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Im Schankzimmer der «Sieben Sterne» trank Luke ein Bier und fühlte sich etwas verlegen. Seine geringste Bewegung wurde von einem halben Dutzend Paar Augen verfolgt, und die Unterhaltung hatte bei seinem Eintreten aufgehört. Luke versuchte es mit ein paar Bemerkungen von allgemeinem Interesse – über die Ernte, das Wetter und die Footballspiele, jedoch ohne Erfolg.
Dann probierte er es mit Galanterie. Er erriet, dass das hübsche Mädchen hinter dem Schanktisch mit dem schwarzen Haar und den roten Wangen Miss Lucy Carter sein müsse.
Seine Avancen wurden freundlich aufgenommen: Miss Carter kicherte und sagte: «Ach, gehen Sie! Das sagen Sie sicher nur so!» und ähnliche Redensarten, doch war das offenbar nur automatische Abwehr.
Da Luke sah, dass er durch längeres Bleiben nichts gewinnen würde, trank er sein Bier aus und ging. Er folgte dem Pfad den Fluss entlang, bis er zu einem Steg kam. Dort blieb er stehen und betrachtete ihn, als eine zittrige Stimme hinter ihm sagte:
«Ja, da ist es, Sir, wo der alte Harry hineingefallen ist.»
Luke wandte sich um und sah einen der Gasthausbesucher, der sich besonders unzugänglich für Gespräche gezeigt hatte. Jetzt fand er offenbar Vergnügen daran, sich als Führer an makabrer Stätte zu betätigen.
«Ist in den Schlamm hineingefallen, ja», fuhr der alte Arbeiter fort. «Direkt in den Schlamm und drin stecken geblieben mit dem Kopf nach unten.»
«Merkwürdig, dass er hier reingefallen ist», sagte Luke.
«Er war betrunken, das war er», erläuterte der Mann nachsichtig.
«Ja, aber er muss diesen Weg doch schon oft betrunken gegangen sein.»
«Beinahe jede Nacht», bestätigte der andere. «War immer besoffen, der Harry.»
«Vielleicht hat ihn jemand hineingestoßen», sagte Luke möglichst beiläufig.
«Das wäre schon möglich», stimmte der andere zu. «Aber ich wüsste nicht, wer das hätte tun sollen», fügte er hinzu.
«Er hätte sich doch Feinde machen können; er hat doch ordentlich geschimpft, wenn er betrunken war, nicht?»
«Was der zusammenredete, ging auf keine Kuhhaut! Legte seine Worte nicht auf die Goldwaage, der Harry! Aber niemand würde doch einen Mann, der betrunken ist, stoßen.»
Luke bestritt diese Behauptung nicht. Es wurde offenbar als höchst unbillig betrachtet, den Zustand eines Mannes, der betrunken war, auszunutzen; der biedere Landbewohner schien allein bei dem Gedanken ganz entrüstet.
«Ja», sagte Luke bedauernd, «es war eine schlimme Sache.»
«Nicht so schlimm für seine Frau», meinte der Alte. «Ich glaube, sie und Lucy sind nicht traurig darüber.»
«Aber es mag andere Leute geben, die froh sind, dass er aus dem Weg ist.»
Der alte Mann schien sich nicht recht klar darüber.
«Mag sein», räumte er ein. «Aber er hat nichts bös gemeint, der Harry.»
Nach diesem Nachruf für den verstorbenen Mr Carter trennten sie sich.
Luke wandte seine Schritte zu jenem alten Haus, in dessen beiden Vorzimmern sich die Bibliothek befand. Luke ging nach hinten und dann durch eine Tür, auf der «Museum» stand, und musterte Schaukasten um Schaukasten mit den nicht sehr begeisternden ausgestellten Dingen – römische Töpferarbeit und Münzen, einige Südsee-Merkwürdigkeiten, ein malaiischer Kopfputz. Verschiedene indische Gottheiten, «Geschenk von Major Horton», sowie ein großer, bösartig dreinsehender Buddha und ein Kasten voll ägyptischer Glasperlen zweifelhaften Werts.
Luke ging wieder in die Halle hinaus. Niemand war dort zu sehen, er ging still die Treppen hinauf und kam in ein Zimmer voller Zeitschriften und Zeitungen und ein zweites mit wissenschaftlichen Werken.
