172572.fb2 Der fremde Tibeter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

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Kapitel 10

Die zwei Soldaten stürzten sich wie im Traum auf ihn, packten ihn im Dunkeln, während er schlief, zerrten ihn aus dem Bett und legten ihm Handschellen an. Wortlos stießen sie ihn in den Wagen. Sie antworteten nicht auf seine ersten beiden Fragen und verabreichten ihm nach der dritten einen heftigen Schlag ins Gesicht. Shan richtete sich mühsam auf, kämpfte gegen den Schmerz an und rief sich ins Gedächtnis, worauf er achten mußte. Die Männer gehörten nicht zur Öffentlichen Sicherheit, sondern zur Infanterie. Soldaten mußten sich viel häufiger an Vorschriften halten. Er saß in einem Personenwagen, nicht in einem Laster. Man würde ihn nicht im Fahrzeug erschießen. Sie fuhren ins Tal hinaus, nicht in die Berge, wo man normalerweise Leute verschwinden ließ. Er lehnte sich gegen die Scheibe und ließ das Glas das Gewicht seines Kopfes tragen, während er beobachtete, wohin sie ihn brachten.

Es war die Kreuzung unterhalb der Drachenklauen. Oberst Tans Silhouette hob sich gegen den trübgrauen Himmel ab. Die beiden Soldaten zerrten ihn zu Tan, nahmen ihm die Handschellen ab und kehrten zum Wagen zurück, wo sie stehenblieben und sich Zigaretten anzündeten. Einer der Männer murmelte etwas. Der andere lachte.

»Er hat gesagt, daß du das tun würdest«, sagte Tan. »Zhong hat gesagt, du würdest dich über mich lustig machen und versuchen, mich zu benutzen.«

»Sie müssen schon etwas genauer werden«, murmelte Shan, der noch immer vom Schmerz benebelt war. »Ich habe nur drei Stunden geschlafen.«

»Aufhetzung der Separatisten. Verabredung zur Störung der öffentlichen Sicherheit. Hinterhältiger Angriff auf einen Soldaten.«

Shan bemerkte ein leises schnarrendes Geräusch. Hinter Tans Auto erkannte er einen vertrauten grauen Geländewagen. Die Klappe zum Laderaum stand offen, und die beiden gestiefelten Füße einer schlafenden Gestalt waren zu sehen.

»Ist es das, was Sergeant Feng Ihnen erzählt hat?« Shans Kiefer fühlte sich taub an. »Daß er aus dem Hinterhalt angegriffen wurde?« Er berührte seine Lippe. Als er die Finger wieder wegnahm, waren sie blutverschmiert.

»Er hatte den Befehl, mich letzte Nacht anzurufen, sobald er zurückkehrte. Er hat mich geweckt. Völlig außer sich. Hat um Verstärkung gebeten. Sagte, man solle dich der Öffentlichen Sicherheit übergeben.« Tan schaute nach Norden. Eine Lastwagenkolonne näherte sich.

»Vielleicht hat er vergessen, Ihnen zu erzählen, wie er einen der Reifen zerschossen hat«, sagte Shan. »Oder wie er auf das Dach des Wagens geklettert ist und nicht wieder heruntersteigen wollte. Oder daß ich zurückfahren mußte, weil er zu hysterisch dafür war.«

Die Kolonne fuhr an ihnen vorbei. Shan erkannte sie sofort, obwohl es doppelt so viele Laster wie sonst waren. Die zusätzlichen Transporter waren voller Kriecher. Verzweifelt blickte Shan den Wagen hinterher. Sie würden zur Südklaue fahren. Die Kriecher würden ihre Maschinengewehre aufstellen. Die Gefangenen würden auf den Hang steigen, sich hinsetzen, ihre primitiven Rosenkränze durch die Finger gleiten lassen und warten.

Als der Staub der Kolonne sich legte, sah Shan, daß zwei der Wagen angehalten hatten. Ein Dutzend unerbittlich wirkender Soldaten sprang von einem der Laster und stellte sich in zwei Reihen hinter dem anderen Transporter auf. Ein tibetischer Häftling wurde aus dem Halbdunkel gestoßen und landete zwischen den Reihen. Er stöhnte vor Schmerz. Die anderen stiegen langsam aus. Shan bemerkte, daß Tan nicht etwa die Sträflinge, sondern ihn anschaute.

Die Gefangenen, insgesamt fünfzehn an der Zahl, mußten sechs oder sieben Meter weit ins Heidekraut stapfen und sich dort in einer Reihe aufstellen. Zwei Offiziere der Kriecher tauchten mit Maschinenpistolen hinter dem Wagen auf und bezogen vor den Mönchen auf der Straße Position.

»Nein!« klagte Shan. »Sie können doch nicht...«

»Ich bin dazu befugt«, unterbrach Tan ihn mit eisiger Stimme. »Der Streik ist ein Akt des Verrats.«

Shan torkelte vor. Das war lediglich einer seiner Alpträume, sagte er zu sich selbst. Jeden Moment würde er in seinem Bett aufwachen. Er stolperte und fiel hin. Ein Stück Schotter bohrte sich schmerzhaft in sein Knie. Er war wach. »Die Männer haben nichts getan«, stöhnte er.

»Sie werden mit Ihrem Versteckspiel aufhören. In einer Woche wird auf meinem Tisch ein Ermittlungsbericht zur Anklageerhebung gegen den Mörder Sungpo liegen.«

Die Häftlinge begannen ein Mantra. Ihre Augen schauten über die Köpfe der Scharfrichter hinweg auf die Berge.

Tan wandte den Blick noch immer nicht von Shan ab.

Shan hatte das Gefühl, er könnte seine Zunge nicht bewegen. Er kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an. »Ich werde Ihnen nicht dabei helfen, einen Unschuldigen zu töten«, würgte er mit heiserer Stimme hervor. Er schüttelte heftig den Kopf, um die Schmerzen loszuwerden, und sah mit neuer Stärke zu Tan auf. »Falls es das ist, was Sie wollen, bitte ich darum, mich diesen Gefangenen anschließen zu dürfen.«

Tan reagierte nicht.

Die Offiziere luden ihre Waffen durch. Shan sprang vor. Jemand packte ihn von hinten und hielt ihn fest. Im selben Moment eröffneten die Schützen das Feuer. Das Dröhnen der Waffen hallte im Tal wider.

Als der Pulverdampf sich lichtete, lagen drei der Sträflinge schluchzend auf den Knien. Die anderen starrten unverwandt in die Ferne und sagten ihr Mantra auf.

Die Kriecher hatten Platzpatronen benutzt.

