172330.fb2 Das Haus der verlorenen Herzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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Kapitel 19

Nach dem Frühstück, das sehr einsilbig verlief, ging Dr. Soriano allein in den maurischen Löwenhof. Loretta tastete nach Volkmars Hand und hielt sie fest, als viermal das trockene Peitschen der Gewehrschüsse die friedliche, von Sonne und Blütenduft angereicherte Stille durchbrach.

Loretta lehnte den Kopf gegen Volkmars Schulter und schloß die Augen.

«Weißt du, was das für Papa bedeutet?«

«Ich glaube schon.«

«Er stellt sein Leben völlig um. Unseretwegen.«

«Zu spät, mein Liebes. Ich glaube, es ist viel zu spät. Was er getan hat in all den Jahrzehnten, kann man mit dem Erschießen von Krokodilen und Löwen nicht aus der Welt schaffen.«

«Ich habe das alles nicht gewußt. Glaubst du mir das?«

«Sonst hätte ich dich auch nie geheiratet, Loretta. So schön du bist, so klug und zärtlich, so begehrenswert — wenn ich entdeckt hätte, daß du auch nur einen einzigen Blick in das >andere< Leben deines Vaters geworfen und nicht aufgeschrien hättest vor Entsetzen — ich hätte dir nur mit Schaudern die Hand gegeben. Und weiter nichts.«

«Und jetzt?«

«In drei Wochen fliegen wir nach London. Worthlow hat alles vorbereitet. Du wirst Mrs. Selby heißen.«

«Er hat mir alles erzählt. «Sie umfaßte ihn und drückte sich an ihn.»Ist es so wichtig, wie wir heißen? Ob Selby oder Tordson, Smith oder Dubonnay… was sind Namen? Du bist bei mir, und ich bin bei dir. Mehr brauche ich nicht auf dieser Welt.«

«Eine rauhe Küste an einem rauhen Meer.«

«Du bist da!«

«Möwengeschrei. Stürme, die mit eisigen Nadeln peitschen. Vom

Wind gebogene Bäume, harte Gräser in Sand und rohem Gestein. Kahle Hochebenen, von Erosionen zerfressen. Ein paar Schafherden. Menschen mit ledernen Gesichtern.«

«Du bist bei mir!«

«Ein altes Landhaus, um das nachts der Sturm heult, daß die Dek-kenbalken krachen.«

«Ich werde glücklich in deinen Armen schlafen.«

«Du wirst Sizilien nie wiedersehen. Keine Palmen, keine Pinienhaine, keine Olivenplantagen, keine Orangenbäume, nicht das tintenblaue Meer und die Fischerboote mit den schwankenden Laternen am Bug. Keine Zitronenblüte und keinen Jasmin, nicht mehr die buntbemalten Eselskarren der Bauern und die weiten Hänge mit den Weinreben.«

«Ich werde in deine Augen sehen und alles wiederfinden.«

«Wieviel Liebe gehört dazu, Loretta.«

«Ich habe Liebe für zwei Leben.«

Soriano kam von den Löwen zurück. Er war sehr ernst; der Tod seiner geliebten Löwen hatte ihn sichtlich erschüttert. Er warf das Gewehr ins Gras und setzte sich in einen Korbsessel. Worthlow servierte Kognak in großen Glasschwenkern. Soriano trank sein Glas mit einem Zug leer.

«Warum sagt ihr nichts?«fragte er, als sie eine Weile stumm einander gegenübergesessen hatten.

«Was ist da zu sagen?«Volkmar schwenkte den Kognak in seinem Glas.»Ich werde von diesem Abbau nicht berührt. Ich muß weiter Herzen von Ermordeten transplantieren!«

«Keiner kann seinem Schicksal ausweichen, Enrico.«

«Es ist nicht mein Schicksal. Du hast es programmiert!«

«Wer konnte ahnen, daß Loretta und du. «Soriano wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht.»Wir werden es gemeinsam durchstehen.«

Volkmar schwieg. Worthlow räumte ab. Loretta nestelte an ihren Sandalen, als seien die Schnallen aufgesprungen. Keiner blickte den anderen an.

Dr. James Selby. In Ballantrae in der Grafschaft Wigtown. Human-und Viehdoktor zugleich. Gern gesehener Gast in den Pubs. Am Sonntag Lachs fischen, in hohen Gummistiefeln bis zu den Oberschenkeln im strudelnden Wasser der Gebirgsbäche stehend. Eigene Fischräucherei in der Scheune. Zwei kleine, zottelige Pferde, die vor den hochrädrigen Jagdwagen gespannt werden, die man aber auch reiten kann, in dicke Pullover vermummt, die Filzmützen tief in die Stirn gezogen. Im Trab an der Küste entlang, im rauhen Seewind, der sich auf der Haut in Salzkristallen niederschlägt.

