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Ohne absichtlich die Suche nach Böhrnsen hinauszuzögern, begab sich Asmus am nächsten Tag wieder einmal zur Nössehalbinsel, um die Fortschritte des Dammbaus zu besichtigen. Seit einigen Tagen war es trocken und sonnig, also waren die Umstände bestens für die Arbeiten.
Die Fortschritte waren erkennbar. Der Damm zog sich so weit in die See hinaus, dass sein Ende trotz der klaren Sicht nicht auszumachen war, und die mit Steinen beladenen Waggons hinter der dampfenden Arbeitslok verschwanden im Dunst des Wattenmeeres.
Danach wandte sich Asmus dem Hilfsdamm zu, an denen die Schuten anlegten, die das Baumaterial brachten. Es waren mehr Transportschiffe, als er je gesehen hatte, gewiss lagen sie beiderseits des Dammes im Sechserpäckchen.
Recht hatte der Bauleiter, der die Anstrengungen forcierte. Auch für Bauvorhaben näherte sich der Winter mit seinem stürmischen Wetter in Riesenschritten. Bis dahin musste alles niet- und nagelfest sein, was nicht wegfliegen oder überschwemmt werden durfte.
Die Leute arbeiteten, soweit Asmus es beurteilen konnte, koordiniert und zügig. Er sah überall Trupps von Arbeitern, denen eine bestimmte Aufgabe oblag.
Am Nachmittag war Asmus wieder in Westerland, mit der Absicht, bei Bonde Sibbersen vorzusprechen. »Dürfte ich noch eine andere Biersorte verkosten, am liebsten eine Frankfurter?«, fragte er bescheiden, als er dran war.
Der Kaufmann verstand sofort und bat ihn nach nebenan. »Haben Sie etwas über Cord herausgefunden?« Er knetete nervös seine Hände.
»Nein. Ich nicht, aber einer der Gäste des Banketts der Kaufleute und der DNVP. Ein Robert Meier aus Süddeutschland.« Asmus berichtete wortgetreu, was dieser erzählt hatte. »Meier sprach von Wochen. Wann ist Cord eigentlich abgefahren?«
»Am Tag nach dieser Versammlung der DNVP. Er wollte gerne mit eigenen Ohren hören, was die Politiker vorhaben. Gesehen habe ich ihn allerdings am Abreisetag nicht mehr. Wir mögen keine Abschiede, wir beide, womöglich noch am Schiff. Cord nimmt am Vortag seinen Koffer mit, feiert in der Nacht mit einem Freund Abschied, bei dem er auch übernachtet, und fährt dann direkt von dort zur Fähre.«
Dieser Freund konnte der Knickerbockermann mit dem süddeutschen Beiklang gewesen sein.
Es blieb lange still, bis Sibbersen die Hände faltete und zur Decke hochsah. »Hoffentlich ist Cord nichts passiert!«
»Unter Freunden?«
Bonde Sibbersen zog die Schultern hoch. »Man weiß nie. Auch im toleranten Frankfurt sind schon Männer mit Cords Neigungen ins Gefängnis geraten. Es kommt immer auf die zufällige politische Konstellation an. Wenn einer dieser käuflichen Parteihammel gerade einen Erfolg braucht, statuiert er ein Exempel.«
Asmus nickte. Es stimmte. Es gab nur wenige Politiker, die uneigennützig zum Wohl der Bürger tätig waren und darüber notfalls die eigene Karriere aufs Spiel setzten. Er hätte keinen einzigen Namen nennen können. Von der anderen Sorte hingegen wimmelten die Parlamente. »Wenn Ihnen der Name von Cords Freund bekannt ist, können Sie ihm ja schreiben«, schlug er vor. »Vielleicht weiß er Näheres, das er dem Herrn Meier natürlich nicht auf die Nase gebunden hat.«
»Das ist eine gute Idee! Ich kenne namentlich nur einen Markus. Aber ein Brief an ihn an Cords Adresse wird ihn zuverlässig erreichen. Die Freunde halten zusammen.« Sibbersen ergriff Asmus’ Hand und drückte sie herzhaft. »Sie sind ein ausgesprochen hilfreicher Polizist.«
»Es ist wenig genug, was ich tun kann«, seufzte Asmus. »Offiziell suche ich ganztägig einen Totschläger.«
»Boy Böhrnsen, ich weiß. Es wundert mich nicht. Er verhielt sich als Kind schon heimtückisch.«
»Sie kennen ihn genauer?«
»Na ja, wie man Klassenkameraden so kennt, die man nicht leiden kann. Hinterhältigkeit und Großmannssucht zeichneten ihn aus. Er besaß natürlich die Gefolgschaft, die sich immer um solche Leute sammeln.«
»Ja, das kenne ich. Schmeißfliegen, die sich von Mist ernähren, gibt es überall.«
»Genau. Das Gefährliche an derartigen kindlichen Bündnissen ist, dass sie zuweilen das ganze Leben halten und man immer wieder über sie stolpert.«
Asmus schreckte auf. »Meinen Sie etwas Bestimmtes?«
»Ja. Nehmen Sie sich vor Sinkwitz in Acht.«
»Ist er eine der Schmeißfliegen?«
Bonde Sibbersen wiegte unschlüssig den Kopf, nickte dann kaum sichtbar und griff zur Türklinke, um Asmus in den Laden zu entlassen.