»Du hast an der Südklaue einen Sicherheitsverstoß begangen!« herrschte Tan ihn an. »Wer hat dich dazu ermächtigt, ein Sperrgebiet zu betreten?«

Jetzt erwiderte Shan den Blick des Oberst. »Ihr Ermittler hat keinen Zutritt zum Tatort mehr?«

»Du hast gesagt, du würdest zu Sungpos Kloster fahren.« Tans Augen verengten sich. »Ein Bericht zur Anklageerhebung gegen den Beschuldigten. Hast du mich verstanden?«

»Grausamkeit kann niemals verstanden, sondern nur erduldet werden.« Shan schloß die Augen. Er spürte etwas Neues in sich aufsteigen: Wut. »Li Aiding wird meine Notizen zweifellos zu schätzen wissen. Ich werde einem dieser Offiziere der Öffentlichen Sicherheit sagen, daß ich mit Li sprechen muß. Und dann steige ich in diesen Lastwagen«, er wies auf das Fahrzeug der Gefangenen, »und kehre zu meiner Arbeitskolonne zurück.«

Tan zündete sich eine seiner amerikanischen Zigaretten an und ging schweigend um Fengs Wagen herum. Am rechten Hinterrad blieb er stehen. Die Radkappe fehlte, und der Reifen paßte nicht zu den anderen. »Erzähle mir davon«, knurrte er, als er zu Shan zurückkehrte.

Während Shan sprach, schaute er zu, wie die Gefangenen wieder in den Laster geladen wurden. »Ich war auf dem Hang und habe versucht zu verstehen, was in jener Nacht vorgefallen ist. Vielleicht war die genaue Zeit von Bedeutung, die Stunde, zu der er getötet wurde. Ich wollte es herausfinden. Es gab ein merkwürdiges Geräusch, wie von einem großen Tier, und dann Schüsse aus Richtung des Wagens. Ich lief nach unten. Sergeant Feng sagte, da sei ein Dämon gewesen.«

»Dein Dämon Tamdin«, warf Tan ein.

»Feng war hysterisch. Er sagte, der Dämon sei ganz in der Nähe und er habe ihn sprechen gehört. Ich habe mir Sorgen um ihn gemacht und um seine Pistole gebeten.«

Tan grinste höhnisch. »Und Sergeant Feng hat sie dir einfach so ausgehändigt.«

»Später im Lager habe ich sie ihm zurückgegeben.«

»Ich glaube dir nicht.«

Shan suchte in seiner Tasche herum. »Ich habe die übrigen Kugeln behalten, um sicherzugehen.« Er ließ fünf Patronen in Tans Hand fallen.

Tan starrte die Kugeln so lange an, daß seine Zigarette ihm die Finger verbrannte. Er zuckte zusammen und warf den Stummel wütend zu Boden. Dann schaute er der Staubfahne der Lastwagen hinterher. »Alles geht den Bach runter«, murmelte er, allerdings so leise, daß Shan sich nicht sicher war, ob er die Worte richtig verstanden hatte.

Als Tan sich wieder zu ihm umwandte, lag etwas Neues im Blick des Oberst, etwas, das Shan bislang noch nicht an ihm wahrgenommen hatte. Ein winziger Hauch von Unsicherheit. »Es dreht sich alles um dieselbe Sache, nicht wahr? Sowohl der Streik der 404ten als auch der Prozeß gegen Sungpo. Es wird ein Blutbad geben, und ich kann nichts tun, um es zu verhindern.«

Shan sah ihn überrascht an. »Wollen Sie es denn verhindern? Sind Sie wirklich gewillt, es zu verhindern?«

»Was glaubst du, wer ich..«, setzte Tan an, hielt jedoch inne und schaute auf die Patronen hinunter. »Feng hatte Angst. Er und ich dienen schon seit vielen Jahren zusammen. Er ist nur deshalb nach Lhadrung gekommen, weil ich auch hier war. Ich habe ihn noch nie ängstlich erlebt.« Tan ballte die Faust um die Kugeln und blickte auf. »Jao hat es verstanden. Bei unseren Kritiksitzungen pflegte er zu sagen, mein einziger Fehler sei, daß ich glauben würde, die alten Methoden würden auch in Tibet zu den gleichen alten Resultaten führen.«

»Alte Methoden haben sich hier nicht sonderlich gut bewährt.«

Tan blickte in Richtung der Baustelle und seufzte. »Ich werde Zhong anweisen, den Leuten wieder Proviant zukommen zu lassen. Er soll der buddhistischen Wohlfahrtsorganisation gestatten, sie einmal am Tag mit Nahrung zu versorgen.«

Shan sah ihn ungläubig an und nickte dann langsam. »Das wäre gut.«

»Die Amerikaner kommen«, sagte Tan geistesabwesend und schaute dann wieder zu Shan. »Du blutest.«

Shan wischte sich noch einmal das Blut von der Lippe. »Es ist nichts.«

Tan streckte ihm ein Taschentuch entgegen.

Shan starrte es verblüfft an.

»Ich habe nicht angeordnet, daß man dich schlagen soll.«

Shan nahm das Tuch und drückte es gegen den Mund. Sergeant Feng kam aus dem Laderaum des Geländewagens gekrochen, streckte sich und gähnte. Als er Tan sah, zuckte er im ersten Moment zurück, als wolle er sich verstecken. Dann richtete er sich kerzengerade auf und ging ernst auf den Oberst zu.

Sein Blick irrte unbeholfen von Shan zu Tan. »Ich erbitte die Zuweisung einer neuen Aufgabe, Sir«, sagte er und richtete den Blick auf seine Stiefelspitzen.

»Aus welchem Grund?« fragte Tan barsch.

»Weil ich ein alter Narr bin. Ich habe meine Pflicht nicht aufmerksam genug erfüllt, Sir.«

»Genosse Shan«, sagte Tan, »hat Sergeant Feng es letzte Nacht irgendwann an Aufmerksamkeit mangeln lassen?«

»Nein, Oberst«, erwiderte Shan. »Sein einziger Fehler hat darin bestanden, daß er vielleicht ein bißchen zu aufmerksam gewesen ist.«

Tan wollte Feng die Patronen zurückgeben, doch dann überlegte er es sich anders und reichte sie Shan, der sie wiederum an Feng aushändigte. »Kehren Sie an Ihre Aufgabe zurück, Sergeant«, befahl Tan.

Sergeant Feng nahm die Kugeln verlegen entgegen. »Ich hätte es wissen sollen«, murmelte er. »Einen Dämon kann man nicht erschießen.« Er salutierte vor dem Oberst und machte kehrt.

Tan schaute abermals der Staubfahne der Kolonne hinterher. »Es bleibt zu wenig Zeit.«

»Dann helfen Sie mir. Es gibt so viel zu tun. Ich muß noch einmal versuchen, mit Sungpo zu sprechen. Außerdem muß ich Jaos Fahrer finden. Helfen Sie mir. Er ist der Schlüssel zu der ganzen Angelegenheit.«

»Er hat keine der Schalen angerührt. Nicht ein Reiskorn«, verkündete der Wachposten, als Shan den Zellenblock betrat. Er klang seltsam stolz, als stelle das Hungern seines Gefangenen irgendeinen persönlichen Sieg für ihn dar. »Nichts außer Tee.«

Sungpo schien sich nicht bewegt zu haben, seit Shan ihn drei Tage zuvor gesehen hatte. Er saß aufrecht und munter da und starrte immer noch in die Ferne.