Luke stieg einen Stock höher, da waren die Zimmer mit altem Kram angefüllt. Ausgestopfte Vögel, die aus dem Museum entfernt worden waren, da die Motten drin waren, Stöße von zerrissenen Zeitschriften und Regale voll veralteter sogenannter «schöner» Literatur und Kinderbüchern.
Luke näherte sich dem Fenster. Hier musste es gewesen sein, wo Tommy Pierce gesessen, sich vielleicht eins gepfiffen hatte und eine Fensterscheibe kräftig zu reiben begann, sobald er jemanden kommen hörte.
Jemand war hereingekommen. Tommy hatte eifrig gearbeitet, auf dem Fensterbrett sitzend, zur Hälfte hinausgeneigt und fleißig putzend. Und dann war dieser Jemand zu ihm getreten und hatte ihm während des Plauderns plötzlich einen kräftigen Stoß gegeben.
Luke wandte sich zum Gehen. Er ging die Treppe hinunter und blieb einen Augenblick in der Halle stehen. Niemand hatte ihn beim Hereinkommen bemerkt, niemand ihn hinaufgehen sehen.
«Jeder hätte es tun können!» sagte Luke. «Das Leichteste auf der Welt.»
Er hörte Schritte aus der Richtung Bibliothek kommen. Da er unschuldig war und nichts dagegen hatte, wenn man ihn sah, konnte er bleiben, wo er war. Hätte er nicht gesehen werden wollen, wie leicht wäre er mit einem Schritt wieder im Museum gewesen!
Miss Waynflete kam aus der Bibliothek, einen kleinen Stoß Bücher unter dem Arm; sie zog eben ihre Handschuhe an und schien sich rundum wohl zu fühlen. Als sie ihn sah, erhellten sich ihre Züge, und sie sagte:
«Oh, Mr Fitzwilliam, haben Sie unser Museum angeschaut? Ich fürchte, es ist nicht sehr viel Interessantes dort. Lord Whitfield sprach davon, uns einige wirklich gute Ausstellungsstücke zu beschaffen.»
«Ah, wirklich?»
«Ja, etwas Modernes, wissen Sie, und Zeitgemäßes, so wie es im Wissenschaftlichen Museum in London ist. Er meinte, das Modell eines Aeroplans und einer Lokomotive und auch etwas Chemisches.»
«Das würde etwas Abwechslung schaffen.»
«Ja, ich finde nicht, dass ein Museum sich nur mit der Vergangenheit befassen muss, nicht wahr?»
«Wahrscheinlich nicht.»
«Dann auch Nahrungsmittel – Kalorien und Vitamine – derlei Dinge. Lord Whitfield ist ganz versessen auf den ‹Kampf für die größere Tauglichkeit›.»
«Das sagte er mir neulich auch.»
«Das ist jetzt das größte Schlagwort, nicht wahr? Lord Whitfield erzählte mir von seinem Besuch im Wellerman-Institut – dass er so viele Keime und Kulturen von Bakterien gesehen habe –, mir schauderte geradezu! Und er erzählte mir von Moskitos und der Schlafkrankheit und etwas von einer Leberbehandlung, was ich leider nicht recht verstand, es war zu hoch für mich.»
«Es war wahrscheinlich auch zu hoch für Lord Whitfield», tröstete Luke heiter. «Ich möchte wetten, er hat es ganz missverstanden! Sie haben einen viel klareren Kopf als er, Miss Waynflete.»
Miss Waynflete sagte gesetzt:
«Das ist sehr nett von Ihnen, Mr Fitzwilliam, aber ich fürchte, Frauen sind nie so tiefe Denker wie Männer.»
Luke unterdrückte den Wunsch, Lord Whitfields Gedankengänge einer abfälligen Kritik zu unterziehen. Stattdessen sagte er:
«Ich schaute wohl ins Museum, doch nachher ging ich hinauf, um einen Blick auf die oberen Fenster zu werfen.»
«Sie meinen, wo Tommy – »
Miss Waynflete erschauerte. «Es ist wirklich grässlich.»
«Ja, es ist keine schöne Vorstellung. Ich habe ungefähr eine Stunde mit Mrs Church – Amys Tante – verbracht. Keine angenehme Frau!»
«Gewiss nicht.»
«Ich musste einen ziemlich scharfen Ton mit ihr anschlagen», sagte Luke. «Ich glaube, sie hält mich für eine Art höheren Polizeimann.»
