172330.fb2
Zwei Jahre später ereignete sich in Rom ein Unfall.
Ein Mann, der Kleidung nach sehr wohlhabend, trat aus einem Weinlokal, überquerte die Straße, um zu seinem Wagen zu kommen und achtete nicht darauf, daß ein jugendlicher Motorradfahrer von der anderen Seite heranbrauste. Ehe der junge Mann hupen oder bremsen konnte, prallten sie schon zusammen. Der ältere Herr flog ein paar Meter durch die Luft, krachte dann auf das Pflaster und blieb besinnungslos liegen.
«Er ist mir 'reingelaufen!«schrie der Junge, den sofort eine Menschenmenge feindlich umringte.»Ihr habt es doch alle gesehen! Kommt einfach über die Straße! Keiner hätte da noch bremsen können! Keiner! Mach mir das einer mal vor! Ich habe keine Schuld! Das kann ich beweisen.«
Vordringlich war zunächst, den verletzten älteren Herrn zu retten. Mit Blaulicht und Sirene raste der Krankenwagen ins Spital. Der junge Notarzt im Wagen beatmete den Verletzten mit einer Sauerstoffmaske, aber die Gesichtsfarbe des Mannes wurde immer bläulicher. Der Puls verebbte.
«Wenn das noch gut geht!«rief der Notarzt, als man die Trage im Spital aus dem Wagen schob. Ein Oberarzt betrachtete den Mann kurz und nickte.
«Sofort zur Herzmassage!«
Im Laufschritt brachten die Sanitäter den Sterbenden zum Un-fall-OP, wo — von der Pforte bereits informiert — ein Arzt und eine
Schwester warteten. Der Oberarzt, der neben der Trage herlief, winkte ab, als er die Beatmungsapparatur sah, die man heranrollte.
«Blödsinn!«rief er und rannte zu dem Sterilbecken, tauchte die Hände hinein und schüttelte sie aus.»Auf den Tisch! Intrathorakale Herzmassage! Macht sofort den Interkostalschnitt! Los! Los! Und 'ran mit dem Reanimator!«
«Herzstillstand!«sagte der junge Notarzt und sah seinen Oberarzt an.
«Aufmachen! Verdammt!«
Der Oberarzt stürzte zum Tisch und setzte das ihm gereichte Skalpell an. Es ging um Sekunden. Die Sauerstoffunterbindung zum Hirn konnte irreversible zerebrale Schädigungen hervorrufen. Das bedeutete ein Weiterleben im Stadium blöder Hilflosigkeit.
Die Schwester und der Arzt rissen dem Verletzten das Hemd auf. Zwei weitere Ärzte stürzten in den Unfall-OP, um zu helfen. Und dann standen sie alle, einschließlich des Oberarztes, erschrocken vor dem bloßgelegten Brustkorb. Eine große, gebogene Narbe zog sich über den ganzen Thorax.
«Maria!«sagte der Oberarzt leise.»Das sieht aus, als habe er schon mal eine Thoraxoperation gehabt! Wir müssen aufmachen! Sauerstoff her! Blutplasma! Ich brauche einen Cro-Tubus! Verdammt noch mal, welche Lahmärsche stehen hier herum.«
Der Interkostalschnitt. Der Griff in den Brustkorb. Ein Muskelklumpen, der nur noch unmerklich zuckte. Die Finger des Oberarztes drückten und schnellten zurück, zwangen das Herz, weiterzupumpen. Gleichzeitig wurden die Infusionen gegen den Unfallschock gelegt, reiner Sauerstoff flutete mit dem Blut ins Gehirn.
«Wir schaffen es!«stöhnte der Oberarzt.»Jungs, wir haben ihn bald soweit. Das Herz kommt wieder! Da… es macht wieder mit! Gewonnen.«
Drei Stunden später — der gerettete ältere Herr, der laut Paß, den er bei sich getragen hatte, Leone Tortalla hieß und ein bekannter Bankier aus Mailand war, schlief noch in tiefer Erschöpfung und unter der Schockeinwirkung — hatten sich im Zimmer des Chefarztes
Professor Latungo alle Ärzte des Spitals versammelt. An der Lichtwand hingen nebeneinander zehn Röntgenbilder, Thoraxaufnahmen von verschiedenen Seiten, bis in die Einzelheiten scharf. Die Ärzte standen vor dieser einmaligen Bildergalerie und sahen sie mit stummer Verwunderung an. Sie dachten alle das gleiche: Das ist unmöglich!
Professor Latungo sprach es aus:»Meine Herren, ich brauche Ihnen das nicht zu erklären. Sie sehen es alle! Signore Tortalla hat eine Herztransplantation hinter sich. Das ist ungewöhnlich, aber im Grunde nicht mehr sensationell. Aber: Was Sie da sehen, ist etwas, was es gar nicht gibt: eine vollkommene Transplantation. Ein völlig neues Herz! Und transplantiert mit einem unbekannten Verfahren! Noch nie in der Medizin ist bisher ein ganzes Herz ausgetauscht worden. Nie hat es diese Operationsmethode gegeben, wie Sie sie jetzt auf den Bildern sehen! Das ist ungeheuerlich!«Professor Latungo wischte sich über die Augen.»Nirgendwo ist eine solche Operation in der Literatur beschrieben worden! Wo also wurde diese Transplantation gemacht? Wer hat sie gemacht?! Und dann das Rätsel aller Rätsel: Wieso hat Signore Tortalla sie überlebt?! Das müssen wir klären.«
Es gab nichts zu klären. Leone Tortalla verweigerte jede Auskunft, schnitt jede Frage ab.
