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Lukes Muskeln strafften sich, als Bridget näher kam.
Seit dem Tag der Tennispartie hatte er kein Wort mehr mit ihr allein gesprochen. In stillschweigendem Übereinkommen hatten sie sich gemieden. Er warf jetzt einen verstohlenen Blick auf sie.
Sie sah aufreizend ruhig, kühl und gleichgültig aus. Sie sagte leichthin:
«Ich fing an, mir den Kopf zu zerbrechen, was aus dir geworden sein könnte, Gordon.»
Lord Whitfield brummte:
«Ich hatte einen Krach mit dem Kerl, dem Rivers, der die Frechheit hatte, den Rolls heute nachmittag zu nehmen.»
«Lése-majestè», lächelte Bridget.
«Es nützt nichts, einen Spaß darüber zu machen, Bridget. Die Sache ist ernst. Er hat ein Mädchen ausgeführt.»
«Ich vermute, es hätte ihm kaum Vergnügen gemacht, feierlich allein auszufahren!»
Lord Whitfield richtete sich auf.
«Auf meinem Besitz will ich anständiges, moralisches Benehmen haben.»
«Es ist nicht direkt unmoralisch, ein Mädchen auf eine Fahrt mitzunehmen.»
«Doch, wenn es mein Wagen ist.»
«Das ist natürlich ärger als Unmoral! Es ist geradezu Blasphemie. Aber du kannst das Liebesleben nicht gänzlich ausschalten. Gordon. Es ist Vollmond und Johannisnacht.»
«Ah, wirklich?» sagte Luke.
Bridget warf ihm einen Blick zu.
«Das scheint Sie zu interessieren?»
«Gewiss.»
Bridget wandte sich wieder an Lord Whitfield.
«Drei außergewöhnliche Leute sind in der ‹Scheckigen Glocke› angekommen; erstens ein Mann in Kniebundhosen, Brille und einem wundervollen pflaumenfarbenen Hemd! Zweitens ein weibliches Wesen ohne Augenbrauen, bekleidet mit einem lockeren Gewand, Sandalen und mit viel unechten ägyptischen Glasperlen geschmückt. Drittens ein fetter Mann in einem lavendelblauem Anzug und dazu passenden Schuhen. Ich habe sie im Verdacht, Freunde unseres Mr Ellsworthy zu sein! In der Gesellschaftskolumne steht: ‹Man munkelt, dass es heute abend auf der Hexenwiese hoch hergehen soll›»
Lord Whitfield wurde purpurrot und sagte:
«Ich will das nicht haben!»
«Du kannst nichts dagegen tun, Darling. Die Hexenwiese ist öffentliches Eigentum.»
«Ich werde diesen irreligiösen Hokuspokus hier nicht dulden! Ich werde ihn im ‹Scandals› bloßstellen.» Er machte eine Pause und sagte dann: «Erinnere mich, dass ich es mir notiere und mit Siddeley darüber spreche. Ich muss morgen in die Stadt.»
«Lord Whitfields Feldzug gegen Hexerei», bemerkte Bridget vorlaut. «Mittelalterlicher Aberglauben in stillem Landstädtchen.»
Lord Whitfield starrte sie verständnislos und stirnrunzelnd an, dann drehte er sich um und ging ins Haus.
Luke sagte freundlich:
«Sie müssen Ihre Rolle besser spielen als eben jetzt, Bridget!»
«Wie meinen Sie das?»
«Es wäre schade, wenn Sie Ihre Stelle verlieren würden! Jene hunderttausend haben Sie noch nicht und auch nicht die Diamanten und Perlen. Ich würde bis nach der Trauung mit der Ausübung meiner sarkastischen Talente warten, wenn ich Sie wäre.»
Ihr Blick begegnete dem seinen kühl.
«Sie sind so aufmerksam, lieber Luke. Es ist sehr freundlich von Ihnen, sich meine Zukunft so angelegen sein zu lassen!»
«Freundlichkeit und Rücksicht sind von jeher meine starken Seiten gewesen.»
«Ich hatte es nicht bemerkt.»
«Nicht? Das überrascht mich.»
Bridget riss ein Blatt vom nächsten Strauch ab.
«Was haben Sie heute gemacht?»
«Die gewöhnliche Spürarbeit.»
«Resultate?»
«Ja und nein, wie die Politiker sagen. Apropos, haben Sie Werkzeug im Haus?»
«Vermutlich. Was für eine Art Werkzeug?»
«Ach, irgendetwas Handliches. Vielleicht könnte ich mir mal was ansehen.»
Zehn Minuten später hatte Luke seine Wahl getroffen. «Diese paar Stücke genügen mir vollkommen», sagte er, auf die Tasche klopfend, in die er sie gesteckt hatte.
