172581.fb2 Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

KAPITEL 5

Es dauerte nicht lange, bis Asmus die Vorteile seiner neuen Beschäftigung entdeckte: Er konnte tun und lassen, was er wollte, auf der Insel umherstreifen oder sich mit einem Buch ans Morsum-Kliff legen. Genaue Vorschriften, was er zu tun hatte, gab es nicht.

Er wusste lediglich aus der amtlichen Polizeiverordnung, was er, wie alle anderen, zu unterlassen hatte: Stranddisteln und Dünenrosen zu pflücken. Damit konnte er leben. Was das Beste war: Weder von Sinkwitz noch von Jung war anzunehmen, dass sie die Dünen und Klippen gut kannten.

Als er sich nach einigen Tagen wieder auf sein Motorrad warf und davonknatterte, galt sein gegenwärtig größtes Interesse ohnehin den Möweneiern. Sie waren vom absoluten Schutz ausgenommen worden, weil man das seit Jahrhunderten geübte Recht der Bevölkerung, Eier zu Nahrungszwecken zu sammeln, ohnehin nicht hätte wirksam beschränken können. Pro forma war das Einsammeln allerdings auf Jagdberechtigte reduziert worden.

Asmus war jedenfalls fest entschlossen, seine Speisekarte um Möweneier zu erweitern, solange sie essbar waren. Ein paar Wochen später würden sie angebrütet und damit untauglich sein, so viel wusste er immerhin.

Die Dünen bei List waren Asmus’ erstes Ziel. Allerdings erlaubte er sich, vorher eine kleine Runde am Königshafen zu drehen. In der Bucht lagen einige Boote, auch eines, das er am Vortag schon gesehen hatte. An diesem Vormittag schwammen alle Ankerlieger auf. Es wunderten sich nur die Schafe, auf den Schiffen rührte sich nichts. Warum auch, er war ja mit dem Motorrad unterwegs, nicht mit dem Zollkahn.

Auf dem Rückweg am Schlechten Hafen entlang zum Zollschuppen bekam Asmus völlig unerwartet zu spüren, dass die Lister verärgert waren. Die Männer machten einen Bogen um ihn, sahen beiseite, der Wirt der »Fiskalischen Austernstube« schlug seine Tür mit einem Knall zu, und nur Schulkinder grüßten, wie es sich Erwachsenen gegenüber gehörte. Das wiederum machte ihm klar, in welchem Ausmaß seine Dienststelle ihre Aufsichtspflicht bislang vernachlässigt hatte. Vermutlich galt er in List bereits als scharfer Hund.

Als er zum Zollschuppen kam, entdeckte er zu allem Übel, dass das Schloss aufgebrochen war.

Sämtliche Flaschen waren ausgeräumt. Ein süßlicher Duft nach Schnaps lag in der Luft, herrührend von einigen Glasscherben auf dem Boden. An den schwarz geteerten Wänden hingen uralte Fischernetze, die Asmus vorher nicht bemerkt hatte. Offenbar war der Schuppen nach Aufgabe durch den Zoll schon Jahre lang von den Listern als Fischerhütte benutzt worden. Ungehalten trat er einige Scherben an die Wand.

Ein verstohlenes Tappen vor der Hütte, offenbar von zwei lahmen Füßen und einem Stock, ließ Asmus hinausschauen. Eine alte Frau kam vorbei.

In der Hoffnung auf Aufklärung trat er in die Tür, klemmte seinen Tschako unter den Arm und erkundigte sich höflich in seinem heimatlichen Platt, ob sie wisse, was hier passiert sei.

Sie starrte ihn mit geöffnetem Mund an. Braune, schadhafte Zähne wurden sichtbar, und ein dünner Speichelfaden rann ihr am Mundwinkel herab. Die Frage hätte er sich sparen können, dachte Asmus resigniert. Sie würde nicht freundlicher als die Männer reagieren.

