimes Grauen.»Schalldicht.«

«Wenn sie merken, daß hier keineswegs die Sammelstelle der Fremdenlegion ist, beginnen sie zu toben. «Dr. Soriano ging voraus zu dem großen Büro, das er sich im Kinderheim hatte einrichten lassen. Ein kleiner Saal, voller Blumenkästen und mit Sitzgruppen aus weißem Leder. Durch die wandhohen Fenster blickte man auf die Schwimmanlage mit ihren vier großen gekachelten Becken. Eine Menge fröhlicher, jauchzender Kinder lärmte in den Pools, rutschte ins Wasser oder spielte Wasserball. Zwei junge, hübsche Kindergärtnerinnen im Badeanzug beaufsichtigten die glückliche Kinderschar.

Dr. Daniele spürte wieder, wie ihn das Grauen ansprang. Dort die Kinder, das vom Papst gesegnete Bild — und zwei Häuserflügel weiter neunzehn junge Männer, die nicht wußten, daß man sie eines Tages ihrer gesunden Herzen wegen töten würde. Dr. Sorianos lebende Herzbank. Eine Zuchtstätte für Opfertiere. Weiter nichts.

Dr. Daniele begriff plötzlich und wurde stumm. Jedes Wort hätte ihn jetzt erwürgt. So etwas hatte es sogar in der Mafia noch nicht gegeben. Im alten Rom vielleicht geschah Vergleichbares: in den Kellern der Arenen, wo Gladiatoren gegen Löwen, Tiger, Stiere oder gegeneinander kämpfen mußten und wo es nur einen Sieger und einen Besiegten gab, aber kaum Gnade. Doch die Hoffnung blieb selbst diesen Unglücklichen, daß der Kaiser den Daumen nicht nach unten, sondern nach oben reckte und auch den Besiegten überleben ließ.

Bei Soriano aber wird es keine Gnade geben. Brauchte man ein Herz, so war's nur wie ein Griff ins Ersatzteillager. Der Mensch — nur noch ein Austauschobjekt.

«Und — und das fällt nicht auf?«fragte Dr. Daniele, als es ihm wieder möglich war, Worte zu finden.

«Wer sich von der Fremdenlegion anwerben läßt, bricht meistens alle Brücken hinter sich ab. Das weiß die ganze Welt. Wer fragt dann noch? Wo soll man fragen? In Paris? Bei der Zentrale in Korsika?

Es gibt ja doch keiner Antwort! Wer bei der Legion ist und vergessen werden will — der wird vergessen. «Dr. Soriano lehnte sich zufrieden in seinen Sessel zurück und sah mit Vergnügen den spielenden und badenden Kindern zu.»Verstehen Sie nun, wenn ich sagte: Ich bin Frankreich sehr dankbar?!«

«Diese Idee, Don Eugenio, ist der Genialität des Satans entsprungen! Sie sammeln gesunde Herzen wie andere Pilze.«

«So ähnlich. Dr. Volkmar wird nie Mangel an Transplantaten haben.«

«Weiß er das?«

«Er wird es nie erfahren. Er wird immer glauben, daß ich aufgrund meiner guten Beziehungen zu allen Kreisen und Behörden an Verunfallte herankomme und deren Herzen kaufe. Natürlich mit einem Vertrag, der mit den Hinterbliebenen geschlossen wurde.«

«Und wenn er doch dahinterkommt? Zufälle sind das Spielzeug des Schicksals. Was dann?«

«Es ist völlig ausgeschlossen! Er sieht den Herzspender erst, wenn er bereits zur Operation bereit ist. Alles, was vorher zu tun ist, übernimmt Dr. Nardo. Bei Unfallopfern kann man nicht lange fragen, da muß schnell gehandelt werden. Und außerdem.«

«Was außerdem?«

«Enrico wird im nächsten Jahr — ich hätte es gern im Mai — Loretta heiraten.«

«Und Sie glauben, daß er dann alles schluckt, was Sie ihm vorsetzen?«

«Das nicht. «Dr. Soriano lachte fröhlich. Direkt vor seinem riesigen Fenster bespritzten sich zwei kleine Jungen mit Wasser und quietschten vor Vergnügen.»Aber er wird keine Zeit haben, sich um mehr zu kümmern als um seine Herzpatienten und um seine junge Frau. Meine Tochter ist ein Ausbund von Temperament und neunzehn Jahre jünger als Dr. Volkmar. Er wird pro Tag vierundzwanzig Stunden ausgelastet sein!«

«Und wie lange wollen Sie das durchhalten?«

«Welche Frage!«Soriano schlug die Beine übereinander. Das Telefon auf dem Glastisch neben ihm schellte, er hob den Hörer ab, nahm stumm das Gespräch entgegen und legte ohne Kommentar wieder auf.»Worthlow. Er hat Dr. Volkmar gerade abgeholt und fährt ihn nach Hause. Im Augenblick wird noch die Intensivüberwachung kontrolliert. Man hat Thaleb gerade an die Geräte angeschlossen. Der letzte Akt der Operation. - Ach ja, Ihre Frage. Wie lange? Solange es Herzen gibt, die ausgetauscht werden müssen. Dr. Volkmar ist jetzt zweiundvierzig, gesund, durchtrainiert, sportlich. Das wird er bleiben. Er schwimmt gern, spielt Tennis, Golf, hat sogar einen Segelschein gemacht. Wenn er mit Loretta verheiratet ist, schenke ich ihm eine große Yacht. Unter diesen Aspekten kann er noch gut fünfundzwanzig Jahre im OP stehen und als Lehrmeister seine Nachfolger ausbilden. Stimmt's, Dr. Daniele?«