«Ich verlange, daß man mich zurück nach Mailand bringt!«sagte er, als er kräftig genug war, und das war er, zur Verwunderung der Ärzte, bereits nach zwei Tagen.»Ich verlange, daß man mich endlich in Ruhe läßt! Wer hat Ihnen überhaupt erlaubt, meinen Brustkorb zu öffnen?! Haben Sie keine anderen Methoden zur Wiederbelebung? Ein Skandal! Ich möchte sofort zurück nach Mailand.«
«Sie haben ein neues Herz«, sagte Professor Latungo geduldig.
«Nein!«
«Signore Tortalla! Die Röntgenbilder, der Thoraxschnitt. Sie können doch einem Arzt nicht erzählen. An Ihnen ist eine vollkommene Herztransplantation vorgenommen worden. Eine — ich gebe es zu — phantastische Operation. Erzählen Sie uns bitte, wo sie gemacht wurde und wer der Operateur war.«
«Ich will meine Ruhe!«schrie Leone Tortalla.»Ich habe Sie nicht gebeten, in meinen Thorax hineinzufotografieren!«
«Sie haben — «, setzte Professor Latungo wieder an. Aber Tortalla hieb mit der Faust gegen das Bett.
«Kein Wort mehr! Ich will ein Telefon, um meine Anwälte anzurufen! Ich fühle mich von Ihnen belästigt und bedroht! Wie kann ein Arzt.«
«Sie haben ein neues Herz«, sagte Professor Latungo unbeirrt.»Transplantiert mit einer Methode, die es gar nicht gibt! Ich muß Sie hierbehalten, Signore, und die Staatsanwaltschaft benachrichtigen. Ihr neues Herz ist keine absolute Privatangelegenheit mehr. Ein solches Herz nicht!«
«Was soll das heißen: Nicht ein solches Herz?!«
Gegen den Willen Tortallas, der mit Anzeigen wegen Mißhandlung und Freiheitsberaubung drohte, röntgte man seinen Brustkorb noch einmal von allen Seiten und mit Schichtaufnahmen, die deutlich bewiesen, daß ein neues Herz durch Verbindungsstücke aus Kunststoff in das Gefäßsystem eingehängt worden war. Der Körper hatte nicht nur das Herz angenommen, auch die Prothesen waren bereits weitgehend integriert und als neue Adern vom Körper akzeptiert worden.
Professor Latungo und seine Ärzte saßen wie im Theater vor den Röntgenbildern und diskutierten. Das Spital der >Schwestern vom flammenden Herzen Maria< wurde zum Pilgerort aller römischen Chirurgen, an der Spitze die Ärzte der Universität, die schon vor zwei Jahren mit großem Mißtrauen die Transplantationen Christiaan Barnards verfolgt hatten. Auch die Mißerfolge der anderen Herz-verpflanzer, in Amerika vor allem Professor Denton Cooley und Professor Michael DeBakey, die Houston in Texas zu einem Mekka der hoffnungslos Herzkranken hatten werden lassen, waren mit bitterer Ironie glossiert worden. Ein Herz ist eben doch nicht nur ein Muskel, nicht nur ein Pump-Gehäuse, das jeden Tag im immerwährenden Kreislauf 15.000 Liter Blut durch das Adersystem des Körpers treibt. 80mal in der Minute schlägt dieses Herz, 100.000mal am Tag, und wenn ein Mensch 70 Jahre alt wird, hat dieses Herz fast 3 Milliarden mal gepumpt, ohne Ruhe, Tag und Nacht. Eine unvorstellbare Leistung für einen von der Natur kompliziert und raffiniert konstruierten Muskel. Eines der großen Wunder: Wie hält dieser >Motor<, bei der mangelhaften Pflege, die der Mensch im allgemeinen seinem Herzen zubilligt, eine Leistung von 3 Milliarden Schlägen aus?! Der Mensch nimmt es hin, es muß einfach so sein, denkt er, und während er die Fahrradkette einfettet, den Motor ölt und reinigt, das Getriebe überwacht und sein geliebtes Fahrzeug zur Inspektion in die Werkstatt bringt und es noch einmal vom TÜV durchtesten läßt — um sein Herz kümmert er sich erst, wenn irgend etwas >nicht stimmt<. Und während sein Automotor das beste Benzin mit der höchsten Oktanzahl und das beste Öl erhält, jagt er durch sein Herz jeden Tag inhaliertes Nikotin und Verbrennungskondensate, die Reizstoffe des Alkohols und die lähmenden Substanzen von Tabletten, Pillen, Dragees und Kapseln. Im Laufe eines Lebens Kilogramme von Tabletten, Hektoliter von Alkohol — das Herz muß das alles schlucken, verarbeiten, durchpumpen, verkraften. Man verlangt das einfach von ihm! Und bricht es eines Tages doch zusammen, wundert man sich und erwartet von den Ärzten göttliche Fähigkeiten.
Die Röntgenbilder des Mailänder Bankiers Leone Tortalla waren eine echte, wenn auch noch weithin unbekannte Sensation. Professor Latungo hatte alle Kollegen, die er zur Besichtigung der Aufnahmen eingeladen hatte, als handele es sich um eine private Vorführung pornographischer Fotos, mit Handschlag verpflichtet, zunächst volles Stillschweigen darüber zu wahren. Und wer dann vor dem breiten Lichtband stand, an dem die Röntgenbilder hingen, verstand, warum Latungo so geheimnisvoll getan hatte.