»Jawohl«, sagte sie plötzlich, klemmte den Gehstock unter den Arm und rückte ihre Haube energisch zurecht. »Kerle von einem der Schiffe waren das. Keine Sylter. Verstehen konnte man sie nicht, die sprachen fremdländisch. Aber kein Dänisch, bilden Sie sich das bloß nicht ein! Die sind eines Nachts hier eingesegelt und neben dem Zollschuppen längsseits gegangen.«

Asmus war so überrascht, dass er sich beinahe zu bedanken vergaß. Mehr wusste sie nicht, aber immerhin. Wahrscheinlich hatten sich ohnehin die Täter sofort nach dem Einbruch mit Hilfe von Karbidscheinwerfern an der Insel Uthörn vorbei ins tiefe Wasser getastet. Dänen waren sie also nicht. Inzwischen hatte er sich auf Sylt hinreichend umgetan, um zu wissen, dass sich mehr und mehr Sylter Dänen offen zu ihrem Dänischtum bekannten und die alte Frau mit ihrer Sprache vertraut war. Waren die Diebe vielleicht Holländer? Jedenfalls waren sie auf und davon, und man würde sie nie fassen.

»Ich habe nichts gegen Dänen«, verteidigte Asmus sich lahm. Dann fiel ihm etwas anderes ein. »Soll ich dich auf meinem Motorrad nach Hause fahren, Mutter Ehrlich? Ganz langsam, damit dir nicht schwindelig wird.«

Sie lächelte ihre schwarzen Zahnstummel weg. Auf einmal wurden ihre faltigen Züge glatt, und Asmus konnte sich vorstellen, welch hübsche Frau mit goldblonden Zöpfen sie in ihrer Jugend gewesen war. »Nein, mein Junge, so schnell wird einer Friesin auch in Zeiten politischer Wirren nicht schwindlig. Außerdem wohne ich doch hier, sonst hätte ich das Schiff nicht gesehen.« Sie zeigte auf eine Kate, die nur durch den Grasweg vom Schlechten Hafen getrennt war.

Asmus schmunzelte, vor allem über seinen eigenen Fehler. Die Schönheit mochte sie verloren haben, aber nicht ihre Gewitztheit.

Asmus entschied sich, sofort nach Westerland zurückzufahren, um Meldung zu erstatten. Aus allem anderen hätte man ihm einen Strick drehen können.

Sinkwitz war nicht anwesend, obwohl er Dienst hatte. Vielleicht hatte er ja bei Morsum zu tun, eine Bemerkung von Matthiesen, die Asmus unverständlich geblieben war.

Jung hockte auf seinem Lehnstuhl wie üblich – sein Hintern musste auch ohne Hose schon quadratisch und grün vom Polster sein, mutmaßte Asmus und verkniff sich ein Grinsen. »Die beschlagnahmte Zollware in Sylt wurde gestohlen, Herr Oberwachtmeister«, meldete er korrekt.

»Woher weißt du das, du bist doch ans Morsum-Kliff beordert.«

»Nein, bin ich nicht«, widersprach Asmus und wunderte sich über das plötzliche Du. »Es gibt zwei Naturschutzgebiete auf Sylt, und ich bin zuerst zum Schutzgebiet in den Dünen bei List gefahren. Das heißt, da wollte ich hin. Vorher entdeckte ich jedoch den Diebstahl des Schmuggelguts.«

»Ich werde deine Meldung notieren, wenn du darauf bestehst«, meinte Jung gönnerhaft. »Für deine Zukunft hier auf Sylt wäre es besser, das Maul zu halten und so schnell wie möglich zu den Dünen zurückzukehren. Du hast die Wahl. Eine Minute.«

»Vielen Dank für Ihre Großzügigkeit«, spottete Asmus hintergründig, für den in diesem Augenblick die Fronten geklärt waren. »Ich ziehe Korrektheit vor.«

»Mir scheint, du bist noch nicht ausreichend belehrt, was die politischen Ziele in diesem Land sind.« Jung grinste schief, schlug eine neue Seite im Journal auf und begann zu schreiben. »Ich glaube nicht, dass du zu uns passt. Du wirst es selber noch merken.«

Asmus verzog verächtlich die Lippen. »Die Ziele der gegenwärtigen Republik sind gewiss nicht, Alkoholschmugglern und anderen Gaunern freie Fahrt zu verschaffen. Könnte es sein, dass Sie etwas verwechseln?«

»Was denn?«

»Persönlichen Gewinn auf Kosten der Allgemeinheit mit dienstlichem Auftrag«, sagte Asmus in sanftem Ton.