«Man kann das Schicksal nicht in eine mathematische Formel pressen, Don Eugenio.«

«In etwa doch. «Dr. Soriano legte die langen schmalen Hände aneinander und blickte hinaus zu den fröhlichen Kindern.»Einmal werde auch ich Enkel haben«, sagte er langsam.»Das ist ein Fundament, auf das man eine Zukunft bauen kann: die Familie Volkmar… oder, wie sie offiziell heißen wird: Die Familie Dr. Monte-leone. - Warum sollte man da noch Fragen stellen?«

Die illegalen >Werbebüros der Fremdenlegion< in Messina, Catania und Neapel meldeten einen Zulauf, den man selbst bei größtem Optimismus nicht für möglich gehalten hätte. Es gab anscheinend doch mehr junge Männer, die sich von einem Dasein als Söldner eine Welt voller Abenteuer versprachen, obwohl gerade in der letzten Zeit sehr viel Entlarvendes über die Fremdenlegion geschrieben wurde und Indochina, Algerien und Somaliland zum Inbegriff elender Schinderei und eines dreckigen Sterbens geworden waren.

Die >Büros< hatte man als Gemüseläden getarnt. Ein guter Einfall, denn bei einem Gemüseladen geht es raus und rein, und niemand findet etwas Auffälliges an der Tatsache, daß neben vielen Hausfrauen auch junge Männer sich für Orangen, Grapefruits, Salate oder Melonen interessieren. Und während im eigentlichen Laden zwei nette Verkäuferinnen die Kunden bedienten und auch viele Touristen und Ferienwohnungsmieter ihr frisches Gemüse auswählten, saßen ein paar der jungen Männer in zwei Hinterzimmern, füllten Fragebogen aus, ließen sich — als erste Untersuchung — den Oberkörper abhorchen, den Blutdruck messen, mußten aufTrimm-dich-Fahrrädern strampeln und wurden an Herzrhythmus- und Atemmeßgeräte angeschlossen.

«Nur ganz harte Burschen können wir gebrauchen!«sagte der >Ge-müsehändler< und blickte in die erwartungsfrohen Augen der Kandidaten^»Ob auf Korsika oder in Dschibuti, der Dienst ist hart und die Weiber sind geil! Das muß man durchstehen können!«

Die Jungen lachten, unterzogen sich allen Tests und waren glücklich, wenn der Gemüsehändler am Ende aller Untersuchungen sagte:»Ich glaube, dich können wir gebrauchen. Aber das wird in der Zentrale entschieden.«

Die Ausgewählten bekamen ihr Handgeld, zweihunderttausend Lire, das sind gut fünfhundert Mark, und einen Zettel, auf dem stand:»Übermorgen, um 5 Uhr früh, auf dem Platz Garibaldi!«

Es konnte tatsächlich nicht auffallen: Um 5 Uhr früh stand auf dem Platz ein Kleinbus, gleich nach der Haltestelle der städtischen Busse, ein freundlicher Fahrer begrüßte die fünfoder sechs Burschen und besänftigte ihren Abschiedsschmerz ein wenig, indem er sagte:»Kopf hoch, Kameraden! In der Legion wird eure neue Heimat sein! Wenn alles gutgeht, habt ihr nächste Woche schon euren ersten Ausgang in'n Puff!«

Die Jungen lachten, stiegen in den Bus und fühlten sich bereits jetzt stolz und stark.

Die Fahrten von Messina und Catania aus, quer durch Sizilien, dauerten nicht lange. Wer von Neapel herüberkam, erlebte noch eine schöne Schiffsreise und oft genug schon auf dem Schiff eine zärtliche Stunde. Das ist das Merkwürdige bei Seereisen: Die Frauen entwickeln eine Liebessehnsucht, als gälte es, Jahre nachzuholen oder

Jahre vorauszuleben. Sexualwissenschaftler behaupten, die jodhaltige Salzluft des Meeres rege dazu an.

Es war das letzte Erlebnis der >Kandidaten<. Und ihre letzte Begeisterung schlug hohe Wellen, wenn sie über die neue Straße von Camporeale den Hügel hinauffiuhren und den riesigen weißen Bau des Kinderheimes sahen.

«Ist das die Kaserne?«war die immer gleiche Frage.

«Natürlich nicht!«lautete dann die Antwort.»Das ist die heimliche Sammelstelle, Kameraden. Hier werdet ihr noch einmal gründlich untersucht, und wenn dann alles in Ordnung ist, seid ihr endgültig Angehörige der ruhmreichen Fremdenlegion.«

Der Flügel III des Kinderheimes war auf der obersten Etage schalldicht ausgebaut. Ein Lift, der nur von dort in den Keller fuhr und sonst nicht zu erreichen oder auch nur zu sehen war, verband die Operationsabteilung mit Sorianos furchtbarer >Herzbank<. Die vier Zimmer unter der Erde, in der auch Domenico Barnazzi aus Leonforte gesessen hatte, tobend, schreiend, um sich schlagend, bis drei bullige Männer ihn packten, zusammenschlugen und in den nächsten fünf Tagen mit Injektionen ruhigstellten und durch das Teufelszeug, das sie ihm einspritzten, wesensmäßig so veränderten, daß er später nur noch stumpfsinnig vor sich hin brütend herumsaß, aß, seine Notdurft verrichtete und schlief — diese vier Zimmer hatten sich bald als viel zu klein erwiesen. Auch als in jedem Raum zwei Männer wohnten, kam man in Platznot, denn aus den Sammelstellen karrten die fleißigen Werber jede Woche mindestens einen Bus voll nach Camporeale.