Vier Tage nach Tortallas Unfall saßen neunundvierzig Ärzte aller Fachrichtungen in Latungos großem Ordinationszimmer und ließen sich erklären, was kaum glaubhaft war. Latungo, der den Vortrag hielt, konnte auch nichts anderes sagen, als was man aus den Bildern herauslesen konnte. Anwesend waren auch der General-staatsanwalt von Rom, zwei Oberstaatsanwälte, zwei Rechtsanwälte, die Tortalla herbeigerufen hatte, und ein Vertreter des Innenministeriums. Um die ganze Sache noch ein wenig theatralischer zu machen, hingen neben den Röntgenbildern Fotos, die man von dem Bankier gemacht hatte: Ein älterer Herr, im Bett sitzend, durch Kissen gestützt, rot im Gesicht und erkennbar schimpfend, mit Ärzten und Schwestern diskutierend, und — ein besonders dramatisches Foto: im zornigen Disput mit Professor Latungo, gegen den er beide Fäuste schüttelte: das Bild eines kraftvollen Mannes, der unglücklicherweise in ein Motorrad gerannt war, kurz nachdem er in fröhlicher Stimmung ein Weinlokal verlassen hatte.
Diese Fotos und die Röntgenbilder ließen eine geheimnisvolle Lebensgeschichte erraten.
«Wir können natürlich nicht wieder den Thorax von Signore Tortalla eröffnen, um nachzusehen, was da drinnen geschehen ist«, sagte Professor Latungo im Laufe seines Vortrages.»Aber auch wenn wir uns nur auf die Interpretierung der Röntgenaufnahmen beschränken, bleibt genug übrig. Sie sehen, meine Herren, daß ein vollkommener Herzaustausch vorgenommen worden ist. Eine ganz andere Methode als bei Barnard, Cooley oder DeBakey. Es ist auch kein Kunstherz, wie es schon 1958 der Kollege Willem Kolff in Cleveland versuchte, der einem Kalb ein Plastikherz einsetzte, zwei Kunststoffkapseln mit einer dünnen Gummimembrane, die die Pumptätigkeit übernahm und über einen kleinen Motor, der Preßluft zum Bewegen der Gummimembrane lieferte, den Arbeitsimpuls erhielt. Das Kalb lebte damals eineinhalb Stunden! Ein Fortschritt, gewiß — aber doch nur eine medizinisch-technische Spielerei. So sehe ich es, wie auch viele unserer Kollegen. Als Herzersatz, als neues Herz, das neues Leben liefert, sind alle diese Kunstherzen noch unbrauchbar für den Großeinsatz. Und es wird noch Jahre dauern, bis solche Prothesen so ausgereift sind, daß man von einem >Ersatzteil< sprechen kann. Aber hier«- Professor Latungo zeigte mit einem Demonstrationsstock auf einige Röntgenbilder —»haben wir ein neues Herz, ein natürliches Herz, und dieses Herz hat man in Kunststoffprothesen aufgehängt, so wie man einen Waschmaschinenmotor der Schwingungen wegen in Gummi lagert! Ich gestehe: Das ist umwerfend! Das ist phänomenal! Und das ist geradezu verbrecherisch in meinen Augen! Schon des Risikos wegen. Hier hat man mit einem Herzen und einem hilflosen kranken Menschen, und das muß Signore Tortalla damals gewesen sein, ein vom medizinischen Standpunkt aus unverantwortliches Vabanque-Spiel getrieben! Aber wer hat da operiert? Und wo? Wer diese Transplantation gemacht hat, ist — trotz aller Vorbehalte — ein Genie! Allerdings ein Genie, das am Rande des Wahnsinns jongliert. Aber Signore Tortalla schweigt und wirft uns aus dem Zimmer!«
«Ist die Operation gelungen?«fragte einer von Tortallas Anwälten in die erwartungsvolle Stille.
«Ja. Aber.«
«Ging es ihm nicht blendend, bevor er in das Motorrad lief?«
«Das ist nicht das Primäre.«
«Für uns doch, Professor Latungo!«Der Rechtsanwalt blickte hinüber zu den Vertretern der Staatsanwaltschaft. Sie starrten noch immer fasziniert auf die Bildergalerie vor dem Leuchtband.»Signore Tortalla war kerngesund, nahm voll seine Geschäfte wahr, spielte Golf, schwamm vorzüglich, machte Ausflüge mit seiner Motoryacht, gilt als eleganter Tänzer. Ich frage Sie, meine Herren: Wieso ist das ein Problem? Im Gegenteil: Das, was Sie hier veranstalten, ist problematisch und greift tief in die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten ein! Ich verwahre mich dagegen! Ist Signore Tortalla transportfähig?«
«Ja — «, sagte Professor Latungo gedehnt.»Aber.«
«Ich fordere seine Entlassung!«
«Warum umgibt man diese sensationelle, einmalige Operation mit einem solchen Stillschweigen?«Der Generalstaatsanwalt sah zu den beiden Rechtsanwälten von Leone Tortalla hinüber.