Er hielt inne, als er eine plötzliche Veränderung in Miss Waynfletes Gesichtsausdruck wahrnahm.
«Oh, Mr Fitzwilliam, halten Sie das für angezeigt?»
Luke sagte: «Ich weiß nicht, ich glaube, es war unvermeidlich. Die Geschichte vom Buch war schon recht fadenscheinig – mit der komme ich nicht viel weiter. Ich musste Fragen stellen, die direkt auf die Sache abzielten.»
Miss Waynflete schüttelte den Kopf – der bekümmerte Ausdruck wich nicht aus ihrem Gesicht.
«In einem Ort wie diesem hier, wissen Sie – spricht sich alles so schnell herum.»
«Sie meinen, dass, wenn ich über die Straße gehe, jeder sagen wird: ‹Da geht der Detektiv›? Ich glaube nicht, dass das jetzt noch viel ausmacht. Tatsächlich erreiche ich vielleicht auf diese Art mehr.»
«Daran dachte ich nicht», es klang ein wenig atemlos. «Was ich meinte, war – er wird es erfahren, es wird ihm klar werden, dass Sie ihm auf der Spur sind.»
Luke meinte langsam und betont:
«Das ist schon möglich.»
«Aber sehen Sie denn nicht – das ist ja furchtbar gefährlich, furchtbar!»
«Sie meinen – » Endlich begriff Luke: «Sie meinen, der Mörder wird es nun auf mich absehen?»
«Ja.»
«Komisch», sagte Luke. «Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Ich glaube jedoch, Sie haben recht. Nun, das ist eigentlich das Beste, was geschehen könnte.»
Miss Waynflete sagte ernst:
«Ich glaube, Sie sind sich nicht ganz klar, dass er – er ein sehr gescheiter Mann ist. Er ist auch vorsichtig! Und bedenken Sie, er hat eine Menge Erfahrung – vielleicht mehr, als wir ahnen.»
«Ja», sagte Luke nachdenklich. «Das ist wohl richtig.»
Miss Waynflete rief aus:
«Oh, es gefällt mir nicht! Es erschreckt mich geradezu!»
Luke beruhigte sie sanft:
«Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen; ich werde sehr auf mich aufpassen, das versichere ich Ihnen. Wissen Sie, ich habe den Kreis schon sehr eng gezogen. Ich habe wenigstens eine Ahnung, wer der Mörder sein kann.»
Sie blickte scharf auf.
Luke kam einen Schritt näher, er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern:
«Miss Waynflete, wenn ich Sie fragen würde, welchen von zwei Männern Sie für den wahrscheinlichsten hielten – Dr. Thomas oder Mr Abbot –, was würden Sie sagen?»
«Oh – », sagte Miss Waynflete. Ihre Hand presste sich auf ihre Brust, sie trat zurück. Ihre Augen begegneten denen von Luke mit einem Ausdruck, den er nicht verstand. Sie zeigten Ungeduld und noch etwas anderes, das er nicht ganz begriff.
«Ich kann gar nichts sagen – »
Sie wandte sich jäh ab mit einem merkwürdigen Laut – halb Seufzer, halb Schluchzen.
Luke drang nicht weiter in sie.
«Gehen Sie nach Hause?» fragte er.
«Nein, ich war im Begriff, Mrs Humbleby diese Bücher zu bringen; das liegt am Weg nach Ashe Manor. Wir könnten ein Stück des Weges miteinander gehen.»
«Das ist nett», sagte Luke.
Sie gingen die Stufen hinab, wandten sich zur Linken und gingen entlang der Dorfwiese.
Luke schaute zurück auf die stattlichen Umrisse des Hauses, das sie eben verlassen hatten.
«Es muss zur Zeit Ihres Vaters ein wunderschönes Haus gewesen sein», sagte er.
Miss Waynflete seufzte.
«Ja, wir waren alle sehr glücklich dort. Ich bin so froh, dass es nicht abgerissen wurde. So viele von den alten Häusern mussten dran glauben.»
«Ich weiß. Es ist traurig.»
«Und die neuen sind wirklich nicht so gut gebaut.»
«Ich bezweifle, dass sie so lange stehen werden.»
«Aber die neuen sind natürlich bequem», sagte Miss Waynflete, «sie sparen Arbeit, es sind nicht so viele Gänge zu putzen.»
Luke stimmte ihr zu.
