172335.fb2 Das letzte R?tsel - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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Mr Panicker fuhr ihn fast um.

Selbst bei gutem Wetter und mit einem Mann am Steuer, der so nüchtern war, wie es die Natur seiner Profession erfordert hätte, war das Panicker-Fahrzeug – klein, belgisch, uralt, missbraucht vom Sohn des gegenwärtigen Besitzers und nur noch im Besitz weniger Originalteile – schwer zu beherrschen. Die kleine Windschutzscheibe und der zerbrochene linke Scheinwerfer verliehen dem Wagen das blinzelnde, tastende Aussehen eines ertrinkenden Sünders, der nach der allegorischen Rettungsleine greift. Die Lenkung verließ sich, möglicherweise zu Recht, in hohem Maße auf das regelmäßige Ausstoßen von Gebeten. Die Bremsen mochten, auch wenn diese Feststellung Blasphemie war, über jede göttliche Fürsprache erhaben sein. Im Ganzen war das Fahrzeug in seiner Untauglichkeit, seiner Schäbigkeit und seiner überragenden Ausstrahlung unabweisbarer, unabänderlicher Armut nach Mr Panickers ganz persönlicher Meinung ein Sinnbild für das Leben eines Mannes, der, bei weitem nicht professionell nüchtern, in einen Sturm innerer Turbulenzen geraten war, die fast ebenso heftig waren wie die Böen, die den traurigen braunen Imperia an diesem feuchtkalten, stürmischen, typisch englischen Sommermorgen auf der Straße nach London herumschubsten. Es war ein Sinnbild für das Leben eines Mannes, der unversehens feststellen musste, dass er kurz davor stand – und hier trat Mr Panicker wie von Sinnen auf das nutzlose Bremspedal, während der einsame Scheibenwischer immer von neuem undurchsichtige Bögen über die Windschutzscheibe schmierte –, mit Hilfe eines Automobils einen Totschlag zu begehen.

Da er im ersten Moment nur einen flatternden Schatten sah, eine umherschlagende Plane aus Öltuch, leer und herrenlos, die vom Holzstoß eines Bauern geweht worden zu sein schien, machte er sich bereit, geradewegs hindurchzustoßen und sich seinem Schicksal anzuvertrauen, das herauszufordern schon immer sein Wunsch gewesen war. Aber gerade als es ihn wie eine Wolldecke umhüllen wollte, entpuppte sich die Plane als Cape mit Klauen, als eine ihm entgegentaumelnde Fledermaus aus braunem Tweed. Es war ein Mann, es war der alte Mann, der verrückte alte Imker mit dem langen blassen Gesicht, der mit rudernden Armen auf die Straße stolperte. Eine gigantische, panische Motte, die ihm in den Weg schwirrte. Mr Panicker riss das Lenkrad nach links. Die seinem elenden Sohn entwendete offene Flasche, die bisher die einzige Gefährtin seiner Qualen gewesen war, flog von ihrem Ehrenplatz auf dem Sitz neben ihm gegen das Handschuhfach und verteilte auf dem Flug durch die Luft den Brandy wie ein Weihwedel. Als habe der Imperia nun endlich den Zustand erreicht, nach dem er sich in seiner läppischen Laufbahn aus Bocksprüngen, Hustern, Gestotter und Geröchel schon lange sehnte, beschrieb er nun mit spürbarem Freiheitsgefühl eine Folge ausgeprägter, ballettartiger Schleifen, jede über ein kreisförmiges Muster mit der vorherigen verbunden, sodass auf dem glatten schwarzen Asphalt der Straße nach London die halbfertige Kinderzeichnung eines Gänseblümchens entstand. In diesem Moment zeigten Mr Panickers Beziehungen zu seiner Gottheit wieder einmal ihre langjährigen hämischen Tendenzen. Der Wagen verlor das Interesse an seinen Eskapaden, und kam gute sieben Meter weiter zitternd zum Stehen; hoffnungsfroh wies seine Kühlerhaube gen London, der Motor rumpelte, der einsame Scheinwerfer blinzelte in den Regen, als sei er für seine Streiche gescholten worden und nun wieder bereit, demütig seinen Weg fortzusetzen. Mr Panickers Gedankengänge, bisher ungeregelte Verbrennungsprozesse, die aus einem Doppeltank von ungewohnter Trunkenheit und vergnügtem Zorn gespeist wurden, schienen ebenfalls zitternd zum Stehen zu kommen. Wohin wollte er nur, was tat er hier bloß? War er letztendlich doch davongelaufen? Konnte man einfach seine Hose zusammenlegen, in den Koffer packen und gehen?

Eine ihm entgegentaumelnde Fledermaus aus braunem Tweed.

Die Beifahrertür wurde aufgerissen. Mit Windesheulen und Regentropfen im Gefolge drängte der alte Mann ins Auto. Er schlug die Tür zu und schüttelte sich in seinem Cape wie ein magerer, nasser Hund.