Jungs Gesicht wurde violettrot wie der Pavianhintern, den Asmus einmal im Berliner Zoo gesehen hatte. »Sie!«, stammelte er. »Du …«

»Ja, bitte …« Asmus wartete auf den Vorwurf.

»Glaub nicht, dass ich bereit bin, Sinkwitz diese hochverräterische Anklage zu verschweigen!«, gauzte Jung. »Und auch nicht einer kleinen, aber feinen politischen Gruppierung gegenüber, die vielleicht einmal die große Politik in diesem Land bestimmen wird.«

»Ach? Spielen Sie schon vorsorglich bei den Faszisten mit?«, fragte Asmus anzüglich und verließ die Wache.

Am Nachmittag legte Asmus wieder den weiten Weg nach List zurück, wo er erstmals durch die Dünen wanderte, die er noch nie gesehen hatte. Manche waren ohne jeden Bewuchs, und Sand wehte ihm bei jedem Schritt um die Beine, andere waren bewachsen. Gräser mit sehr scharfen Spitzen machten solchen Platz, die bläuliche, silberne oder rote Blätter hatten, dann sah er distelartige Geschöpfe, deren Rosetten sich flach auf den Sand legten. Eine unendliche Vielfalt von Pflanzen, die er nicht kannte, aber vor den gierigen Händen von Badegästen oder womöglich vor irgendwelchen Gewohnheitsrechten der Einheimischen schützen sollte. Wenn man sich erst einmal damit befasste, war es atemberaubend schön. Er wunderte sich, dass irgendwer es geschafft hatte, in dieser turbulenten Zeit erfolgreich ein Naturschutzgesetz durch die allzeit auf Krawall eingestellten Parteien zu schleusen.

Schon nach wenigen Stunden seiner Wanderung auf die Westseite der Insel und zurück wurde Asmus klar, dass ihm die Überwachung von Naturschutzgebieten mit derart geringen Kenntnissen von der Natur nicht möglich war. Zu wissen, dass sie schön war, reichte nicht, und eine Scheintätigkeit würde er nicht abliefern, dazu war er sich zu gut.

Abends holte er sich wieder bei Hans Christian Bahnsen Rat.

»Ja, unsere Insel ist ein kleines Wunderwerk des Herrn«, meinte Bahnsen zustimmend, als Asmus ihm von seinen atemberaubenden Beobachtungen erzählt hatte.

»Eben. Aber es ist sicherer, dem Herrn dabei zu helfen, das Wunderwerk zu schützen. Stell dir vor, Hans Christian, dass diese Nackedeis aus Kampen plötzlich die Dünen besetzen. Jedem Pärchen sein Tälchen.«

Bahnsen lachte schallend und klatschte sich auf die Knie. »Das wäre ein Werbespruch, mit dem man noch mehr Leute herbeilocken könnte. Kennst du den, der ist allerdings schon alt: ›Was der Leuchtturm für die Küste, ist Hautana für die Brüste‹?«

Asmus schüttelte mit düsterer Miene den Kopf. »Er ist geschmacklos. Allerdings passend für die fremden Nackedeis, von denen ich vermute, dass sie die Gräser kaputtmachen würden, die den Sand halten, heißen Tee vergießen, drauf pinkeln, rauszupfen, sich wälzen … Wer weiß, was noch.«

»Oh, da könnte auch ich mir noch eine Menge vorstellen.« Bahnsens Tabakspfeife machte gurgelnde Geräusche, während er sich die Zukunft ausmalte. »Die Gastwirte aus Westerland schicken Ponywagen in die Dünen, beladen mit Butter- und Schmalzbroten, geräuchertem Aal, Matjes und Austern, Bier und Fliederbeerlimonade. Am Ende könnten sie dort sogar kleine Petroleumöfen installieren, auf denen sie die mitgebrachten Speisen heiß machen.«

»Und genau das wollen wir nicht.«

»Nein, das wollen wir nicht«, bestätigte der Werftbesitzer, plötzlich ernst geworden.