Unglücklicherweise gaben sich Asmus und Meier die Klinke des Kolonialwarenhandels von Sibbersen in die Hand. Asmus hatte nichts eingekauft, was ihm erst bewusst wurde, als Meier seine Hände musterte.
»Verkaufen Sie vielleicht Gerüchte vom Hörensagen, aufgeschnappte Kenntnisse, belauschte Geheimnisse?«, fragte Meier drohend. »Ein Reeder Asmus aus Rostock hat an der Konferenz nicht teilgenommen, denn die Rostocker Gesellschaft ist kaum noch liquide und alles andere als fähig zu investieren. Ich habe mich erkundigt. Wer sind Sie?«
»Ich bin Polizist. Zur Konferenz abgeordnet, um Störer zu verhindern«, erklärte Asmus erbittert.
»Ein einfacher Polizist bewegt sich nicht im Smoking, als wäre er darin geboren. Wie ist Ihr Name?«
»Niklas Asmus, aus Rostock. Die Reeder sind meine Brüder.«
Meier verschlug es im ersten Augenblick die Sprache. »Ich werde mich erkundigen, ob Sie wenigstens jetzt die Wahrheit sagen«, erklärte er dann, betrat das Geschäft und schlug die Tür hinter sich zu.
Sinkwitz und Böhrnsen mussten sich zerstritten haben, da der Fuhrunternehmer seinem früheren Gefolgsmann ja einen Denkzettel hatte erteilen wollen. Dennoch war Asmus unklar, wie weit das Zerwürfnis ging und ob nicht sein Chef Böhrnsen zur Flucht verholfen hatte.
Unter diesen Umständen wäre es unklug gewesen, Sinkwitz nochmals darauf aufmerksam zu machen, dass er nach Langeneß fahren wollte. Wenn dieser es untersagte, konnte Asmus dem Befehl nicht zuwider handeln, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Böhrnsen tatsächlich auf der Hallig war, sich dadurch etwas erhöhte.
Das hieße also, ohne Genehmigung mit der Franziska nach Langeneß zu segeln. Asmus schlug im Segel-Handbuch die Wattstraßen nach und stellte zu seinem Ärger fest, dass die Tiefs an vielen Stellen nicht ausgeprickt und nur durch genaue Befolgung der Anweisungen von Kurswechseln anhand von Landmarken zu besegeln waren. Für Unkundige eine schwierige Strecke.
Wieder einmal wanderte er zu Bahnsen hinüber, um sich mit ihm zu beraten. Der bestätigte ihm, dass außer bei sichtigem Wetter nur Einheimische, die die Strecke kannten, sie segeln sollten. Für alle anderen sei sie zu unberechenbar, insbesondere die Föhrer Ley, womit Wyk als erster Anlaufhafen ausfiel. Über das Festland zu reisen könnte Tage dauern, meinte er.
Asmus verfiel ins Grübeln. Keiner außer ihm auf der Wache hatte Seeerfahrung, und selbst seine reichte für dieses Revier nicht aus. Dass er heil hergekommen war, war wohl hauptsächlich dem Glück zuzuschreiben.
»Ich kann mitfahren, wenn es dir recht ist«, bot der Werftbesitzer an.