So wurde der Flügel II, siebtes Stockwerk, in Tag- und Nachtarbeit umgebaut zu einem ausbruchssicheren, schalldichten Gefängnis. Die Fenster mauerte man zu, aber nur von innen. Wer an dem weißen Bau emporblickte, sah auch am siebenten Stockwerk das leuchtende Fensterband. Orangenfarbene Gardinen hielten die Sonne ab — es fiel keinem auf, daß sie immer vorgezogen blieben und sich nie ein Fenster zum Lüften öffnete.

Diese Etage hatte man in der Grundplanung für komfortable Krankenzimmer vorgesehen, in die man die Herzpatienten legen wollte, wenn die kritischen ersten zwei Wochen vorbei waren und die spontanen Immunreaktionen beherrscht werden konnten. Spezielle Klimageräte mit Filtern machten auch hier die Luft völlig keimfrei, um von Beginn an das auszuschalten, woran Professor Barnards erster Herztransplantationsfall gescheitert war: Eine Infektion von außen!

Spätestens wenn die jungen Burschen aus Neapel, Catania und Messina in diesen Zimmern hockten, immer vier Mann in einem Raum, nach Röntgenuntersuchungen, Blutabnahmen und eingehenden Labortests ihrer Eiweißgruppen, dämmerte es ihnen, daß hier etwas nicht stimmen konnte. Die Zimmer hatten keine Fenster, an den Türen waren keine Klinken, sie durften nicht ins Freie, bekamen ihr Essen gebracht und erhielten auf ihre immer dringlicher werdenden Fragen nur die Antwort:»Abwarten! Alles braucht seine Zeit!«

Der Luxus war perfekt, ohne Zweifel. Man konnte in großen Badewannen baden, es gab Duschen und sogar etwas, was sie noch nie gehört, geschweige gesehen hatten: ein Solarium! Eine künstliche Sonne! Jeden zweiten Tag legte man sie nackt darunter, auf eine weiß bezogene Bank, dann ging es in eine Art Sportraum, wo allerlei Trainingsgeräte standen, auch Hanteln, Expander, Trockenruderapparate gab es dort, Sprossenwände, Recks und Barren, Pun-chingbälle und Sandsäcke.

Hier tobten sich die >Anwärter auf den Ruhm von morgen<, wie ein Arzt sie einmal genannt hatte, in Gegenwart von drei Aufsehern aus. Das einzige, was störte, waren die Maschinenpistolen, die vor der Brust der >Kameraden< hingen und vermutlich schußbereit waren.

«Jetzt sind es schon dreiunddreißig Mann, Don Eugenio«, sagte drei Wochen später Dr. Nardo bei einer Besprechung zu Dr. Soriano.»Wir müssen abstoppen und eine Zeitlang tatsächlich nur Gemüse verkaufen. Oder wollen Sie eine ganz Kompanie zusammenstellen?«

«Wieviel brauchen Sie?«fragte Soriano zurück.

«Mit diesen dreiunddreißig komme ich vorerst aus. «Es war wirklich, als spräche man über die Lagerhaltung von Ersatzteilen.»Wir haben Glück gehabt. Ich kann über eine Auswahl verschiedener Eiweißgruppen verfügen. Die Herzen sind durchweg in bester Form. Sämtliche Tests sind von den Burschen mit Bravour durchgestanden worden. Auch die extremsten Belastungen.«

Soriano nickte. Er griff zum Telefon und rief Catania, Messina und Neapel an. Die Werbeaktion für die >Fremdenlegion< wurde gestoppt. Dr. Nardo wartete, bis die Gespräche beendet waren, und legte dann Soriano eine Liste vor.

«Dr. Volkmar hat vier Patienten für eine Transplantation vorgesehen«, sagte er.»Nach vergleichenden Laborergebnissen haben wir für sie auch die Herzen.«

«Vier?«Soriano hob die Augenbrauen.»Wir haben elf Kranke hier.«

«Bei sieben Patienten hält Dr. Volkmar einen Herzaustausch nicht für erforderlich.«

«Ich kläre das!«Soriano erhob sich.»Sprechen Sie mit den Kranken, Pietro, und versprechen Sie ihnen, daß ihnen geholfen wird.«

Unmöglich, dachte er, als er in seinem Wagen saß und zurück nach Solunto fuhr. Man muß das Enrico einmal klarmachen! Man kann doch nicht vierzehn Millionen Dollar einfach nach Hause schicken! Wie soll man das der >Gesellschaft< gegenüber verantworten?

Achmed ibn Thaleb hatte die totale Herzverpflanzung gut überstanden. Das neue Herz des jungen unbekannten Fischers schlug kräftig in seiner Brust, der Blutdruck war fast normal, der Schlagrhythmus, wie ihn der Schreiber des Meßgerätes aufzeichnete, zufriedenstellend. Thaleb hing noch an etlichen Tropfflaschen, seine Brust war überzogen mit Drähten und Kontaktbändern, an die man eine Reihe Instrumente angeschlossen hatte. Wer zu ihm wollte, mußte zwei Sterilzellen durchlaufen, wurde bestrahlt und besprüht, wechselte die Kleidung und war, wenn er das eigentliche Krankenzim-mer der Intensivstation betrat, nach menschlichem Ermessen frei von allen Keimen und Bakterien. In den ersten Tagen trug jeder auch noch Atemmasken, um keine Infektionen mit dem Atem einzuschleppen.