»Mein Assistent«, sagte Shan und schaute sich im Arrestlokal um. »Ich dachte, er wäre hier.«

»Er ist bei dem anderen.«

»Sie haben einen neuen Gefangenen?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Der Kerl ist über den Zaun geklettert. Hat mächtig Glück gehabt. Zehn Minuten früher oder später hätte die Streife ihn erwischt und erschossen.«

»Ein Ausbrecher?«

»Nein, das ist ja der Witz. Er hat versucht, hier einzudringen. Man mußte ihm beibringen, daß Zivilisten keinen ungehinderten Zutritt zu Militäranlagen haben.«

Shan fand Yeshe im Nachbargebäude. Er wusch ein Handtuch in einer Schale mit blutig verfärbtem Wasser aus. Shan schaute ihm einen Moment lang zu und bemerkte, daß sich in Yeshes Miene etwas verändert hatte. Der Tibeter wirkte ruhiger. Nicht so, als hätte er Seelenfrieden gefunden, sondern eher, als ginge er nun bedachtsamer zu Werke.

Shan folgte Yeshe in das Verhörzimmer. Zuerst erkannte er nicht, wer dort am Tisch saß. Das Gesicht des Mannes wirkte auf einer Seite wie eine Melone, die von einem schnell fahrenden Lastwagen gefallen war.

»Ziemlich gut, was?« sagte der Mann und hob grüßend eine der großen, tatzenartigen Hände. »Er hat nach mir geschickt. Und ich habe ihn gefunden.«

Es war Jigme.

»Was soll das heißen, er hat nach Ihnen geschickt?«

»Sie sind doch zu mir gekommen, nicht wahr?«

»Wie konnten Sie so schnell hier sein? Sind Sie mit dem Auto gefahren?«

Irgendwie gelang es Jigme, mit den geschwollenen Augen zu zwinkern. »Ich fliege durch die Luft. Wie die Alten. Der Pfeilzauber.«

»Ich habe davon gehört«, sagte Shan. »Ich kann mich aber auch daran erinnern, auf der Straße, die aus Ihrem Tal führt, mehrere Lastwagen gesehen zu haben.«

Jigme wollte lachen, aber das Geräusch glich eher einem heiseren, abgehackten Husten.

Shan und Yeshe halfen ihm auf die Beine, legten sich jeder einen seiner Arme über die Schultern und beförderten ihn halb zerrend, halb tragend aus dem Gebäude. Auf der Treppe wurden sie von einem wütenden Offizier aufgehalten.

»Diese Gefangenen unterstehen der Aufsicht der Öffentlichen Sicherheit!« brüllte der Offizier.

»Dieser Mann ist Teil meiner Ermittlungen«, entgegnete Shan ungerührt und wandte dem Offizier den Rücken zu. Sobald sie den Zellenblock betreten hatten, machte Jigme sich von ihnen los und zog seine Kleidung zurecht. Er humpelte allein den Korridor hinunter und fiel mit einem Aufschrei der Verzückung auf die Knie, als er die letzte Zelle erreichte.

Der Wachposten an der Zellentür stand protestierend auf. Shan gebot ihm mit einer Geste Einhalt und wies ihn an, die Zelle zu öffnen.

Sungpo begrüßte Jigme mit einem Nicken, das dessen zerschlagenes Gesicht aufleuchten ließ. Das gompa-Waisenkind schloß die Tür hinter sich und musterte die unberührten Schalen mit Reis. »Jetzt ist alles wieder in Ordnung«, sagte er mit einem dankbaren Lächeln zu Shan.

»Wir müssen mit ihm sprechen.«

Jigme schien zu glauben, Shan habe einen vortrefflichen Witz gemacht. »Aber sicher.« Er lächelte. »In zwei Jahren, einem Monat und achtzehn Tagen.«

»Soviel Zeit bleibt ihm nicht.«

Jigmes Gesicht verdüsterte sich. Er nahm eine der Reisschalen und ging zurück zu Sungpo. Mit kleinen, liebevollen Gesten begann er, das Stroh von Sungpos Gewand abzustreifen.

»Wir müssen unbedingt mit ihm reden«, wiederholte Shan.

»Glauben Sie, er hat Angst davor, ein Gesicht abzuwerfen?« rief Jigme auf einmal trotzig. »Ihr Leute aus dem Norden, ihr seid eine Fliege auf seiner Schulter.« Shan sah, daß Jigme bei diesen Worten eine Träne über die Wange rollte. »Er ist ein großartiger Mann. Ein lebender Buddha. Er wird ganz leicht sterben, ohne Mühen. Er wird dieses Gesicht abwerfen und im nächsten Leben über uns alle lachen.«

Sie saßen in einem unbenutzen Marktstand im hinteren Teil des Platzes und beobachteten den Laden des Zauberers. Niemand ging hinein oder hinaus. Der Markt begann sich mit Verkaufskarren zu füllen, auf denen sich Frühlingsgemüse, junge Senfblätter und manch andere Pflanzen türmten, die woanders auf der Welt als Unkraut gegolten hätten.

Feng, der nach der vergangenen Nacht noch immer nervös war, fuhr mit der Handfläche über den Kolben seiner Pistole.

»Ich brauche fünfzig Fen«, sagte Shan.

»Wer nicht?« erwiderte Feng.

»Für Essen. Haben Sie etwas Geld übrig?«

»Ich bin nicht hungrig.«

»Wir haben kein Frühstück bekommen. Sie schon.«

Die Bemerkung schien Feng einen Stich zu versetzen, und Shan fragte sich, ob er noch immer wegen seines Spitznamens gekränkt war. Fengs Blick irrte zwischen Shan und Yeshe hin und her. »Einer von euch bleibt hier.«

Yeshe verstand den Wink und lehnte sich an die Wand zurück, als wolle er es sich gemütlich machen.

Shan streckte die Hand aus und nahm das Geld.

Feng machte eine unbestimmte Geste in Richtung der Marktstände vor ihnen. »Fünf Minuten.«

Shan verweilte kurz bei einem Stand, der Schreibwaren feilbot, und entdeckte dann eine Frau, die momos verkaufte. Er erstand zwei davon für Yeshe, kehrte dann zum ersten Händler zurück und kaufte eilig zwei Blätter Reispapier, einen Schreibpinsel und einen kleinen Tintenstift.

»Der erste Zauberspruch wurde vor ein paar Tagen erbeten«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.

Shan wollte sich umdrehen. Ein Ellbogen stieß ihn an. »Nicht hinsehen«, sagte der Mann.

Shan erkannte die Stimme. Es war der purba mit dem Narbengesicht. Als Shan nach unten blickte, sah er zerlumpte Filzstiefel hinter sich. Der Mann war als Hirte verkleidet.

»Diese Leute sind immer auf der Suche nach einer günstigen Gelegenheit«, sagte der purba über Shans Schulter hinweg. »Zauberer wie Khorda nehmen ihnen das Geld ab. Sie haben immer Geld. Für Leute ihres Schlages laufen die Geschäfte stets gut.«

»Ich verstehe nicht.«

»Diese Frau arbeitet in einer Buchhandlung. Sie hat vor etwa einer Woche nach dem Tamdin-Zauber gefragt. Gestern hat sie um einen Bannspruch gegen Hundebisse gebeten.«

»Sie?«

»Die Tochter eines Fleisch-Affen.«

»Ein ragyapa?«

»Straße des grünen Bambus«, lautete die Antwort.

Shan drehte sich um. Der purba war verschwunden.