«Würden Sie ein Extrablatt drucken lassen und in Rom verteilen, Herr Generalstaatsanwalt, wenn Sie den Tripper hätten?«
«Ich muß doch bitten!«Der Staatsanwalt sprang auf.»Wollen wir in diesem Ton weiter — «
«Wir wollen gar nicht darüber sprechen!«unterbrach ihn der zweite Anwalt.»Jeder Mensch kann über seinen Körper selbst bestimmen. Ob man ein Hustenmittel schluckt oder sich ein neues Herz einpflanzen läßt, ist allein der Entscheidung des einzelnen überlassen. Signore Tortalla hatte seine Erlaubnis zur Transplantation gegeben, sie wurde durchgeführt, sie war erfolgreich, sie hat sein Leben gerettet, ihn um Jahre verjüngt! Wen geht das an außer Signore Tor-talla selbst?!«
«Es geht die Medizin eine ganze Menge an!«rief Professor Latungo.»Gut. Betrachten wir den Fall Tortalla isoliert. In Anbetracht seiner gesellschaftlichen Stellung wäre es denkbar, daß das Bekanntwerden dieser Operation vielleicht berufliche Nachwirkungen gehabt hätte. Gut! Erkennen wir das an! Ich erlebe es oft, daß hochgestellte Persönlichkeiten in die Klinik kommen und zu mir sagen: >Bitte, lassen Sie nicht nach draußen dringen, daß ich krank bin. Ich darf einfach nicht krank sein. Von mir erwartet man eiserne Ge-sundheit!< Und dann schirmen wir diesen Herrn eben ab! Im Falle Tortalla ist das aber anders.«
«Oho! Und warum?!«rief einer der Anwälte.»Nur weil man nicht seine Prostata operierte, sondern sein Herz?«
«Genau darum! Ich wiederhole: Bei Signore Tortalla ist die Operation gelungen. Aber das ist fast ein Wunder! In der Medizin gilt aber nicht der Wunderglaube, sondern die nüchterne Tatsache. Und Tatsache ist für mich: Diese vollkommene Herztransplantation mittels dieser abenteuerlichen Methode war und ist nicht die einzige Transplantation, die dieser unbekannte Chirurg vorgenommen hat! Wie oft ist sie ihm mißlungen? Wieviel Menschen sind durch dieses Vabanque-Spiel gestorben? Wie oft hat dieser Arzt ohne ethisches Verantwortungsgefühl — ja, ich nenne es ganz klar ein Verbrechen am Patienten! — Herzen in dieser Art ausgetauscht und damit praktisch am Menschen experimentiert?! Das ist das Ungeheuerliche, meine Herren: Hier wurden Humanexperimente vorgenommen!«
«Aber mit Erfolg!«Der zweite Anwalt Tortallas lachte breit. Man sah ihm an, wie gut es ihm tat, sich in diesem Kreis aufgescheuchter
Mediziner als versierter Jurist aufzuspielen.»Wollen Sie noch einen schlagenderen Beweis: Nach einer Pause von vier Jahren ist Signore Tortalla glücklich, eine um siebenundzwanzig Jahre jüngere Geliebte zu haben. Sie hat sich über Vitalität noch nie beklagt.«
Der Generalstaatsanwalt lächelte mit männlicher Anerkennung und setzte sich sichtlich besänftigt. Eine um so viel jüngere und zufriedene Geliebte: das neue Herz war tatsächlich eine Wucht! Aber das schloß nicht aus, daß bei dieser Operation möglicherweise ein krimineller Hintergrund zu klären war.
«Warum aber«, fragte er,»macht man aus dem Arzt und dem Operationsort ein solches Geheimnis?!«
«Das ist allein eine Angelegenheit von Signore Tortalla!«
«Kennen Sie den Arzt und das Krankenhaus, Dottore?«
«Nein!«Der Anwalt schüttelte den Kopf. Jeder glaubte ihm das.»Ich bin nur beauftragt, Ihnen zu erklären, daß mein Mandant in Ruhe gelassen werden möchte. Er will sofort nach Hause, weil seine Behandlung hier skandalös ist! Sein Herz geht keinen etwas an!«
«Die Staatsanwaltschaft ist da anderer Ansicht. «Es sprach der Oberstaatsanwalt, der bisher noch nichts gesagt hatte.»Sie schließt sich den Ausführungen von Professor Latungo an: Diese Operationsmethode ist abenteuerlich! Abenteuer in der Medizin aber sind, eben weil Menschen dabei zu Schaden kommen, von öffentlichem Interesse. Der Staat muß sich darum kümmern! Wir werden ein Gutachten anfordern und sind sicher, daß dieser noch unbekannte Arzt in der noch unbekannten Klinik die Staatsanwaltschaft beschäftigen wird.«
«Aber wie wollen Sie den Arzt kennenlernen?«rief der erste Anwalt.»Wollen Sie die Röntgenbilder und die Fotos von Signore Tor-talla um die ganze Welt funken lassen? Allen Zeitungen, Illustrierten, Fernsehstationen senden?«Der Anwalt hob die Stimme, als stünde er vor dem obersten römischen Gericht.»Ich protestiere nicht nur dagegen, ich mache auch die Staatsanwaltschaft für alle persönlichen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Schäden verantwortlich, die Signore Tortalla durch das Bekanntwerden seines kör-perlichen Leidens entstehen!«