Mr. James und Mrs. Loretta Selby.

Noch drei Wochen. Dann Leben und Freiheit — oder Mißlingen und Tod.

«Was machen wir heute abend?«fragte Soriano in die qualvolle Stille.

«Ich habe keine Pläne.«

«Mario del Monaco gibt in Catania ein Gastspiel. Verdis >Othel-lo<.«

«Fahren wir hin!«

«Ich werde anrufen und Plätze reservieren lassen.«

Dr. Soriano stand auf und ging davon, gebeugt, mit hängenden Schultern, das fast weiße Haar vom Wind zerzaust.

«Er trauert um seine Löwen«, sagte Worthlow mit englischer Unterkühlung.»Man muß das verstehen, Sir. Sie waren das Symbol seiner Macht.«

Am frühen Morgen um sieben stach die weiße Motoryacht >Loretta< vom Bootssteg bei Solunto ins Meer, Richtung Tunis.

Es war alles gut vorbereitet. Worthlow hatte von Palermo aus die Flugkarten Tunis-Marseille-London bestellt, abzuholen im Airport Tunis. Volkmar hatte zwei Tage lang geradezu schlampig seinen ärztlichen Dienst versehen, bis selbst Dr. Zampieri zu raten wagte:»Chef, Sie sollten sich ein paar Tage erholen. Ein Chirurg, der mit dem Skalpell Zither spielt, ist nicht unbedingt vertrauenswürdig. «Auch

Loretta zeigte nervöse Erscheinungen, schrie ihre Zofe, die Nachfolgerin von Anna Talara, geradezu hysterisch an, drangsalierte auch das übrige Personal, einschließlich Worthlow, mit dem das abgesprochen war, bis Dr. Soriano sagte:

«Engelchen, fahrt ein paar Tage aufs Meer. Enrico kann sich das leisten. Die zuletzt Operierten befinden sich bereits auf dem Weg der Genesung; die beiden neuen Transplantationen haben eine Woche Zeit. Bis dahin sind gerade die Labortests fertig. Rede Enrico zu: Er soll einmal eine Woche lang ausspannen. Fahrt zu den Liparischen Inseln. Das tut euch gut.«

«Können wir Worthlow mitnehmen, Pap?«

«Natürlich.«

«Danke, Pap!«Sie gab ihm einen Kuß auf die Stirn und dachte an Judas. Leb wohl, Vater. Ich weiß, wie sehr du mich liebst — aber diese Liebe ist für uns alle tödlich. Das ist vielleicht die Tragik deines Lebens: Du bist ein Satan geworden, um mir das Paradies zu schenken. Aber in diesem Paradies kann keiner mehr leben.

Sie ging durch den Park, hinüber zu dem großen Swimming-pool, legte ihr hauchdünnes Strandkleid ab und wippte im Bikini auf der Vorderkante des Einmetersprungbrettes. Sie riß die Arme hoch, schnellte in die Luft, drehte sich elegant und tauchte kerzengerade mit einem Kopfsprung in das Wasser.

Soriano lächelte stolz. Meine Tochter! Mein Engel! Gott gebe, daß ich vor ihr sterbe. Wäre es anders — ich müßte mir den Schädel an der nächsten Wand einrennen!

Während die Sondermaschine mit den vierzig Geologen aus Rom und ihren Koffern, in denen Maschinenwaffen und Granatwerfer lagen, auf dem Flugplatz von Palermo landete, rauschte die Yacht >Loretta< der nordafrikanischen Küste entgegen. Ziel: Der Hafen von Tunis.

Zum erstenmal spielte das Glück auf seiten Dr. Volkmars mit: Es stieß ihm das Tor zu einem neuen, seinem dritten Leben auf.

Was in den nächsten Stunden in Palermo geschah, erfuhr die Welt nur bruchstückweise durch Rundfunk und Fernsehen, durch Presse und amtliche Kommuniques. Der Generalstaatsanwalt von Rom, im Namen der Regierung handelnd, verhängte eine strenge Zensur über alle Nachrichten aus Sizilien. Nur, was die Staatsanwaltschaft für wichtig hielt, wurde für die Öffentlichkeit freigegeben.

Es war sehr wenig. Denn was man vorfand, war so grauenhaft, daß es der breiten Masse nicht zuzumuten war.

