172581.fb2 Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

KAPITEL 4

Der Königshafen am Lister Ellenbogen war eine riesige Bucht nördlich des Ortes List, vor den gefährlichen Winden aus Südwest bis Nord geschützt und darum in früheren Jahrhunderten ein guter Ankerplatz für große Schiffe. Das wusste Matthiesen zu erzählen, während er und Asmus sich einen Überblick über die Örtlichkeiten verschafften. Sie standen an einem Priel, der seinen Anfang im Dorf an einem Gasthof nahm und an der Insel Uthörn in den Königshafen mündete. Dort ankerten gegenwärtig mehrere kleinere Küstenfischer.

»Dies ist der sogenannte Schlechte Hafen«, erklärte Lorns und zeigte auf ein Boot im Priel, das Moos und Grünspan angesetzt hatte und dessen Ankerkette voller vertrockneter Algen hing. »Der alte Zollkutter, außer Dienst gestellt. Hier würden die Schmuggler natürlich nie anlegen.«

»Jahrelang nicht mehr bewegt«, stellte Asmus fest. »Es wird jetzt übrigens Zeit, die Schmuggler hopszunehmen. Welches ist das Ruderboot, das wir nehmen sollen?«

Wieder deutete Lorns auf ein Boot, ziemlich groß, flachbödig und schwarz geteert.

Drei Küstenschiffe lagen auf der Lister Seite im Königshafen so weit unter Land, wie es ging, damit der Transport der Flaschen mit dem Beiboot oder auf Schlickschlitten vom oder zum Ufer nicht so beschwerlich war. Bei höchstem Flutstand schwammen sie auf, beim jetzigen Wasserstand konnten sie nicht fliehen.

Zwischen dem Wasser und dem erhöht liegenden Karrenweg weideten auf dem Grasland Schafe. Hier war alles ruhig, während man auf den Schiffen die heranrudernden Polizisten bereits bemerkt hatte. Hektik brach bei den Besatzungen aus.

Jedoch war sie vollkommen nutzlos, denn die Schiffe lagen auf Schiet.

Auf allen drei Küstenschiffen entdeckten Asmus und Matthiesen schon gestaute Flaschen mit Schnaps, die sie beschlagnahmten. Gegen die Besatzungen konnten sie nichts ausrichten. Angeblich sprach oder verstand keiner der Männer Deutsch, und Asmus bemühte sich vergeblich um ihre Namen. Schließlich gab er auf, Verhaftungen waren ohnehin ausgeschlossen. Vorsorglich gab es an den Rümpfen keine Kennungen.

Sie mussten mehrere Fahrten zwischen den Kuttern und dem Zollhäuschen am Schlechten Hafen machen, bis alle Kisten mit Flaschen gesichert waren.

Nach einigen Stunden Arbeit waren sie fertig. Asmus rüttelte zum Abschluss am Hängeschloss des Zollhäuschens, um sich zu überzeugen, dass es wirklich hielt. »Eines verstehe ich nicht, Lorns«, meinte er. »Was wir gemacht haben, sind keine polizeilichen Aufgaben. Darf man das in Preußen, rechtlich gesehen?«

»Das weiß ich auch nicht. Aber nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurden doch so viele Militärs und Uniformträger eingespart, wie es irgend ging. Diese Zollstelle entfiel. Es hieß, sie hätte sowieso nie viel Erfolg gehabt. Seitdem machen wir Schupos das vertretungsweise.«

»Aha. Und woher kommt der Schnaps?«

»Keine Ahnung«, sagte Lorns unsicher. »Vielleicht von Holland über Helgoland … Irgendwie nicht unser Bier – gewissermaßen. Wir sprechen darüber nie. Wir haben auch noch nie jemanden erwischt.«

»Was?« Asmus sah seinen Kollegen entgeistert an.

