172581.fb2 Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

KAPITEL 13

Da das an der Südspitze von Sylt gelegene Hörnum auf dem Sandweg sehr mühselig zu erreichen war, entschied Asmus sich, die Südbahn zu nehmen. Immerhin hatte er Anspruch auf Vergütung der Kosten durch den Staat.

Nicht nur der Südbahnhof in Westerland, sondern auch die Waggons der Bahn waren besser ausgestattet als alle anderen, die Asmus bisher auf Sylt gesehen hatte. Eben Einrichtungen für das zahlungskräftige Publikum, das in einem einzigen Tag von Hamburg aus per Dampfer Sylt erreichen konnte.

Im hölzernen Empfangsgebäude von Hörnum, das ebenfalls auf begüterte Reisende ausgerichtet war, gab es eine kleine Fahrkartenausgabe für die Bahn sowie eine für die HAPAG Dampfschiffgesellschaft.

Dem Schiffsangestellten gegenüber spulte Asmus seine Fragen nach einem Mann in Reithosen oder auch in gewöhnlicher Gesellschaftskleidung ab, der mit einer Kutsche gebracht worden sein konnte.

Weder erwartete er einen Hinweis auf Böhrnsen, noch bekam er einen.

»Was meinen Sie denn, wie viele Fahrgäste wir jeden Tag haben, Herr Schupo? Mit Reithose oder ohne«, bekam Asmus patzig zu hören.

Asmus nickte und bedankte sich für die Auskunft. Der einzige Zweck seiner nutzlosen Fahrt nach Hörnum war, einem Eintrag in die Personalakte zu entgehen. Könnte Asmus eine solche Befragung nicht protokollieren, würde Sinkwitz die Unterlassung als schweren dienstlichen Fehler kritisieren und schriftlich kommentieren.

Wieder draußen, überlegte sich Asmus, dass ein Spaziergang durch die kleine Siedlung Hörnum und hinunter zum Hafen nicht schaden könnte. Die Polizei zeigte Präsenz, und vielleicht erfuhr er trotz allem etwas Interessantes. Der Leuchtturm vor allem, der etwas höher als das Dorf lag, zog ihn magisch an.

Gerade als er zu dem rot-weiß gestreiften Turm hochstieg, stürmten ihm die Schulkinder entgegen, deren Klassenraum sich im Leuchtturm befand. Schule aus!

»Hast du heute schon einen Dieb gefangen?«, schrien sie durcheinander, nachdem sie Asmus umringt hatten.

»Nein, heute noch nicht«, gab er lächelnd zu. »Diebe für jeden Tag haben wir ja gar nicht.«

»Seeräuber denn? Oder Schmuggler?«

Noch bevor Asmus antworten konnte, drängte sich ein kleines blondes Mädchen durch die Jungenschar hindurch. »Schmuggler gibt es!«, rief sie triumphierend. »Ich hab in der Nacht gesehen, wie ein Boot aus dem Hafen raus ist. Zuerst sind die Männer gerudert, und draußen haben sie Segel gesetzt.«

»Line, du Angeberin! Das hast du irgendwo gelesen, und jetzt flunkerst du wieder, um dich wichtig zu machen!« Ein Junge mit erbitterter Miene schien sich mit geballten Fäusten auf das Mädchen stürzen zu wollen.

»Aber, aber«, beschwichtigte Asmus die Schar. »Keine Aufregung unter euch Jungvolk. Möchte einer mal meinen Helm aufsetzen?«

»Ja!«, schrien alle im Chor, und der sich anbahnende Streit war vergessen.

Asmus’ Helm ging rundum. Anschließend hatten alle Jungs beschlossen, Polizist zu werden.

Asmus sah ihnen lächelnd nach, als sie sich schwatzend auf den Heimweg in die Siedlung machten, und bemerkte erst dann, dass Line zurückgeblieben war. »Nun, Line?«, fragte er freundlich. Sie wirkte zart wie eine Elfe, und neben ihr kam er sich wie ein Klotz vor.