Louis Waskansky in Kapstadt war gestorben. Nach achtzehn Tagen mußte Professor Barnard vor der Lungenentzündung kapitulieren. Er war in einen Teufelskreis geraten: Einerseits mußte man Waskansky mit Mitteln vollpumpen, die eine Immunreaktion des Herzens aufhielten, andererseits entzog man damit dem Körper jede Abwehrbereitschaft gegen die einfachsten Infektionen. Ein aussichtsloser Kampf war beendet.

Dr. Soriano war sehr in Sorge, als im Fernsehen gezeigt wurde, wie Professor Barnard, abgespannt, mit tiefen Ringen unter den Augen, total erschöpft und sichtlich erschüttert, das Groote-Schuur-Hospital verließ und den Fernsehreportern gestand:»Wir haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Hier konnte kein Mensch mehr helfen.«

Aber auf die Frage:»Wollen Sie trotzdem weiter Herzen verpflanzen?«hatte Barnard ganz klar geantwortet:»Ja!«

Volkmar sah diese Sendung in seinem Gästehaus. Loretta war wieder bei ihm, in einem traumhaften Neglige aus gelber Seide, so dünn gesponnen, daß ihr herrlicher Körper wie von einem Schleier umgeben war. Sie lag auf der Couch, den Kopf in seinem Schoß, und streichelte seine behaarte Brust, während auf dem Bildschirm Professor Barnard weitere Reporterfragen abwehrte und zu seinem Wagen lief.

«In zwei Tagen ist Weihnachten«, sagte sie und küßte seine Hände, die über ihre Augen glitten.

«Erinnere mich nicht daran!«

«Ich weiß, was Pa dir schenken wird.«

«Zehn Herzkranke. Sie liegen schon in der Klinik.«

«Eine große Segelyacht. Morgen kommt sie direkt von der Werft.«

«Eine Segelyacht! Für mich! Das ist ja ein Hohn!«

«Mit vier Mann Besatzung.«

«Aha! Das sind vier Wächter, die verhindern sollen, daß wir vor dem Wind in die Freiheit segeln!«Er machte sich von Loretta frei, ging zum Fernseher, stellte ihn ab und blieb an der großen Glastür zum Dachgarten stehen. Es war eine für Sizilien kalte Nacht; eine Kältewelle zog von Osten über das Mittelmeer und hatte es in den Bergen von Monti Erei sogar schneien lassen. Seit drei Tagen versorgten Militärlastwagen die Bergbevölkerung mit Wasser und Lebensmitteln. Die Straßen waren vereist, die Wasserleitungen zugefroren.

«Wir müssen weg, Loretta«, sagte er leise.»Nur du kannst da noch helfen. Meine Überwachung ist perfekt. Ein eingleisiges Leben: Von hier zur Klinik und zurück, und immer sind zwei >nette Freunde< um mich.«

«Wo willst du hin?«fragte sie.»Zurück nach Deutschland? Dort bist du tot.«

«Man wird schnell begreifen, daß ich lebe.«

«Und dann?«Sie war hinter ihn getreten und hatte ihn umfaßt. Er spürte den Druck ihrer Brüste in seinem Rücken und wußte, daß er sich nie von dieser Frau würde trennen können.»Es ist nicht so einfach, als Toter wieder lebendig zu werden. Vor allem die Polizei wird dich fragen.«

«Natürlich. Und ich habe viel zu erzählen.«

«Du verlangst, daß ich meinen Vater vernichte?«

«Er ist der Chef der Mafia, Loretta.«

«Er bleibt mein Vater. Das kannst du nicht verlangen, Enrico.«

«Aber du kannst dich damit abfinden, daß ich für die Mafia heimlich Herzen verpflanze?! Pro Herz zwei Millionen Dollar als niedrigste Taxe. Damit kannst du leben?!«Er fuhr herum und drückte sie an sich. Sie verschränkte die Arme um seinen Nacken und war ganz Hingabe. Ihr Körper drängte ihm entgegen.»Ich liebe dich«, sagte er heiser.»Mein Gott, was sollen wir nur tun? So kann es doch nicht weitergehen.«

«Wir können aber auch Pa nicht verraten. Enrico, ist es nicht gleich, wo du operierst? Ob in München oder New York, London oder Pa-ris? Es sind doch Kranke, die zu dir kommen, Hilfesuchende. Und nur du kannst ihnen helfen!«

«Sie sind für deinen Vater eine Ware, weiter nichts. Er handelt mit ihnen. Herz gegen Herz, so wie man eine Kiste Apfelsinen kauft und weiterverkauft. Das ist so fürchterlich. Man könnte wahnsinnig werden, wenn man daran denkt. «Er preßte sie an sich und legte sein Gesicht in ihr langes schwarzes Haar.»Ich muß hier raus, Loretta«, sagte er. Es klang wie ein Stöhnen.»Auch ich habe nur Nerven. Die Welt ist doch groß genug für uns! Irgendwo wird es einen Platz geben, wo wir in Ruhe leben können.«

«Pa wird uns überall finden. Natürlich könnten wir flüchten. Aber es wäre eine Flucht ohne Ende. Nirgendwo hätten wir Ruhe! Nie!«

«Ich werde mich als kleiner Landarzt niederlassen. Ich werde in der Anonymität versinken.«

«Und das genügt dir? Das ist das Ziel deines Lebens? Du, der von Gott gesegnete Chirurg. Der erste Arzt, der ein Herz austauschen kann?«

«Ich sehne mich nach Ruhe, Loretta. Nur Ruhe! Ruhe! Und dazu deine Liebe. Sie ist allein ein ganzes Leben wert.«

«Wir können es versuchen, Enrico. «Sie führte ihn wie einen kleinen Jungen in das Schlafzimmer, zog ihn an ihre Seite auf das Bett und küßte seine Augen, seine Lippen, seine Stirn. Es war eine Zärtlichkeit, in die man sich verkriechen konnte wie ein sterbendes Tier in eine Höhle.