»Nein.«

»Seid ihr etwa immer zur falschen Zeit hier gewesen?«

»Könnte sein«, gab Matthiesen unglücklich zu. »Keiner von uns hat es so mit der Seefahrt. Ich kann dir sagen, wann der Weizen für die Schnapsdestillation eingesät werden muss …«

Asmus grinste. »Wenn es im Land so weitergeht, bin ich wahrscheinlich mehr an der Ernte interessiert. Wer hat denn bisher angeordnet, wann die Überprüfung stattfinden soll?«

»Sinkwitz oder Jung.«

Asmus schüttelte den Kopf. In Rostock war die Zollstelle nach dem Krieg nicht eingespart worden. Aber wäre das der Fall gewesen, hätte sich die Schupo oder gegebenenfalls sogar die Kriminalpolizei verantwortlich um die neue Klientel gekümmert. Hier auf Sylt war das wohl nie der Fall gewesen. »Weißt du was, Lorns. Fahr du direkt zur Dienststelle. Ich überlasse dir, von unserem Erfolg zu berichten. Ich mache einen kleinen Umweg nach Munkmarsch. Will mich für den Ratschlag bei Bahnsen bedanken.«

»Aber das wäre nicht recht«, widersprach Lorns unglücklich. »Es sind deine Lorbeeren, und du sollst sie einheimsen.«

»Ich hatte in meinem Leben schon genug Lorbeeren. Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte Asmus fröhlich. »Meine Genugtuung ist, dass wir beide ein gutes Gespann bilden. Das hätte ja ganz anders kommen können.«

»Weiß Gott«, stimmte Lorns aus vollem Herzen zu. »Du und Jung – das wäre ja ein Albtraum.« Er fuhr an, dass der Sand unter dem Hinterreifen spritzte.

In Munkmarsch war nichts wie sonst. Bereits unterhalb des Mühlenhügels konnte Asmus erkennen, dass sich um das große Fischerboot, das auf der Helling aufgepallt war, Leute drängten. Als er heran war, erkannte er, dass ein Mann auf dem harten ölgetränkten Boden neben dem Schiffsrumpf lag.

»Hole jemand um Himmels willen einen Arzt aus Westerland!«, rief Bahnsen. »Du kommst wie gerufen, Niklas. Bitte, fahr du! Ich bekomme am Telefon keine Verbindung mit der Westerländer Klinik!«

»Einen Augenblick! Wer kann ein Motorrad bedienen?« Asmus’ Stimme war scharf und befehlsgewohnt.

Ein junger Mann meldete sich diensteifrig. »Habe diese Dinger ein paar Jahre gewartet.«

»Dann schnell! Am besten zu Dr. Lorenzen«, befahl Bahnsen. »Er muss sich beeilen. Es sieht böse aus! Bring den Doktor gleich mit!«

Der Jüngling warf sich auf das Leichtmotorrad, gab aufheulend Gas und schlitterte davon, während Asmus zu dem Verunglückten trat. Sein Gefühl sagte ihm, dass es besser wäre, hierzubleiben, und auf seinen Instinkt hatte er sich immer verlassen können.

Aus der Nase und einem Ohr des Unglücklichen lief Blut. Er war ohne Bewusstsein. Eine neben ihm kniende Frau in altmodischer, dunkler Haube bemühte sich, es abzuwischen, aber es sickerte immer wieder nach.

»Lass mal, Petrine«, sagte Bahnsen verzweifelt, »das nützt nichts, und die Bewegung richtet wahrscheinlich noch mehr Schaden an. Nur der Arzt kann ihm helfen.«

Wenn überhaupt jemand, dachte Asmus, denn Verletzungen dieser Art waren meistens tödlich. Sie traten ein, wenn der Hinterkopf infolge Gewalteinwirkung zerschmettert worden war. Das konnte ein Stein eines Mörders gewesen sein oder ein steinharter Boden nach einem Aufprall. »Was ist passiert?«, fragte er Bahnsen leise.