«Wollen Sie ein bisschen einbrechen gehen?»
«Mag sein.»
«Sie sind sehr wenig mitteilsam heute.»
«Nun, schließlich ist die Situation voller Schwierigkeiten. Ich bin in einer verteufelten Lage. Nach unserer kleinen Unterhaltung am Sonnabend hätte ich eigentlich von hier wegfahren sollen.»
«Um sich als vollendeter Gentleman zu erweisen, gewiss.»
«Aber da ich überzeugt bin, dass ich einem mörderischen Irren ziemlich nah auf den Fersen bin, war ich mehr oder weniger gezwungen zu bleiben. Wenn Ihnen ein wahrscheinlich klingender Grund einfällt, dass ich hier ausziehen und mich in der ‹Scheckigen Glocke› einquartieren könnte, sagen Sie ihn mir um Himmels willen.»
Bridget schüttelte den Kopf.
«Das geht nicht – wo Sie mein Vetter sind und so weiter. Außerdem ist der Gasthof voll von Ellsworthy-Freunden; sie haben nur drei Gastzimmer.»
«Also muss ich bleiben, so peinlich Ihnen das auch sein mag.»
Bridget lächelte ihn süß an.
«Durchaus nicht. Ich kann ein paar Skalps immer brauchen.»
«Das», sagte Luke anerkennend, «war ein besonders gemeiner Hieb. Was ich an Ihnen so bewundere, Bridget, ist, dass Sie praktisch gar keine gütigen Instinkte haben. Na, schön. Der abgewiesene Freier wird sich jetzt zum Essen umkleiden.»
Der Abend verlief ereignislos. Luke stieg sichtlich in Lord Whitfields Gunst durch das scheinbar große Interesse, mit dem er dessen üblichem nächtlichem Vortrag lauschte. Als sie in den Salon kamen, sagte Bridget:
«Ihr Männer seid lange ausgeblieben.»
Luke erwiderte:
«Lord Whitfield berichtete so interessant, dass die Zeit wie im Flug verging. Er erzählte mir, wie er sein erstes Blatt gründete.»
Mrs Anstruther sagte:
«Diese neuen kleinen Obstbäume in Töpfen sind geradezu wunderbar, glaube ich. Man sollte sie die Terrasse entlang setzen, Gordon.»
Die Unterhaltung bewegte sich dann im alltäglichen Geleise. Luke zog sich früh zurück.
Er ging jedoch nicht zu Bett. Er hatte andere Pläne.
Es schlug eben zwölf, als er die Treppen lautlos in Tennisschuhen hinunterschlich und durch ein Fenster in der Bibliothek das Haus verließ.
Der Wind blies noch in heftigen Stößen, nur durch kurze Pausen unterbrochen. Wolken flogen über den Himmel und verbargen zeitweilig den Mond, so dass Dunkelheit mit hellem Mondlicht abwechselte.
Luke ging auf einem Umweg zu Mr Ellsworthys Haus. Er beabsichtigte, eine kleine Untersuchung anzustellen. Er war ziemlich sicher, dass Mr Ellsworthy und seine Freunde gerade an diesem Tag auswärts sein würden. Die Johannisnacht, dachte Luke, würde sicherlich mit irgendeinem Zeremoniell gefeiert werden. Während dieses im Gang war, ergab sich eine gute Gelegenheit, Mr Ellsworthys Haus zu durchsuchen.
Er kletterte über ein paar Mauern, ging zur Rückseite des Hauses und wählte aus den mitgebrachten Werkzeugen ein passendes aus. Das Fenster der Waschküche erwies sich als zugänglich; nach ein paar Minuten hatte er den Riegel zurück- und das Fenster hoch geschoben und konnte einsteigen. Er hatte eine Taschenlampe bei sich, benützte sie aber nur sparsam – nur hie und da ein Aufleuchten, um ihm den Weg zu weisen und zu vermeiden, irgendwo anzustoßen.
Innerhalb einer Viertelstunde hatte er festgestellt, dass das Haus leer war; der Besitzer war fort, irgendwo mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt.
Luke lächelte zufrieden und machte sich an die Arbeit.
Er untersuchte jeden Winkel gründlich. In einer versperrten Lade unter ein paar harmlosen Aquarellskizzen stieß er auf ein paar künstlerische Versuche, die ihm einen langen Pfiff entlockten. Mr Ellsworthys Korrespondenz verriet nichts Ungewöhnliches, aber einige Bücher – die Luke hinten in einem Schrank versteckt fand – lohnten die Mühe.
