172581.fb2 Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

KAPITEL 11

Kurz vor Mittag schlenderte Boy Böhrnsen in die Wache, keineswegs schuldbewusst, obwohl er die Angabe erhalten hatte, sich bitte präzise um neun Uhr einzufinden.

Asmus beschloss, es zu übersehen, ließ den Mann dafür aber warten, bis er auf seinem Hocker im Wachraum so ungeduldig zappelte, dass man das Knarren der Sitzfläche und das Scharren der Stuhlfüße in der ganzen Wache hörte.

»Matthiesen, Lorns! Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich so lange warten lässt!«, brüllte Böhrnsen endlich.

»Tut mir leid, Boy«, antwortete Lorns, der ihm gegenüber saß und schrieb, beschwichtigend, »für dich ist Wachtmeister Niklas Asmus zuständig. Er ruft dich ganz sicher, sobald er für dich Zeit hat. So viel ich weiß, hat er um neun Uhr mit dir gerechnet, und so wie ich ihn kenne, hättest du Punkt neun deine Aussage machen dürfen.«

Gut geantwortet, dachte Asmus, der in dem kleinen Nebenraum saß, in dem üblicherweise vertrauliche Gespräche und Verhöre stattfanden, und dort einige Zahlen zur Bedeckung der Schutzgebiete mit Halligflieder und Strandhafer zusammentrug. Da sich sonst niemand für die Arbeit interessierte, hätte er sie auch verschieben können. Oder ganz unterlassen.

»Was für eine Aussage überhaupt?«, schnaubte Böhrnsen. »Er war doch gestern erst bei mir und hat mich ausgehorcht.«

»Das musst du ihn selbst fragen«, antwortete Matthiesen höflich bedauernd.

»Ach, hier herrscht wohl ein anderer Ton inzwischen! Aber welcher? Habt ihr die kommunistische Fraktion der Wache verstärkt, Lorns? Das wird euch nicht bekommen!«

Matthiesen enthielt sich klugerweise einer Antwort, und Asmus beschloss, ihn von weiteren Anwürfen zu erlösen. Er ging nach nebenan und bat Böhrnsen zur Befragung an seinen Schreibtisch.

Verwundert nahm Asmus zur Kenntnis, dass der gewiefte, wenn auch am Vortag etwas schonungsbedürftige Geschäftsmann Böhrnsen sich an diesem Tag in den Fuhrmann verwandelt hatte, der er zweifellos einmal gewesen war. Er trug Reithosen, die an den Oberschenkeln bemerkenswert weit waren, und Stiefel, außerdem roch er markant nach Pferdestall.

Asmus begrüßte ihn mit Handschlag, den Böhrnsen widerwillig akzeptierte. Der Besucher sah sich mit gerümpfter Nase um, bevor er sich ein weiteres Mal auf einen Hocker fallen ließ. Solche Abwehrhaltung war Asmus nicht fremd. Dem Mann war unbehaglich zumute.

»Wir suchen Zeugen für die Sturmnacht«, erklärte Asmus. »Sie wissen ja, dass Herr Schröder in dieser umkam, und da eine Menge Leute auf dem Nachhauseweg vom Tanzvergnügen gewesen sein muss, hoffe ich auf Sie. Und auf andere, die vom Kurhaus in das südliche Westerland unterwegs waren.«

»Dieser Maulheld«, blies sich Böhrnsen auf, »um den ist es nicht schade!«

»Das entzieht sich unserer Beurteilung. Wir haben den Unfall zu untersuchen.«

Böhrnsen lächelte verächtlich.

»Haben Sie etwas gesehen? Und wann waren Sie eigentlich auf dem Heimweg?«

Wieder das abfällige Verziehen der Lippen. Es dauerte einen Augenblick, bis der Fuhrmann sich zur Antwort bequemte. »Zwischen halb und eins. In der Nacht hat es von oben Wasser gegeben wie aus dem Spülrohr von Nösse. Den Kerl hätte man vom Anfang der Gasse nicht sehen können.«

Eine bemerkenswerte Aussage. Schröders Kleidung war klatschnass gewesen. Ungefähr gegen Mitternacht hatte es angefangen zu nieseln, danach war der Regen in einen Wolkenbruch ausgeartet, und ungefähr um ein Uhr war der Spuk vorbei gewesen. Alles sprach also dafür, dass Schröder innerhalb dieser Zeitspanne zu Tode gekommen war. Zur selben Zeit war Böhrnsen unterwegs gewesen. »Woher wissen Sie, dass man Schröder nicht hätte sehen können?«

»Ich … kenne die Gasse.«

»Und die Lage der Leiche?«

Dieses Mal kam die Antwort prompt. »Die soll doch am Baum gelegen haben.«

»In Luv davon …«

Ein kurzes Stocken beim Atmen verriet Asmus, dass sein gewagter Vorstoß verstanden worden war. Ein Mann, der Gästen Segeltouren im Wattenmeer anbot, wusste, dass Äste nicht luvwärts fliegen. Aber er war nicht darauf gefasst gewesen, solche Kenntnisse neuerdings bei der Westerländer Schupo vorzufinden.