»Danke«, sagte er knapp. Er richtete seinen furchtbar klaren Blick auf seinen Retter, auf die umgekippte Brandyflasche, auf das zerschlissene Sitzleder, die freiliegenden Kabel und das ramponierte Armaturenbrett, auf den wahren Zustand, so schien es jedenfalls Mr Panicker, seiner durchweichten, erschrockenen Seele. Die großen, geblähten Nüstern des alten Mannes erschnupperten jeden Brandytropfen in der Luft. »Einen guten Morgen.«

Mr Panicker vermutete, dass nun von ihm erwartet wurde, den Vorwärtsgang einzulegen, nach London weiterzufahren und, als sei es vorher abgesprochen worden, seinen neuen, nach nasser Wolle und Tabak riechenden Beifahrer dorthin zu befördern. Doch offenbar konnte er sich nicht dazu entschließen. Unbewusst identifizierte er sich nun so stark mit dem 1927er Imperia, dass er das Gefühl hatte, dieser gewaltige, nasse alte Mann habe sich in der düsteren Heiligkeit seines ramponierten Schädels breit gemacht.

Wie mit einem Seufzer verfiel der Motor in einen geduldigen Leerlauf. Der Beifahrer schien Mr Panickers Bewegungslosigkeit und Schweigen als Bitte um Erklärung aufzufassen, was in gewisser Weise auch zutraf, dachte Mr Panicker.

»Die Zugverbindung ist ›unterbrochen‹«, sagte der alte Mann trocken. »Truppenbewegungen, nehme ich an. Zweifellos Verstärkung für Mortain. Glaube, die Kämpfe dort sind festgefahren. Ich habe jedenfalls keine Möglichkeit, London heute noch per Eisenbahn zu erreichen, gleichwohl fühle ich mich höchst verpflichtet, dorthin zu fahren.«

Er spähte nach vorn, blickte in den Fußraum zwischen seine schlammverkrusteten Stiefel, hochgeschnürte, dickrippige alte Kommissstiefel, wie sie auf Khartoum und Bloemfontein marschiert waren. Mit einem Stöhnen und einem Knirschen der Knochen, das Mr Panicker ziemlich alarmierend fand, beugte der alte Mann sich vor und hob die Brandyflasche sowie den kleinen Korkstöpsel auf, der kurz nach Mr Panickers verstohlenem, aber nicht heimlichen Aufbruch im Pfarrhaus herausgesprungen und aus seinem Blickfeld gerollt war. Der alte Mann schnupperte am Flaschenhals, verzog das Gesicht und hob eine Augenbraue. Dann bot er die Flasche Mr Panicker mit derart undurchdringlicher Miene an, dass man nicht umhin konnte, den Spott darin zu vermerken.

Mr Panicker schüttelte trüb den Kopf und betätigte die Schaltung. Der alte Mann drückte den Stopfen zurück auf die Flasche. Dann brachen sie durch den Regen auf in Richtung Stadt.

Lange Zeit fuhren sie schweigend, und als Mr Panicker merkte, dass das Maß seines Zorns abnahm und seine Trunkenheit nachließ, versank er in einem Tief verblüffter Scham über sein jüngstes Benehmen. Zuvorderst und in erster Linie war er immer ein Mann gewesen, dessen Taten und Ansichten von Gradlinigkeit, von einem bewussten Meiden aller Überraschungen geprägt waren. Diese Haltung als eine Kardinaltugend von erfolgreichen Pfarrern zu schätzen, hatte man ihm viele Jahre zuvor am Priesterseminar von Kottajam beigebracht. Das Schweigen, die tiefen, ältlichen Seufzer und gelegentlichen Seitenblicke seines ungebetenen Beifahrers erschienen ihm wie das Vorspiel zu der unvermeidlichen Bitte um Erklärung.

»Ich nehme an, Sie fragen sich …«, begann er, die Hände ums Lenkrad geklammert und vornübergebeugt, damit das Gesicht näher an der Windschutzscheibe war.

»Ja?«

Er beschloss – die Idee tauchte, wie von einer listigen Hand geworfen, perfekt und glänzend in seinem Kopf auf –, dem alten Mann zu sagen, er sei auf dem Weg nach London, um dort an einer – völlig frei erfundenen – Synode der anglikanischen Geistlichkeit von Südostengland teilzunehmen. Das würde erklären, warum neben den Dosen mit wertvollem Benzin auf der Rückbank ein Handkoffer lag, der für eine Reise von zwei, drei Tagen gepackt war. Ja, eine Synode im Church House. Er würde im Crampton mit seinem guten Restaurant Quartier nehmen. Morgens würde es nachdenkliche Diskussionen über liturgische Fragen geben, gefolgt von einem Mittagessen. Am Nachmittag würde dann eine Reihe eher praktischer Seminare stattfinden, die sich der Aufgabe stellten, das Amt des Geistlichen in die Nachkriegszeit hinüberzuführen. Der ehrwürdige Bischof Stackhouse-Hall, Archidiakon von Bromley, würde mit der ihm eigenen akademischen Jovialität die unerwarteten Spannungen ansprechen, die selbstredend in Familien zu erwarten waren, in denen man aus dem Krieg heimkehrende Väter und Ehemänner begrüßte. Während Mr Panicker seine Ausrede dekorierte und auf Hochglanz polierte, wuchs ihre Anziehungskraft auf ihn, sodass ihn die Aussicht auf die Tagung schließlich sonderbar aufmunterte.

»Ich weiß, dass ich mich Ihnen in einer schwierigen Zeit aufgedrängt habe«, sagte der alte Mann.