Außer diesen erntete Luke drei magere, aber vielsagende Posten. Der erste war eine mit Bleistift hingekritzelte Bemerkung in einem kleinen Notizbuch: «Mit Tommy Pierce Ordnung machen» – mit dem Datum zwei Tage vor dessen Tod. Der zweite war eine Bleistiftskizze von Amy Gibbs mit einem roten Kreuz wütend über das Gesicht gezogen. Der dritte war eine Flasche Hustensaft. Keines dieser Dinge ließ einen sicheren Schluss zu, alle zusammengenommen jedoch konnten als ermutigend gelten.
Luke war eben dabei, Ordnung zu machen, die Dinge auf ihren Platz zurückzustellen, als er sich plötzlich straffte und seine Taschenlampe abschaltete.
Er hatte gehört, wie ein Schlüssel in das Schloss einer Seitentür gesteckt wurde.
Er schlich zur Tür des Zimmers, in dem er sich befand, und schaute durch einen Spalt hinaus. Er hoffte, dass Ellsworthy, wenn er es war, direkt hinaufgehen würde.
Die Seitentür öffnete sich, und Ellsworthy trat ein, gleichzeitig das Licht in der Halle einschaltend.
Während er durch die Halle ging, sah Luke sein Gesicht, und der Atem stockte ihm beinahe.
Er war kaum wiederzuerkennen; auf den Lippen stand Schaum, die Augen leuchteten frohlockend in einem seltsam irren Glanz, während er mit kleinen Tanzschritten durch die Halle stolzierte.
Doch was Luke fast den Atem raubte, war der Anblick von Ellsworthys Händen; sie waren voll rostbrauner Flecken – die Farbe getrockneten Blutes…
Er verschwand die Treppe hinauf; gleich darauf erlosch das Licht.
Luke wartete noch ein Weilchen, dann schlich er vorsichtig in die Halle hinaus, in die Waschküche und stieg wieder zum Fenster hinaus. Er blickte auf das Haus zurück, doch es blieb dunkel und still.
Er atmete tief.
«Mein Gott», sagte er, «der Kerl ist wirklich verrückt! Was mag er nur angestellt haben? Ich könnte schwören, dass das Blut an seinen Händen war!»
Er ging außen um den Ort herum und kehrte auf diesem Umweg nach Ashe Manor zurück. Als er eben in das Seitengässchen einbog, rauschte es im Gebüsch, er wandte sich rasch um.
«Wer ist da?»
Aus dem Schatten eines Baumes trat eine hohe Gestalt, in einen dunklen Mantel gehüllt. Es sah so unheimlich aus, dass Luke seinen Herzschlag aussetzen fühlte; dann erkannte er das schmale, blasse Gesicht unter der Kapuze.
«Bridget? Wie Sie mich erschreckt haben!»
Sie sagte scharf:
«Wo sind Sie gewesen? Ich sah Sie ausgehen.»
«Und sind mir gefolgt?»
«Nein, Sie waren schon zu weit. Ich habe auf Sie gewartet.»
«Das war eine verfluchte Dummheit», brummte Luke. Sie wiederholte ungeduldig ihre Frage.
«Wo sind Sie gewesen?»
Luke sagte heiter:
«Unserem Mr Ellsworthy nachspüren!»
Bridget atmete rasch.
«Haben Sie – etwas gefunden?»
«Ich weiß nicht. Ich habe etwas mehr über ihn erfahren – seinen pornographischen Geschmack und so weiter, und drei Dinge, die einem zu denken geben.»
Sie hörte aufmerksam zu, während er über das Ergebnis seiner Suche berichtete.
«Es sind natürlich nur sehr schwache Beweisstücke», schloss er. «Aber, Bridget, gerade als ich fortgehen wollte, kam Ellsworthy zurück. Und ich sage Ihnen – der Mann ist total verrückt!»
«Glauben Sie wirklich?»
«Ich sah sein Gesicht – es war – unbeschreiblich! Gott weiß, was er getan hat! Er war in einem Delirium wilder Erregung. Und seine Hände waren voller Flecken – ich könnte schwören – von Blut.»
Bridget erschauerte.
«Grässlich…», murmelte sie.
Luke sagte gereizt:
«Sie hätten nicht allein ausgehen sollen, Bridget. Es war direkter Wahnsinn. Jemand hätte Ihnen einen Schlag auf den Kopf versetzen können!»
Sie lachte unsicher.
«Dasselbe hätte Ihnen passieren können, mein Lieber.»
«Ich kann schon auf mich aufpassen.»
«Ich kann auch recht gut auf mich Acht geben. Hartgesotten, meine ich, würden Sie mich nennen.»
Ein scharfer Windstoß kam. Luke sagte plötzlich:
«Nehmen Sie die Kapuze da fort.»
«Warum?»
Mit einer unerwarteten Bewegung haschte er nach ihrem Mantel und riss ihn herab. Der Wind verfing sich in ihrem Haar und blies es in einer geraden Linie von ihrem Kopf weg. Sie starrte ihn rasch atmend an.