»Haben Sie ihn vom Motorrad herunter geholt und dann zu Tode geprügelt?«, fragte Asmus scharf, ohne Böhrnsen Zeit zum Nachdenken zu lassen.

Böhrnsen räusperte sich und schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, krächzte er schließlich. »Es war anders.«

»Wie anders?«

»Ich wollte ihm eine kleine Lehre erteilen, nur eben ein bisschen umstoßen. Ich kam ja gerade vorbei, und es goss, dass man die Hand vor Augen kaum erkennen konnte. Kein Schwein hätte mich erkannt.«

»Wem galt die Lehre? Schröder oder Sinkwitz?«

»Wem …?«

»Wer war gemeint?«, verdeutlichte Asmus energisch. »Schröder oder Sinkwitz?«

»Schröder natürlich! Ja, gewiss. Schröder.«

Das hatte sich Asmus gedacht. Einen Fremden zu töten würde irgendwie akzeptiert werden, einen einheimischen Sylter, selbst einen Kommunisten, weniger leicht. »Und woher wussten Sie, dass Schröder in der Wache war? Das Tanzvergnügen begann um sieben. Ihn haben Sie zu der Uhrzeit gewiss nicht zu Gesicht bekommen, er kam gegen elf.«

»Das wusste ich nicht!«, widersprach Böhrnsen wütend. »Es war doch kein Plan! Ich bin da nur vorbeigekommen!«

»Aber Sie haben Licht im Raum von OWM Sinkwitz gesehen, sind in die Gasse geschlichen, haben den untersten Ast vom Baum gerissen und sich auf die Lauer gelegt. Woraus sich ergibt, dass Sie dachten, Sie würden Sinkwitz eins auswischen.«

»Er ist schlecht für Sylt«, murmelte Böhrnsen geschlagen. »Wir brauchen keinen kommunistischen Leiter unserer Polizeiwache.«

»Aus Ihrem Auswischen wurde ein tätlicher Angriff mit Todesfolge. Ist Ihnen das klar?«

»Nein, nein!« Wie Kai aus der Kiste im Kinderbuch sprang Böhrnsen in die Höhe und kreischte nochmals: »Nein! Schröder ist auch Kommunist!« Hinter ihm donnerte der Hocker an die Wand.

Matthiesen stürzte zur Tür herein, den Säbel blank gezogen, dessen stumpfe Spitze er Böhrnsen an die Kehle hielt.

»Schon gut, Lorns«, rief Asmus und ging dazwischen. »Nimm den Säbel herunter, damit er nicht aus Versehen zu Schaden kommt. Er ist cholerisch wie ein Teichhuhn mit Küken.«

Matthiesen senkte den Säbel und trat zurück, behielt aber den Fuhrunternehmer im Auge.

Sinkwitz und hinter ihm Jung drängten in die Türöffnung.

»Wir müssen ihn festnehmen«, sagte Asmus, plötzlich resigniert, zu seinen Vorgesetzten. »Er hat Schröder auf dem Gewissen.«

»Wir wollen nichts überstürzen, Asmus«, unternahm Sinkwitz den Versuch, für Beruhigung zu sorgen. »Nach kaum einer halben Stunde Vernehmung sind wir erst am Anfang einer Untersuchung, und jede Festnahme dürfte sich als voreilig erweisen.«

»Ich lege dir gleich ein Handbuch heraus, in dem aufgeführt ist, wie Festnahmen in Preußen korrekt durchgeführt werden, Asmus.« Jung setzte hinter Sinkwitz’ Schulter ein hämisches Grinsen auf.