Mit einer wehmütigen Geste fegte Mr Panicker Konferenzsaal, Hotel, Restaurant und mehrere Türmchen aus Streichholzschachteln vom Tisch seiner Phantasie. Er war ein ungläubiger Geistlicher mittleren Alters, betrunken und auf der Flucht vor den Trümmern seines Lebens.

»Oh, nein, ich …«, begann Mr Panicker, merkte dann aber, dass er nicht weitersprechen konnte, dass sich seine Kehle zusammenschnürte und drohende Tränen in seinen Augen brannten. Wie Mr Panicker wohl wusste, gab es Zeiten, da war es schon eine Form schwachen Trostes, wenn jemand unseren Kummer auch nur erahnte.

»Es ist wirklich durchaus bemerkenswert, dass ich Ihnen heute Morgen buchstäblich über den Weg gelaufen bin. Denn das Anliegen, das mich nach London führt, ist aufs Engste mit Ihrem Haushalt verbunden, Sir.«

Das war es also. Obwohl die Polizei seinen Sohn entlastet oder zumindest die Ermittlung im Mordfall dieses breitbeinig dasitzenden Handlungsreisenden für Zitzenkneifmaschinen eingestellt hatte, lag noch immer der Schatten des Zweifels auf Mr Panickers Bereitschaft zum Verbrechen. Die Möglichkeit, dass Reggie schuldig sein konnte, beschämte Mr Panicker wie nahezu alles, was auf diese oder jene Art mit seinem Sprössling zu tun hatte. Diesmal aber war seine Scham von dem Wissen durchdrungen, dass der brutale Mord an Richard Shane auf der Straße hinter dem Pfarrhaus im Entwurf wie im Detail die heimlichen Tendenzen seiner dunkelsten Phantasien widerspiegelte. Als Detective Inspector Bellows in der vergangenen Woche vor der Tür gestanden hatte, war die eigentliche Bedeutung seines Besuchs unmissverständlich gewesen, obgleich die Fragen von äußerster Umsichtigkeit gezeugt hatten. Er selbst, Kumbhampoika Thomas Panicker, öffentlicher Verfechter und lebendiges Symbol für Gottes Güte und Unbestechlichkeit, stand unter dem glaubhaften Verdacht, einen Mann getötet zu haben – aus Eifersucht. Und Mr Panicker vermochte einfach nicht das Gefühl abzuschütteln, dass dieser Wunsch – diese Wut, die seine Hände zittern ließ, sobald ein Wort von Shane das unglaubliche Wunder eines Lächelns auf dem Gesicht seiner Frau hervorgerufen hatte – irgendwie aus seinem Herz gekrochen war, wie ein Gas, und das bereits erkrankte Organ seines Sohnes verhängnisvoll vergiftet hatte.

»Ich hatte es so verstanden … Reggie … die Polizei sagte …«

Nun wurde ihm klar, dass der alte Mann ihm kurz zuvor beileibe nicht »über den Weg gelaufen« war. Er, Mr Panicker, war immer noch Gegenstand der Ermittlungen, und jetzt hatte die Polizei offensichtlich einen alten Veteranen aufgeboten, oder aber dieser überspannte Trottel widmete sich, halb senil, selbständig dem Fall.

»Erzählen Sie mal«, sagte der alte Mann, und der staatsanwaltliche Ton in seiner Stimme bestätigte sämtliche Ängste von Mr Panicker. »Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Fremden in der Nähe des Pfarrhauses gesehen oder sogar persönlich getroffen?«

»Fremde? Ich habe …«

»Zum Beispiel einen Burschen aus London, wohl eher ein älterer Mann, vielleicht Jude. Nennt sich Black.«

»Dieser Vogelhändler«, sagte Mr Panicker. »Seine Karte wurde doch in Reggies Tasche gefunden.«

»Ich habe Grund zu der Annahme, dass er Ihrem kleinen Untermieter Linus Steinman vor kurzem einen Besuch abgestattet hat.«

»Einen Besuch abgestattet?« Natürlich bekam der Junge überhaupt keinen Besuch, abgesehen von Martin Kalb. »Nicht, soweit ich …«

»Wie ich von Anfang an vermutete, hatte Mr Black natürlich Kenntnis von Brunos Existenz und seinen bemerkenswerten Fähigkeiten. Sein jüngster Versuch direkter Kontaktaufnahme mit dem kleinen Steinman lässt vermuten, dass Black keine Nachricht von seinen mutmaßlichen Mittelsmännern erhalten hat und daher nichts vom Verschwinden des Vogels wusste. Vielleicht fürchtete er tatsächlich, niemals eine solche Nachricht zu erhalten, und stattete dem Jungen einen heimlichen Besuch ab, um das Geschäft in die Wege zu leiten oder das Tier möglicherweise selbst zu entwenden. Auf jeden Fall beabsichtige ich, Mr Joseph Black von der Club Row ein paar sehr direkte Fragen zu stellen. Sonst werde ich niemals eine endgültige Entscheidung über den Aufenthaltsort des Vogels treffen können.«

»Der Vogel«, wiederholte Mr Panicker und ging vom Gas. Sie näherten sich East Grinstead, wo die Polizei einen Kontrollpunkt eingerichtet hatte; der Verkehr staute sich bereits. Also hatte der alte Mann Recht gehabt, als er vermutete, die militärischen Aktivitäten nähmen zu; die Sicherheitsvorkehrungen waren verstärkt worden. »Sie suchen den Vogel.«

Der alte Mann sah ihn mit erhobener Augenbraue an, als sei etwas an Mr Panicker bedauerlich oder tadelnswert.