Luke sagte:
«Sie sind entschieden unvollständig ohne einen Besen, Bridget. So sah ich Sie zum ersten Mal.» Er starrte sie noch eine Minute an und bemerkte: «Sie sind ein grausamer Teufel.»
Mit einem heftigen, ungeduldigen Seufzer warf er ihr den Mantel wieder zu.
«Da – nehmen Sie ihn um. Gehen wir nach Hause.»
«Warten Sie…»
«Warum?»
Sie trat an ihn heran. Sie sprach mit leiser, atemloser Stimme. «Weil ich Ihnen etwas zu sagen habe – das ist auch teilweise der Grund, warum ich auf Sie gewartet habe – hier draußen vor dem Haus. Ich will es Ihnen jetzt sagen – bevor wir hineingehen – in Gordons Haus…»
«Nun?»
Sie lachte kurz auf – etwas bitter klang es.
«Oh, es ist ganz einfach. Sie haben gewonnen, Luke, das ist alles!»
Er sagte heftig:
«Was meinen Sie damit?»
«Ich meine, dass ich die Idee, Lady Whitfield zu werden, aufgegeben habe.»
Er trat einen Schritt näher.
«Ist das wahr?» fragte er.
«Ja, Luke.»
«Du wirst mich heiraten?»
«Ja.»
«Warum?»
«Ich weiß es nicht. Du sagst so scheußliche Dinge zu mir – und ich glaube, ich höre sie gern…»
Er nahm sie in die Arme und küsste sie.
«Es ist eine verrückte Welt!»
«Bist du glücklich, Luke?»
«Nicht besonders.»
«Glaubst du, dass du je mit mir glücklich sein wirst?»
«Ich weiß es nicht. Ich will es riskieren.»
«Ja – das fühle ich auch…»
Er schob seinen Arm unter den ihren.
«Wir sind ein etwas seltsames Paar, mein Herz. Komm! Vielleicht werden wir morgen früh normaler sein.»
«Ja – es ist etwas erschreckend, wie die Dinge einem geschehen…» Sie schaute hinunter und riss an seinem Arm. «Luke – Luke – was ist denn das…»
Der Mond war aus den Wolken herausgetreten. Luke blickte hinunter, wo Bridgets Schuh vor einer zusammengesunkenen Masse zurückgezuckt war.
Mit einem erschrockenen Ausruf machte er seinen Arm frei und kniete nieder. Er schaute von dem formlosen Haufen zu dem Torpfeiler hinauf. Die Ananas war fort.
Endlich erhob er sich. Bridget stand da, beide Hände auf ihren Mund gepresst.
«Es ist der Chauffeur – Rivers. Er ist tot…»
«Dieses scheußliche steinerne Ding – es war schon einige Zeit locker – der Wind hat es wahrscheinlich heruntergeweht?»
Luke schüttelte den Kopf.
«Der Wind könnte so etwas nicht machen. Oh! So soll es ausschauen – das soll es sein – wieder ein Unfall! Aber das ist ein Schwindel. Es ist wieder der Mörder…»
«Nein – nein, Luke – »
«Ich sage dir, es ist so. Weißt du, was ich an seinem Hinterkopf gespürt habe – zusammen mit dem Klebrigen – Sandkörner! Hier herum ist kein Sand. Ich sag dir, Bridget, jemand hat ihn erschlagen, als er durch das Tor zurück in sein Häuschen wollte. Dann wurde er hierher gelegt und diese Ananas auf ihn gerollt.»
Bridget sagte schwach:
«Luke – es ist Blut – an deinen Händen…»
Luke sagte grimmig:
«Es war Blut an den Händen von jemand anderem. Weißt du, was ich noch heute nachmittag dachte – dass, wenn es noch ein Verbrechen gäbe, wir sicherlich wüssten… Und wir wissen es jetzt! Ellsworthy! Er war heute abend aus und kam mit Blut an den Händen hüpfend und tanzend und verrückt zurück – trunken in dem frohlockenden Rausch des mörderischen Irren…»
Auf den Toten hinabsehend, erschauerte Bridget und sagte mit leiser Stimme:
«Armer Rivers…»
Luke sagte mitleidig:
«Ja, armer Kerl! Es ist verdammtes Pech. Aber das wird der letzte sein, Bridget! Nun, da wir Bescheid wissen, werden wir ihn kriegen!»
Er sah sie schwanken, und mit zwei Schritten war er bei ihr und hatte sie in seinen Armen aufgefangen.
Sie flüsterte mit schwacher, kindlicher Stimme:
«Luke, ich fürchte mich…»
«Es ist alles vorüber, Darling. Alles ist vorüber…»