«Mir ist es rätselhaft, wie diese Operationen — denn sicher wurden einige vorgenommen — bisher unbekannt bleiben konnten«, sagte Professor Latungo unbeirrt.»Eine solche Tranplantation beschäftigt ein bis zu achtzehn Mann starkes Ärzteteam! Die Schwestern nicht mitgerechnet, die später auf Intensivstation und in der Pflege arbeiten! Es muß also eine große Klinik gewesen sein, eine Klinik mit bester Ausrüstung! Wieso ist da nichts durchgesickert? Es gibt keine größere Klatschzentrale als eine Klinik. Aber hier? Nichts! Absolut nichts! Totales Schweigen. Meine Herren, wir können aufzählen, wo man solche Operationen machen kann. Es gibt nicht viele Häuser, die entsprechend ausgestattet sind. Amerika fällt aus; da hätte man die Meldungen von solchen Großtaten der Medizin längst um den Erdball gejagt. Paris? Auch hier hätte es einen Erfahrungsaustausch unter Kollegen gegeben. Deutschland? Aus München, Düsseldorf, Erlangen, Berlin und Hamburg ist nichts bekannt. Auch nicht aus Tübingen, Heidelberg oder Köln. Mit Transplantationen beschäftigen sich alle, wie Gütgemann in Bonn — aber eine solche Herzoperation? Hier in Italien? Unmöglich! Bei Barnard in Kapstadt? Was im Groote-Schuur-Hospital geschieht, weiß jeder. Von dort ist der Informationsfluß lückenlos. London, Stockholm, Brüssel, Sydney, Amsterdam? Überall das große Abraten nach den vielen Rückschlägen. Überall nur Tierexperimente. «Professor Latungo tippte mit seinem Zeigestock wieder gegen die Röntgenbilder. Seine Hand zitterte vor Aufregung.»Aber hier haben wir den Beweis: Irgendwo tauscht man mit Erfolg ganze Herzen aus! Und das soll einem gleichgültig sein? Ich bitte Sie, meine Herren!«
«Vielleicht fragen Sie einmal in Rußland oder China nach?«sagte der erste Anwalt sarkastisch.»War es nicht auch Demichow, der einen Hundekopf auf einen anderen Hund transplantierte, und dieser Hund lebte mit zwei Köpfen wochenlang weiter?!«
«Es läßt sich feststellen, ob Signore Tortalla in Peking oder Moskau war«, sagte der Generalstaatsanwalt.»Dann allerdings wäre sein Schweigen erklärbar.«
«Ich kann Ihnen Arbeit ersparen«, sagte der Anwalt.»Signore Tortalla war weder in Moskau noch in Peking! Er war auch nicht in den USA. Allerdings reiste er nach Kapstadt und stellte sich Professor Barnard vor. Barnard lehnte die Operation ab; er beobachtete noch seinen Starpatienten Dr. Blaiberg. Außerdem gab Barnard, das sagte er ganz offen, Signore Tortalla keine Chancen. Labortests ergaben zudem, daß Signore Tortalla seltene Eiweißverbindungen hat. Es wurde als aussichtslos betrachtet, jemals einen Herzspender zu finden, der genetisch harmonisierte. Man ist ja auf Unfallopfer angewiesen.«
«Sie verstehen ja was von Medizin!«rief Professor Latungo.»Und damit drängen Sie Ihren Mandanten in die Aussagepflicht! Trotz all dieser Schwierigkeiten, die selbst Barnard als unüberwindbar betrachtete, wurde dennoch eine vollkommene Herztransplantation vorgenommen — und mit sichtbarem Dauererfolg! Meine Herren!«Latungo hob die Stimme, sie wurde hell und durchdringend.»Ich beschwöre Sie: Hellen Sie das Dunkel um dieses Herz auf!«
Es klang dramatisch, bühnenreif deklamiert. Das verfehlte bei Italienern seine Wirkung nicht.
«Wie steht es überhaupt mit den Herzverpflanzungen?«fragte der Generalstaatsanwalt.
«Mies! Bis heute sind einhundertdreiundvierzig Herztransplantationen nach der bekannten konservativen Methode gemacht worden. Die meisten in den USA, von Professor Norman Shumway und Professor Dr. DeBakey. Aber die immer tödlichen Abstoßreaktionen haben zu einer Resignation bei den Chirurgen geführt. Man ist jetzt schon soweit, Herzverpflanzungen als medizinische Kuriositäten zu betrachten, die immer seltener werden, weil wir Ärzte immer verpflichtet sind, dann zu helfen, wenn es einen Sinn hat! Selbst DeBakey, Star aller Herztransplantatoren, hat neulich geäußert: >Wenn sich auf diesem Gebiet nicht etwas Neues tut, hat es einfach keinen Zweck!< Das sagt der Mann, der bisher die meisten Herzen verpflanzt hat! Meine Herren — in der ganzen Welt gibt es heute etwa fünfzehn Forschungsinstitute, die sich mit Herztrans-plantationen und der Konstruktion eines Kunstherzens beschäftigen. Ich nenne nur einige Namen: Professor Yukihito Nose in Cleveland oder Professor Valery I. Shumakov vom Zentralinstitut für Herzchirurgie in Moskau. Auch er arbeitet an einem Totalersatz des Herzens durch eine künstliche Blutpumpe! Da ist Professor Bücherl in Deutschland oder Professor Kolff und Professor Cooley in den USA. Wie auch immer die einzelnen Methoden aussehen — es gibt ein großes Problem: Neben der Immunschranke die Verhinderung von Blutgerinnseln, den Thromben, die entstehen, wenn das Blut in Kontakt mit dem Kunststoffherzen oder Kunststoffgroßgefäßen kommt! Das reibungslose Fließen des Blutes ist die Vorbedingung für einen normalen Herzschlag zwischen 80 und 100 Schlägen pro Minute. 10.000 bis 15.000 Liter Blut pro Tag, meine Herren — das ist in 24 Stunden ein riesiger Tankwagen voll. Und den füllt das kleine Herz, zwölf Zentimeter lang und neun Zentimeter dick, mit seiner Saug-und Pumpleistung!«Professor Latungo holte tief Atem:»Was sagte DeBakey? >Solange es auf diesem Gebiet nicht etwas Neues gibt…< Wir haben etwas Neues! Hier sehen Sie es alle, meine Herren. «Er tippte mit dem Zeigefinger gegen die Röntgenbilder.»Der vollkommene Herzaustausch — die Sehnsucht aller Chirurgen! Es gibt ihn! In aller Heimlichkeit wird er ausgeführt. Und nur durch Zufall wurde er entdeckt! Und das sollen wir einfach hinnehmen?! Nein!«
«Sie müssen es!«sagte der andere Anwalt von Leone Tortalla ruhig.
«Wir müssen nicht!«Der Generalstaatsanwalt stand auf und blickte sich im Kreise der Mediziner und Juristen hoheitsvoll um.»Ihre Proteste, meine Herren Anwälte, nehme ich zur Kenntnis. Der Staat wird dennoch eingehende Untersuchungen anstellen und vorerst anordnen, daß Signore Tortalla in der Klinik verbleibt.«
«Protest!«rief der erste Anwalt.