»Ich habe die Männer wirklich gesehen«, beteuerte sie. »Der eine war der Knud, den anderen kannte ich nicht.«

»Aber in Hörnum wohnt der andere nicht?«, vergewisserte sich Asmus.

»Nein! Dann würde ich ihn ja kennen.«

»Natürlich. Entschuldige bitte. Die Frage war dumm.«

Line betrachtete Asmus mit nachdenklich schief gelegtem Kopf. »Erwachsene entschuldigen sich nicht.«

»Wer einen Fehler gemacht hat, sollte sich entschuldigen, ob Erwachsener oder Kind.«

»In Büchern tun sie das auch nicht.«

»Liest du gerne?«

»Oh ja. Du auch?«

»Aber natürlich, Line!«

»Der Lehrer leiht mir manchmal welche«, verriet Line sehnsüchtig. »Mein Papa will das nicht. Deshalb lese ich nachts.«

Asmus verstand. »Bei Mondlicht am Fenster. Stimmt’s?«

Line wirkte betreten, weil sie sich erwischt sah. Dann hob sie plötzlich den Kopf und schenkte Asmus ein strahlendes Lächeln, während sie einen Finger auf ein Einzelhaus am Ende der Gasse richtete. »Unser Haus steht gerade oberhalb der Mole, siehst du? Aber du verrätst mich nicht, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Aber du musst jetzt nach Hause, und ich sollte auch weiter.« Asmus erhob sich und streckte die Knie. Dann zupfte er behutsam an Lines Zopf, als bediene er einen Glockenschwengel. »Ich freue mich, dass ich dich kennengelernt habe, Line. Tschüs.«

»Ja, das war spaßig«, entgegnete Line und tanzte davon.

Der Unbekannte auf Knuds Boot konnte natürlich Böhrnsen gewesen sein. Die Zeit stimmte, und der Ort war im Gegensatz zu einer Flucht über List nachvollziehbar.

Während sich Asmus durch die Dünen zum Südbahnhof zurückrütteln ließ, kam er zum Schluss, dass selbstverständlich für eine nächtliche Segeltour auch jede andere Begründung in Frage kam. Weiter war er also eigentlich nicht gekommen, aber für das Protokoll taugte Lines Beobachtung allemal.

Sollte Böhrnsen tatsächlich mit dem fraglichen Boot geflohen sein, wäre er mittlerweile auf Amrum oder Föhr zu vermuten, noch wahrscheinlicher auf dem Festland. Unauffindbar also.

Am frühen Abend kam Ose. Asmus hatte nicht das Herz, ihr Vorhaltungen zu machen, dass sie schon wieder auf diesem suspekten Uferweg unterwegs gewesen war. Auf sein missbilligendes Kopfschütteln hin warf sie abwehrend die Hände in die Höhe.

»Ich war nicht allein, Asmus! Jörn Frees hatte die gleiche Richtung wie ich. Er wollte zu Mart. Da konnte mir wirklich nichts passieren.«

»Ah so. Na, dann ist es ja gut«, sagte Asmus, obwohl sein mulmiges Gefühl blieb.

»Ich habe mich nach dem Bekannten von Cord umgehört«, erklärte Ose niedergeschlagen.

»Dann komm erst einmal an Bord und setz dich. Ich habe gerade Tee gekocht. Mit Zitronenmelisse aus Frau Bahnsens Garten.«

»Ja, schön.«

Ose nahm im Cockpit Platz, erhielt ihren Becher mit Tee und drehte ihn eine Weile in den Händen, während Asmus an seinem eigenen nippte und wartete.

»Es war ein Schlag ins Wasser. Ich habe mehrere Familienhotels abgeklappert, schließlich wurde ich im Hotel Dünenhalle fündig.« Ose grunzte erbost.

»Trink erst einmal«, mahnte Asmus.

Ose tat es. »So ein blöder Kerl«, schimpfte sie dann. »Hat mich richtig auflaufen lassen.«

»Wer?«

»Gerrit. Der Concierge. Ich fragte, ob er der Portier sei oder nur zufällig am Tresen stehe. ›Du darfst mich als Concierge unseres Hauses ansprechen, Ose‹«, zitierte sie geziert.