Asmus ignorierte ihn. »Er hat Sie gemeint, Hauptwachtmeister. Dass Schröder zufällig hier war, wusste er nicht, und die Gelegenheit, Ihnen inmitten eines Wolkenbruchs auf menschenleerer Gasse eins auszuwischen, ließ er sich nicht entgehen. Es sollte offenbar ein Denkzettel sein, kein Mordversuch.«

Sinkwitz überlegte einen Augenblick mit gespitzten Lippen. »Ein Attentat auf die lokale Polizei hat natürlich einen anderen Stellenwert als auf einen unbekannten Fremden, der für einen Sylter ein wenig verwirrt erscheinen mag. Mit mir persönlich hat das nichts zu tun, es hätte jeden treffen können.«

Jung schlängelte sich aus seiner zwischen Türholm und seinem Chef eingeklemmten Stellung heraus und trat salutierend vor ihn. »Ein Attentat, das mit voller Absicht einem Staatsorgan gilt, ist ungleich schwerer zu bewerten als ein gewöhnlicher Jungenstreich. Soll ich die betreffenden Paragraphen heraussuchen, Hauptwachtmeister Sinkwitz? Ich bin sicher, dass ein derartiger Überfall mit dem Tod am Strang bestraft wird.«

Böhrnsen begann zu zittern. Beginnend an der Unterlippe, flogen ihm schließlich sogar die Hände, und er schien nicht in der Lage, sich zu bezähmen.

»Nun beruhigen Sie sich, Herr Böhrnsen«, befahl Asmus in ruhigem Ton. »Wir werden sehen, was daraus wird. Allerdings müssen Sie erst einmal in unsere Arrestzelle, da hilft Ihnen gar nichts.«

»Unter diesen Umständen, ja«, stimmte Sinkwitz zu, machte auf den Hacken kehrt und verschwand wieder in sein Büro.

Jung schlurfte wortlos davon. Matthiesen verwahrte den Säbel in der Scheide.

»Geht’s wieder?«, erkundigte sich Asmus teilnahmsvoller, als ihm zumute war. Aber die anmaßende Haltung von Sinkwitz und Jung machte ihn wütend, zumal sich beide drehten, wie der Wind wehte. Das war der Polizei nicht würdig und durfte nicht sein. Und hoffentlich verhielt sich die preußische Justiz anders. Früher hatte sie immerhin einen guten Ruf gehabt.

Am späten Nachmittag tobte Mausi Böhrnsen zur Wachstube herein, warf sich mit dem Oberkörper über den Tresen, trommelte mit ihren Fäusten auf das Holz und schluchzte die Frage heraus, ob jemand wüsste, wo ihr Vater abgeblieben sei.

Asmus, der noch mit dem Protokoll zum Verhör von Böhrnsen befasst war, atmete tief durch. »Fräulein Böhrnsen, wir haben Ihren Vater vorläufig festgenommen, um ihn morgen mit dem Vormittagsdampfer aufs Festland zu schicken. Er wird dem Untersuchungsrichter in Husum vorgeführt.«

»Warum? Was hat er denn getan?«

»Er hat sich einer Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht.«

»An wem?«, fragte Mausi verblüfft.

»An Ferdinand Schröder, in der Nacht des Tanzabends.«

»An dem Kommunisten aus Flensburg?« Beinahe hätte sie gelacht.

Mitgefühl sprach nicht aus ihr. Dennoch war es Asmus nicht entgangen, dass sie ihn dem Namen nach kannte und dieser Mann Familiengespräch gewesen sein dürfte. »Der Mann wurde von Ihrem Vater angegriffen, fiel vom Motorrad und kam dabei zu Tode.«

»Wahrscheinlich hat Papa ihn nur erschrecken wollen, weil er hier auf Sylt doch nichts zu suchen hat. Und wenn er dann so ungeschickt hinfällt … Wer kann denn dafür was?«

»Nun, Fräulein Böhrnsen, die Tatsachen stellen sich etwas anders dar, als Sie vermuten. Der Richter wird die Wahrheit ermitteln.«

»Ja. Umso besser.« Mausi ließ ihre Zähne sehen, die Asmus spitzer und wehrhafter wahrnahm, als sie in Wirklichkeit sein konnten.

Jedenfalls erinnerte sie ihn plötzlich an eine in die Enge getriebene bissige Ratte.

»Mit Ihrer Ankunft hat sich hier wohl allerlei geändert, dabei sind Sie doch nur allerniedrigster Rang«, versetzte Mausi gehässig. »In Husum werden sie besser wissen, was Sylt meinem Papa zu verdanken hat.«

Asmus verzog keine Miene. »Darf ich Sie hinausbegleiten?«

»Ich ziehe Lorns als Begleiter vor«, blaffte Fräulein Böhrnsen und schritt hocherhobenen Hauptes in den Flur hinaus, in den ihr Matthiesen nach einem erschrockenen Blick auf Asmus folgte.