«Zur Kenntnis genommen!«Der Generalstaatsanwalt lächelte mokant.»Ich sagte es schon. Wie wollen Sie protestieren? In aller Öffentlichkeit? Damit kämen Sie unserem Bestreben, Klarheit in diese mysteriöse Geschichte zu bringen, sehr entgegen! Es sei denn,
Sie könnten erklären.«
«Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß wir nicht wissen, wo unser Mandant operiert worden ist. Er ist damals weggefahren, mit unbekanntem Ziel, und kam nach drei Monaten mit einem neuen Herzen zurück. Gesund und wie verwandelt.«
«Dann kann uns nur noch Signore Tortalla selbst helfen.«
«Völlig sinnlos, darauf zu warten.«
«Wir werden es versuchen. Im Interesse Hunderttausender Herzkranker, die vielleicht gerettet werden könnten.«
«Wohl kaum!«warf Professor Latungo ein und schaltete die Lichtwand aus. Wie dunkle, abstrakte Bilder hingen die Röntgenfotos an ihren Chromklammern.»So viele Spenderherzen kann es niemals geben.«
Wer dachte in diesem Kreis schon an etwas so Grauenhaftes wie Dr. Sorianos lebende Herzbank?
Sieben Tage lang wurde der arme Bankier Leone Tortalla von den Staatsanwälten und Ärzten bearbeitet. Seine Anwälte reichten schriftliche Proteste ein, die man zunächst unbearbeitet zur Seite legte. Das ist die Stärke der Behörden in allen Ländern, nicht nur in Italien: Man kann ihnen selten nachweisen, daß sie nichts tun! Es heißt immer: Die Akte ist im Vorgang. Vorgang aber heißt für den Eingeweihten: Die Sache durchläuft den Instanzenweg und bleibt überall ein bißchen hängen. Schnelle Weitergabe würde ja beweisen, daß man nichts zu tun hat. Je länger aber eine Akte im Behördenkreislauf unterwegs ist, um so leichter ist der Nachweis der Überlastung zu erbringen. Ein System, das immer funktioniert.
Leone Tortalla beleidigte die Ärzte mit Worten, die eines angesehenen Bankiers unwürdig waren, empfing die Beamten der Staatsanwaltschaft, ja selbst den Herrn Generalstaatsanwalt mit unflätigen Bemerkungen.
Die Sache wurde noch verworrener, als am fünften Tag die um siebenundzwanzig Jahre jüngere Geliebte in Rom eintraf und sich an das Bett setzte. Eine Schönheit, das gab jeder zu, ein Häschen, das im Bett eine Wildkatze sein mußte, vollbusig, eng in der Taille, langbeinig und glutäugig. Das richtige für eine Luxusyacht und eine Mittelmeerfahrt. Daß Tortalla sie bisher mit Bravour hatte zähmen können, bewies von neuem, wie vorzüglich die Herztransplantation gelungen war.
Aber Tortalla fluchte auch bei seiner hübschen jungen Geliebten. Sie sagte nämlich:»Mein Wölfchen, nun sag doch der Polizei, was sie wissen will! Es ist doch nichts dabei. Ich weiß nun, daß du ein neues Herz hast. Das ist doch wunderbar. Du kannst hundert Jahre alt werden! Überleg mal, wie lange wir dann zusammen sein können! O mein Schatz, jetzt liebe ich dich noch mehr! Du hast ein wunderbares, junges Herz.«
Tortalla rang mit sich, ob er sein >Mäuschen< nicht aus dem Krankenzimmer werfen lassen sollte. Aber dann küßte sie ihn, fuhr mit der kleinen, beweglichen Hand unter die Bettdecke und stellte rapide Fortschritte seiner Genesung fest.
«Kein Wort mehr darüber«, sagte er, schneller atmend, während er der verdammten kleinen Hand entgegenkam.»Sorg auch du dafür, daß ich so schnell wie möglich 'rauskomme! Ich verspreche dir: Wir fahren mit der Yacht nach Marbella!«
Aus Marbella wurde nichts.
Am neunten Tag bekam Tortalla plötzlich Fieber. Es stieg schnell auf 39,4, und eine große Schwäche durchzog seinen Körper. Die Ärzte, an der Spitze Professor Latungo, liefen mit ernsten Gesichtern herum. Ihre Diagnose stand fest: Verschattungen im rechten Lungenlappen, Bildung eines Exsudats, deutliche Dämpfung bei der Perkussion, Druckgefühl in der Brust, Schmerzen in der rechten Schulter, beginnende Atemnot mit Röchelgeräusch.»Da haben wir die Scheiße!«sagte Professor Latungo bei der morgendlichen Arztbesprechung.»Eine ausgewachsene Pleuritis exsudativa! Und warum? Man darf es gar nicht laut sagen: Weil wir vor lauter Nachforschungen die dauernde antiinfektiöse Immunität, die er als neuer Herzträger bekommen muß, vernachlässigt haben! Meine Her-ren, wenn man uns das nachweisen kann, wird man uns die Hosen vom Hintern ziehen! Und wenn wir am Tag sechsunddreißig Stunden arbeiten — wir verstehen uns? — , Signore Tortalla darf nicht in der Kiste aus dem Haus gebracht werden!«
Man tat alles in der Klinik der >Schwestern vom flammenden Herzen Maria<. Man pumpte hohe Dosen Antibiotika in den Kreislauf Tortallas, machte eine Pleurapunktion durch Einstechen eines Trokars in die hintere Axillarlinie im 6. Interkostalraum und ließ das angesammelte Exsudat ab. Es war von grünlich-gelber Farbe und enthielt im Sediment eine Menge Leukozyten. Die ganze Skala einer Pleuritis-Therapie lief ab. Aber Tortalla reagierte kaum darauf. Die ständig eingenommenen Mittel gegen die Abstoßungserscheinungen hatten dem Körper die eigene Abwehrkraft genommen; er erlag jetzt der Infektion von außen. Professor Latungo kam in Zeitnot, das Wettrennen war kaum noch zu gewinnen.