»Ihr kennt euch.«

»Unglücklicherweise sind wir zusammen in die Mittelschule gegangen, er ist einige Jahre älter als ich und immer noch so pickelig wie früher. Schon damals konnte ich ihn nicht leiden, jetzt noch weniger.«

»Warum?«, fragte Asmus geduldig.

»Als ich den Bekannten von Cord beschrieb, wusste Gerrit gleich, um wen es ging. Erst sah er sich um, stellte fest, dass sich in der Hotelhalle gerade keine Gäste befanden, dann streckte er die gespreizten Hände in die Höhe, trippelte wie auf hohen Hacken hinter dem Tresen hervor und schleuderte mir im Sopran entgegen: ›Ich weiß, wen du meinst, liebe Ose, natürlich unseren bayerischen Zitteraal.‹«

»Oh je.«

»Ja. Dann sprang er wieder hinter den Tresen, griff sich ein Journal oder so etwas und erkundigte sich in geschäftigem Ton: ›Und was willst du von der Schwuchtel?‹«

Ose hätte an dieser Stelle die Befragung abbrechen sollen, dachte Asmus mitleidig, der an ihrem Gesicht ablas, dass es danach erst richtig schlimm geworden war.

»Ich hatte mir keinen Ersatzplan für den Fall ausgedacht, dass der Bayer etwas anderes ist als ein gewöhnlicher Urlauber und dies obendrein im Hotel noch bekannt ist«, fuhr Ose mühsam fort, »deshalb erklärte ich Gerrit, dass der Bayer eine bestimmte Pflanze gesucht hätte und ich sie ihm jetzt zeigen könnte … Na ja.« Sie zuckte mit den Schultern.

»Und dann?«

»Gerrit brach in ein Gelächter aus, das durch die ganze Halle ging, bevor er sich wieder einfing. ›Der doch nicht!‹, quiekte er heraus, ›der hat sich nur für Mode und Männer interessiert. Ich glaube nicht, dass der jemals aus Westerland hinausgekommen ist.‹«

»Und damit war deine Suche am Ende.«

»Ja. Adressen gäben sie nie heraus, das seien sie ihren Gästen schuldig, erklärte Gerrit und fragte mich anschließend, ob ich die Schwingtür ohne Hilfe aufbekäme.«

»Ein ziemlich schnoddriger Concierge.«

»Ja. Aber bitte schreite du nicht jetzt meinetwegen ein.«

Asmus schüttelte den Kopf. »Leider geht das sowieso nicht. Ich bin nicht autorisiert, nach Cord und seinem Bekannten zu suchen. Um Namen illegaler Bauherren herauszufinden, wäre der Weg durch ein paar Ämter wohl schneller. Abgesehen davon, dass Sinkwitz es mir rundheraus abschlagen würde. Es ist sowieso wichtiger, den Mörder oder Totschläger Boy Böhrnsen zu suchen, als nach Namen von Männern, mit denen es sich Sinkwitz nicht verderben möchte. Übrigens soll ich den Fuhrunternehmer gefunden haben, bevor der Abgeordnete Bauer Sylt besuchen kommt. Welche Illusion!«

»Sinkwitz pflegt sich nach allen Richtungen abzusichern, das weiß man. Auf diese Weise hält er sich auch als Kommunist unter konservativen Kaufleuten.«

»Ich habe mich auch schon gewundert. Anscheinend versteht er es, geschickt die Bedürfnisse entgegengesetzter Gruppierungen zu bedienen.«

»Offensichtlich. Etwas ganz anderes, Asmus. Mir ist noch eingefallen, dass ich einmal von Böhrnsens Verwandtschaft auf der Hallig Langeneß sprechen hörte. Vielleicht hat er sich ja dort verkrochen. Und jetzt muss ich nach Haus.« Ose stand so unvermittelt auf, dass die Franziska schwankte. »Vielleicht begleitet mich ja wieder Jörn.«

»Kommt nicht in Frage, das werde ich tun!«

Ose wagte keinen Widerspruch.