Zwanzig Minuten später standen Shan und Sergeant Feng am Rand der ausgedienten Schotterstraße im Nordteil der Stadt und beobachteten Yeshe dabei, wie er die Buchhandlung auf der anderen Seite betrat. Im Innern des Ladens war kurz eine kleine, dunkelhäutige Frau zu sehen. Als Yeshe sie ansprach, wies sie auf den rückwärtigen Teil des Geschäfts und ließ den Blick nach links und rechts über die Straße schweifen, bevor sie die Tür schloß.

Weitere zehn Minuten später kam Yeshe aus dem Laden geeilt. Sein Gesicht schimmerte triumphierend. »Sie ist da«, verkündete er. »An der Tür, das war sie. Sie behauptet, sie würde aus Shigatse stammen, aber das stimmt nicht.« Er sagte, er habe nach dem Eigentümer gefragt und erklärt, er sei zu einer unangemeldeten Kontrolle der Arbeitspapiere erschienen. Als der Mann ihm nicht glauben wollte, hatte Yeshe aus dem Fenster gewiesen. Der Anblick eines offiziell wirkenden Wagens mit einem Soldaten am Steuer hatte den Mann sogleich seine Geschäftslizenz und die Arbeitspapiere des Mädchens hervorholen lassen. »Demnach ist sie vor knapp einem Jahr aus Shigatse hergekommen. Doch auf dem Weg nach draußen habe ich sie gefragt, ob sie in Shigatse auch so gern auf die Mauern der alten Festung gestiegen sei. Ja, antwortete sie, und sie habe dort öfter gepicknickt.«

»Es gibt dort noch immer eine Festung?« fragte Shan.

»Eine Festung, in Tibet? Natürlich nicht, die Kommunisten haben sie vor vierzig Jahren in die Luft gesprengt!« Er legte bei diesen Worten die Hände aneinander und riß dann die Arme hoch, als wolle er die Explosion anschaulich machen. »Es gibt keine Mauern mehr.«

»Also kommt sie nicht aus Shigatse.«

»Unmöglich. Sie wohnt hinten im Laden, aber der Eigentümer sagt, daß sie fast jedes Wochenende nicht da ist. Eine Verkäuferin dürfte wohl kaum genug verdienen, um so häufig dreihundert Kilometer nach Shigatse zu reisen.«

»Dann lebt ihre Familie in der Nähe«, sagte Shan. Eine Familie von Ausbeinern. In den Bergen. Wo auch Tamdin der Ausbeiner lebte. »Und dort bringt sie auch die Zaubersprüche hin.« Er sah Yeshe erwartungsvoll an.

Yeshes Gesicht verfinsterte sich. »Nein«, protestierte er schwach.

»Ihr Zuhause dürfte nicht schwierig zu finden sein«, behauptete Shan. »In Lhadrung besteht eine lebhafte Nachfrage nach dem Tod.«

Tan reichte ihm mehrere Blätter Papier, die von einer Büroklammer zusammengehalten wurden. »Ich habe sie gefunden«, sagte er mit der Heiterkeit, von der ein Erfolgserlebnis begleitet wird.

»Wen?«

»Miss Lihua. Ankläger Jaos Sekretärin. Auf Urlaub in Hongkong. Das Justizministerium hat ihr Hotel ausfindig gemacht. Sie ist zum örtlichen Büro des Ministeriums gegangen und hat das dortige Faxgerät benutzt. Sie gibt an, der stellvertretende Ankläger Li habe sie zum Flughafen gefahren, bevor Jao aufgebrochen ist, um mit der Amerikanerin zu Abend zu essen. Ich kenne sie. Jung, sehr pflichtbewußt. Gutes Gedächtnis für Einzelheiten. Sie hat mir Jaos Terminplan durchgegeben, ebenso die Anrufe am Tag des Mordes. Sie hat alles gefaxt. Niemand hat wegen eines Treffens angerufen.«

Miss Lihua fühle sich geehrt, dem Oberst behilflich sein zu können, stand auf der ersten Seite geschrieben. Der Tod von Genosse Ankläger Jao habe sie zutiefst bekümmert, und sie biete an, sofort zurückzukehren. Tan hatte das Angebot abgelehnt, vorausgesetzt, sie würde per Fax kooperieren.

»Wußte sie, wie man den Fahrer ausfindig machen kann?« fragte Shan.

»Sie hat mir gesagt, wo er wohnt. Und sie hat gesagt, sie sei sich ganz sicher, daß niemand, den Jao kannte, ein Treffen an der Südklaue anberaumt habe.«

»Wie kann sie das wissen?« entgegnete Shan. »Sie hätte einen entsprechenden Anruf doch gar nicht bemerkt.«

»Jao war ein spießiger alter Hund. Er hat Anrufe niemals persönlich entgegengenommen. Und alles mußte im voraus geplant werden, oder es konnte nicht stattfinden. Miss Lihua hat über jede einzelne Stunde Buch geführt. Er sei den ganzen Tag im Büro gewesen, hat sie gesagt. Als sie gegangen ist, habe er sein Fluggepäck in den Wagen geladen. Das Büro für Religiöse Angelegenheiten hat wegen eines Komiteetreffens angerufen. Die Justizbehörde aus Lhasa hat sich nach einem überfälligen Bericht erkundigt. Außerdem hat Jao von ihr telefonisch die Bestätigung seiner Flüge einholen lassen. Ansonsten gab es an diesem Tag nur noch das besagte Abendessen.«

»Es gibt noch andere Orte und Möglichkeiten, um Anrufe zu erhalten.«

»Wir sind hier nicht in Shanghai. Er hatte kein verdammtes Mobiltelefon. Er hatte auch kein Funkgerät. Er ist an jenem Tag nirgendwo hingegangen. Und er hätte seine Pläne nicht geändert«, fügte Tan hinzu. »Er hätte es nicht riskiert, den Flug in seinen Jahresurlaub zu verpassen, nur weil irgendein Mönch ihm eine Nachricht übermittelt hat.«

»Genau. Und daher muß es jemand gewesen sein, den er kannte«, erwiderte Shan.

»Nein. Daher muß man ihn auf dem Weg zum Flughafen überfallen und dann zurück zur Klaue gefahren haben.«

»Der Weg zum Flughafen.. ist das eine Militärstraße?«

»Selbstverständlich.«

»Also kommen Transportkolonnen auf diesem Weg in das Tal. Fahren die auch nachts?«

Tan nickte langsam. »Immer wenn Vorräte oder Personen vom Flughafen hergebracht werden sollen. Und die Flüge treffen am späten Nachmittag ein.«

»Dann überprüfen Sie, ob irgendein Militärfahrer auf dem Rückweg eine Limousine bemerkt hat. Es gibt in Lhadrung nicht allzu viele Limousinen. Der Wagen wäre aufgefallen.«

Unterdessen musterte Shan die verschiedenen Faxe. Madame Ko hatte Ankläger Jaos Reiseroute hinzugefügt, die ihr direkt von der Fluglinie übermittelt worden war. »Wieso war für ihn ein Tag Aufenthalt in Peking vorgesehen? Warum ist er nicht nonstop geflogen?«

»Einkäufe. Die Familie. Es sind alle möglichen Gründe denkbar.«

Shan setzte sich und starrte zu Boden. »Ich muß nach Lhasa.«

Tans Miene verzog sich mürrisch. »Es gibt keine Verbindung mit Lhasa. Falls du auch nur eine Sekunde daran denkst, ich würde die auswärtigen Behörden... «

»Der Ankläger hatte aus unbekanntem Anlaß vor, einen Zwischenstop in Peking einzulegen. Er hat die unbekannte Nachricht einer unbekannten Person erhalten, durch die er in einen Hinterhalt gelockt wurde, wo ein weiterer Unbekannter in einem Kostüm aus unbekannter Quelle ihn ermordet hat.«

»Es gibt mehr als einen Mörder?« fragte Tan mit warnendem Unterton.