»Sie etwa nicht?«, sagte er. »Mir scheint, dass jeder, der die Aufgabe hat, in loco parentis zu handeln, das Verschwinden eines solch geliebten, bemerkenswerten Tieres …«

»Ja, ja, natürlich«, sagte Mr Panicker. »Wir sind alle sehr … der Junge war … untröstlich.«

Tatsächlich war der Vogel in den zwei Wochen seit seinem Verschwinden in Mr Panickers Gedanken nur als gruselige Randfigur der blutrünstigen, grausamen Szenen aufgetaucht, in denen gewaltsame Eifersucht und Rache die Hauptrolle spielten. Szenen, die Mr Panickers Phantasien während des kurzen Aufenthalts des verfluchten Mr Shane im Pfarrhaus geprägt hatten. Denn er war überzeugt, dass Bruno, der Papagei, gestorben war, und zwar eines besonders schauerlichen, gewalttätigen Todes. Auch wenn das Tier, wie die Konsultation des »P«-Bandes der Encyclopedia Britannica dem Pfarrer verraten hatte, aus den tropischen Gefilden Afrikas stammte, war Bruno ein gezähmter, kultivierter Hausvogel. In der freien Natur, in der Hand von Rüpeln, würde ihm sicherlich ein Leid geschehen. Mr Panicker stellte sich die starren Tintenäuglein des Vogels vor, wenn ihm der Hals umgedreht wurde, er sah, wie sein geschundener Körper unter einem Flaum- und Federwirbel in einen Mülleimer oder in den Rinnstein geworfen wurde, sah, wie er von Wieseln in Stücke gerissen wurde oder sich in Telegrafendrähten verstrickte. Angesichts der Tatsache, dass Mr Panicker den Vogel sehr schätzte, anders als den verstorbenen Dick Shane, den seine Phantasie ähnlichen Schicksalen überantwortet hatte, verstörte ihn ein wenig die Grausamkeit seiner Visionen. In dem Durcheinander der Mordermittlung, dem faulen Schwall von Nachbarschaftsklatsch und der letztendlich erreichten Synthese im lebenslangen Syllogismus von Enttäuschung, die seine Ehe mit Ginny Stallard darstellte, waren diese Ausbrüche blutgrellen ornithologischen Gemetzels die einzigen Übergriffe des Vogel-Falls auf sein Bewusstsein gewesen. Nun verschwendete Mr Panicker zum ersten Mal (und hier war sein Schamgefühl stärker und brennender als alles, das seine Ehe, sein Beruf oder die Ungezogenheit seines unglückseligen Sohnes jemals in ihm hervorgerufen hatte oder haben könnte) einen Gedanken an diesen Jungen, der seinen einzigen Freund verloren hatte – ein kleiner, zerbrechlicher, ernst blickender, wortloser, Linus-Steinman-großer Gedanke.

»Im jüngsten Durcheinander …«, kam ihm der alte Mann hilfreich entgegen. Und dann: »Zweifellos haben Ihre geistlichen Pflichten und Aufgaben …«

»Nein«, sagte Mr Panicker. Auf einmal war er nüchtern und ruhig, gleichzeitig überrollte ihn eine absurde Welle der Dankbarkeit. »Natürlich nicht.«

Sie hatten den Kontrollpunkt erreicht. Zwei Polizisten in Uniform näherten sich dem Imperia, auf jeder Seite einer. Mr Panicker kurbelte das Fenster herunter, wobei er – notwendigerweise – mit mehreren kurzen Zupfern an der Scheibenkante nachhalf.

»Guten Morgen, Sir. Darf ich den Grund Ihrer Reise nach London erfahren?«

»Den Grund?«

Mr Panicker sah den alten Mann an, der seinen Blick mit unbeirrter, humoriger Unbekümmertheit erwiderte.

»Ja«, sagte Mr Panicker. »Ähm, ja. Nun, wir wollen, hm, einen Papagei suchen, nicht wahr?«

Ihrem Nachnamen unselig unterworfen, litt Mr Panickers Gattin an Gephyrophobie, der krankhaften Angst, Brücken zu überqueren. Wenn ein Auto, ein Bus oder ein Zug, in dem sie saß, über dem Tamar, dem Avon oder der Themse hing, sank sie tief in ihren Sitz, schloss die Augen, atmete in kurzen, pfeifenden Stößen durch die Nase und blieb mit dem randvollen Kelch ihrer Angst in den Händen vollkommen reglos sitzen, so als wage sie nicht, einen Tropfen zu verschütten. Als Mr Panicker durch Croydon fuhr, schien die übereilte, willkürliche Zusammenballung der Stadt ringsherum eine ähnliche phobische Unruhe in dem alten Mann auszulösen. Wie der Atem durch seine Nase rasselte, wie seine weißen Fingerknöchel die stieligen Knie umklammerten, wie die Streben seines ausgezehrten Halses hervortraten – in all diesen Symptomen erkannte Mr Panicker die Anzeichen einer nicht zu bewältigenden Angst. Doch als sie nach London hineinfuhren, blieben die Augen des alten Mannes, anders als die von Mrs Panicker, wenn sie sich inmitten der Brückenbogen gefangen wusste, sperrangelweit geöffnet. Er war ein Mann, der den Dingen ins Auge sah, auch wenn sie ihm, wie jetzt, erkennbar Angst machten.