Asmus verfolgte noch ein weiteres Ziel, außer dass er Ose sicher zu Hause wissen wollte. Im Cockpit der Franziska hatte er sich so hingesetzt, dass er den Hafen überblicken konnte und eben auch das Fährgebäude. Jörn Frees war herausgekommen, als sie ihre Becher noch nicht halb leergetrunken hatten, und hatte sich augenscheinlich auf den Heimweg gemacht.

Selbst wenn dieser Jörn in Bahnsens Augen als dumm galt, konnte es gut sein, dass er etwas von den Vorgängen am Ufer bemerkt hatte. Asmus würde sich gerne einmal mit ihm unterhalten. An diesem Abend war daran natürlich nicht zu denken.

Stattdessen legte er sich selber auf die Lauer. Er suchte sich mit Umsicht eine Stelle, von der aus er das Ufer beobachten konnte, er selbst aber unsichtbar blieb. Am besten geeignet waren Priele im Klentertal, die häufig nicht tiefer waren als ein darin liegender Mann. Zwar waren sie trotz der viele Regentage nicht mit Wasser gefüllt, aber der Schlick war nass. Asmus’ Kleidung war nach kurzer Zeit durchweicht.

Die Ellenbogen auf dem Gras am Prielrand abgestützt, suchte er mit dem Fernglas das Ufer ab. Der Sandstreifen lag leer vor dem Watt, in dem Austernfischer und aus welchem Grund auch immer nicht abgeflogene Ringelgänse nach Futter suchten. Gelegentlich erreichte ein Schnattern der zufriedenen Gänse Asmus’ Ohren, der Wind strich hörbar durch die Gräser, aber darüber hinaus gab es keine fremden Geräusche. Jäger waren am Ufer noch nicht unterwegs, da die jagdbaren Vögel, die das Watt ab Oktober bevölkern würden, sich noch nicht sammelten.

Asmus hielt geduldig aus, bis es stockdunkel geworden war, jetzt im August doch schon beträchtlich früher als im Juni und Juli. Etwas unzufrieden wanderte er zu seinem Boot zurück. Er konnte sich weiterhin keinen Reim auf die geheimnisvollen Vorgänge an diesem Ufer machen.

Am nächsten Morgen erwachte Asmus von ungewohntem Klappern und undefinierbaren Geräuschen im Hafen. Er fuhr in die Höhe. Verschlafen!

Als er aus dem Luk seines Bootes schaute, sah er, wie Jörn Frees aus einer Jolle heraus zwei schwere Blecheimer auf den Fähranleger hochwuchtete.

Aha. Offensichtlich hatte er Miesmuscheln gesammelt, wahrscheinlich für einen Auftraggeber auf dem Festland, und die Eimer würden mit der Morgenfähre weiterreisen.

Asmus fuhr in Uniformhose, Hemd und Jacke hinein und schlenderte zum Fährhaus hinüber, in das Jörn verschwunden war. Dort begann er, die Fahrpläne zu studieren.

Es dauerte nicht lange, bis Jörn wieder herauskam. Das monotone Pfeifen, das er auf den Lippen hatte, versiegte, als Asmus auf ihn zutrat.

»Moin, moin, ich wollte gerne einmal mit dir sprechen, Jörn.« Asmus lächelte freundlich, während er den jungen Mann betrachtete. Den entstellte ganz gewaltig eine Hasenscharte, die von der Oberlippe bis zur Nase reichte und auf der linken Wangenseite auslief. Das linke Auge schielte, und es war nicht zu erkennen, wohin es gerichtet war.

»Hä«, hackte Jörn heraus.

»Du weißt bestimmt, wer ich bin – der Schupo, der auf seinem Boot wohnt.«

Jörn nickte eifrig, während seine Augen Verständnis signalisierten.