Mit generalstabsmäßiger Präzision rollte das >Kommando Klinik< ab: Zuerst wurde Dr. Soriano in seiner Anwaltskanzlei unter Arrest gestellt. Alle Telefone wurden besetzt. Die Klienten wurden nach Hause geschickt. Eine Gruppe von dreißig Mafia-Spezialisten übernahm die beiden Granatwerfer und fuhr hinaus nach Camporea-le. Auch dort unterbrach man alle Leitungen des >Kinderheims< und verhaftete Signore Tonio Albengo, den Bürgermeister von Cam-poreale, für den einst der Besuch des Kardinals bei der Einweihung der Höhepunkt seines Lebens gewesen war. Auch Vincente Lucca, der Carabiniere von Camporeale, wurde inhaftiert, weil es einfach nicht glaubhaft war, daß er nicht gewußt haben sollte, was dort oben in dem wunderschönen Palast aus Glas, Marmor und Stein wirklich geschah.

Die >Eroberung< der unterirdischen Klinik erfolgte — obwohl es moralisch angreifbar war — mit Hilfe des sterbenden Leone Tortal-la. Ein Krankenwagen aus Palermo fuhr vor, und zwei Polizisten in weißen Sanitäterkitteln trabten mit der Trage ins Heim. Dort starrte man sie entgeistert an. Eine Schwester — die Oberschwester, wie sich herausstellte — erklärte wortreich, das hier sei ein Kinderheim, aber kein Krankenhaus.

«Einen Arzt, bitte!«sagte einer der Sanitäter.»Ihr habt doch einen Arzt hier, nicht wahr?«

Die Beamten aus Rom hatten Glück. Nach einigen Telefonaten innerhalb des Kinderheimes erschien ein langer, fast kahlköpfiger Arzt und stellte sich als Dr. Zampieri vor. Ein Blick auf den Bankier Tortalla sagte ihm, daß hier höchste Eile geboten war.

«Er wollte unbedingt hierhin!«sagte der Sanitäter, der in Wirklichkeit der Polizei-Oberleutnant Luigi Dellanove war.»Von Rom! Man habe ihn hier schon einmal operiert! Leone Tortalla heißt er. Nun sind wir hier, und das ist ein Kinderheim! Was nun?!«

Zampieri war der Name Tortalla ein Begriff. Der Bankier aus Mailand mit dem seltenen Eiweiß! Jetzt in einem desolaten Zustand. Und der Chef war verreist.

«Kommen Sie mit!«sagte Zampieri ohne zu zögern. Er lief voraus zu dem versteckten Lift hinter der Tür Magazin. Die Sanitäter mit dem sterbenden Tortalla folgten ihm im Laufschritt. Erst als sie durch die Tür verschwunden waren, kamen auch die anderen Beamten in die große Halle, nicht in Verkleidung, sondern mit umgehängten Maschinenpistolen. Auf einem kleinen Hügel des Kinderspielplatzes, von dem man das Gelände gut übersehen konnte, waren die beiden Granatwerfer in Stellung gegangen. Die Oberschwester sank in einen der ledernen Besuchersessel in der Halle und begann laut zu beten.

Ein Überfall! Ein Überfall!

Es dauerte lange, bis sie überzeugt war, daß die wilden Kerle Polizisten waren.

Im Keller II übernahm ein Pfleger die Trage mit Tortalla, setzte sie auf einen Rolluntersatz und lief mit ihm zur Intensivstation. Dr. Zampieri wollte hinterher, aber dann blickte er in die Läufe von zwei Pistolen, die ihm die beiden Sanitäter entgegenhielten.

«Oberleutnant Dellanove!«sagte der eine.

«Sergeant Patti!«sagte der andere.

«Vom Sondereinsatz Rom! Dr. Zampieri, Sie sind vorläufig festgenommen. Bitte, machen Sie keine Schwierigkeiten. Zeigen Sie uns die Klinik. Und keine Tricks! Die Telefone nach draußen sind abgestellt, das Haus ist von dreißig Mann besetzt, auf Flüchtende wird sofort geschossen.«

Dr. Zampieri war bleich geworden. Er hatte immer wieder ein Ende seiner Karriere als Mafia-Chirurg herbeigesehnt — aber so hatte er es sich nicht vorgestellt. Er hatte davon geträumt, mit seiner Frau und seinem Söhnchen Franco bald wieder in Messina im eigenen Garten spielen zu können.