Als sie bei Dr. Humblebys Tür angelangt waren, zögerte Miss Waynflete und sagte dann:
«So ein schöner Abend! Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich noch ein Stückchen mit; die Luft tut mir gut.»
Etwas erstaunt drückte Luke höflich sein Vergnügen über ihre Begleitung aus. Er hätte den Abend nicht gerade schön genannt, es blies ein starker Wind. Er dachte, ein Sturm könnte jeden Augenblick ausbrechen.
Miss Waynflete ging jedoch an seiner Seite, ihren Hut mit einer Hand festhaltend, als bereite ihr der Spaziergang großes Vergnügen, und plauderte während des Gehens ein wenig atemlos.
Es war ein einsames Gässchen, durch das sie gingen, denn der kürzeste Weg von Dr. Humblebys Haus nach Ashe Manor führte nicht über die Hauptstraße, sondern durch ein Seitengässchen zu einem der hinteren Tore des Besitzes. Dieses Tor war nicht in dem reich verzierten Eisenwerk des vorderen Tores ausgeführt, sondern hatte zwei stattliche Pfeiler, auf denen zwei ungeheure rosafarbene Ananas ruhten. Warum gerade Ananas, das hatte Luke nicht herausbekommen können, aber er nahm an, dass für Lord Whitfield Ananas Vornehmheit und guten Geschmack bedeuteten.
Als sie sich dem Tor näherten, schlug eine zornige Stimme an ihr Ohr. Einen Augenblick später erblickten sie Lord Whitfield und einen jungen Mann in Chauffeursuniform. «Sie sind entlassen», schrie Lord Whitfield. «Hören Sie? Sie sind entlassen.»
«Wenn Mylord es das eine Mal nachsehen wollten.»
«Nein, ich will es nicht nachsehen! Mein Auto für sich zu benützen! Mein Auto – und was noch schlimmer ist, Sie haben ja getrunken – ja, leugnen Sie nicht! Ich habe es klargemacht, drei Dinge dulde ich nicht auf meinem Besitz – das eine ist Trunkenheit, das zweite ist Unmoral und das dritte ist Frechheit.»
Obwohl der Mann nicht tatsächlich betrunken war, hatte er doch genug getrunken, um mutig dagegenzuhalten. «Das wollen Sie nicht und jenes wollen Sie nicht, Sie alter Bastard! Ihr Besitz! Glauben Sie, wir wissen nicht alle, dass Ihr Vater hier einen Schuhladen hatte? Es ist ja zum Kranklachen, wahrhaftig, Sie wie den Hahn am Mist herumstolzieren zu sehen! Wer sind Sie denn, möchte ich wissen? Sie sind nichts Besseres als ich – das sind Sie!»
Lord Whitfield wurde purpurrot.
«Wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen?» Der junge Mann trat drohend einen Schritt vor.
«Wenn Sie nicht so ein elendes, dickbäuchiges kleines Schwein wären, würde ich Ihnen eine versetzen, dass Sie genug hätten!»
Lord Whitfield wich rasch einen Schritt zurück, stolperte über eine Wurzel und setzte sich etwas plötzlich auf den Boden.
Luke war herangekommen.
«Hauen Sie ab», sagte er barsch zum Chauffeur.
Der letztere kam plötzlich wieder zu sich; er sah erschrocken aus.
«Verzeihen Sie, Sir. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, wirklich!»
«Ein paar Gläser zuviel, würde ich sagen», meinte Luke. Er half Lord Whitfield auf die Beine.
«Ich – ich bitte um Verzeihung, Mylord», stammelte der Mann.
«Das wird Ihnen noch leid tun, Rivers», fauchte Lord Whitfield.
Seine Stimme zitterte vor Erregung.
Der Mann zögerte noch einen Augenblick, dann ging er langsam fort.
Lord Whitfield war nicht zu halten. Er legte los:
«Ungeheure Frechheit! Mir das! So zu mir zu reden! Dem Mann wird etwas Ernstliches passieren! Keinen Respekt – keinen Begriff von seiner Stellung. Wenn ich denke, was ich für diese Leute tue – gute Löhne – größte Behaglichkeit – eine Pension, wenn sie sich zurückziehen. Die Undankbarkeit – die gemeine Undankbarkeit…»
Er erstickte fast an seiner Erregung, dann bemerkte er Miss Waynflete, die schweigend dastand.