Shan ignorierte die Frage. »Wir müssen anfangen, Fragen zu beantworten, anstatt immer nur neue zu stellen. In Lhasa gibt es ein Museum für kulturelle Altertümer«, erklärte Shan. »Wir müssen wissen, wo sämtliche Tamdin-Kostüme geblieben sind.«

»Unmöglich. Ich kann dich in Lhasa nicht schützen. Es würde mich den Kopf kosten, falls man dich entdeckte.«

»Dann fahren Sie selbst. Überprüfen Sie die Aufzeichnungen des Museums.«

»Wen Li hat das bereits erledigt. Er sagt, es fehlt nichts. Und ich kann den Bezirk nicht verlassen, solange die 404te streikt. Es wäre ein Zeichen der Schwäche.« Plötzlich blickte er auf und stieß einen Fluch aus. »Jetzt hör aber mal zu. Als ob ich mich entschuldigen müßte. Niemand schreibt mir vor...« Die Worte blieben ihm im Hals stecken.

Kaum etwas brachte die wahre Natur einer Seele so deutlich zum Vorschein wie ein Wutanfall, überlegte Shan.

Der Oberst trat wieder ans Fenster und nahm das Fernglas.

Shan konnte mit bloßem Auge erkennen, daß die Baustelle leer war. »Sie haben recht, die beiden Probleme nicht unabhängig voneinander zu betrachten«, sagte er sehr ruhig.

Tan ließ langsam das Fernglas sinken und drehte sich um.

»Der Mord und der Streik«, sagte Shan. »Beiden liegt dieselbe Ursache zugrunde.«

»Du meinst Jaos Tod.«

»Nein. Nicht Jaos Tod, sondern der Umstand, der zu seinem Tod geführt hat.«

Noch während Tan ihn anstarrte, klingelte das Telefon. Der Oberst nahm ab, hörte kurz zu, gab eine einzelne zustimmende Silbe von sich und legte wieder auf. »Li Aidang ist wieder unterwegs und sammelt deine Beweise«, verkündete er stirnrunzelnd.

Balti, der Chauffeur des Justizministeriums, wohnte in einem Gebäude aus bröckelndem Stuck und Wellblech, das zugleich als Regierungsgarage diente. Shan und der Oberst folgten dem Geräusch von Stimmen eine steile Treppe hinauf und gelangten in einen zugigen, dunklen Speicher über der Garage, in dem Regale voller Autoteile standen. Eine lange Sperrholzplatte, die auf einigen Schlackebrocken ruhte, diente als Bett. Auf der Platte lagen ein paar dreckige Leintuchfetzen, die zuvor anscheinend in der Werkstatt als Wischlappen benutzt worden waren. Auf einer umgedrehten Kiste am Fußende des Bettes standen eine Butterlampe und ein kleiner Keramik-Buddha, beide ziemlich angeschlagen.

In einer Ecke des Raums befanden sich zwei Männer und leuchteten mit Taschenlampen die Regale ab.

»Wir möchten doch nicht, daß der stellvertretende Ankläger uns an Eifer übertrifft«, flüsterte Tan. Halb rechnete Shan damit, daß der Oberst ihm einen Stoß in Richtung der Regale geben würde.

Einer der Männer kam ihnen aus dem Halbdunkel entgegen. Es war Li. Er trug Gummihandschuhe und hatte sich eine koujiao vor den Mund gebunden. Wovor hatte er Angst? Daß er sich mit Buddhismus infizieren könnte?

»Glänzend!« sagte er zu Shan und zog die Maske nach unten. »Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, bis Oberst Tan nach dem Wagen des Anklägers gefragt hat.«

»Woran genau haben Sie nicht gedacht?« fragte Shan.

»An die Verschwörung. An diesen khampa. Er hat den Ankläger zur Südklaue verschleppt, hat ihn gegen seinen Willen dorthin gefahren. Damit Sungpo ihn dort ermorden konnte. Das erklärt auch, wie Sungpo zur Klaue und zurück gekommen ist. Warum der Wagen fehlt. Wieso Balti verschwunden ist.« Während er sprach, suchte Li weiter. Er nahm einen Pappkarton neben dem Bett in Augenschein. Der Karton enthielt sorgsam zusammengelegte Kleidungsstücke. Li schüttete den Inhalt aus und nahm jedes einzelne Stück mit spitzen Fingern auf, als könnten die Sachen von Ungeziefer verseucht sein. Dann kniete er sich hin, leuchtete unter das Bett und zog zwei Schuhe darunter hervor, die er achtlos hinter sich warf.

Shan beugte sich vor und fuhr mit der Hand unter dem Bettzeug entlang. Er fand ein zerknittertes, verblichenes Foto von drei Männern, zwei Frauen und einem Hund, die vor einer Herde Yaks standen. Dann schloß seine Hand sich um etwas Scharfes und Metallisches. Es war ein rundes Stück Chrom. Verwirrt hielt er es auf Armeslänge von sich.

Tan nahm es ihm aus der Hand und musterte es. »Jiefang«, verkündete er. »Das Emblem von der Kühlerhaube.« Auf den Straßen der Region waren die verbeulten Lastwagen der Marke Jiefang ein vertrauter Anblick. Sie wurden erst dann nach Tibet geschickt, wenn sie andernorts bereits ein Fahrzeugleben lang treue Dienste geleistet hatten.

Li nahm die Plakette und rief dem Mann hinter ihm eine kurze Anweisung zu, der daraufhin eine kleine Klarsichttüte aus Plastik hervorholte. Mit feierlicher Geste ließ Li das Chromteil in die Tüte fallen und bedachte Shan mit einem hämischen Blick.

»Sie sollten sich amerikanische Filme anschauen«, erklärte Li und trat an den Rand des Betts. »Überaus lehrreich. Die Unversehrtheit des Beweismaterials ist von ausschlaggebender Bedeutung.« Der Fund hatte ihn regelrecht angespornt, und so riß Li das Bettzeug herunter. Nachdem er dort nichts weiter entdecken konnte, kippte er erst die Sperrholzplatte um und tastete dann mit einer Hand die Hohlräume der Schlackebrocken ab. Bei dem letzten der Steine blickte er siegessicher auf und zog einen Rosenkranz aus Plastikperlen aus dem Versteck.

»Die Limousine. Es ist offensichtlich.« Li ließ die Perlen vor Shans Gesicht baumeln. »Als Belohnung für die Komplizenschaft bei dem Mord hat er Ankläger Jaos Limousine mit der roten Standarte erhalten.« Er ließ die Gebetskette in eine weitere Plastiktüte fallen.