»Ich glaube auch, dass du öfter als jeder andere zwischen Keitum und Munkmarsch am Ufer entlang wanderst. Hast du jemals etwas Ungewöhnliches bemerkt?«

»Hä?«

Viel verstand Jörn nicht. Asmus versuchte es nochmals. »Manchmal treiben sich hier nachts Leute umher. Sie könnten Böses wollen. Weißt du etwas davon?«

Dieses Mal hatte Jörn die Frage begriffen. Er schüttelte vehement den Kopf. »Niemand böse«, murmelte er und nahm die Hacken in die Hand, als ob er Angst vor Asmus hätte.

Asmus sah dem Mann unschlüssig nach, der das Hafenbecken umrundete und sich wie üblich auf den Heimweg nach Keitum machte. Noch in Sichtweite tat Jörn etwas Seltsames – er hechtete der Länge nach ins hohe Gras. Als er wieder auftauchte, hatte er eine Ente in den Händen, der er geschwind durch Ringeln das Leben ausblies. Vermutlich seine nächste Mahlzeit, dachte Asmus, aber dann schmetterte Jörn den Kadaver auf den Boden und trampelte auf ihm herum. Keine Jagdbeute – pure Wut.

»Hast du dem Jörn Angst gemacht?«, fragte der Werftbesitzer, der gleich darauf in Asmus’ Sichtfeld geriet, als er um die Ecke seines Schuppens bog.

»Offensichtlich«, bestätigte Asmus vergrätzt. »Aber deswegen muss er doch nicht einen Mord an einer Ente begehen, dem ich gerade zusehen musste. Ich frage mich, wie viel er überhaupt begreift.«

»Er benimmt sich manchmal seltsam. Landläufig gilt er als dumm und zurückgeblieben.« Bahnsen legte eine nachdenkliche Pause ein. »Ich dachte das zuweilen auch. Aber ich frage mich schon lange, ob es wirklich stimmt. Bisweilen kommt mir der Verdacht, dass er womöglich Dummheit geschickt als Waffe einsetzt. Niklas, ich muss weiter, die Fähre läuft gleich ein. Ich erwarte einen neuen Motor.«

Asmus drehte sich um. Tatsächlich. Die Fähre umrundete gerade die Mole. Auf dem Ober- und Unterdeck der Frisia standen an der Reling dicht an dicht die Gäste, und die erwartungsvollen Schreie von erstaunten Kleinkindern übertönten sogar das Gekreisch der Möwen, die im aufgewirbelten Wasser neben den Schaufelrädern nach Futter suchten. Er lächelte skeptisch, während er über Bahnsens letzte Bemerkung nachdachte, die ihn außerordentlich erstaunte.

»Sie haben Böhrnsen natürlich noch nicht aufgespürt!«, schnauzte Sinkwitz übelgelaunt, als sich Asmus am nächsten Tag wieder einmal in der Wache blicken ließ.

»Nein.«

»Und das melden Sie mir so einfach ins Gesicht?«

»Wohin sonst, Hauptwachtmeister Sinkwitz?«

Über die Schulter seines Vorgesetzten hinweg sah Asmus Lorns, der ihm signalisierte, dass im Augenblick äußerste Vorsicht geboten war.

Asmus fiel ein, dass an diesem Tag der Politiker erwartet wurde. Wahrscheinlich waren alle Beteiligten an seinem Empfang, dem Umzug und dem anschließenden Festessen hochgradig nervös. Er beschloss, ein wenig zur Beschwichtigung beizutragen. »Auf Sylt ist Böhrnsen wohl nicht mehr. Es gibt Indizien, dass er sich von Hörnum aus abgesetzt hat. Vielleicht nach Langeneß zu seinen Verwandten.«

»Möglich ist es«, stimmte Matthiesen eifrig zu. »Ein Vetter von ihm hat dort einen vergleichsweise ansehnlichen Hof. Verdient mit der Lieferung von Butter und Strickstrümpfen nach Föhr immerhin Bargeld.«

»Heute fahren Sie jedenfalls nicht dorthin, Asmus«, schnarrte Sinkwitz, der sich kaum beruhigen ließ. »Heute sind Sie verantwortlich für die Sicherheit des Abgeordneten Bauer und seiner Begleitung. Sie und Matthiesen: auf der Straße in Uniform, beim Bankett in Zivil.«

Matthiesen klackte mit den Stiefeln und stand stramm. »Wachtmeister Asmus hat immer noch keinen Degen, Hauptwachtmeister Sinkwitz.«

»Wieso nicht? Was fällt Ihnen denn ein, unvollständig bekleidet Ihren Dienst zu versehen, Asmus?«

»Die Anordnung zu meinem Dienstantritt wurde noch nicht aufgehoben«, erklärte Asmus ruhig.