Asmus stutzte. »Das wäre ja großartig! Nur ist es unmöglich, weil es sich um eine Dienstreise handelt.«
»So fährst du eben privat. Reiche um Urlaub ein.«
»Das dauert zu lange. Bis dahin kann der Kerl über alle Berge sein.«
»Dann ohne Uniform. Nimm sie nur zur Vorsicht mit. Übrigens glaube ich eher, dass Boy sich auf der Hallig sicher wähnt. Für Revierfremde ist sie auf eigenem Kiel von Sylt aus nur schwer erreichbar, wie ich schon sagte. Und er kennt Sinkwitz und seine Abneigung gegen die See, die er übrigens teilt …« Bahnsen blinzelte Asmus zu, während seine Frau die Hände in die Seiten stemmte und den Kopf schüttelte.
»Hans Christian, du bist zu alt für Abenteuer …«, tadelte sie.
Aber Asmus hatte Blut geleckt. »Ich verhole die Franziska an die Pier, sobald die Fähre abgelegt hat«, überlegte er laut. »Mit Proviant …«
»Den übernehmen wir«, bestimmte Hans Christian. »Gekochte Kartoffeln, gekochte Eier, ein Schinken und Brot sollten für drei Tage reichen.«
»Und Pfefferminztee.« Die Hausfrau schmunzelte geschlagen. »Bier fällt aus Sicherheitsgründen weg.«
Bahnsen sprang auf und umarmte seine Frau. »Du bist die Beste«, raunte er.
Das Segelhandbuch war nicht auf dem neuesten Stand, wie er ja schon an der nicht mehr vorhandenen Munkmarscher Mühle gesehen hatte. Andererseits gab es mehr Pricken als beschrieben. Trotzdem war die Strecke mit Ostkurs zum Horsbüller Kirchturm und mehr südlichem Kurs auf die Emmelsbüller Kirche zu sowie einigen Baken an der Föhrer Schulter recht fordernd. In der Föhrer Ley rutschten sie bei beginnendem Niedrigwasser noch gerade über die Strecke rüber, die später trockenfallen würde.
Bahnsen lachte nur. »Dem Ebbwasser drehen wir eine Nase«, verkündete er. »Früher konnte man übrigens in jedem breiten Priel von Langeneß und Nordmarsch anlegen. Seitdem die Steinkante zum Schutz des Ufers gebaut wurde, geht das nicht mehr. Dafür gibt es den Hafen Ilef an der Westseite der Hallig. Zu welcher Warf müssen wir?«
»Zur Ketelswarf. Aber man hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Böhrnsen auch in der einzigen Kneipe zu finden sein könnte.«
»Auf der Warf Hilligenlei. Stimmt. Da sollten wir zuerst nachsehen. Ist nur ein paar Minuten vom Hafen entfernt. Zur Ketelswarf marschieren wir mehr als eine Stunde.«
Bahnsen saß an der Ruderpinne, als sie auf die Einfahrt des Ilef zwischen den steinernen Molenköpfen zuhielten, und gab Asmus das Zeichen, das Großsegel einzuholen. Von den Molen hoben Kormorane und Eiderenten ab, um sich im Priel außerhalb des Hafens im Wasser niederzulassen. Währenddessen glitt unter leisem Plätschern die Franziska durch das runde Hafenbecken auf einen hölzernen Steg zu, an dem schon zwei Fischerboote lagen.
Hilfreiche Hände nahmen die angereichte Festmacherleine entgegen und packten ein Want, um den Neuankömmling in die Lücke zwischen den Schiffen zu lenken. Ruckzuck waren sie im Hallighafen fest.
»Aus Rostock seid ihr. Nicht schlecht, nicht schlecht. Weite Fahrt mit dem Bötchen. Prost!« Einer der Fischer hob die Flasche und prostete den Neuankömmlingen zu, die kurz nach dem Belegen aller Leinen schon Bier herübergereicht bekommen hatten.
Asmus betrachtete die Flasche kurz. Holländische Aufschrift. Schmuggelware? Aber deswegen war er nicht hier. Ein Bier konnte man nach dem langen Tag mit Pfefferminztee wirklich aus vollem Herzen genießen.
Nach einigen unverbindlichen Sätzen mit woher und wohin verschwanden die Fischer nach unten, und der Duft von gebratenem Fisch stieg nach oben. Asmus tischte Hans Christian im Cockpit auf, was dessen Hausfrau ihnen mitgegeben hatte. Es schmeckte köstlich, zumal sie unterwegs zu konzentriert gewesen waren, um auch nur ein Ei nebenher zu verschlingen.