»Ist Ihnen nicht gut?«

Eine geschlagene Minute lang gab der alte Mann keine Antwort, sondern starrte aus dem Seitenfenster und sah die Straßen Südlondons vorbeigleiten.

»Dreiundzwanzig Jahre«, krächzte er. »Am 14. August 1921.« Er zog ein Taschentuch aus der Innentasche, wischte sich über die Stirn, betupfte seine Mundwinkel. »Ein Sonntag.«

Seinem letzten Blick auf London ein Datum und einen Wochentag zuordnen zu können schien das Gleichgewicht des alten Mannes in gewisser Weise wieder herzustellen.

»Ich weiß nicht, was ich … wie dumm. Man hat doch so ausgiebig über den von Bomben und Bränden angerichteten Schaden gelesen. Ich war auf Trümmer vorbereitet. Ich gestehe sogar, einfach aus einer Art, nun, seien wir nachsichtig und nennen es ›wissenschaftlicher Neugier‹ heraus, bis zu einem gewissen Grad gehofft zu haben, wissen Sie, diese großartige Stadt in qualmenden Trümmern am Ufer der Themse liegen zu sehen. Aber das hier ist …«

Das angemessene Adjektiv entzog sich ihm. Sie hatten den Fluss inzwischen überquert und fanden sich zwischen zwei hohen roten Straßenbahnen gefangen, die neben ihnen aufragten. Mit inquisitorischer Gleichgültigkeit starrten Gesichter auf sie hinab. Dann trennten sich die Bahnen und fuhren nach Osten beziehungsweise Westen, und als habe sich ein Schleusentor geöffnet, brach die Flut der Londoner Innenstadt über sie herein. Man hatte die Stadt beschossen, man hatte sie in Brand gesetzt, aber man hatte sie nicht vernichtet, und jetzt sandte sie Triebe und Ranken eines sonderbaren neuen Lebens aus. Was Mr Panicker am stärksten beeindruckte, und zwar schon das ganze Jahr über, bis zum 6. Juni, war die erstaunliche Amerikanisierung von London: amerikanische Flieger und Matrosen, Offiziere und Fußsoldaten, amerikanische Militärfahrzeuge in den Straßen, amerikanische Filme in den Kinos, dazu die lärmige Atmosphäre ordinärer Großtuerei, der Geruch von Haarwasser, die Kakophonie lang gezogener Vokale, was, wie Mr Panicker bereit war zuzugeben, ausschließlich das Produkt seiner Phantasie sein mochte, die Stadt für ihn jedoch auf eine Weise beseelte, die er gleichzeitig erschreckend und unwiderstehlich fand, eine Stimmung zügelloser, brutaler guter Laune, als sei die Invasion Europas, die sich nun in blutigen Phasen über Nordfrankreich zog, lediglich die unvermeidliche Folge von um sich greifendem lässigen Slang und unbeherrschbarer Tanzlust.

»Das ist neu«, sagte der alte Mann immer wieder und wies mit steifem Finger auf ein Bürogebäude oder Mietshaus. »Das war vorher nicht da.« Und als sie an dem düsteren Koloss eines weiteren ausgebombten Häuserblocks vorbeifuhren, hier und dort noch geschmückt mit Flatterbändern grauen Qualms, lediglich: »Gütiger Gott.«

Je tiefer sie in die Veränderungen eintauchten, die Bauarbeiter und deutsche Bomben seit jenem Sonntagnachmittag im Jahr 1921 in London herbeigeführt hatten, desto mehr wurde seine Stimme zu einem rauen, entsetzten Flüstern. Mr Panicker stellte sich vor – und er hatte eine gewaltige, donnernde Phantasie –, dass der alte Mann gerade (ziemlich spät, fand der Pfarrer) eine Art Vorgeschmack auf die Natur des Todes oder eine Demonstration derselben erhielt. Er hatte offenbar erwartet, dass die Stadt, in der er einst sein stilles Zepter geschwungen hatte, sich während seiner langen Abwesenheit nicht mehr veränderte, sondern irgendwie aufhörte zu existieren, wie die Welt, wenn wir aus ihr scheiden. Nach uns der Blitzkrieg! Und jetzt wurde er hier nicht nur mit dem Fortbestand der Stadt konfrontiert, sondern inmitten qualmender Berge von Ziegelsteinen und zersplitterter Fensterscheiben mit ihrem ununterdrückbaren, unmenschlichen Expansionsdrang.