Unter dem Streicheln ihrer Hände wurde er ruhiger.

Er streckte sich aus, schloß die Augen und atmete tiefer.

Loretta beugte sich über ihn. Seine Lider vibrierten, durch die Mundwinkel lief ab und zu ein Zucken.

«Ich werde alles versuchen«, sagte sie leise.»Alles. Du weißt gar nicht, wie ich dich liebe.«

«Danke.«, antwortete er.

Seine Stimme war weit weg, aber er hatte sie gehört und war glücklich.

Am nächsten Tag war alles wieder anders.

Dr. Nardo rief aus der Klinik an. Auch die Patienten hatten im Fernsehen den Bericht aus Kapstadt verfolgt und waren unruhig geworden. Waskansky war tot. Die erste bekanntgewordene Herztransplantation endete mit einer Niederlage der Ärzte. Wiederholte sich das alles nun hier im stillen? Oder konnte man hier mehr als in Kapstadt? Gab es hier bessere Chirurgen als Professor Barnard? War das Todesurteil schon gesprochen, wenn man in den Operationssaal gerollt wurde? Zwei Millionen Dollar hatte man für ein neues Herz hingeblättert. Vorauskasse. Da war Dr. Soriano vorsichtig und eisern. Kaufte man für zwei Millionen Dollar nicht mehr als ein verlängertes Sterben?

Dr. Nardo ging von Zimmer zu Zimmer und versuchte, die Kranken zu beruhigen. Er zeigte Fotos von Achmed ibn Thaleb, der munter im Bett saß und aß. Zwar war es noch flüssige Kraftnahrung — aber er saß aufrecht im Bett, von allerlei Drähten und Schläuchen umgeben, und lächelte in die Kamera. Ein paar Ärzte umringten ihn und lächelten siegessicher mit.

Fotos! Was sagten sie schon aus? Fünf Minuten nach diesen Aufnahmen konnte Thaleb schon zusammengebrochen sein und mit dem Tod ringen. Das fotografierte man nicht. Eine Besichtigung des Operierten war ausgeschlossen, wegen der Infektionsgefahr, aber man hatte Thaleb ein Tonband besprechen lassen, das Dr. Nardo nun in jedem Zimmer abspielte.

Thaleb sagte mit recht munterer Stimme:»Mir geht es gut. Das neue junge Herz ist wunderbar! Ich fühle mich um dreißig Jahre jünger! Früher konnte ich nur einen Satz sprechen, dann mußte ich nach Atem ringen. Jetzt — Sie hören es ja! Man hat in mir die Zeit zurückgedreht. Ich bin so glücklich, daß ich weinen könnte vor Glück. Ich lebe weiter, und mein neues Herz klopft, klopft, klopft. Ein unbeschreibliches Gefühl!«

Auch dieses Tonband überzeugte nur halb. Männer, die zwei Millionen Dollar bezahlt haben, sind mißtrauisch. Wer garantierte, daß auf dem Band nicht ein Arzt gesprochen hatte? Auch Dr. Nardos kecke Erzählung, Thaleb habe schon wieder Interesse an Frauen und habe gefragt, wann er wieder, nach langer, langer Zeit, so richtig, mit Freuden — fand nur ein geteiltes Echo. Der Fernsehbericht aus Kapstadt war greifbarer, glaubhafter. Den toten Waskansky gab es wirklich. Den geretteten Thaleb hatte noch keiner gesehen!

«Sie müssen selbst überzeugen, Chef!«sagte Dr. Nardo am Telefon.»Die beste Wahrheit ist die greifbare. Wenn Sie jetzt neue Transplantationen vornehmen würden! Die Gelegenheit ist sehr günstig. In Palermo liegt ein Autounfall, der mit den Geweben von Basil Hodscha harmonieren könnte.«

Basil Hodscha war Patient Nr. 6 auf der Liste. Ein steinreicher Kaufmann aus Lyon, mit einem irreparablen Herzklappenfehler, der dem massigen Mann nur gestattete, sich im Zeitlupentempo zu bewegen. Sorianos Agenten hatten ihn in Kapstadt angesprochen und sofort nach Camporeale gebracht, nachdem Professor Barnard die Operation abgelehnt hatte. Das besondere an Basil Hodscha, einem geborenen Armenier, war, daß er statt zwei Millionen Dollar von sich aus drei Millionen geboten hatte, wenn er ein neues Herz bekäme. Soriano hatte nur zwei kassiert; die andere Million sollte als Erfolgshonorar gelten.