«Sind Sie es, Honoria? Ich bin außer mir, dass Sie so eine scheußliche Szene mit ansehen mussten. Die Sprache dieses Menschen – »
«Ich fürchte, er war nicht ganz bei sich, Lord Whitfield», sagte Miss Waynflete gemessen.
«Er war betrunken, das war er, betrunken!»
«Ein wenig angeheitert», sagte Luke.
«Wissen Sie, was er getan hat?» Lord Whitfield schaute von einem zum andern. «Hat mein Auto gefahren – privat! – mein Auto! Dachte, ich würde nicht so bald zurück sein. Bridget brachte mich im Zweisitzer nach Lyne. Und dieser Bursche hatte die Frechheit, ein Mädchen – Lucy Carter, glaube ich – in meinem Wagen auszuführen!»
Miss Waynflete sagte sanft:
«Eine höchst ungehörige Sache.»
Lord Whitfield schien etwas getröstet.
«Ja, nicht wahr?»
«Aber ich bin sicher, er wird es bedauern.»
«Dafür werde ich sorgen!»
«Sie haben ihn schon entlassen», bemerkte Miss Waynflete.
Lord Whitfield schüttelte den Kopf.
«Er wird ein schlechtes Ende nehmen, der Bursche.» Er straffte die Schultern.
«Kommen Sie mit ins Haus, Honoria, und trinken Sie ein Glas Sherry.»
«Danke, Lord Whitfield, aber ich muss zu Mrs Humbleby mit diesen Büchern. Gute Nacht, Mr Fitzwilliam. Jetzt wird Ihnen nichts mehr geschehen.»
Sie nickte ihm lächelnd zu und ging rasch fort. Sie ähnelte in diesem Moment so sehr einer Kinderfrau, die ein Kind bei einer Kindergesellschaft abliefert, dass Luke bei dem Gedanken, der ihm plötzlich kam, fast der Atem stockte. War es möglich, dass Miss Waynflete ihn begleitet hatte, um ihn zu schützen? Die Idee schien lächerlich, aber Lord Whitfields Stimme unterbrach seine Grübeleien. «Sehr tüchtiges Frauenzimmer, Honoria Waynflete.»
«Sehr, das glaube ich auch.»
Lord Whitfield ging auf das Haus zu. Er bewegte sich etwas steif, und seine Hand fing an, seine Rückseite sanft zu reiben.
Plötzlich kicherte er.
«Ich war einmal mit Honoria verlobt – vor Jahren. Sie war ein nettes Mädchen – nicht so hager wie heute. Jetzt kommt es mir komisch vor. Ihre Leute waren die Vornehmsten im Ort.»
«Ja.»
Lord Whitfield redete weiter:
«Der alte Colonel Waynflete war der Boss vom Ganzen. Man musste rasch herauskommen und höflich grüßen. Durch und durch alte Schule und hochmütig wie Luzifer.»
Er kicherte wieder.
«Da war der Teufel los, als Honoria erklärte, sie wolle mich heiraten. Sie nannte sich eine Radikale, wollte die Klassenunterschiede aufgehoben sehen. Sie war ein sehr ernsthaftes Mädchen.»
«Also hat die Familie der Romanze ein Ende gemacht?»
Lord Whitfield rieb sich die Nase.
«Nun – eigentlich nicht. Tatsache ist, wir hatten einen Krach wegen etwas. Einen dummen Kanarienvogel hatte sie – einen von der Sorte, die ewig schmettern – ich mag sie nicht – schlimme Geschichte – Hals umgedreht. Nun – nützt nichts, jetzt darüber zu reden. Vergessen wir’s.»
Er schüttelte sich wie ein Mensch, der eine unangenehme Erinnerung loswerden will.
Dann stieß er mit einem Ruck hervor:
«Glaube nicht, dass sie mir je verziehen hat. Nun, vielleicht ist es nur natürlich…»
«Ich glaube schon, dass sie Ihnen verziehen hat», sagte Luke.
Lord Whitfields Gesicht erhellte sich.
«Glauben Sie? Das freut mich. Wissen Sie, ich achte Honoria sehr. Eine tüchtige Frau und eine Dame! Das zählt sogar in diesen Tagen noch immer. Sie leitet die Bibliothek ausgezeichnet.»
Er blickte auf, und seine Stimme bekam einen anderen Klang.
«Hallo», sagte er. «Da kommt Bridget.»