Nach dem letzten Schluck aus der Bierflasche stieß Asmus einen Seufzer aus. Im Westen flimmerte der Sonnenball kurz vor dem Untergehen über dem Horizont, darüber ballten sich einige harmlose Wolken und tauchten den Himmel in einen helleren und einen dunkleren rötlichen Schein. Irgendwo schrien Möwen, die noch einen Fischschwarm entdeckt hatten. Es war ein friedlicher Abend.
Asmus stieg nach unten und kam mit den Handschellen zurück, die er leise klimpern ließ. »Ich muss los nach Hilligenlei, da hilft alles nichts, Hans Christian.«
»Gut, gehen wir.« Bahnsen nahm die Bierflaschen von der Back und stellte sie nach unten, damit sie bei einem unerwarteten Wellenschlag keinen Schaden anrichteten. Dann war er mit einem Satz oben auf dem Kai.
»Du doch nicht!«
»Natürlich ich! Wer sollte dir sonst den Schlüssel für die Handschellen reichen?«
Asmus grinste. »Solcher Komfort ist bei uns für gewöhnlich unbekannt. Aber einen eigenen Schlüsselträger zu haben, ist bestimmt nicht schlecht. Ich werde einen Antrag für dieses neue Amt einreichen müssen.«
»Tu das. Hilligenlei ist die Warf links neben der Kirchhofwarf. Siehst du sie?«
Asmus nickte. Allzu weit war es nicht. Die Entfernung wäre auch nur dann ein Problem, wenn er den Gesuchten tatsächlich zu fassen bekam, der sich aber sträubte, zum Hafen zu gehen. In dem Fall musste er einen Karren mieten, wenn es denn so etwas hier gab, um den Gefangenen zu verladen.
Zu sehen war ein zweispuriger Weg, sonst nur Gras, soweit das Auge blickte, in der Ferne weiße Punkte, vermutlich eine Schafherde, es konnten aber auch Möwen sein. »Also los«, sagte er entschlossen.
Die Kneipe war voll mit Männern. Es roch nach Schweiß, Bratfett und Fisch.
Bahnsen blieb auf Asmus’ Bitte an der Tür stehen, während er sich selber den Weg zum Tresen bahnte.
Der Kneipenbesitzer hob erstaunt die Augenbrauen. »Gerade eben eingelaufen?«
Asmus bestätigte. »Ich bin Wachtmeister Asmus von Westerland. Ich suche Boy Böhrnsen.«
Der Wirt stutzte, schien völlig verwirrt und antwortete nicht, aber er konnte nicht verhindern, dass sein Blick in eine Ecke wanderte, in der an einem runden Tisch fünf Männer Karten spielten.
Einer von ihnen war Böhrnsen. Asmus zog behutsam die Handschellen aus seinem unverfänglichen Einkaufsbeutel und schlängelte sich zum Ecktisch durch. Ein Seitenblick belehrte ihn, dass Bahnsen sich inzwischen Hilfe geholt hatte, vermutlich von dem Vetter, von dem er unterwegs erzählt hatte. Jedenfalls verstellte neben ihm ein weiterer Mann den Ausgang.
Böhrnsen sah auf und erkannte Asmus, genau wie die Blockade der Außentür. »Meinen Gewinn zahlst du trotzdem«, blaffte er einem der Spieler zu. Er erhob sich in aller Ruhe und streckte Asmus die Hände entgegen.
»Sie sind im Namen des preußischen Staates verhaftet«, verkündete Asmus und schloss die Handschellen um Böhrnsens Handgelenke.
Der Fuhrunternehmer nahm seine Verhaftung mit Ruhe auf. Er vermittelte Asmus dreist den Eindruck, dass er glaubte, bald wieder frei zu sein.
Für die Nacht wurde Böhrnsen in einem Schuppen des Kneipenwirts eingeschlossen, vor dem Asmus Wache schob. Bahnsen hingegen kehrte auf die Franziska zurück.
Am frühen Morgen erschien Asmus mit dem vor Schlafmangel taumelnden Böhrnsen am Ilef. Der Frühstückstisch im Cockpit war bereits für drei gedeckt. Nachdem der Fuhrunternehmer mit einer Fußfessel an der achterlichen Ankerkette angeschlossen worden war, durfte auch er an der Back Platz nehmen und beim Essen mithalten.