Asmus zog hinter ihnen die Tür zu. Im Flur war kein Mensch zu sehen. Nicht einmal der Wachraum war besetzt.

Während Asmus auch für das Gespräch mit Mausi Böhrnsen ein Gedächtnisprotokoll anlegte, war er sich sehr wohl klar darüber, dass er sich endgültig Feinde innerhalb der Belegschaft geschaffen hatte. In erster Linie Sinkwitz, aber dem folgte Oberwachtmeister Jung wie das Schwänzchen dem Lamm.

Sinkwitz hätte den Todesfall Schröders als Unfall durchgehen lassen, um nicht in die Situation zu geraten, dessen privaten Besuch in der Wache erklären zu müssen. Jetzt war ihm das unmöglich gemacht worden. Darüber hinaus hatte er dienstlich den Anschein eines guten Einvernehmens zwischen Polizei und Kaufmannschaft aufrecht halten wollen – auch das hatte Asmus durch seine Aufklärung zunichte gemacht.

Asmus stieß einen tiefen Seufzer aus und legte den Füllfederhalter beiseite. Er beabsichtigte nicht, die allgemeinen Rechtsnormen der Länder des deutschen Reichs dem inselspezifischen Reglement zu opfern. Aber er sah voraus, dass es schwierig werden würde. Inzwischen hatte er eine überraschende Erkenntnis gewonnen: Sylt war eine weitgehend autarke Gemeinschaft. Und je mehr die maßgebenden Mitglieder einer abgeschiedenen Gemeinschaft miteinander verflochten waren, desto größer wurde die Gefahr eines selbstgestrickten Rechtssystems.

Am späten Nachmittag schon wurde Asmus die Richtigkeit seiner Überlegungen bestätigt. Vor der Polizeiwache wurden Stimmen laut, die sich schließlich zu einem Chor zusammenfanden. Es hörte sich wie ein beginnender Aufruhr an.

»Ich gehe mal nachsehen«, erbot sich Matthiesen freiwillig, was von allen Anwesenden dankbar angenommen wurde.

Der Lärm vor dem Haus schwoll an. »Boy Fuhrmann! Boy Fuhrmann!«, wurde skandiert, aber Asmus widerstand der Anwandlung, hinauszugehen und nachzusehen, wer da protestierte.

Lorns kam zurück und legte sich mit ganzem Oberkörper auf den Tresen, hinter dem Asmus saß. »Das sind wütende Kaufleute in Sonntagskleidung. Sie wollen, dass wir Böhrnsen herausgeben. Und man kann es kaum glauben: Sie haben die Schulkinder von Keitum bei sich, die stehen in vorderster Reihe, schwenken Fähnchen und brüllen aus vollen Kehlen mit.«

»So etwas habe ich befürchtet!« Sinkwitz war, ohne dass sie es bemerkt hatten, gekommen. »Genau das!«

»Herr Oberwachtmeister, wir verzichten doch nicht auf eine Festnahme, weil die Kaufleute dagegen sind!«

»Zuweilen gibt es klügere Wege«, antwortete Sinkwitz spitz.

»Übrigens …«, Asmus wandte sich an Lorns, »was für Fähnchen schwenken denn die Keitumer Kinder?«

Matthiesen runzelte die Stirn. »Sie sind hauptsächlich rot, aber sehr kurz. Irgendwie verstümmelt …«

»Halbierte Fähnchen mit halbem Hakenkreuz, wetten?«

»Ja, da hast du recht«, stimmte Lorns erschrocken zu. »Genau so.«

»Die sind nicht einmal verboten, aber man weiß, was gemeint ist.« Asmus schüttelte missmutig den Kopf. Mausi Böhrnsen war die Tochter ihres Vaters. Er zweifelte nicht daran, dass dies alles ihrem Kopf entsprungen war.

»Und jetzt?«, erkundigte sich Lorns und sah von Asmus zu Sinkwitz.

»Wir werden sie beruhigen und nach Hause schicken«, erklärte Asmus.

»Das machen Sie, Asmus! Es ist Ihre Angelegenheit«, kläffte Sinkwitz und stiefelte in sein Büro zurück.

»Ja, völlig richtig.« Asmus hätte sich diese Verantwortlichkeit nicht aus der Hand nehmen lassen mögen. Nichtsdestotrotz war es von einem Vorgesetzten natürlich unverantwortlich, sich für nicht zuständig zu erklären, ganz gleich, was passiert war. Sinkwitz hätte auch den unbedarften Matthiesen als Schlachtlamm hinausgeschickt, darüber war sich Asmus nach diesen ersten Wochen in Westerland deutlicher im Klaren als vielleicht Lorns.