Yeshe trat unbeholfen vor die Regale mit den Autoteilen und fing an, geistesabwesend die Kartons herauszuziehen. Dabei fiel eine verschlissene Postkarte zu Boden, ein Bild des Dalai Lama, das schon vor einigen Jahrzehnten aufgenommen worden war.

»Hervorragend!« rief Li, schnappte sich das Foto und klopfte Yeshe auf die Schulter. »Du lernst, Genosse.«

Yeshe starrte Li verdutzt an. »Man darf solche Bilder heutzutage besitzen«, sagte er, »solange man sie nicht öffentlich zur Schau stellt.« Er klang nicht unbedingt so, als würde er Streit suchen, aber dennoch schwang ein herausfordernder Unterton in Yeshes Stimme mit, der nicht nur Shan überraschte, sondern ihn selbst vielleicht noch mehr verblüffte.

Li schien es nicht zu bemerken. Er wedelte mit dem Foto wie mit einer Fahne. »Kann sein, aber sieh doch nur, wie alt es ist. Es war illegal, als es aufgenommen wurde. So bauen wir unsere Fälle auf, Genosse.« Ein Assistent streckte die nächste Plastiktüte aus, und Li steckte die Postkarte hinein.

Shan ging zu dem Fenster am anderen Ende des Raums und rieb ein Guckloch in den Schmierfilm, von dem die Scheibe überzogen war. Draußen konnte er ihre Fahrzeuge sehen. Jemand rauchte mit Sergeant Feng eine Zigarette. Shan rieb das Glas noch sauberer. Es war Leutnant Chang. Instinktiv wich Shan einen Schritt zurück. Dabei streifte etwas seinen Fuß. Es war einer der Schuhe. Er hob ihn auf und fuhr mit dem Finger an der Kante entlang. Der Schuh bestand aus billigem Vinyl und war von einer dicken Staubschicht überzogen. Er war neuwertig und vermutlich noch nie getragen worden, aber dennoch war er von einer dicken Staubschicht überzogen. Shan nahm den zweiten Schuh. Auch dieser schien ungetragen zu sein, und er war ebenfalls für den linken Fuß bestimmt. Shan kehrte zu den Überresten des Bettes zurück und durchsuchte sie noch einmal. Weitere Schuhe waren nicht vorhanden.

»Und diesen Mann hat die Öffentliche Sicherheit als unbedenklich eingestuft.« Li hielt den kleinen Buddha empor.

»Ein kleiner Mann mit einem fetten Bauch stellt nichts Illegales dar«, merkte Tan frostig an.

Li bedachte den Oberst mit einem herablassenden Blick. »Genosse Oberst, der kriminelle Verstand ist Ihnen offenbar kaum vertraut.« Er unterstrich diese Bemerkung mit einem zufriedenen Lächeln, streckte dann den Arm aus und ließ den Buddha in die nächste Tüte fallen, die einer seiner Assistenten ihm entgegenhielt.

Vor der Garage hatte sich eine kleine Menschenmenge gebildet. Als Tan erschien, huschten die Leute wie verängstigte Tiere auseinander und verschwanden in einer schmalen Gasse. Nur ein Kind blieb zurück, eine kleine Gestalt von drei oder vier Jahren, die in ein Gewand aus schwarzem Yakfell gehüllt war, das von einer Schnur zusammengehalten wurde. Das Kind, dessen Geschlecht nicht eindeutig zu erkennen war, stand da und musterte Tan überaus neugierig.

»Ich muß Balti finden«, sagte Shan zu dem Oberst. »Falls er verschwunden ist, dann wegen jener Nacht.«

»Du hast Li doch gehört. Vermutlich ist er inzwischen schon längst in Sichuan.«

»Sie haben oben seine Kleidung gesehen, seine kompletten Sachen, in diesem Karton. Er hat nicht gepackt. Er hatte nicht vor abzureisen. Berücksichtigen Sie außerdem folgendes: Wie weit würde der Mann, der in dieser Kammer gewohnt hat, Ihrer Meinung nach wohl kommen, ohne Reisepapiere und in einem gestohlenen Regierungsfahrzeug?«

»Dann hat er den Wagen eben verkauft.« Tan machte einen Schritt auf das Kind zu.

»Das ist nur eine der denkbaren Möglichkeiten. Er hätte in das Verbrechen verwickelt gewesen sein können. Vielleicht ist er aber auch ermordet worden. Oder womöglich ist er voller Angst geflohen und versteckt sich jetzt.«

Das Kind sah Tan an und lachte.

»Aus Angst vor deinem Dämon«, sagte Tan.

»Oder aus Angst vor einer Vergeltungsmaßnahme, und zwar von jemandem, den er in dieser Nacht erkannt hat«, erwiderte Shan.

Tan hielt inne und dachte über Shans Einwände nach. »Wie auch immer, er ist weg. Daran kann man nichts ändern.«

»Ich kann mit den Nachbarn reden. Ich vermute, daß er schon ziemlich lange hier gelebt hat. Die Leute aus der Nachbarschaft haben ihn bestimmt gekannt.«

»Nachbarschaft?« Tan ließ den Blick über die Stapel leerer Ölkanister, die Haufen aus Altmetall und die baufälligen Schuppen schweifen, von denen die Garage umgeben wurde.

»Hier leben Menschen«, sagte Shan.

»Gut, machen wir uns an die Befragung. Ich möchte meinen Ermittler mal bei der Arbeit erleben.«

Jemand rief etwas aus der Gasse. Das Kind reagierte nicht.

Tan streckte dem Kind eine Hand entgegen. Plötzlich tauchten drei Männer auf, stämmige Hirten, die ihre langen Stäbe vor sich hielten, als wollten sie einen Kampf anfangen. Sofort standen Sergeant Feng und Tans Fahrer an der Seite des Oberst und legten die Hände auf die Waffen.

Eine kleine, dicke Frau drängte sich zwischen den Männern hindurch und stieß einen beunruhigten Schrei aus. Sie packte das Kind und herrschte die Männer zornig an, die sich daraufhin langsam zurückzogen.

Tans Miene verhärtete sich. Schweigend zündete er sich eine Zigarette an und musterte die Gasse. »Also gut. Du machst das allein. Ich werde weitere Patrouillen zum Fuß der Südklaue schicken. Laß uns zuerst die wahrscheinlichste Erklärung überprüfen. Wir halten nach seiner Leiche Ausschau. Das Gebiet unterhalb der Klippe wurde bereits auf der Suche nach dem Kopf überprüft, aber der Körper des Fahrers könnte sonstwo liegen. Vielleicht im Drachenschlund.«

Nachdem Tan losgefahren war, bat Shan den Sergeanten, er möge ihren Wagen im Schutz der Garage abstellen. Dann setzten er und Yeshe sich auf zwei rostige Fässer im Werkstatthof.

»Haben Sie Li davon erzählt, daß ich herkommen würde?« fragte Shan, während die Nachbarschaft langsam wieder zum Leben erwachte. »Irgend jemand hat ihn benachrichtigt. Genau wie bei Jaos Haus.«

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt. Wenn man mich danach fragt, wie könnte ich dann dem Justizministerium die Auskunft verweigern?« entgegnete Yeshe.