»Ich muss deshalb einen Lehrmeister finden, der mich lehren kann, was zu schützen ist, worauf ich achten muss und so weiter.«

»Ja, das ist mir klar.«

»Ich will nicht von Sinkwitz als Spielfigur zu einer Tätigkeit beordert werden, von der er zu wissen glaubt, dass ich sie nicht erfüllen kann. Wahrscheinlich hofft er, dass ich so erfolglos sein werde wie die Wache im Hinblick auf den Alkoholschmuggel.« Ganz zu schweigen von den beiden seiner Meinung nach nicht aufgeklärten Todesfällen.

Bahnsen zögerte, klopfte seine Pfeife aus, stopfte sie neu und dachte nach.

Asmus wartete geduldig. Er merkte, dass Bahnsen sich mit etwas herumschlug. Er verschob die Schirmmütze, ohne die er nie zu sehen war, und kratzte sich in seinem stoppeligen grauen Haar.

Schließlich entschloss Bahnsen sich. »Ja, gut. Du musst nach Kampen fahren. Mitten in das Nest, in dem die Nackedeis hausen.«

»Was?«

»Ja, es ist so«, bekräftigte Bahnsen und zuckte die Schultern. »Leider wissen meine Landsleute nicht die Schätze zu schützen, die ihnen der Herrgott gegeben hat. Da mussten Fremde kommen, die uns darauf aufmerksam machen. Natürlich wurden sie erst einmal wegen ihrer wirren Vorstellungen verspottet, aber gelegentlich, ganz gelegentlich, stellen auch Einheimische fest, wie recht sie haben. Junge Leute, die älteren nicht.«

»Tatsächlich«, murmelte Asmus und wusste vor Überraschung noch immer nichts zu sagen. Denn ohne sich ein abschließendes Urteil über diese Künstler, Maler und Schriftsteller anzumaßen, hatte er sie doch heimlich als Störenfriede auf Sylt empfunden. Und nun entpuppten sie sich als Bewahrer dessen, was die Friesen möglicherweise aus Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit zu zerstören imstande waren?

»Geh zur Villa Uhlenkamp in Kampen. Du findest sie leicht, sie ist im Unterschied zu unseren alten dörflichen Häusern zweistöckig und in Fachwerk gebaut. Im Sommer wohnt dort Ferdinand Avenarius. Der schreibt und gibt eine Zeitschrift heraus. Er wird dir weiterhelfen können.«

»Hat er die Kenntnisse, die ich mir aneignen will?«

»Das weiß ich nicht. Er dürfte sowieso zu alt sein, um dich durch deine Schutzgebiete zu führen. Er soll auch krank sein. Aber raten wird er dir. Sylt ist seine Leidenschaft geworden.«

»Gut, das mache ich. Aber jetzt gehe ich erst einmal in die Koje. Wanderungen machen müde.« Asmus stand auf und streckte sich.

Bahnsen sah zu ihm hoch und grinste. »Typisch für Männer der See. Ich würde nach Hörnum auch nur segeln, statt eine Bahnfahrkarte zu lösen und am Ende noch meine Füße abnutzen zu müssen.«

»So geht es mir auch«, stimmte Asmus zu. »Gute Nacht.«

»Ach übrigens, Niklas«, warf Bahnsen hinter ihm her. »An der Villa Uhlenkamp halte dich nicht lange mit Klopfen an der Tür auf. Geh in den Flur und brülle durchs Haus nach Herrn Avenarius. Er liegt bei sonnigem Wetter immer nackt in seiner Badewanne auf dem Dach und hört kein Klopfen.«

Lautes Brüllen erwies sich als überflüssig, als Asmus am nächsten Vormittag in Kampen vor der Villa stand. Ein Herr mit Jackett und akkurat gebundenem Halstuch, sichtlich einer begüterten Gesellschaftsschicht angehörend, saß auf einer Bank vor einem Tisch am Haus und schrieb konzentriert. Die Sonne brannte, aber das schien ihn nicht zu stören.