«Sie gehört dir, Enrico«, hatte er zu Dr. Volkmar gesagt.»Eine schwarze Million, auf einem Schweizer Konto!«

«Sie wird da verschimmeln!«hatte Volkmar geantwortet.»Oder werde ich jemals wieder in die Schweiz kommen?«

«Warum nicht? Wenn ihr geheiratet habt. Wenn du dich endlich an mich gewöhnt hast.«

«Also verschimmelt sie doch!«

Das Thema war damit erledigt. - Aber Basil Hodscha lag auf Zimmer 6, bekam kräftigende Injektionen und eine herzunterstützende Behandlung. Und wartete auf sein neues Herz. Volkmar untersuchte ihn gründlich und entschied, daß Basil nicht operiert werden dürfe. Nicht nur das Herz war stark geschädigt, auch das gesamte Adernsystem war durch Ablagerungen von Cholesterin verfettet. Ein neues Herz würde nur die Hälfte der Probleme beseitigen.

«Noch gibt es keine Adernreiniger, so wie man Kalklöser in Rohrleitungen schüttet«, sagte er zu Soriano und Dr. Nardo.»Ich lehne eine Operation Basil Hodschas ab.«

Von da an sprach man nicht mehr darüber. Es war sinnlos, mit Dr. Volkmar zu diskutieren. Aber Dr. Nardo arbeitete weiter. Er setzte Basil als nächsten Anwärter auf die Liste und suchte aus den eingehenden Testberichten der dreiunddreißig Männer im siebenten Stockwerk von Flügel III des >Kinderheimes< die passenden aus. Es kamen zwei in Betracht: Ein Landarbeiter aus Mascalucia bei Catania und ein Elektriker aus Caserta, in der Nähe von Neapel. Beide waren zweiundzwanzig Jahre alt, groß und stämmig, mit Herzen wie aus einem Lehrbuch, strotzend vor Gesundheit.

«Vor Weihnachten operiere ich nicht mehr!«sagte Dr. Volkmar am Telefon.»Und Basil Hodscha überhaupt nicht! Gut, ich komme nachher, ich spreche mit den Patienten. Hat Thaleb von Was-kanskys Tod gehört?«

«Nein. Sollen wir es ihm sagen?«

«Noch nicht. Er ist noch nicht aus dem kritischen Stadium heraus.«

In der Klinik hatte Volkmar den ganzen Tag damit zu tun, von Zimmer zu Zimmer zu gehen und die aufgescheuchten Patienten zu beruhigen. Die Unterhaltungen fanden meistens in englischer Sprache statt, lediglich Basil Hodscha sprach nur Armenisch und Französisch.

Allerdings sah die Beruhigung anders aus, als sie sich Dr. Nardo gedacht hatte. Volkmar zerstreute keine Bedenken, sondern sagte:»Wenn Sie glauben, daß das Risiko zu groß ist, bin ich der letzte, der Sie hindern würde, wieder nach Hause zu fahren. Erinnern Sie sich an die Worte, die ich Ihnen bei der Aufnahme gesagt habe: Eine Herztransplantation in der Art, wie ich sie durchführe, schließt immer das größte Risiko ein, das medizinisch denkbar ist. Und Sie haben geantwortet: >Ob so oder so — ich riskiere nichts mehr! Mit meinem alten Herzen sterbe ich bestimmt.< Dem kann nicht widersprochen werden. Ich sage Ihnen jetzt noch einmal: Es gibt kei-ne Garantie! Es gibt nur den Glauben, daß es gutgehen kann.«

«Das nennen Sie Beruhigung?«sagte Dr. Nardo später mit süßsaurer Miene.

«Ich kann nicht lügen!«Dr. Volkmar ließ ihn stehen — eine bewußte Brüskierung.»Auch für Millionen nicht! Ein Kranker in dieser Lage hat das Recht auf Wahrheit!«

Achmed ibn Thaleb ging es gut. Auf den Monitoren, über die man alle seine Körperfunktionen überwachte, zeigte sich ein klares Bild. Nach anfänglichem Fieberanstieg, der die Abwehrreaktion des Körpers signalisierte, die man sofort mit Injektionen von Corticoste-roiden bekämpfte, schien sich Thalebs Natur daran zu gewöhnen, daß ein neues Herz das Blut kraftvoll durch die Adern pumpte. Sein Allgemeinzustand besserte sich zusehends. Wenn Volkmar an sein Bett trat, faßte er mit beiden Händen nach seiner Hand und hielt sie fest, solange Volkmar mit ihm sprach. Manchmal hatte man den Eindruck, er wolle sie sogar küssen: diese begnadeten Hände, die ihm ein neues Leben geschenkt hatten.

«Noch haben wir nicht gewonnen, Mr. Thaleb«, sagte Volkmar.»Die große Prüfung kommt erst noch: Wenn Sie aus dem Bett können, wenn Sie gehen dürfen, wenn ich Sie aus der völlig sterilen Welt, in der Sie jetzt leben, hinauslasse in die von Bakterien verseuchte Freiheit. Was dann passiert, weiß ich noch nicht. Wir wissen dann nur, daß Ihr Herz angewachsen ist und schlägt und daß Sie lebenslang Medikamente schlucken müssen. Ob Sie aber zum Beispiel eine eitrige Mandelentzündung überleben, das wird sich erst zeigen. So ist die Lage, Mr. Thaleb.«

«Ich werde mich davor schützen, Doktor.«

«Wie? Wollen Sie ständig in einem Plastikanzug herumlaufen? Eine Mumie in Folie? Wollen Sie nur durch Filter atmen?«

«So schlimm ist das?«fragte Thaleb leise. Er sah Volkmar aus seinen braunen Rehaugen an, bettelnd und um ein gutes Wort flehend.