»Hat man Sie gefragt?«

Yeshe antwortete nicht.

»Auf dem Felsen in Sungpos Höhle, unter dem Jaos Brieftasche entdeckt wurde, hat sich eine Markierung befunden. Jemand hat das Beweisstück dort plaziert, damit das Verhaftungsteam es finden würde.«

Yeshes Gesicht umwölkte sich. »Warum erzählen Sie mir das?«

»Weil Sie sich entscheiden müssen, wer Sie sein wollen. Priester reagieren sehr unterschiedlich auf das Gefängnis. Manche werden immer Priester sein. Andere werden immer Häftlinge sein.«

Yeshe wandte sich mit wütendem Blick zu ihm um. »Soll das heißen, ich bin ein Ungläubiger, wenn ich die Fragen des Justizministeriums beantworte?«

»Ganz und gar nicht. Ich will lediglich sagen, daß bei denjenigen, die zweifeln, das Verhalten allmählich die Überzeugungen bestimmt. Ich sage Ihnen, daß Sie entweder akzeptieren müssen, auf ewig ein Gefangener von Männern wie Direktor Zhong zu bleiben, oder daß Sie beschließen müssen, es nicht einfach hinzunehmen.«

Yeshe stand auf und warf einen Kiesel gegen die Wand. Dann entfernte er sich ein Stück von Shan.

Eine alte Frau tauchte auf, warf ihnen einen gehässigen Blick zu und breitete eine Decke am Straßenrand aus, auf der sie ein paar Streichholzschachteln, Eßstäbchen und Süßigkeiten hinlegte, was ihren gesamten Warenbestand darstellte. Aus ihrem Kleid zog sie eine alte Fotografie hervor, hielt sie sich an die Stirn und legte sie dann vor sich auf die Decke. Es war ein Foto des Dalai Lama. Drei Jungen begannen ein Spiel, indem sie versuchten, mit Kieseln in einen alten Reifen zu treffen. In dem Haus gegenüber der Garage öffnete sich ein Fenster, aus dem jemand ein Bambusrohr schob, an dem Wäsche zum Trocknen aufgehängt war, die nun wie eine Reihe Gebetsfahnen über der Straße hing.

Shan sah dem Treiben fünf Minuten lang zu, wählte dann eine Rolle Süßigkeiten aus dem Sortiment der Frau aus und bat Yeshe, dafür zu bezahlen. »Die Störung tut mir leid«, sagte er. »Der Mann, der hier gewohnt hat, wird vermißt.« »Verdammter dummer Junge«, erwiderte sie.

»Sie kennen Balti?«

»Geh zum Gebet, habe ich gesagt. Erinnere dich daran, wer du bist, habe ich gesagt.«

»Hat er denn ein Gebet gebraucht?« fragte Shan.

Sie wandte sich an Yeshe. »Sag es ihm«, entgegnete sie. »Sag ihm, daß nur die Toten keine Gebete brauchen. Abgesehen von meinem toten Mann«, fügte sie seufzend hinzu. »Mein Mann war ein Spitzel. Betet für ihn. Er ist zu einem Nagetier geworden. Abends kommt er zu mir, und ich füttere ihn mit ein wenig Getreide. Der alte Narr.«

Einer der Hirten, der nach wie vor seinen Stab bei sich trug, ging zu der Frau und flüsterte ihr etwas zu.

»Du sei ruhig!« herrschte die Witwe ihn an. »Erst wenn du so reich bist, daß keiner von uns mehr arbeiten muß, lasse ich mir von dir vorschreiben, mit wem ich rede und mit wem nicht.«

Sie holte fünf Zigaretten hervor, die in Seidenpapier gewickelt waren, und legte sie sorgfältig vor sich auf die Decke. Dann nahm sie Yeshe genauer in Augenschein. »Bist du derjenige?«

»Derjenige?« fragte Yeshe einfältig.

»Ich habe im Tempel ein Gebet hinterlassen. Damit die Teufel vertrieben werden. Jemand wird kommen. Es ist möglich. Früher hat es Priester gegeben, die dazu in der Lage waren. Mit nur einem einzigen Laut konnten sie es vollbringen. Falls du ein Geräusch von dir gibst, das bis in die nächste Welt vernommen wird, kann dadurch alles wieder in Ordnung gebracht werden.«

Yeshe sah die Frau verwirrt an. »Wieso glauben Sie, daß ich diese Person sein könnte?«

»Weil du gekommen bist. Du bist der einzige Gläubige, der gekommen ist.«

Yeshe warf Shan einen beunruhigten Blick zu. »Wissen Sie, wo der khampa ist?« fragte er die Frau.

»Er hat schon immer gesagt, daß man ihn eines Tages holen würde. Er hat uns sogar dafür bezahlt, daß wir aufpassen. Nachts, wenn er ihn mit nach Hause brachte, haben mein Mann und ich stets die Treppe im Auge behalten. Wir haben extra tagsüber geschlafen, damit wir nachts Wache halten konnten.«

»Wen oder was hat er denn mitgebracht?« fragte Yeshe.

»Den Koffer. Den kleinen Koffer. Mit Unterlagen. Er hat immer einige Nächte lang für seinen Chef darauf aufgepaßt. Große Geheimnisse. Am Anfang war er ganz stolz deswegen. Später hatte er Angst. Trotz des Verstecks hatte er Angst.«

»Was für Unterlagen? Haben Sie sie gesehen?« fragte Yeshe.

»Natürlich nicht. Ich arbeite doch wohl kaum für die Regierung, oder? Gefährliche Geheimnisse. Worte der Macht. Regierungsgeheimnisse.«

»Sie haben ein Versteck erwähnt«, warf Shan ein. »Meinen Sie damit, er hat ein besonderes Versteck für den Koffer gehabt?«

Sie beachtete ihn nicht. Inzwischen schien sie sich nur noch für Yeshe zu interessieren, als würde sie in ihm jemanden sehen, den niemand sonst erkennen konnte, Yeshe selbst eingeschlossen.

»Wer würde ihn holen? Wovor hat er Angst gehabt?« fragte Yeshe. »Ankläger Jao?«

»Nicht Jao. Jao war gut zu ihm. Hat ihm manchmal zusätzliche Lebensmittelkarten gegeben. Ließ ihn manchmal seine Kleidung tragen.«

»Wer dann?«

Sie runzelte die Stirn und musterte Yeshe durchdringend. »Deine Kräfte sind nicht geschwunden«, sagte sie. »Du bist davon überzeugt. Aber sie liegen lediglich verborgen.«

Yeshe wich einen Schritt zurück, als würde die Frau ihm Angst einflößen. »Wo ist Balti?« fragte er. Seine Stimme hatte einen flehentlichen Unterton angenommen.

»Ein Junge wie der steigt auf. Oder fällt zurück.« Sie lachte, als sie über ihre Worte nachdachte, und sah den Hirten an. »Rauf oder runter«, wiederholte sie und lachte erneut. Dann wandte sie sich wieder an Yeshe. »Auch falls man ihn geholt hat, wird er dennoch zurückkehren. Er wird als Löwe zurückkehren. Denn genau das widerfährt den Sanftmütigen. Er wird als Löwe zurückkehren und uns alle in Stücke reißen, die wir ihn enttäuscht haben.«

Shan ging vor der Frau in die Hocke. »Zeigen Sie uns das Versteck«, flüsterte er.