Als Asmus sich in der Tür zeigte, wurde aus dem Lärm Gebrüll. Es war bekannt, dass er Böhrnsens Festnahme veranlasst hatte. Er legte die Hände auf den Rücken und ließ die Männer schreien. Währenddessen musterte er sie aufmerksam. Einer nach dem anderen verstummte, unsicher geworden, weil er sich nicht beeindrucken ließ, vielleicht auch aus Furcht davor, sich selbst verantworten zu müssen. Nur Mausi krakeelte aus Leibeskräften und schlug mit den Armen den Takt, um die Männer mitzureißen.

Schließlich senkten auch die Kinder die Fähnchen und sahen sich nach den Erwachsenen um.

Das war Asmus’ Signal. »Leewe Lüd«, begann er. »Liebe Leute. Ich verstehe, dass ihr euch für einen als ehrenwerter Kollege bekannten Freund einsetzt. Aber er hat in tiefer Nacht einen ihm unbekannten Mann angegriffen und seinen Tod verursacht. Wir sind genötigt, diesen Tod zu untersuchen, dafür sind wir da. Ich vermute, wenn es einen von euch getroffen hätte, würde er nicht wollen, dass die Tat eines Totschlägers unter den Teppich gekehrt wird. Oder?«

Antwort erhielt er nicht.

»Ihr gehört doch der ehrenwerten Zunft der Kaufleute an? Früher nannte man sie so, und ich bin ganz sicher, dass dieser Geist auch in der Kaufmannschaft von Sylt erhalten geblieben ist.«

»Wieso vermutest du das?«, brüllte jemand aus dem Hintergrund ungehalten.

»Meine Heimat ist die Hansestadt Rostock. Meine Brüder sind Reeder. Kaufleute wie ihr. Alle Kaufleute sind einander verbunden.«

Offene Zustimmung erhielt Asmus nicht, jedoch stillschweigende. Die meisten Männer drehten sich um und trotteten zu zweit oder zu dritt flüsternd davon. Einer der letzten Eindrücke, die in Asmus’ Gedächtnis haften blieben, war Lehrer Honke Paulsen, der die halben Fähnchen einsammelte und dann die Kinder mit ausgebreiteten Armen vor sich her fortscheuchte.

Der andere Eindruck gehörte Mausi.

Wie festgefroren blieb sie auf dem sich leerenden Platz vor der Polizeiwache stehen. Dass ihr Verlobter Honke Paulsen eingeknickt war, scherte sie offenbar nicht im Geringsten. Aber Asmus warf sie einen lodernden, hasserfüllten Blick zu.

»Fräulein Böhrnsen …«, begann er.

»Schweigen Sie!«, schnaubte sie. »Noch nie hat mich ein Mann so enttäuscht wie Sie!« Sie drehte sich um und marschierte mit klackernden Hacken davon.

»Welch unübersichtliche Verhältnisse hier«, stöhnte Asmus und vergrub die Hände in seinen blonden Haaren.

»Ist wohl so.« Hans Christian Bahnsen, der am späten Abend neben Asmus auf der Bank saß, nickte tiefsinnig und sog an seiner schnorchelnden Pfeife.

»Man kennt hier nicht Freund oder Feind«, fuhr Asmus gedämpft fort, »man weiß nicht, wer auf der Seite des Gesetzes steht. Im Großen und Ganzen gibt es nur eins: Schweigen.«

»Insel eben.«

Für den Werftbesitzer mochte das ein ausreichender Grund sein, für Asmus nicht. »Hat Böhrnsen mal versucht, dich zur NSDAP hinzulocken?«

»Sicher. Ein erstes Mal vor langer Zeit. Dann nicht mehr. Er weiß, dass ich seine Partei nie wählen würde.«

»Kann Jochims Unfall mit diesen politischen Verwicklungen zu tun haben?«

»Bestimmt nicht. Sieh mal, die Verhältnisse, die du unübersichtlich nennst, waren lange stabil. Was neu ist, ist deine Anwesenheit. Es gibt Leute, die nervös werden. Das soll kein Vorwurf sein.«

Vermutlich hatte Bahnsen recht. Und Schröders sporadisches Auftauchen in Munkmarsch hatte lediglich damit zu tun, dass hier die Fähre zum Festland ablegte. Mit der Überstellung von Böhrnsen nach Husum am nächsten Morgen sollte dieses Kapitel also beendet sein.