»Herr Avenarius?«, fragte Asmus behutsam, um ihn nicht zu erschrecken.

Der ältere Herr mit wirrem Haar und krausem Bart sah hoch. Missbilligend musterte er Asmus vom Tschako bis zu den Stiefeln. »Ja. Was ist denn nun schon wieder?«, fragte er ungehalten. »Ich habe nichts getan, worüber Sie sich beschweren könnten.«

»Nein, da haben Sie völlig recht, ich wüsste auch nichts.« Asmus’ herzhafte Zustimmung ließ Herrn Avenarius den Bleistift auf sein Heft schmettern.

»Ja, was ist dann? Da Sie meinen Vortrag über die zerstörerische Wirkung des Wattenmeer-Damms, den ich nächste Woche halten werde, nicht kennen, können Sie ihn mir nicht verbieten! Oder gehen Sie jetzt schon so weit?«

»Herr Avenarius«, sagte Asmus unbeeindruckt, »ich kenne die Schwierigkeit, die Sie offenbar seitens der Schupo fürchten, nicht. Ich wurde kürzlich nach Sylt abkommandiert, habe mich um die Einhaltung der neuen Naturschutzbestimmungen zu kümmern und suche jetzt Hilfe. Sie wurden mir empfohlen als derjenige, der mir Sachkundeunterricht erteilen kann. Mit anderen Worten: Wenn ich eine Stranddistel schützen soll, muss ich wissen, wie sie aussieht. Und Sie wissen das, hat man mir gesagt.«

Der Künstler runzelte ungläubig die Stirn. »Das sind ja ganz neue Töne. Bisher hat die Polizei sich stets als mein Gegner gegeben. Zum Beispiel hat man versucht, mich glauben zu machen, dass die Besucher des Leuchtturms Rotes Kliff in meine Badewanne auf dem Dach spähen können. Und da meine Badewanne keine Konzession als Nacktbadestrand hat, wurde mir der Aufenthalt dort in unbekleidetem Zustand verboten.«

Asmus wandte sich zu dem gelb-grauen Turm um, der von überall her zu sehen war, aber doch in einiger Entfernung lag, und brach in unbekümmertes Lachen aus. »Ist das Ihr Ernst?«

Avenarius nickte und fiel in sein Lachen ein. »Mit Fernglas, ja. Kommen Sie. Setzen Sie sich«, lud er Asmus ein. »Und bitte stellen Sie Ihre kriegerische Kopfbedeckung unter die Bank. Leiden mag ich diese Dinger nicht.«

»Ich auch nicht«, bekannte Asmus. »Sie sind so entsetzlich verräterisch und geben zuweilen ein völlig falsches Signal. Bis vor einigen Wochen gehörte so ein Ding nicht zu meiner Dienstkleidung. Immerhin habe ich auch keinen Säbel, was für mich sprechen sollte.«

Avenarius musterte ihn mit plötzlichem Interesse. »Strafversetzt?«

Asmus nickte griesgrämig.

»Spricht tatsächlich für Sie. Was möchten Sie wissen?«

»Ich soll, wie gesagt, die Naturschutzgebiete bewachen. Und das werde ich tun. Sie sind wunderschön. Aber ich brauche Nachhilfeunterricht in der Pflanzen- und Vogelwelt, um die Frevler, die bestimmt kommen werden, mit begründeten Argumenten in ihre Schranken verweisen zu können. Festnehmen, also. Es kann nicht sein, dass einer mir erklärt, die Strand-Platterbsen hätte schon sein Großvater als Mittagessen für seine zehn hungrigen Kinder geerntet und auch er hätte ein Recht darauf, vor allem in diesen schlechten Zeiten. Ich möchte sagen können, dass das nicht stimmen kann, weil die Platterbsen giftig sind, und er wahrscheinlich nur Futter für seine Ziegen sucht. Aber auch das ist schließlich verboten, weil Abernten den Dünen schadet.«

Avenarius schmunzelte. »Ich verstehe, was Sie meinen.«

Das wäre zu wenig, dachte Asmus ungeduldig.