«Wir werden versuchen, Ihrem Körper trotzdem eine bestimmte Abwehrkraft zu erhalten, die allerdings nicht das Transplantat gefährden darf. Wir können jetzt nur abwarten, Mr. Thaleb, und immer wieder Mut haben.«

«Den habe ich, Doktor!«Thaleb sah Volkmar dankbar an.»Allah beschütze Sie!«

Im Flügel III des Kinderheimes, im siebenten Stock, hinter den innen vermauerten Fenstern, war der Aufstand ausgebrochen. Die >Kandidaten für die Fremdenlegion< rebellierten gegen ihre Behandlung. Sie sangen mit aller Lautstärke, brüllten dann und schlugen gegen die Türen. Als sich niemand um sie kümmerte, rissen sie die Waschbecken von den Wänden, zertrümmerten sie, drehten alle Hähne auf und setzten ihre Zimmer unter Wasser.

Bei den Wachmannschaften gab es Großalarm. Mit sieben Mann rückten sie an, dicke Gummischläuche in den Händen, und knüppelten die tobenden Gefangenen Zimmer nach Zimmer zusammen. Dann schleifte man die Besinnungslosen in die >Turnhalle<, entfernte dort alle Geräte und überließ sie sich selbst. Hier gab es nichts mehr zu zerstören. Die Wände waren kahl bis auf die Sprossenleitern. Es brachte nichts ein, diese abzureißen, mit Holzlatten kann man keine Betonmauern aufbrechen.

«Ich habe das kommen sehen, Don Eugenio«, sagte Dr. Nardo. Er stand hinter Soriano, der die verwüsteten Zimmer besichtigt hatte und sich berichten ließ, daß die dreiunddreißig Männer gerade dabei waren, mit den nun doch losgerissenen Sprossen gegen die Wände zu schlagen. Es war ein Höllenlärm — aber er drang nur ein paar Meter weit. Die Schallisolierung war vorzüglich.»Diese Männer werden nie resignieren und sich in ihr unbekanntes Schicksal ergeben. Wir müssen ihnen etwas bieten. Wein, Unterhaltung — vielleicht einen Kinoabend. Langeweile führt zu einem Aggressionsstau.«

«Morgen ist Weihnachten. «Soriano ging zurück in den Flur. Hauseigene Handwerker flickten die Wasserleitungen und schlossen neue Waschbecken an.»Ich will sehen, wie ich sie überraschen kann.«

Es wurde ein denkwürdiges Weihnachtsfest.

Obwohl Thaleb Mohammedaner war, wischte er sich die Tränen vom Gesicht, als über ein Mikrophon der Kinderchor des Heimes Weihnachtslieder sang. Eine Rundanlage übertrug die hellen Stim-men in jedes Zimmer, auf jedem Nachttisch brannten Kerzen, nur bei Thaleb nicht — wegen möglicher Infektionen. Für ihn leuchtete auf dem Bildschirm eine große, dicke Kerze, ein Kunstwerk aus Wachs, mit bunten Engeln bemalt. Ob das nun christlich war oder nicht — daß Thaleb so etwas wieder sehen konnte, noch sehen und hören konnte, erschütterte ihn bis in die Tiefe seines neuen Herzens. Er weinte vor Glück und beschloß, noch einmal hunderttausend Dollar für das Kinderheim zu stiften.

Die große Bescherung bei Soriano vollzog sich nach eingespieltem Ritus: Zuerst wurde das Personal beschenkt, an der Spitze Reginald Worthlow, der eine vollautomatische goldene Uhr erhielt. Man sah ihr von außen nicht an, daß sie ein kleiner Sender war, eine Wanze, wie es im Gangsterjargon heißt. Da Volkmar immer, wenn er etwas Besonderes zu sagen hatte, die in seinem Haus versteckten Abhörgeräte durch lautgedrehte Radio- oder Schallplattenmusik taub machte, sollte jetzt Worthlow mit seiner schönen goldenen Uhr immer in der Nähe sein. Ein Danaergeschenk — denn nun war es auch Worthlow unmöglich gemacht worden, mit Volkmar in der bisherigen Art zu sprechen.

Die Segelyacht war eingetroffen. Sie ankerte etwa hundert Meter von der Küste entfernt im Meer, hatte in der Heiligabend-Nacht über die Toppen geflaggt und war mit Lichterketten hell erleuchtet. Soriano, in einem schwarzen Seidensmoking, den Arm voll dunkelroter Rosen — an jeden Rosenstiel war ein Geschenk gebunden, kleine Päckchen mit märchenhaftem Schmuck —, kam zu Volkmar hinauf; ein Gastgeber und zukünftiger Schwiegervater voll ehrlicher Feiertagsfreude.

Worthlow hatte den Tisch gedeckt. Loretta war seit drei Stunden bei Volkmar, in einem langen, dunkelroten Abendkleid, tief ausgeschnitten, um die Schulter hatte sie einen hüftlangen Chinchillapelz gelegt. In das offene schwarze Haar hatte die Friseuse, die jeden Tag ins Haus kam, kleine goldene Blüten geflochten.

«Du bist von einem anderen Stern«, hatte Volkmar leise gesagt, als sie ins Zimmer kam.»Ich wage nicht, dich zu berühren.«

«Küß mich!«hatte sie geantwortet und den Kopf vorgestreckt.»Küß mich sofort! Du sollst spüren, wie irdisch ich bin.«

Da hatte sich Worthlow schnell in die Eingangshalle begeben. Seine Armbanduhr brauchte nicht alles zu übertragen.