»Jochim ist von der Leiter gestürzt, als er an Deck wollte«, antwortete Bahnsen bedrückt. »Wir hatten noch nie einen Unfall in der Werft, ich war so stolz darauf. Ich kontrolliere mögliche Gefahrenstellen immer selbst. Ich kann mir nur vorstellen, dass ihm plötzlich schwindelig wurde …«

Asmus betrachtete das leichenblasse Gesicht des Arbeiters. Sein welliges blondes Haar war dicht, und der Bartwuchs noch spärlich. »Wie alt ist er?«

»Siebzehn.«

Warum sollte einem gesunden jungen Mann schwindlig werden? Selbsttötung? Diese Möglichkeit schwirrte plötzlich durch Asmus’ Kopf. Er beugte sich zum Werftbesitzer hinüber und flüsterte: »Hattest du ihn entlassen?«

»Nein, im Gegenteil«, flüsterte Bahnsen tieftraurig zurück. »Er war mir wie mein Ersatzsohn. Er hatte beste Anlagen. Handwerklich geschickt wie keiner, und er hatte Ideen. Ideen, die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Werftarbeiten machten.«

»Bitte geht nach Hause«, äußerte Asmus in die Runde. »Niemand kann hier helfen außer dem Arzt.«

Seine ruhige Autorität und die Uniform wirkten. Die wenigen Leute der Ansiedlung zerstreuten sich, die Werftarbeiter gingen an ihre Arbeit. Nur Petrine blieb, hielt die Hand des Verletzten und sprach ihm leise murmelnd zu.

Asmus wandte sich der Trittleiter zu, die neben dem Schiffsrumpf lag. Eigentlich hatte er erwartet, am oberen Ende bogenförmige Haken vorzufinden, die einfach über das Waschbord gehängt wurden. Damit war eine Leiter an einem auf Land hochgezogenen Boot normalerweise ausreichend befestigt, aber die Konstruktion war hier eine andere.

Dieses hier war eine einfache Haushaltsleiter, deren gerade Enden augenscheinlich mit Zwingen am Waschbord befestigt wurden. Vermutlich mit dem Vorteil, dass sie an der ganzen gebogenen Längsseite des Schiffes aufgestellt werden konnte, auch, wo die Planken sich zum Bug oder Heck zuspitzten. Und war sie erst einmal befestigt, konnte sie keinen Millimeter verrutschen.

Asmus stellte sie am Bug an, kletterte vorsichtig hoch und kroch dann auf allen Vieren dorthin, wo eine Leiter meistens angestellt wurde: etwa in der Mitte des Decks, am tiefsten Punkt.

Auf ihn wartete eine Überraschung. Die Reste der Zwingen hingen noch an ihrem Platz. Sie waren angesägt. Weitere Teile lagen unterhalb des Bootsrumpfes.

Als er wieder auf dem Boden angelangt war, zog er einen der für List bestimmten roten Beschlagnahme-Zettel aus der Tasche und klebte ihn mit Spucke an den Bootsrumpf. Dann sicherte er die Reste der Zwingen.

Nach einer Weile entdeckte Bahnsen die Banderole. »Was bedeutet das denn?«, fragte er entgeistert.

»Dein Bootsbauer ist Opfer eines Anschlags geworden«, erklärte Asmus bedrückt.

»Auf Jochim? Der hat doch keiner Fliege etwas zu Leide getan.«

»Ja, das glaube ich dir.« Asmus wälzte längst eine andere Idee. Was war, wenn Jochim nur das zufällige Opfer war? Und es auch jemand anders hätte sein können?

Hans Christian ergriff hart Asmus’ Oberarm und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen. »Was hat das zu bedeuten, Niklas?«

»Ich halte es für Sabotage. Jemand hat die Zwingen an Deck so angesägt, dass der Nächste auf der Leiter herunterstürzen musste. Es ging höchstwahrscheinlich nicht gegen Jochim, es ging gegen dich.«

Bahnsen breitete die vom Alter schrundigen Hände aus. »Warum?«

»Das werden wir herauskriegen.« Asmus war fest dazu entschlossen, auch wenn dies nicht die Aufgabe eines Schutzmanns war. Aber wo Polizisten es nicht einmal mit Alkoholschmugglern aufnehmen konnten, würde ein solcher Fall erst recht nicht geklärt werden.