Die Anwälte saßen um Tortallas Bett herum und bekamen genaue Anweisungen von dem hochfiebrigen Kranken, was sie gegen die >verdammten Ärzte, die mich umbringen wollen<, unternehmen sollten. Die Staatsanwälte, die noch immer wie Geier herumhockten und hofften, aus dem geschwächten Tortalla das große Geheimnis herauszuholen, bedachte der Fiebernde mit Ausdrücken wie: Faschistenhunde, Mordgehilfen.
Tortalla mobilisierte alles, was er an Willen besaß, aber der reaktionslos gemachte Körper verweigerte jetzt, wo es ums Leben ging, die Mitarbeit. Nun bekam er auch noch Herzstiche, und der Herzrhythmus, der bisher so fabelhaft funktioniert hatte, ließ nach. Professor Latungo wagte nicht, es laut auszusprechen: An den Transplantaten zeigten sich die ersten Symptome der Abstoßung.
«Wir müssen mit allem rechnen«, sagte er am zwölften Tag bei der Arztbesprechung.»Wenn wir die Infektion nicht beherrschen — ihm zum zweitenmal ein neues Herz zu geben, ist völlig ausgeschlossen! Das könnte — vielleicht — nur der geheimnisvolle Kollege, der dieses Herz transplantiert hat! Verdammt, wo ist er?!«
Leone Tortalla rang vierzehn Tage mit sich und seinem Eid, nie im Leben zu verraten, woher er sein neues Herz bekommen hatte. Nie im Leben, hatte er Dr. Soriano geschworen. Aber war das noch Leben? War es nicht schon der Abstieg in den Tod? Ohne seine Schuld war das geschehen, das konnte er beeiden. Allein die Nachlässigkeit der Ärzte und ihre Neugier auf den geheimnisvollen Herz-verpflanzer war daran schuld. Nun starb Tortalla — weil er schwieg. Vom Sterben aber hatte Dr. Soriano nichts gesagt. >Nie im Leben< — das war klar formuliert. Aber das Leben fieberte weg.
Tortalla beriet sich mit seinen Anwälten. Juristen leben von ihrer Fähigkeit, Worte und Begriffe auszulegen. Davon leben sie.
Tortalla erfuhr in diesem kurzen Gespräch, das er mit größter Mühe durchstand, im Fieber glühend, stoßweise atmend, mit Stechen am Herzen und einem lähmenden Druck in der ganzen rechten Thoraxhälfte bis hinunter zu Leber und Milz, daß sein Eid gegenüber Dr. Soriano — zum erstenmal fiel dieser Name — in dieser Situation gegenstandslos geworden sei.
«Dann muß sofort etwas geschehen!«sagte Tortalla schwach.»Sofort! Rufen Sie Dr. Eugenio Soriano an. Palermo. Corso Vittorio Emanuele. Jeder kennt ihn in Palermo. Und sagen Sie ihm, daß ich elend zugrunde gehe, wenn er mich nicht sofort holt. Er soll umgehend in Camporeale ein Zimmer freimachen. Ich zahle eine Million Dollar, wenn ich gerettet werde. Und noch einmal zwei Millionen Dollar, wenn ein neues Herz nötig ist!«
Leone Tortalla sank zurück, schloß die Augen und verfiel sichtlich. Die Anwälte starrten sich fassungslos an.
«Palermo? Was ist Camporeale? Zwei Millionen Dollar für ein Herz? Signore Tortalla.«
«Rufen Sie an. Bitte! Blitzgespräch!«Der Kranke röchelte. In ein paar Minuten mußte wieder der Pleuraerguß abgesaugt werden. Eine entsetzliche Qual.»Nur noch Dr. Monteleone kann helfen.«
«Dr. Monteleone?«
«Das ist er. «Tortalla hatte Mühe, weiterzusprechen.»Der größte Chirurg. Maria! Ruft doch an! Ich will nicht sterben… nicht so sterben! Mietet eine Sondermaschine nach Palermo. Schnell.
schnell.«
Die Anwälte nickten. Sie verließen das Krankenzimmer und prallten auf dem Flur mit dem Oberstaatsanwalt zusammen.
«Sieht schlecht aus, nicht wahr?«fragte er.»Himmel, wie kann man nur so stur sein, am Rande des Todes! Vielleicht kann der Arzt helfen, der damals.«
«Dazu haben wir uns jetzt auch durchgerungen. «Der Anwalt, der bisher immer so angriffslustig gewesen war, zeigte auf eine Telefonzelle am Ende des langen Flures:»Informationen können wir Ihnen nach wie vor nicht geben. - Aber wenn Sie mithören wollen, kann ja sein, daß Sie zufällig in der Nähe standen, und wir haben es nicht bemerkt.«
Der Oberstaatsanwalt lächelte schwach, trottete hinter den beiden Anwälten her und lehnte sich an die Tür der Telefonzelle.
Eine halbe Stunde später war die Staatsanwaltschaft informiert. Der Generalstaatsanwalt informierte seinerseits den Justiz- und den Innenminister und bat um strengste Diskretion. Nur ein kleiner, ausgewählter Kreis wußte nun die Wahrheit, kam im Zimmer des >Ge-nerals< zusammen und beriet die >Aktion Sizilien< — wie einen militärischen Einsatz.