»Sie sehen selbst, dass ich nicht mit Ihnen durch die Dünen wandern kann«, erwiderte Avenarius und zeigte auf den Krückstock, der neben ihm lehnte. »Aber ich habe eine junge, enthusiastische Mitarbeiterin, die Feuer und Flamme für die Erhaltung ihrer Heimatinsel ist: Ose Godbersen.«

»Ja?« Asmus schöpfte Hoffnung.

»Ja. Sie ist eine der besten Kennerinnen unserer heimatlichen Fauna und Flora, und wenn Sie es ehrlich meinen, ist sie die beste Lehrmeisterin, die Sie bekommen können.«

Außer einem unbestimmten Grunzen brachte Asmus keine vernünftige Erwiderung zustande. Auf solches Misstrauen war er nicht gefasst gewesen, und jetzt erlebte er, dass er sich gewissermaßen für seine Dienststelle zu schämen hatte. »Tut mir leid, dass sich die Schupo Westerland anscheinend so unbeliebt gemacht hat«.

»Ja«, bekräftigte Avenarius. »Und wie! Aber mir scheint, man kann Sie noch erziehen.«

»Herzlichen Dank«, stammelte Asmus geschlagen und fühlte sich wie ein gemaßregelter kleiner Junge. »Wo finde ich Ose Godbersen?«

Avenarius zog eine Grimasse. »Ose!«, brüllte er erstaunlich kräftig. »Kommst du mal?«

Der dicke blonde Zopf, der als Kranz um Oses Kopf gewunden war, fiel Asmus als Erstes auf. Das junge Mädchen trat mit einem Teller voller Küchlein in die Tür, den sie vor dem Künstler abstellte. »Vater Avenarius«, sagte sie respektvoll, »ich habe dein Lieblingsgebäck gebacken. Sag bitte nicht, dass du keinen Appetit hast.«

Avenarius lächelte sie zärtlich an. »Das würde ich nie wagen. Dir höchstens entgegenhalten, dass ich keinen Hunger habe.«

»Du musst Hunger haben! Gestern Abend hast du das hartgekochte Ei nicht gegessen, sondern nur am Queller genascht. Und das Brot blieb unberührt. Das ist nicht genug, um einen Mann zu ernähren.«

»Ich brauche nicht mehr viel, das weißt du doch, Ose«, verteidigte sich Avenarius schwach. »So lange habe ich nicht mehr zu leben.«

»Papperlapapp. Jeder lebt, solange er will. Du hast kein Recht aufzugeben. Wir Sylter brauchen dich. Und was ist mit deinem Gast?« Ose wandte sich Asmus zu und musterte ihn.

»Auch er braucht Hilfe – deine Hilfe. Er ist Schupo und soll sich um die neuen Naturschutzgebiete kümmern, hat aber keine Ahnung davon.«

»Dann ist er bestimmt der Richtige für die Aufgabe«, bemerkte Ose sarkastisch.

»Ja, das glaube ich auch. Wäre er es nicht, würde er sich in die Dünen legen, in den Tag träumen und in dem Tagebuch der Wache, oder was immer sie da haben, bestätigen, dass er seine Arbeit ordnungsgemäß erledigt hat. Das aber tut er nicht. Er ist hier!«

»Ah ja?«, fragte Ose ungläubig, aber schon halb umgestimmt, und ließ sich auf dem freien Stuhl am Tisch nieder.