»Ich habe nie mit meiner Meinung wegen des Dammbaus hinter dem Berg gehalten, habe mein Maul immer am weitesten von allen aufgerissen und dabei viele Feiglinge kennengelernt und mir Feinde gemacht. Könnte das der Grund sein?«

»Denkbar wäre es«, gab Asmus vorsichtig zu. »Aber da auch viele andere Gründe in Frage kommen, sollte man sich nicht einseitig auf etwas festlegen.«

»Ich höre ein Pferd«, bemerkte Bahnsen abgelenkt. Im nächsten Augenblick bog ein Reiter im Galopp um den Mühlenhügel. »Einer der Kurärzte.«

Die Erleichterung war Bahnsen anzumerken, obwohl der Reiter offenbar nicht der angeforderte Arzt war. Jedoch war er schneller als ein Hausarzt mit Ponywagen oder als das Leichtmotorrad, wie Asmus klar war. »Moin, Dr. Katzenstein«, murmelte Bahnsen.

Der Arzt, ein dunkelhaariger drahtiger Mann, hielt sich nicht mit langer Begrüßung auf, sondern widmete sich gleich dem Verunglückten. Als er dessen Kopf behutsam gedreht hatte, sah Asmus das Blut, das sich inzwischen zu einer Lache gesammelt hatte.

Die tastende Untersuchung ergab kurz und bündig: »Schädelbruch. Tut mir leid, aber ich bin nicht sicher, ob er überhaupt die Fahrt in die Klinik überlebt. Sind seine Angehörigen verständigt?«

Asmus bekam nebenbei mit, dass der junge Mann vom Festland stammte, dann wurde seine Aufmerksamkeit von einer Kutsche abgelenkt, welcher der Bote auf seinem Leichtmotorrad folgte.

Jochim wurde am Kopf stabilisiert und in eine Art schmale Wanne gelegt, dann fuhr die Transportkutsche der Westerländer Klinik bereits mit ihm davon. Bahnsen eilte ins Fährhaus hinüber, in der Hoffnung, von dem dortigen Telefonapparat die Eltern des jungen Mannes benachrichtigen zu können.

Asmus war plötzlich allein, die beste Gelegenheit, sich ungestört und unbeobachtet umzusehen.

Die Blutlache war versickert, so wie auch das heftige Gewitter in der Nacht keine Spuren hinterlassen hatte. In der Mitte der nassen Stelle lag eine Eisenplatte mit deutlich herausragendem Bolzen. Offenbar war dieser schuld an der Schwere der Verletzung, er musste in Jochims Nacken eingedrungen sein.

Da kein Attentäter die Art des Falles im Voraus hatte festlegen können und ganz gewiss nicht den Sturz auf einen Bolzen, musste dieser Ausgang Zufall sein. Für Jochim wahrscheinlich tödlich, für den Täter eine Überraschung. Womöglich eine willkommene?

Alles in allem aber ergab sich aus Asmus’ Feststellungen, dass der Tod des Werftarbeiters nicht das Ziel gewesen war, die Sabotage hätte auch mit einem simplen Beinbruch enden können. Er fühlte sich jetzt bestätigt, dass es sich um eine Warnung an Bahnsen handelte. Warum, und wer steckte dahinter?

Als Bahnsen kurz danach zurückkehrte, setzte Asmus ihn ins Bild über seine Vermutung und fand endlich Glauben, wenn auch skeptischen.

»Meine Männer waren es aber nicht«, erwiderte Bahnsen zornig. »Auf keinen Fall, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Auch die Entlassenen nicht! Die habe ich nach der Konfirmation eingestellt, sie sind liebe Jungs.«

»Wie gut stehst du mit Mart?«, erkundigte sich Asmus.