«Unser erstes gemeinsames Weihnachten!«sagte Soriano mit gerührter Stimme. Und unser letztes, dachte Volkmar. Er spürte, wie Lorettas Hand nach ihm tastete. Er ergriff ihre Hand und zog sie an sich. Soriano sah es und lächelte wie ein glücklicher Vater.

«Ich glaube, es ist an der Zeit, dir zu danken, Enrico«, fuhr er fort.»Vergessen wir, daß alles nur wie ein Geschäft aussah, daß alles eine fruchtbare Idee war. Es hat sich so vieles anders entwickelt, als ich's mir ausgedacht hatte. Aus einem Gast ist mein Sohn geworden.«

«Einen Augenblick, Don Eugenio«, unterbrach ihn Volkmar. Er spürte, wie sich Lorettas Finger um seine Hand verkrampften. Ihre langen Nägel drangen in seine Haut. Nicht, bitte nicht, nicht jetzt, hieß dieser schmerzhafte Druck. Schluck es hinunter, Enrico! Mir zuliebe! Es ist Weihnachten, das Fest der Liebe. Laß ihn reden. Laß es an dir ablaufen wie Wassertropfen. Bitte!

«Ich weiß, was du sagen willst. «Soriano schüttelte langsam den Kopf.»Wir werden uns immer bekämpfen. Aber was soll's? Loretta liebt dich, ihr werdet bald heiraten, du wirst für mich wie ein Sohn sein. Wer kann mir verwehren, so zu denken? Aber es ist nicht nur das, was ich dir heute sagen will. Du hast eine medizinische Großtat vollbracht, wie noch kein Arzt vor dir. Und sie ist nur möglich geworden durch mich! Wir zwei haben eine Welt verändert. Über alle geschäftlichen Interessen hinaus ist das etwas Wunderbares, selbst für mich kaum Faßbares: Man kann Herzen auswechseln! Dieses große Erlebnis, das immer wiederkehren wird, schweißt uns zusammen, Enrico!«

«Muß ich mir das wirklich anhören?«sagte Volkmar hart. Es war ihm unmöglich, diese Reden noch länger zu ertragen.

«Nein!«Soriano winkte ab.»Es ist schon vorbei. Du solltest nur wissen, daß es auch für mich noch Dinge gibt, die mich erschüttern können. «Er ging an Volkmar und Loretta vorbei auf den Dachgarten und breitete die Arme, als wolle er sagen: Mir gehört die ganze Welt!» Komm heraus! Sieh dir das an. Mein Geschenk für dich und Loretta.«

Eine Weile stand Volkmar stumm an der Brüstung des Dachgartens und blickte hinüber zu der hellerleuchteten weißen Segelyacht auf dem nächtlichen Meer. Für ihn ein unwirklicher Anblick. Meine Yacht, dachte er. Der kleine Oberarzt und Dozent für Chirurgie aus München besitzt eine Yacht, die gut und gern eine Million gekostet hat. Oder rechnen wir anders: ein halbes Herz! Und warum besitzt er diese Yacht? Hat er dafür geschuftet, hat er geerbt? Nein! Er liebt die Tochter eines Mafia-Bosses und ist der Chefarzt einer Mafia-Klinik, in der man Herzen austauschen will wie Mo-tore.

«Ich werde sie nie betreten!«sagte er. Seine Stimme klang gepreßt.»Trotzdem: Meinen Dank, Don Eugenio. Wieviel Mann Besatzung hat sie?«

«Sechs.«

«Hervorragend. Genug, um einen einzelnen Mann in seinem Freiheitsdrang zu hindern. «Er lachte rauh, wandte sich ab und ging ins Haus zurück. Loretta hielt ihren Vater am Ärmel seines seidenen Smokings zurück, als er Volkmar folgen wollte.

«Ich liebe ihn!«sagte sie leise, aber mit einem drohenden Unterton, den er noch nie gehört hatte.»Was du ihm antust, trifft auch mich.«

«Mein kleiner Liebling!«Soriano drückte seiner Tochter die Rosen in die Arme und wollte sie küssen. Sie beugte den Kopf nach hinten und trat einen Schritt zurück. Betroffen starrte er sie an.

«Engelchen.«, sagte er leise.

«Ich wünschte, ich könnte dich hassen!«Sie warf die Rosen mit den kleinen Päckchen auf einen Gartensessel, als seien sie Abfall.»Aber du bist mein Vater! Ich weiß nicht, wie ich das überwinden kann.«

«Loretta!«sagte Soriano betroffen.»Mein Gott, wie kannst du so etwas denken! Du willst deinen Vater hassen?«

Er schwieg abrupt. Worthlow kam heraus und machte eine kleine Verbeugung.»Es ist serviert, Sir.«

«Wir kommen sofort. Wo ist der Dottore?«

«Er steht an der Bar und trinkt. Wodka pur. Ich kann ihn nicht davon abhalten. «Er verbeugte sich wieder und ging ins Haus zurück. Soriano bot seiner Tochter den Arm an, aber sie übersah diese Geste.

«Wenn du noch einen Wunsch hast.«, sagte er rauh.»Du weißt, ich erfülle dir jeden Wunsch, Engelchen.«

«Laß Enrico und mich nach Amerika fahren oder nach London oder nach Australien. weit weg. Nur laß ihn frei!«

«Das ist der einzige Wunsch, den ich dir nicht erfüllen kann. «Soriano blickte zu Boden. Plötzlich sah er aus wie ein alter Mann, der nur noch gehen kann, wenn er seine Schritte kontrolliert.»Auch wenn ich es wollte. es geht nicht mehr. Ich habe nicht allein über ihn zu bestimmen.«