»Asche«, sagte der alte Mann staunend, als sie ein großes neues Gelände mit von Mr Churchill errichteten Notunterkünften passierten. Es glich einem riesengroßen gepflügten Schrebergarten, in dem eine Reihe Blechhäuschen neben der anderen aus dem Boden spross. »Ich hatte gedacht, ich würde nichts als Ruß und Asche sehen.«

Sie fuhren an den geschwärzten Bögen des Bishopsgate Goodsyard vorbei. Am Arnold Circus, einer Straße, die erkennbar den Einschlag einer deutschen SC erlitten hatte, stiegen sie neben einem säuberlichen Berg von Pflastersteinen aus dem Auto, die vor der Explosion gerettet worden waren und auf ihre Verlegung warteten. Dann bogen sie zu Fuß um die Ecke in die Club Row. Geübt, beinahe gebieterisch reichte Mr Panicker dem Älteren einen stützenden Arm, aber der alte Mann wehrte auch diesen Versuch ab, hatte sich sogar geweigert, sich vom Pfarrer aus dem beengten Innenraum des Autos helfen zu lassen. Sobald er sozusagen wieder festen Boden unter den Füßen hatte – sobald die Jagd begann, wie Mr Panicker nicht umhin konnte, ein wenig romantisch zu denken –, schien der Alte die phobische Bestürzung der Reise abzuschütteln. Er hielt das Kinn hochgereckt und umfasste den Knauf seines Stocks, als würde er jeden Moment ausholen und ihn den Tunichtguten wohlverdient auf den Schädel schlagen. Als sie in die Club Row einbogen, geriet Mr Panicker tatsächlich in Bedrängnis, mit den langen, schiefen Flatterschritten des alten Mannes mitzuhalten.

Club Row hatte sich, wenn überhaupt, seit August 1921 nur sehr wenig verändert – allerdings auch nicht sehr seit August 1901 oder 1881, vermutete Mr Panicker. Eine längst vergessene Angelegenheit hatte ihn an einem viele Jahre zurückliegenden Sonntagmorgen hierher geführt. Er erinnerte sich, dass die Straße durch die scheußliche Fröhlichkeit, die oft über Zoos und Menagerien lag, seelenlos lebendig gewirkt hatte, dass die Schreie der Vogelhändler, Welpenverkäufer und Katzenkrämer sich vermischten und eine schaurige, verstörende Echolalie schufen, die das Gekreische ihrer eingesperrten, glotzenden Handelsware verspottete und zugleich von ihr verspottet wurde. Obwohl ihm im Vorbeigehen vollkommen klar gewesen war, dass die Loris und Wellensittiche, die Spaniels und Tigerkatzen, selbst das ein oder andere wachsame wieselartige Wesen als Haustiere verkauft und erworben würden, hatte Mr Panicker bei jenem vergessenen Botengang in der Club Row sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass er eine Straße der Verdammten entlangging und all dieses traurige, gefangene Tierfleisch ausschließlich zur Schlachtung bestimmt sei.

An diesem Tage jedoch war es still in der Club Row, sie wurde lediglich durch den Abfall und das schwache, unsichtbare Rinnsteintröpfeln des Montags nach dem Markttag belebt: zerrissenes Einwickelpapier, fettige Zeitungsfetzen, verdrehte Lumpen, festgebackenes Sägemehl in Pfützen, über deren Herkunft Mr Panicker lieber nicht spekulieren wollte; die Marktstände und Geschäfte dunkel hinter ihren Vorhängen aus streng gegliederten Stangen und mit Schlössern verhängten Eisengittern. Über den Schaufenstern drängten sich die niedrigen, verrufenen Häuser in dicht geschlossenen Reihen wie zusammengetriebene Verdächtige, die sich bemühten, kollektiv unschuldig zu wirken, während ihre Backsteingesimse sich kaum wahrnehmbar vorbeugten, um vorbeikommenden Opfern in die Brusttasche zu spähen. Es war ein einzigartig deprimierender Anblick oder hätte es jedenfalls sein sollen. Doch der Schwung, der energische Schritt des alten Mannes und die Art, wie er seinen schweren Stock mit der Geste eines Tambourmajors schwang, vermittelten Mr Panicker einen schwindelnden, überraschenden Optimismus. Auf dem Weg hinunter zur Bethnal Green Road hatte er zunehmend das Gefühl – ein Gefühl, das seine obskuren Wurzeln in dem verlorenen Marktmorgen hatte, als er zwischen den quirligen Ständen der Tierhändler einhergegangen war –, dass sie ins Herz eines ureigenen Londoner Geheimnisses oder vielleicht des Lebens selbst vorstießen und dass er an der Seite dieses einzigartigen alten Herrn, von dessen Herrschaft über das Geheimnis einst an so fernen Orten wie Kerala gesprochen worden war, nun endlich Erhellung über das herzzerbrechende Werken der Welt erhalten mochte.

»Hier«, sagte der alte Mann mit einem seitlichen Hieb seines Stocks. Der Knauf schlug gegen ein kleines Lackschild, mit verrosteten Schrauben im Ziegelstein von Hausnummer 122 befestigt. Es trug die Aufschrift BLACK, darunter in kleineren Buchstaben: SELTENE UND EXOTISCHE VÖGEL. Ein Gitter war vor den Eingang gezogen, doch konnte Mr Panicker durch das getrübte Fenster die asiatisch anmutenden Umrisse von pagodenartigen Vogelbauern und möglicherweise sogar das Geflatter einer Flügel- oder Schwanzfeder ausmachen, geisterhaft wie ein Lufthauch im Staub. Schwach drang ein munteres Pfeifen durch Dunkelheit, Glasscheibe und Fensterläden, wurde lauter und verkomplizierte sich, noch während sich seine Ohren daran gewöhnten. Offenbar hatte der alte Mann mit seinem Pochen die Bewohner von Blacks Geschäft aufgeschreckt.

