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»Sild« wurde erstmals im Jahr 1141 urkundlich im »Schenkungsbuch des Klosters Odense« erwähnt, da gehörte es noch zum Festland. Inzwischen gehen als gesichert angesehene Quellen davon aus, dass Sylt seit der »zweiten Marcellusflut« im Jahr 1362 durch den Verlust größerer Marschlandschaften eine Insel geworden ist. Zur Herkunft des Namens gibt es unterschiedliche Theorien. Vermutlich stammt der Name »Silt« aus dem angelsächsischen und bedeutet »Landschwelle«. Es könnte jedoch auch auf das dänische »Sild« zurückgehen, was übersetzt »Hering« heißt. Die heutige Schreibweise hat sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts durchgesetzt.
Königin Margrete I. überließ Sylt im August 1386 dem Grafen von Holstein-Rendsburg Gerhard VI., damit fiel die Insel an das Herzogtum Schleswig. Das im Norden gelegene List blieb weiterhin unter dänischer Krone. Nach dem deutsch-dänischen Krieg im Jahr 1866 ging Sylt an die Provinz Schleswig-Holstein. Auch wenn sich nach dem Ersten Weltkrieg bei einer Volksabstimmung im Jahr 1920 immerhin 88% der Insulaner weiterhin für eine deutsche Staatszugehörigkeit entschieden, begegnet man noch heute Spuren des dänischen Ursprungs. Im Sylter Norden, dem so genannten Listland, lebt weiterhin eine dänischsprachige Minderheit, und die Sylter Mundart Sölring weist, im Gegensatz zu den anderen nordfriesischen Dialektgruppen, viele dänische Lehnwörter auf.
Der Heringsfischfang spielte auf Sylt lange Zeit als Wirtschaftsfaktor eine sehr wichtige Rolle, daher wurde der Hering im Jahr 1668 das Wappentier von Sylt. Er führte im 17. und 18. Jahrhundert zusammen mit dem Walfang, der Schifffahrt, der Austernzucht und dem Entenfang zu einem guten Auskommen eines Teils der Inselbevölkerung. Im Gegensatz dazu lebten Bauern und Landarbeiter am Existenzminimum, was die sozialen Lebensumstände der Bevölkerung zunehmend auseinanderklaffen ließ.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Gesicht Sylts. Keitum, einer der ältesten Orte der Insel, verlor an Bedeutung. Zum einen versandete der alte Keitumer Hafen, und der Haupthafen der Insel wurde nach Munkmarsch verlegt. (Munkmarsch bedeutet wohl »Mönchsmarsch«. Es handelte sich also wahrscheinlich um fruchtbares Marschland, das seit dem 12. Jahrhundert einem Kloster gehörte.) Zum anderen führte der einsetzende Tourismus zu einer wirtschaftlichen Neuorientierung der Insulaner. Besonders in der Ober- und Mittelschicht wurden Kuren auf Sylt Mode. Die Kurgäste erreichten Sylt mit Eisenbahn und Postschiff über Tondern oder dem Schnelldampfer von Hamburg und blieben mehrere Wochen lang, um die heilsame Wirkung des Reizklimas zu erfahren. Der Ort Westerland gewann mit zunehmendem Tourismus an Bedeutung. Er wurde 1855 nach dem Vorbild englischer Badeorte zum »Seebad« erklärt und stellte schon bald das ursprünglich größere Wenningstedt in den Schatten. Obwohl dieses nur vier Jahre nach Westerland zum Seebad erklärt wurde, zog es vor allem weniger betuchte Gäste an. Kampen hingegen entwickelte sich zu einer Art Künstlerkolonie. In den 1920er Jahren besuchten Intellektuelle und Künstler in den Sommermonaten die Insel, einer der berühmtesten unter ihnen war Thomas Mann. Er kam 1921 das erste Mal nach Kampen und wohnte bei späteren Aufenthalten, wie auch der Verleger Ernst Rowohlt, im 1923 erbauten »Haus Kliffende«. Das Buchhändlerehepaar Tiedemann hatte es zu einem der angesagten Treffpunkte der Insel für Intellektuelle und Künstler gemacht. Von dieser Gruppierung ging eine fortschrittliche Bewegung aus, in der ein »Leben ohne Bekleidung« propagiert wurde – die Freikörperkultur. In der Folge entstand 1920 auf Sylt der erste Nacktbadestrand.
Im Gegensatz zu dieser Avantgarde achtete die angereiste wilhelminische Gesellschaft strikt auf Sittlichkeit. Die Badestrände waren nach Geschlecht getrennt und die Beinkleider von züchtiger Länge. Die Brüder Bleicken stellten in den 1870er Jahren Badekarren am Strand auf. Diese hölzernen Umkleidekabinen auf Rädern wurden ins Wasser gezogen und dienten insbesondere Frauen dazu, ungesehen und sittlich korrekt im Meer zu baden.