«Ich gehe voraus — «, sagte Zampieri müde.»Ich zeige Ihnen alles. Aber wir alle sind nur Handlanger. Erpreßte Werkzeuge. Die Verantwortlichen sitzen nicht im Klinikkeller, sondern woanders. Sie wissen, was ich meine.«

Oberleutnant Dellanove atmete schnaufend durch die Nase. Erst jetzt wurde ihm klar, wo er hineingestoßen hatte. Das war eine Aktion, die im Rollverfahren ganz Sizilien auf den Kopf stellen würde.

«Das ist nicht wahr.«, sagte er tonlos.

«Und wie wahr das ist!«Dr. Zampieri machte eine ausgreifende Armbewegung.»Das beste Herz-Zentrum der Welt: die Mafia-Klinik! — Wenn Sie mir bitte folgen würden.«

Während Dr. Zampieri alle Türen öffnete und die Beamten aus Rom fassungslos das unterirdische Klinikreich durchstreiften, starb im OP I der Bankier Leone Tortalla. Man hatte ihm in einer Notoperation noch einmal den Brustkorb geöffnet, das Exsudat abgesaugt, Antibiotikaspülungen vorgenommen — es war umsonst, weil auch das Herz begann, sich abzustoßen. Ein neues Herz aber gab es nicht mehr. Nie mehr.

Oberleutnant Dellanoves Stimme zitterte, als er nach drei Stunden auf einer freigegebenen Leitung mit dem Generalstaatsanwalt in der Anwaltspraxis von Dr. Soriano telefonierte. Dr. Zampieri hatte auch die >Herzbank< geöffnet, wo die menschlichen Schlachttiere auf ihren Abtransport nach Korsika, zur Fremdenlegion, warteten. Es war ein Anblick, der auch die abgebrühtesten Polizisten des Sondereinsatzes blaß werden ließ.

«Das darf nie bekannt werden«, hatte Dellanove gesagt.»Nie! Das muß totgeschwiegen werden! Das kann keiner verkraften. So etwas darf ein Mensch einfach nicht getan haben. Das hat es nie gegeben!«

Der Generalstaatsanwalt hörte schweigend zu, was Dellanove ihm aus Camporeale berichtete. Dann legte er langsam den Hörer zurück und blickte Dr. Soriano an, der zwischen zwei Polizeioffizieren in Zivil in einem der tiefen Ledersessel saß.

«Das war Camporeale, Eugenio«, sagte der Generalstaatsanwalt.»Wir haben alles in der Hand.«

Soriano nickte. Seine Ruhe, die Eleganz seiner Bewegungen, der klare Blick seiner Augen — das bewies jedem, der ihn kannte, daß dieser Mann mit seinem Leben abgeschlossen hatte.

«Ich dachte es mir«, antwortete er.»Nun bist du glücklich, was? Nach sechsundzwanzig Jahren kannst du zurückschlagen. Und das gründlich!«

«Vierundzwanzig Jahre.«

«Sechsundzwanzig. Loretta ist jetzt fünfundzwanzig.«

«Wir haben die Herzbank gefunden. Eugenio, bist du überhaupt noch ein Mensch?! Wer hat die Herzen verpflanzt?«

«Dr. Monteleone.«

«Er war nicht in Camporeale. Auch nicht in deinem Haus in So-lunto.«

«Er ist weg. In Sicherheit.«

«Und Loretta?«

«Ebenfalls.«

«Wer hat sie gewarnt?«

«Es war reiner Zufall. Das macht mich so leicht und fröhlich.«

«Fröhlich? Mein Gott! Du hast vierundvierzig junge Männer als Schlachttiere eingesperrt und bist fröhlich?«

«Dr. Monteleone hat nur unter größtem Druck gearbeitet. Unter Lebensgefahr. Hätte er nicht transplantiert, würde man Loretta das Herz herausgeschnitten haben. Was sollte er also tun? Auch ich war nachher nur ein Opfer.«

«Aha. Der Große Rat!«Der Generalstaatsanwalt setzte sich auf die Schreibtischkante.»Wir haben die Liste der Mitglieder in deinem Haus in Solunto gefunden. Die lieben Dons werden zur Zeit aus ihren Villen geholt. Das ist ein vernichtender Schlag gegen euch, Eugenio.«

«Ich weiß es, Alberto. Und es wird ein Weltprozeß! Dein Name wird eines Tages über dem Tor des Justizpalastes in Stein gemeißelt werden.«