»Keiner da«, sagte Mr Panicker und presste die Stirn gegen den morgendlich kalten Stahl des Gitters. »Wir hätten nicht am Montag kommen sollen.«

Der alte Mann hob den Stock und schlug mit bestialischem Frohlocken gegen die Stäbe, immer wieder, seine Augen leuchteten ob des stählernen Schepperns und Klirrens. Als er aufhörte, hatte sich die Bevölkerung des Geschäfts in einen Höllenlärm gesteigert oder war hineingesteigert worden. Der alte Mann stand da, den Stock hochgereckt, mit bebender Brust und einem Speicheltropfen auf der Wange. Das Getöse des Zornausbruchs verhallte und erstarb. Das Licht schwand aus seinen Augen.

»Ein Montag«, sagte er traurig. »Daran hätte ich denken müssen.«

»Sie hätten besser vorher angerufen«, sagte Mr Panicker, »und einen Termin mit diesem Black vereinbart.«

»Zweifellos«, sagte der alte Mann. Er setzte seinen Stock auf den Bürgersteig und stützte sich schwer darauf. »In der Eile habe ich …« Mit dem Handrücken wischte er sich über die Wange. »Derlei praktische Erwägungen scheinen nicht mehr meine …« Er schwankte, und Mr Panicker ergriff seinen Arm, und diesmal vermochte der alte Mann ihn nicht abzuschütteln. Wie blind starrten seine Augen auf die schweigende Fassade des Geschäfts, im Gesicht nur noch ein Anflug ältlicher Unruhe.

»Schon gut«, murmelte Mr Panicker und versuchte, die Schwere seiner eigenen Enttäuschung über ihre unerwartet fehlgeschlagene Mission zu ignorieren oder zu verbergen. Begonnen hatte er den Tag schlaflos, betrunken und mit Grübeleien über das ausgebombte Gehäuse seines Erwachsenenlebens. Seine leere Ehe, sein nichtsnutziger Sohn, die Verfinsterung seines beruflichen Ehrgeizes, das waren die geborstenen Fensterscheiben, die verbrannten Tapeten, die umgeworfenen Polstersessel seines Ruins; und über allem lag wie ein Schneefall aus Asche, über allem hing wie eine nicht zu vertreibende Rauchglocke, tief unter mehreren verkohlten Schichten bis auf den nackten Fels hinunter, lag das Wissen um seine Gottlosigkeit, um seinen Zweifel und Unglauben, um die Entfernung zwischen seinem Herzen und dem von Jesus Christus. Ein kleiner Blitzangriff, für niemanden von Bedeutung; die fallende Bombe – wie alle Bomben etwas Zufälliges, Gedankenloses –, Ankunft und Ermordung von Mr Richard Shane. Im Moment des Auftreffens war das ganze verfaulte Bauwerk zusammengebrochen, und es war, als ob die Scharen der im Mauerwerk lebenden Ratten – so hatte es Mr Panicker in Zeitungsberichten über den Blitz gelesen – in der ihnen eigenen boshaften Pose aufgeschreckt und gebannt worden seien, ehe ihre Körper in einem Ekel erregenden grauen Rattenregen zu Boden fielen. Doch wie man ebenfalls hatte lesen können, war durch derartige Erschütterungen von Zeit zu Zeit das Schimmern eines seltenen, unerwarteten Schatzes entdeckt worden. Rares, Zerbrechliches, das immer schon da gewesen war, jedoch ungeahnt, unbemerkt. Als der alte Mann an diesem Morgen auf der Straße nach London mit seinem Umhang aus Wolle und Regen in Mr Panickers Wagen gestürmt war, hatte der Pfarrer den Eindruck gehabt, als sei ihm dadurch Linus Steinman, der beraubte, freundlose Junge, offenbart worden, wie er winzig und allein inmitten eines Berges grauer Asche stand, die Augen sehnsüchtig gen Himmel gerichtet. Mr Panicker war nicht so hoffnungsfroh oder so närrisch, als dass er sich eingebildet hätte, den vermissten Papagei eines Flüchtlingskindes wiederzufinden würde seinem Leben aufs Neue Sinn und Bedeutung verleihen. Aber er hätte sich schon mit sehr viel weniger zufrieden gegeben.

»Vielleicht können wir an einem anderen Tag wiederkommen. Morgen. Wir könnten in einem Hotel übernachten. Ich kenne da ein ganz anständiges kleines Haus.«