Das »Seebad Westerland« hatte die bis dahin angesagten Modebäder Wyk auf Föhr und Büsum in Hinblick auf Beliebtheit und Auslastung bereits im Jahr 1911 überholt. Die Kurgäste konnten auf der Insel seit dem Jahr 1888 eine Schmalspurbahn (mit einem Meter Spurweite) nutzen, die in den Sommermonaten den Hafen Munkmarsch und die Inselmetropole Westerland mit einer 4,2 Kilometer langen Strecke verband. Ab 1903 konnten sie von Westerland nach Hörnum fahren und ab 1907 von Westerland nach List. Die Anreise mit dem Schiff war jedoch mühsam. Die Verbindungen waren tidenabhängig, und im Winter kam es gelegentlich zu einer unüberwindlichen Barriere durch zusammengeschobenes Eis. Die Überfahrt dauerte etwa sechs Stunden, konnte sich aber bei ungünstigen Witterungs- oder Strömungsverhältnissen deutlich verlängern. Eine bequemere und schnellere Anbindung ans Festland schien erforderlich, um als Tourismusziel nicht an Attraktivität zu verlieren.
Bereits 1856 hatte das Sylter Universalgenie Christian Peter Hansen Pläne für einen Damm zum Festland entworfen. Er wollte damit den Fortbestand der Insel sichern, indem er dem Meer Marschland abtrotzte. Sein Vorschlag fiel mit der Gründung des »Seebades Westerland« zusammen, eine zusätzliche Nutzung des Damms als Bahnstrecke erschien sinnvoll. Die Sylter hatten jedoch zunächst Angst vor Überfremdung und Veränderungen der jahrhundertealten sylterfriesischen Kultur. Zudem schreckten sie vor den enormen Kosten eines solchen Dammbaus zurück. Die Überlegungen zogen sich hin, bis der Bau im Jahr 1913 vom Preußischen Landtag genehmigt wurde. 1914 fingen die Bauvorbereitungen an, um nur kurz darauf von dem aufziehenden Ersten Weltkrieg unterbrochen zu werden.
Zwar fanden keine Kriegshandlungen auf der Insel statt, es wurde aber eine »Inselwache« auf Sylt einquartiert. Geschützstellungen, Baracken etc. wurden nach dem Krieg entweder zivil genutzt oder abgerissen. So dienten etwa ehemalige Kasernenanlagen, etwas abgelegen von den Hauptorten, als Landschulheime für Kinder aus den vom Krieg betroffenen Großstädten.
Nach dem Ende des Krieges wurde durch die Abtrennung vom dänischen Nordschleswig eine Verbindung zum deutschen Festland unverzichtbar. Die damaligen Hauptrouten liefen über die Häfen von Hoyer und Tondern, die seit dem Kriegsende zu Dänemark gehörten. Damit wurde die Anreise für deutsche Kurgäste erschwert, denn sie benötigten ein Visum, um von den nun dänischen Häfen nach Sylt zu gelangen. 1922 wurde unter der Bedingung, dass Deutschland einen neuen Zugang von Deutschland nach Sylt baut, eine Transitregelung getroffen – deutsche Gäste konnten in plombierten Zügen durch dänisches Gebiet reisen. Das Umsteigen an der »Hoyerschleuse« wurde durch den dänischen Zoll streng überwacht. Der Plan zum Bau eines Eisenbahndamms durch das Wattenmeer wurde wieder aufgenommen. Auch die Sylter Bevölkerung hatte nun ihre Bedenken aufgegeben und zeigte einen stärkeren Fortschrittsglauben.
So fanden ab 1921 Vorarbeiten für den Bau statt, im Mai des Jahres 1923 wurde mit dem eigentlichen Dammbau begonnen, und wieder kam es zu einer Unterbrechung der Bauarbeiten: Im August 1923 zerstörte eine Sturmflut alles bis dahin Erbaute. Zum Schutz gegen das Wasser wurde im Jahr 1924 eine Spundwand errichtet (erbaut aus in den Boden gerammten Holzbohlen, die mit Strohballen abgedichtet wurden) und die Trasse weiter nach Norden verlegt. Seitdem arbeiteten etwa 1500 Männer in Tag- und Nachtschichten. Täglich kamen siebzig Waggons mit Baumaterial vom Festland, dreißig Segler, drei Schlepper und zwanzig Lastkähne brachten Baustoffe aus Husum. Insgesamt wurden 3,6 Kubikmeter Erde und 400 000 Tonnen Steine, Kies, Busch und Pfähle bewegt. Die Bauzeit des Damms betrug vier Jahre, und der Bau kostete etwa 25 Millionen Reichsmark (inklusive der Zufahrtstrecken). Der Damm ist gut elf Kilometer lang, die Sohlenbreite beträgt fünfzig Meter, und die Dammkrone ist etwa zehn Meter breit. Reichspräsident Hindenburg weihte den nach ihm benannten, jedoch nicht auf seinen Namen getauften Damm am 1. Juni 1927 ein. Heute ist der Damm Teil der Marschbahn, die von Hamburg bis Westerland führt. Er unterbricht den Gezeitenstrom zwischen Sylt und dem Festland, vermutlich sind die damit einhergehenden Strömungsveränderungen mitverantwortlich für die Landverluste an der Hörnum-Odde im Süden Sylts.