»Ganz normal gut. Wie Nachbarn.«

»Erkundige dich, ob er einen Fremden im Hafen oder in der Werft gesehen hat. Der dürfte sich im Morgengrauen an die Arbeit gemacht haben, es muss schon gedämmert haben. Ich habe weder etwas gesehen noch gehört, leider. Der Täter muss sehr vorsichtig gewesen sein.«

»Ja. Du selbst willst nicht …?«

»Du weißt, dass Mart mich meidet …«

»Stimmt.«

»Ich werde erst einmal damit zu tun haben, mir die Erlaubnis zu holen, diese Sache zu untersuchen. Sinkwitz wird sich sperren«, vermutete Asmus. »Deswegen fahre ich jetzt los, hoffentlich ist er noch in der Wache.«

Sinkwitz saß auf Jungs Schreibtisch in der Wachstube und besprach sich mit diesem, als Asmus kam. Matthiesen und Thamsen waren nicht anwesend, worauf Asmus gehofft hatte.

Wie erwartet, war Sinkwitz alles andere als zugänglich. »Nicht unsere Aufgabe«, befand er kategorisch. »Das machen die Kollegen von Husum.«

Unmöglich, dachte Asmus. Dieses war offensichtlich eines der typischen Verbrechen von Männern, die sich untereinander kennen und beschließen, jemanden abzustrafen. Das Opfer muss damit nichts zu tun haben, aber für denjenigen, der gemeint ist, ist es eine nachdrückliche Aufforderung zum Schweigen. Im Grunde eine Erpressung, wobei das eigentliche Verbrechen schon begangen wurde oder noch folgen soll.

Er wunderte sich, dass die örtlichen Untaten bereits weit über Fahrraddiebstahl hinausgingen und auch nicht mit einfachem Raubmord zu vergleichen waren. Auf dem Heimweg war Asmus klar geworden, dass diese neue Art Verbrechen die beschauliche Insel Sylt erreicht hatte. »Die Husumer kennen die Einheimischen nicht«, wandte er ein.

»Sie, Wachtmeister Asmus, auch nicht!«

Vielleicht nicht, aber sein Kontakt zu Bahnsen war ein riesiger Vorteil. Jedoch war weiterer Widerstand sinnlos.

»Ich bespreche das bei Gelegenheit mit Husum«, fuhr Sinkwitz fort. »Darum brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Sie machen einfach Ihre Arbeit.«

Diese Abfuhr hörte sich ganz ähnlich an wie die, als es um den dänischen Landstreicher ging. Asmus begann sich zu fragen, ob diese Methode System hatte.

»Wachtmeister Matthiesen hat übrigens Ihre Erfolge beim Konfiszieren des Alkohols gerühmt. Ich vermute, er hat seinen Anteil daran sehr unter den Scheffel gestellt.«

»Bestimmt«, murmelte Asmus lakonisch. Sein ehrlicher junger Kollege hatte natürlich nicht geahnt, was er damit anrichtete.

»Wir«, schnarrte Sinkwitz, und seinem Ton war anzuhören, dass es um ein neues Thema ging, »wir erwarten noch in diesem Jahr eine Naturschutzgesetzgebung auf Sylt, auf den Weg gebracht ist sie schon. Sie werden sich ab morgen früh in diese einarbeiten und kümmern sich sofort nur noch um die Einhaltung dieser Bestimmungen. Das sind zwar idiotische Vorstellungen, aber einhalten müssen wir sie.«

»Naturschutz. Ich verstehe nichts davon«, bekannte Asmus ehrlich. »Nicht das Geringste. Sylt ist völlig anders als Mecklenburg, dessen Binnenland ich auch nicht genauer kenne. Mir liegt die See; ich kann Seevögel, Fische und Tangarten bestimmen und halte Muschelarten auseinander. Mehr nicht.«

»Das soll wohl eine Ausrede sein. Aber Faulpelze haben hier keine Chance!«

Unverschämtheit! Asmus ballte hinter seinem Rücken die Hände zu Fäusten. »Wenn dabei etwas herauskommen soll, wären Matthiesen oder Thamsen, die hier aufgewachsen sind, viel besser. Ich hingegen bin erfahren in Ermittlungen …« Er verzichtete auf einen neuerlichen Hinweis auf den dänischen Landstreicher.