Das war auch die einzige Möglichkeit, wenn man eine Erfolgschance haben wollte: totale Überrumpelung. Normale Einsätze wurden bereits im Ansatz an die Kontaktleute Sorianos verraten.
«Ich fasse zusammen«, schloß der Generalstaatsanwalt seinen Bericht.»Nach den letzten Informationen ist Dr. Eugenio Soriano der Capo di Tutti Capi von Sizilien. Genannt Don Eugenio. Mit ihm verfilzt — das ist die Schweinerei, die wir immer wieder erleben — ist die Polizei von Palermo, ist Staatsanwalt Dr. Brocca, sind eine Reihe Großindustrieller und Unternehmer aller Sparten. Die Macht der Mafia umfaßt das ganze Land, von ärmsten Ziegenhirten bis zum Millionär. Wir kennen das ja. Vor allem Dr. Soriano genießt internationalen Ruf. An ihn heranzukommen war bislang unmöglich. Aber endlich, endlich haben wir eine Waffe in der Hand, mit der wir ihn aus dem Sattel heben können. Auch wenn sich alles als ganz harmlos erweisen sollte — weshalb soll in Palermo nicht ein Chirurg mit Namen Monteleone Herzen verpflanzen können? — , also selbst wenn alles legal sein sollte: Wir sind ihm auf die Haut gekrochen, und dort werden wir uns einbohren wie die Zecken!«Er blickte auf die Notizen, die ihm gerade ein Beamter ins Zimmer gebracht hatte.»In zwei Stunden fliegt eine Sondermaschine mit einem Kommando von vierzig ausgesuchten Spezialbeamten in Zivil direkt nach Palermo. Alle Männer sind Scharfschützen und tragen kugelsichere Westen. Ich selbst werde das Unternehmen leiten. Das ist mir ein Herzensbedürfnis, meine Herren: Vor vierundzwanzig Jahren — ich war damals ein kleiner Staatsanwalt in Messina — trat Dr. Soriano gegen mich an. Nicht im Gerichtssaal, nicht bei einem Prozeß. Privat! Er nahm mir das Mädchen weg, das ich liebte. Es wurde Sorianos Frau. Ein Jahr später — sie war schwanger — verließ ich Sizilien und kam hierher nach Rom! Ich weiß, das ist lange her. Vierundzwanzig Jahre. Und ich würde auch kein Wort mehr darüber verlieren, wenn Soriano nicht damals schon ein Schwein gewesen wäre: Er zeigte meiner Braut Fotos — es waren natürlich widerliche Fotomontagen —, die mich und andere Frauen in unbeschreiblichen Situationen zeigten. An dem gleichen Abend, geschockt durch Bilder, die ein Mädchen ihrer Erziehung und ihres Standes noch nie gesehen hatte, gab sie sich ihm hin. Damit hatte ich sie verloren. Meine Herren — es wird mir ein Fest sein, Dr. Soriano wiederzusehen!«
Genau um 12 Uhr 30 mittags hob die Sondermaschine der Alitalia vom Flughafen Fiumicino ab. Nicht einmal der Flugkapitän wußte, wen er transportierte. Man hatte ihm gesagt, es handle sich um eine Gruppe von Wissenschaftlern, die auf Sizilien geologische Untersuchungen anstellen sollten. Da sie als Beauftragte der Regierung galten, wurde ihr Gepäck auch nicht gewogen oder kontrolliert. Man rechnete nicht damit, daß Geologen mit Maschinenpistolen, Munition und sogar zwei leichten, zerlegbaren Granatwerfern auf Forschungsreise gehen. Daß die Mafia nicht rechtzeitig gewarnt wurde, daß niemand einen Wink gab, daß auch nicht die geringste In-formation durchsickerte — das erklärte sich allein aus der Tatsache, daß der Generalstaatsanwalt persönlich die Aktion leitete.
Eine winzige persönliche Rechnung, über einen im Vergleich zu seinen anderen Untaten harmlosen Vorfall, den Soriano nach vierundzwanzig Jahren längst vergessen hatte, wurde ihm jetzt präsentiert und konnte ihn vernichten.
Im Flugzeug, vorne im I.-Klasse-Raum, lag auch Leone Tortalla, Bankier aus Mailand. Eingehüllt in Decken, an drei Tropfflaschen angeschlossen, begleitet von zwei jungen Ärzten, dämmerte er dahin, dem Tode näher, als er ahnte, aber trotz seines desolaten Zustandes von belebender Hoffnung erfüllt.
Er wird mich retten. Nur er allein kann es.
Dr. Ettore Monteleone. Im Kinderheim Camporeale. Zwei Etagen unter der Erde in der modernsten Herzklinik der Welt, der Mafia-Klinik.
Das Haus der verlorenen Herzen.
Die Anwälte waren in Rom geblieben und kümmerten sich um seine schluchzende und mit viel Dramatik Abschied nehmende Freundin. Ob sie Leone Tortalla wirklich so innig geliebt hatte, blieb eine offene Frage; sie beruhigte sich immerhin erst, als ihr die Anwälte eröffneten, Signore Tortalla werde ihr im Falle eines >Unglücks< ein Startkapital von zehn Millionen Lire hinterlassen.
«Gibt es noch Hoffnung?«fragte sie und tupfte sich zierlich die Tränen ab.
Der Anwalt blickte hinüber auf die Startbahn. Die Sondermaschine hob gerade von der Betonpiste ab. Sie saßen im VIP-Raum des Airports und hatten den Start noch abwarten wollen. Im Raum roch es nach Desinfektionsmitteln und dem antibakteriellen Spray, mit dem man Leone Tortalla eingesprüht hatte.
«Das weiß nur Dr. Monteleone«, sagte der Anwalt.»Wenn er noch dort ist.«