»Dafür haben Sie selbst zu sorgen! Dies ist doch kein Kindergarten!« Sinkwitz rauschte aus dem Wachraum. Hinter ihm schlug die Tür zu seinem Zimmer zu.

»Ajajaj«, seufzte Matthiesen und ließ sich auf einen Hocker sinken. »Hoffentlich bringen wir das hinter uns, ohne dass größere Katastrophen eintreten.«

»Als da wären?«

Matthiesen sinnierte zur Zimmerdecke hoch. »Gezielt auf den Abgeordneten scheißende Möwen, uninteressierte Friesen, Regen, Gewitter und Sturm, Motorschaden an der Prunkkarosse … Ach, es ließen sich noch so viele Sabotagemöglichkeiten finden.«

Asmus grinste über alle Backen. »Stell dir vor, man könnte Möwen abrichten«, sagte er träumerisch.

In aller Hast ratterte Asmus nach Munkmarsch zurück, um sich seine Zivilkleidung zu holen. Später würde dafür keine Zeit mehr sein. Etwas verschämt erschien er an Oses Tür, um zu bitten, ob er sich Hose und Jacke bei ihr plätten dürfe. Auf einem Kosterboot konnte man in den engen feuchten Schapps keine Kleidung gesellschaftsfähig halten. Man durfte dankbar sein, wenn sie nicht zu spaken anfing.

Ose war nicht da. Aber ihre Mutter hatte jedes Verständnis. »Ich habe gerade den Anzug meines Mannes unter dem Plätteisen. Er soll auch zu dem Empfang im Hotel. Das geht in einem Aufwasch. Nun kommen Sie schon herein, Herr Asmus!«

»Ich kann es selbst tun«, wagte Asmus zu bemerken.

»Zweifellos. Aber Sie müssen nicht alles selbst machen. Ich würde auch keine Diebe fangen wollen. Das erledigen Sie für mich.«

»Na ja, so gesehen … Das ist nett von Ihnen.«

Kurze Zeit später wirbelte Ose ins Haus, wo sie Asmus in der Küche bei einem Becher Tee vorfand. »Die Straßen füllen sich schon«, schnaufte sie und bediente sich ebenfalls an der Teekanne, die auf dem heißen Herd stand. »Hat dich Mutter schon eingemeindet?«

»Wie meinst du das?«

»Oh, Fremde bittet sie in die Dörns oder gar in den Pesel. Wer am Küchentisch hockt, gehört zu uns.«

»Das weiß ich jetzt nicht«, sagte Asmus verwirrt. »Deine Mutter plättet meinen Gesellschaftsanzug.«

Ose staunte. »Der Sinkwitz macht sich alles zunutze, schlau, der Kerl. Der weiß, dass du dich in den höheren Schichten benehmen kannst, im Gegensatz zu Jung oder Thamsen.«

»Meinst du?«

»Ja, klar.«

Oses Mutter trat in die Küchentür. Sie hielt Jacke, Hose, Kummerbund und Schleife hoch, die auf einem Bügel hingen. »Recht so, Herr Asmus?«

Asmus sprang auf und verbeugte sich. »Meinen ganz herzlichen Dank, Frau Godbersen! Ganz sicher haben Sie das Ansehen der Schutzpolizei von Sylt gerettet.«

»Sie übertreiben, Herr Asmus. Aber Sie sind jederzeit willkommen, um weiter zu übertreiben.«

Asmus schmunzelte, ließ sich den Anzug über den Arm drapieren und fuhr vorsichtig zurück nach Westerland.