Abrupt erwachte Mr Panickers alter Traum vom Crampton Hotel mit seinem wirklich hervorragenden Frühstück wieder zum Leben, verlockend und deutlich. Nur bestand nun anstelle von Seminaren und Vorträgen, die man sich selbst bei lebhaftester Phantasie nur als unendlich öde Wiederholungen vorstellen konnte, an der Seite dieses verrückten alten Imkers die unwahrscheinliche Möglichkeit eines Abenteuers, umso wunderbarer ob seiner Unwahrscheinlichkeit. Auf eine Weise, die zu erklären oder mit Beispielen zu belegen Mr Panicker in die Bredouille gebracht hätte, schien der Alte eine solche Möglichkeit nicht nur zu generieren oder herauszufordern, sondern unausgesprochen einen Verbündeten für dieses Unternehmen zu benötigen. Mehr als das Gefühl, auf einer uneigennützigen Mission zu sein und durch das Auffinden eines verlorenen Haustiers erlöst werden zu können, war es diese Möglichkeit, für deren Erhalt Mr Panicker sich nun plötzlich vehement einsetzte. Denn was hatte ihn, einen schlaksigen, barfüßigen Landjungen aus Kerala, letztendlich für das Leben eines Dieners der Kirche von England eingenommen? Natürlich war es darum gegangen – das hatte er in den letzten vierzig Jahren unablässig wiederholt, bis zum Überdruss und zur Sinnentstellung –, einem Ruf zu folgen. Jedoch kam ihm erst jetzt der Gedanke, dass der Ruf weder, wie er einst angenommen hatte, göttlicher oder mystischer Natur war noch, wie er später verbittert entschieden hatte, ein emotionales Trugbild. Wie viele schlichte, schuhlose junge Männer, fragte er sich, machten sich auf die Suche nach dem Abenteuer und glaubten dabei von ganzem Herzen, dem Ruf Gottes zu folgen?

»Kommen Sie!«, sagte Mr Panicker. »Warten Sie hier! Ich hole den Wagen. Wir nehmen uns zwei Zimmer im Crampton und leiten ein Treffen mit diesem Black in die Wege – wir werden ihm eine richtige Falle stellen!«

Langsam nickte der alte Mann, sein Gesichtsausdruck abwesend, die Augen glanzlos, er vernahm die Worte kaum. Infolge seiner kurzen Verwirrung und Bestürzung schien sich eine schwere Melancholie auf ihn gelegt zu haben. Sie stand im völligen Gegensatz zu dem Eifer und dem unverwüstlichen Tatendrang, das Spiel weiter zu verfolgen, den Mr Panicker nun an den Tag legte. Er lief bis zur Boundary Street, sprang in den Imperia und fuhr eilig zurück, um seinen Mit-Abenteurer abzuholen. Doch selbst als er sich Blacks Geschäft näherte, bewegte sich der Alte nicht. Vornübergebeugt stand er da, schwankend auf den Stock gestützt, in exakt derselben Haltung, in der Mr Panicker ihn zurückgelassen hatte. Er hielt am Bordstein an und zog die Handbremse. Der alte Mann starrte auf seine riesigen Stiefel hinunter. Nach einer Weile drückte Mr Panicker auf die Hupe, einmal, zweimal. Langsam hob der alte Mann den Kopf und spähte zum Beifahrerfenster, als habe er keine Vorstellung, wen er dahinter zu finden erwartete. Doch kurz bevor Mr Panicker sich hinüberlehnte, um die Scheibe herunterzukurbeln, änderte sich der Gesichtsausdruck des alten Mannes. Er hob eine Braue, seine Augen verengten sich listig, und ein langes, dünnes Lächeln verzog seine Mundwinkel.

»Nein, Sie Dummkopf!«, rief er, als Mr Panicker die Fensterscheibe senkte. »Kurbeln Sie sie wieder hoch!«

Mr Panicker gehorchte, und als er das tat, wurde das Grinsen im Gesicht des Alten auf wundervollste Weise immer breiter und gedehnter, und er sagte etwas, das Mr Panicker nicht verstand. Eine geschlagene Minute lang studierte der alte Mann die Fensterscheibe – möglicherweise musterte er sein eigenes Spiegelbild, überlegte Mr Panicker – und sprach lächelnd geheimnisvolle Worte vor sich hin. Selbst als er neben Mr Panicker ins Auto gestiegen war und die Worte laut wiederholte, war der Geistliche ratlos.

»Leg of red!«, wiederholte der alte Mann. »Wie immer, haha, ein Fall von Spiegelung! Leg of red!«

»Ent… Entschuldigung, Sir. Ich verstehe nicht …«

»Rasch! Was ist das Hauptmerkmal, wenn der kleine Steinman etwas in sein Notizbuch kritzelt?«

»Nun, er hat die sonderbare Eigenart, die Wörter umzudrehen. Spiegelschrift. Wie der Doktor sagt, hat es offenbar irgendwie mit seiner Unfähigkeit zum Sprechen zu tun. Zweifellos irgendein Trauma. Und dann habe ich festgestellt, dass seine Rechtschreibung grässlich ist.«

»Ja! Und als er in einem jämmerlichen Hilfsgesuch, wie ich nun erkenne, die Wörter ›leg of red‹ auf ein Stück Papier schrieb, demonstrierte er vorbildlich beide Eigenschaften.«

»Leg of red«, versuchte es Mr Panicker und projizierte die Buchstaben rückwärts auf eine innere Leinwand. »Der … Fo … gel.« Aha. »Der Vogel. Er hat nach dem Vogel gefragt. Natürlich.«

»Ja. Und jetzt sagen Sie mir bitte, was er auf die andere Seite des Zettels geschrieben hat.«

»Was für ein Zettel?«

Der alte Mann drückte ihm ein Stück Papier in die Hände.

»Auf diesen Zettel – auf dem ein junger, erwachsener Mann mit kontinentaler Handschrift die Adresse eben jenes Unternehmens vermerkt hat, vor dem wir jetzt stehen. Und der, wie ich fälschlicherweise schloss, vom Besitzer selbst fallen gelassen wurde.«

»Blak«, las Mr Panicker. Und dann, nach der Rückprojektion: »Gütiger Gott.«