«Ich glaube nicht. Was hier geschehen ist, kann man nicht an die Öffentlichkeit bringen! Darüber sind wir uns jetzt schon im klaren, obwohl wir noch nicht einmal den ganzen Umfang des Verbrechens kennen. Für Anklagen auf anderen Gebieten haben wir Stoff genug. Deine Mafia-Klinik, Eugenio, wird wohl ein Staatsgeheimnis werden. «Der Generalstaatsanwalt griff in die Tasche und legte Soriano eine Pistole auf die Sessellehne.»Über Geheimnisse kann man nicht reden und auch keine Urteile sprechen. Eugenio, wir gehen jetzt fünf Minuten vor die Tür.«

«Ich danke dir, Alberto.«

Dr. Soriano nahm die Pistole, zog den Schlitten durch, lud sie damit, und erhob sich aus dem Ledersessel. Er lächelte den Männern nach, als sie die Tür hinter sich zuzogen, schweigend, mit gesenkten Köpfen.

Soriano drehte sich um. An der getäfelten Wand hing ein Ölbild seiner Frau. Lebensgroß, in einem Abendkleid mit atemberaubendem Ausschnitt, um die Schultern lose einen Mantel aus blauweißem Chinchilla gelegt. Die schönste Frau, die Soriano je gesehen hatte — nur seine Tochter kam ihr gleich.

Der Generalstaatsanwalt blickte auf seine Uhr, als hinter der Tür der trockene Pistolenschuß knallte. Genau fünf Minuten.

«Meine Herren«, sagte er, tief durchatmend,»das war zwar keine befriedigende Lösung, aber immer noch die eleganteste. Man muß im Interesse der Menschlichkeit auch einmal etwas verschweigen können.«

Die weiteren Nachforschungen verliefen im Sand.

Im Hafen von Tunis brachte man die Yacht >Loretta< auf. Sie war verlassen. In den Fluglisten von Tunis war der Name Dr. Monte-leone nicht zu finden. Trotzdem verfolgte man den Weg eines Ehepaares, das als Dr. Selby und Mrs. Selby eingetragen war. Sie waren nach Marseille geflogen und von dort nach London. In London verlor sich ihre Spur. Drei Tage später berichteten alle Zeitungen von der Aktion der italienischen Polizei gegen die Mafia auf Sizilien. Doch von der Mafia-Klinik erfuhr niemand etwas, und von der Herzbank schon gar nicht.

Kommen Sie einmal nach England? In die Grafschaft Wigtown? An die Küste der Irischen See? Bei Ballantrae heißt das Stück Meer Firth of Clyde, eine wilde, herbschöne Landschaft, in der die Menschen ständig mit der Natur kämpfen und glücklich dabei sind.

Sie werden Ihnen stolz von ihrem Doktor erzählen, der Vieh wie Menschen gleichermaßen gut versorgt, der im Pub anzutreffen ist, jeden Freitag, wenn er Karten spielt, und der mit seinem Pferdewagen selbst in der stürmischsten Nacht zu seinen Kranken kommt, wenn man ihn ruft.

Drei Kinder hat er jetzt, schwarzhaarig wie die schöne Mutter, die mit ihrem Mann zum Lachsfang geht und in hohen Gummistiefeln stundenlang im wirbelnden Wasser steht wie der Doktor.

Aber die größte Attraktion ist Reginald Worthlow. Jawohl, einer aus der Grafschaft. Ein Butler, den sogar die Queen vom Platz weg engagieren würde. Wenn er einkauft in Girvan, der nächsten größeren Stadt, grüßen ihn die Kaufleute, als sei er ein Lord. Ein Gentleman von der Art, die ausstirbt.

So ist das in Ballantrae, sagen die Leute. Nur unser Doktor hatte uns noch gefehlt. Jetzt sind wir komplett.

Wie er heißt? Dr. James Selby. Und seine Frau heißt Loretta. Klingt italienisch, aber sie kommt nicht aus Italien. Noch niemand hat sie italienisch reden gehört, und die Kinder sprechen ein reines Carrick-Englisch. Warum soll eine so schöne Frau nicht Loretta heißen? Wie eine exotische Blüte.

Kommen Sie einmal nach Ballantrae?

Ich garantiere Ihnen: Dr. Selby braut einen handfesten Grog, und seine selbstgeräucherten Lachse, über Wacholderholz gedämpft, schmecken so köstlich, daß Sie Dr. Selby und seine Frau Loretta nie mehr vergessen werden.

Nur etwas ist merkwürdig: In seinem Arztzimmer steht das riesige Plastikmodell eines Herzens. Obwohl es bei uns kaum jemals eine Herzkrankheit zu behandeln gibt.

Aber irgendein Hobby muß der Mensch ja pflegen.

Wir sind glücklich, daß Dr. Selby bei uns ist.

Und Dr. Volkmar war es auch.