Sie schien ihn nicht zu hören. »Zeigen Sie es uns«, bat Yeshe. Sie spielte nervös mit ihren Waren herum.

»Wir müssen es sehen«, drängte Shan. »Um Baltis willen.«

»Er hatte solche Angst«, sagte sie.

»Ich glaube, daß er sehr mutig war.«

Endlich ging sie auf ihn ein. »Er hat nachts geweint.«

»Jeder mutige Mann mag auch Gründe zum Weinen haben.«

Sie vermied es, ihn anzusehen. »Was ist, wenn ihr diejenigen seid, die er gefürchtet hat?«

»Sehen Sie uns an. Glauben Sie das wirklich? Würden diese Leute herkommen und so mit Ihnen reden?« Er drückte ihren Arm. Langsam hob sie den Kopf, als bereite es ihr Schmerzen, Shan in die Augen zu blicken.

»Er nicht«, sagte sie und nickte in Yeshes Richtung. »Er ist keiner von denen.«

»Dann tun Sie es um seinetwillen«, sagte Shan.

Da erhob sie sich eilig, als wolle sie die ungebetenen Besucher so schnell wie möglich wieder loswerden. Der Hirte mit seinem Stab kam ebenfalls mit und folgte ihnen in die Garage. Sie gingen an ihrem Wagen vorbei in den hinteren Teil des Gebäudes, der im Schatten lag. Feng saß im Auto und schnarchte laut.

Dort hinten hatte man ein stabiles hölzernes Regal errichtet, das für große Autoteile gedacht war. Ganz unten stand eine Reihe hoher, schmaler Benzinkanister, die aus verschiedenen Personenfahrzeugen und Lastwagen stammten.

Sie legte die Hand auf den dritten Kanister. »Er war klein genug, um dahinter zu greifen«, sagte sie. Shan und Yeshe zogen den Kanister aus dem Regal. Man hatte das hintere Stück des Behälters sauber abgeschnitten und die Kanten des größeren Teils nach innen gebogen, so daß man den Kanister wieder zusammenstecken konnte. Die Steckflächen waren eingefettet. Shan nahm einen Schraubenzieher und hebelte den Deckel ab.

Im Innern befand sich kein Aktenkoffer, sondern lediglich ein verschmutzter Umschlag mit mehreren Blättern aus dünnem Papier.

Die Frau half ihnen dabei, den Kanister zurück ins Regal zu schieben, und wandte sich dann noch einmal an Yeshe. »Deine Kräfte sind nicht geschwunden«, wiederholte sie. »Sie haben nur ihren Mittelpunkt verloren.«

Yeshe wirkte nach diesen Worten wie gelähmt. Als Shan ihn zum Wagen zog und Feng zurief, er möge aufwachen, war Yeshe nicht in der Lage, den Blick von der Frau abzuwenden. Während sie auf die andere Seite der Stadt fuhren, hielt er seinen Rosenkranz fest umklammert. Er ließ die Perlen nicht durch die Finger gleiten, sondern schaute sie nur an. »In Sichuan«, sagte er plötzlich, »könnte ich eine eigene Wohnung haben.«

Shan hatte hinter Feng Platz genommen und musterte die Unterlagen aus dem Kanister. Man hatte sie aus einer Ermittlungsakte gerissen, der Akte über den Mord an Jin San, dem Leiter des Landwirtschaftskollektivs der Langen Mauer, jenem Verbrechen, für das Dza Namkhai, Mitglied der Fünf von Lhadrung, hingerichtet worden war. Am unteren Rand der letzten Seite fand sich eine lange Reihe arabischer Zahlen, die aus fünf Gruppen zu je fünf Ziffern bestand.

»Kräfte«, sagte Yeshe in gequältem Tonfall. »Was für eine Frau. Große Kräfte. Alle Welt kann bestätigen, wie groß meine Kräfte sind.«

Shan blickte auf. »Seien Sie nicht zu hart zu sich. Die stärkste Kraft ist nach meiner Überzeugung die Fähigkeit, richtig und falsch unterscheiden zu können.«

Yeshe dachte darüber nach. »Aber es fühlt sich nie so an, als ginge es um richtig und falsch«, erwiderte er schließlich. »Mir kommt es eher so vor, als müßte man sich für das geringere Übel entscheiden.«

»Was hat die Frau damit gemeint, als sie von einem Geräusch sprach, das die nächste Welt erreichen könne?« fragte Shan.

»Ein Klang ist wie ein Gedanke mit Beinen, wurde in manchen der alten Klöster gelehrt. Falls man es schafft, die eigenen Gedanken auf die richtige Weise zu konzentrieren, kann man über diese Welt hinaussehen. Und falls es gelingt, dieses Prinzip in ein Geräusch umzusetzen, kann man die andere Welt tatsächlich erreichen und berühren.«

»Berühren?«

»Es tut sich eine Art Spalt zwischen den Welten auf. Wie ein Blitzstrahl. Dieser Spalt verfügt über eine unglaubliche Energie. Manche nennen es das Donnerritual. Es kann Dinge zerstören.«

Shan schaute wieder auf die Papiere. Die Frau hatte gesagt, jemand sei hinter Balti hergewesen, und zwar jemand anders als Jao. Balti hatte Jao ebenso vertraut, wie dies umgekehrt der Fall gewesen war. Eine alte Akte, eine abgeschlossene Untersuchung und dennoch so geheim, daß Jao sogar das eigene Büro nicht sicher genug dafür erschien. Oder womöglich sogar besonders unsicher.

»Sie hat gesagt, Balti würde aufsteigen oder zurückfallen«, erinnerte Shan sich beiläufig. »Sie schien es für einen guten Scherz zu halten.«

Yeshe klang noch immer leidend. »Er kehrt entweder auf das Plateau von Kham zurück, das so hoch oben liegt wie sonst nichts auf der Welt. Oder er bleibt und fällt in der Abfolge der Lebensformen zurück.«

Shan nickte langsam und versuchte, eine Verbindung zwischen dieser Äußerung und der Akte herzustellen. Die Fährte war fast greifbar nahe. Wer wollte die Akte? Jemand würde kommen, hatte Balti gesagt. Nicht die purbas. Die hatten nicht gewußt, wer er war. Und falls doch, würden sie Balti nicht in Angst und Schrecken versetzen. Wer dann? Die Kriecher? Eine Verbrecherbande? Soldaten? Kriminelle Soldaten? Wer auch immer es war, hätte sich nicht gescheut, Balti zu ermorden. Man hätte ihn in jener Nacht geschnappt und zum Sprechen gebracht, bis er auch die allerletzte Einzelheit jedes Geheimnisses und jedes Verstecks verraten hätte. Wenn der Kanister also nach wie vor zumindest einen Teil seiner Geheimnisse enthielt, so konnte das nur eines bedeuten, wurde Shan plötzlich klar: Balti war am Leben und in Freiheit.