Böhrnsen war mürrisch und blieb es auch unterwegs. Erbost war er offensichtlich vor allem, weil Bahnsen der Polizei geholfen hatte.
Der Werftbesitzer ließ sich dadurch nicht stören. Aber er war unruhig, was auch Asmus merkte. Er witterte immer wieder in die Luft.
»Der Wind hat auf Südwest gedreht. Für unseren Kurs ist das ja in Ordnung. Siehst du darin mehr?«, fragte Asmus.
Bahnsen blähte wieder die Nasenflügel und nickte. »Ich glaube, es kommt schlechtes Wetter auf. Sturm. Der erste Herbststurm vielleicht.«
»Aber wir werden Munkmarsch vorher erreichen«, meinte Asmus beschwichtigend, mit einem Blick auf Böhrnsen, der blass geworden war und kein Wort sprach. Die Wellen trugen bereits Schaumkronen, aber sie schoben die Franziska vor sich her. Das Kosterboot konnte fünf Beaufort wie jetzt sehr gut ab, aber auch sieben und acht Windstärken würde es abreiten können. Stören würden dabei vor allem Passagiere, denen schlecht wurde, die man an Deck mit Leinen sichern und denen man Trost zusprechen musste.
Aber Böhrnsen hielt sich einigermaßen, obwohl der Wind weiter auffrischte. Mit gerefftem Großsegel liefen sie abends bei Starkwind in Munkmarsch ein. Den vom Spucken geschwächten Fuhrunternehmer mussten sie an Land hieven. Asmus war dankbar, als der Delinquent endlich hinter Schloss und Riegel saß, versehen mit ausreichend Wasser für die Nacht und einem Eimer für seine Bedürfnisse. Essen lehnte er ab.
Der Schuppen, in dem Böhrnsen einsaß, war stabil gebaut und besonders gesichert, weil teures Frachtgut und Postsäcke, die nicht sofort befördert werden konnten, hier gelagert wurden. Asmus versiegelte die Tür obendrein mit einer Polizeibanderole, dann informierte er mit Bahnsen als Zeugen Mart und Jon über den Gefangenen. Gustav, den Postmeister, gab es in dieser Außenstelle nicht mehr, er war schon vor einiger Zeit nach Westerland zurückbeordert worden.
»Das sollte reichen«, erklärte Bahnsen und erhielt dafür Asmus’ uneingeschränkte Zustimmung. »Jetzt gehen wir essen. Engeline hat sicher schon aufgetischt.«
Der Werftbesitzer kannte seine Frau. In der Tür schlug ihnen der Duft von Bratkartoffeln mit Scholle und Speck entgegen. Ungeheuer zufrieden mit sich sprachen sie dem Essen und dem zur Belohnung gewährten Bier zu.
Am nächsten Morgen wiederholte sich Asmus’ Albtraum: Der Gefangene war fort.
Dieses Mal ohne Gewalt. Das Schloss war mit einem Schüssel auf- und wieder zugeschlossen worden, und die Polizeibanderole hing sauber aufgerollt an einem Nagel hinter der Tür.
Asmus ließ sich am Telefon mit seiner Dienststelle verbinden, in der zum Glück Matthiesen Dienst hatte, dem er ungeschminkt erklären konnte, was passiert war. Leider war Matthiesen allein in der Wache und außerstande, nach Munkmarsch zu kommen.
Asmus musste Zug und Fähre ohne Hilfe bewachen, vor allem natürlich die Passagiere, die zum Festland fuhren.
Ankommende Gäste gab es deutlich weniger als in den noch kühlen Frühlingstagen, dafür umso mehr abreisende. Trotzdem wurde Asmus immer wieder von Neuankömmlingen angesprochen, die unter ihren krampfhaft festgehaltenen Strohhüten den unter Dampf stehenden Zug nach Westerland nicht erkennen konnten und empört wegen des Sturmes Auskunft begehrten, wobei ihnen jeder Uniformierte recht war.
Im Stillen verfluchte Asmus diese Leute, die ihn bei der Arbeit störten. Sorgfältig wäre gewesen, jeden Abreisenden auf Aussehen und mögliche Verkleidung zu prüfen.
Er war sich im Klaren darüber, dass die nicht genehmigte Fahrt nach Langeneß und der Verlust des Gefangenen das Ende seiner Tätigkeit auf Sylt bedeuten konnten.