»Wollen Sie mir vorschreiben, wie ich meine Arbeit zu organisieren habe?«, fragte Sinkwitz höhnisch und rutschte vom Schreibtisch herunter. »Und wollen Sie einen weiteren Tadel wegen Republikfeindlichkeit einheimsen? Dann sind Sie aber dran, das sage ich Ihnen, Asmus. Dann gibt es für Sie nur noch die Entlassung!«

An diesem Abend wurde es spät, bis Asmus nach Munkmarsch zurückkam. Trotzdem, und obwohl es nieselte, erwartete Bahnsen ihn auf dem Sandweg, in nass glänzendem Ölzeug und mit einem Bart, in dem die Tropfen hingen. »Wie geht es Jochim?«, fragte er bang.

»Der Junge ist tot. Er erreichte die Klinik lebend, aber sie konnten nichts mehr für ihn tun. Ein Gegenstand war in seinen Hinterkopf gedrungen, und die Nerven dort waren zerquetscht. Ich habe dem Arzt erzählt, dass es ein Eisenbolzen von knapp einem Zoll Durchmesser gewesen ist, der in der Grasnarbe steckte.«

Bahnsen sank auf die Wegböschung und schlug die Hände vor sein Gesicht. »Wie soll ich Jochims Eltern erklären, dass ich so versagt habe? Familien schicken mir hoffnungsvoll ihre Kinder zur Ausbildung, Männer lassen sich von mir anwerben, die darauf vertrauen, dass sie ihr Leben lang Arbeit haben werden. Gute, ehrliche Arbeit und auskömmliche Bezahlung. Und was passiert? Krieg, Inflation, Attentate, Pleite, Entlassung!«

Asmus klopfte ihm sacht auf die Schulter. Nach einer Weile beruhigte sich Bahnsen, stand auf und befreite sich in einer längeren Prozedur vom Sand an der Hose.

»Hast du mit Mart sprechen können, Hans Christian?«

»Ja! Er sagt, der einzige Fremde, den er im Hafen und in der Werft gesehen hat, bist du!«

Asmus holte tief Luft. Viel Hilfe hatte er nicht von Mart erwartet, aber auch nicht, dass dieser plötzlich ihn als möglichen Täter an den Pranger stellte.

Die überraschende Verbindung des Attentats mit ihm selbst brachte Asmus am späten Abend auf ganz neue Gedanken. Vor sich die Petroleumlampe, die auf der Back stehend ihr sanftes Licht verbreitete, und in Händen einen Becher mit heißem Tee, begann er den möglichen Ablauf durchzugehen. Auf das zugeschobene Luk fiel sanfter Regen, der gelegentlich einen Spritzer auf seine Jacke sandte. Der nächtliche Himmel war schwarz und ohne jeglichen Stern. Ausnahmsweise wehte kaum Wind.

Was war, wenn seine Person beteiligt war, gar den Auslöser für das Attentat dargestellt hatte? Mart war von jemandem gegen ihn, Asmus, aufgehetzt worden, möglicherweise von Jung. Jung schien mit seinem Vorgesetzten Sinkwitz gemeinsame Sache zu machen. Und Sinkwitz hatte Asmus zusammen mit Bahnsen schwatzen sehen, als er sich eigentlich in List hätte befinden sollen. Wenn es denn eine Warnung für Bahnsen war, sollte diese heißen, sich nicht mit Asmus einzulassen?

Es schien weit hergeholt.

Aber Bahnsen war ein Kenner der Interessen der Eingeborenen, von ihren Unter-der-Hand-Geschäften, von Schmuggel, kurz von Inselgeheimnissen. Darüber hinaus war er ein guter Beobachter und kein Feigling.

Es war deshalb nicht von der Hand zu weisen, dass eine Freundschaft zwischen Bahnsen und einem ehemaligen erfolgreichen Kriminaloberinspektor eine Allianz darstellte, die jemandem gefährlich erscheinen mochte.

Die Franziska wiegte Asmus in der auflaufenden Flut so sanft, dass er beinahe eingeschlafen wäre. Bis ihn die Brisanz seiner Überlegungen aufschreckte.

Womit hatte er es in dieser Dienststelle eigentlich zu tun? Machte man sich nur das Arbeitsleben so leicht wie möglich, oder ging es um mehr?