»Ja!«

»Wenn du die Küchlein isst, glaube ich dir, dass du glaubst, dass er es ernst meint!«

Avenarius holte tief Luft, nahm sich eins von den Gebäckstücken und begann zu knabbern.

»Ja, dann«, sagte Ose, ungläubig angesichts der Tapferkeit ihres Mentors, »dann fangen Sie mal an, Herr Schupo. Was wollen Sie von mir?«

Nach einer erfrischenden ersten theoretischen Lehrstunde bummelte Asmus zurück nach Westerland, immer so nah am Wasser wie die schmalen Karrenwege, die man als Stichstraßen zum Ufer ansehen musste, es zuließen. Häufig zwangen sie ihn, wieder umzukehren, um zu der einzigen Nord-Süd-Verbindung der Insel zu gelangen.

Er hatte den Ort Wenningstedt noch nicht erreicht, als er sich oberhalb des Kliffs, das zum Dorf gehörte, vor einem einzelnen Haus wiederfand, zweistöckig und mit Erkern und Giebeln versehen, aber immerhin in einheimischer Bauweise mit Reetdach und umgeben von Heckenrosen. Da Asmus vermutete, er befände sich inzwischen auf privatem Gelände, stoppte er und machte kehrt.

Just in diesem Augenblick tauchte der Kopf eines Mannes über der Hecke auf, dessen Erscheinen ein freundliches »Moin, moin« folgte. »Fliehen Sie vor mir? Müssen Sie nicht. Ich bin harmlos.«

Asmus lachte und stellte den Motor aus. »Und ich bin hier wohl ganz und gar verkehrt. Ich wollte so küstennah wie möglich nach Westerland. Die Aussicht ist so schön!«

»Keineswegs sind Sie verkehrt. Kommen Sie rein und trinken Sie einen Fliederblütensaft mit mir! Sollten Sie den noch nicht kennen – er ist sehr erfrischend.«

Es konnte nicht schaden, sich mit Syltern aller Art bekannt zu machen. Dieser war ein Einheimischer, wie Asmus an der Sprache hörte.

»Rörd Jacobsen«, stellte sich der großgewachsene Mann mit graumeliertem Haar und fast weißen Augenbrauen vor. Er reichte Asmus über die Hecke hinweg die Hand. »Und Sie sind der neue Polizist.«

»Jawohl, Niklas Asmus.«

»Kommen Sie mit.«

Asmus folgte Jacobsen bis zum Tor und wurde in das Grundstück hineingelassen. Jetzt erst bemerkte er, wie elegant Jacobsen gekleidet war – ein Großstädter zu Besuch im eigenen Landhaus. Dazu passte auch, dass auf dem weitläufigen Gelände ein Mann eine Sense dengelte, während ein anderer das gemähte Gras zusammenrechte. Am Haus angekommen, griff Jacobsen nach einer Klingel. Kurze Zeit später eilte ein Hausmädchen mit einem Tablett herbei, auf dem ein Saftkrug und zwei Gläser standen.

Man war hier auf alles vorbereitet. Asmus nahm Platz und schaute sich bewundernd um. »Es ist unglaublich idyllisch hier. Vor allem an einem so windstillen Tag«, bemerkte er.

»Stimmt. Nicht nur im Sommer. Auch an ruhigen Nebeltagen im Januar. Das übrige Jahr auch. Bei Sturm ist es aufregend, über die See zu blicken. Und das alles im Wissen, dass ich hier über Geschieben aus Schweden und über Gesteinen aus Finnland und Norwegen wohne, deren Entstehung sich ein Laie kaum ausmalen kann. Sind Sie mal am Strand entlanggewandert, um das Farbenspiel des Kliffs von unten zu betrachten?«

Asmus verneinte und trank das Glas in einem Zug leer. Er war tatsächlich durstig.

»Dann kommen Sie doch einfach mal vorbei, wenn es Ihnen passt, und ich erkläre Ihnen die besonderen geologischen Verhältnisse dieses Ortes!«

»Gerne«, sagte Asmus erfreut. »Mir scheint, ich habe es mit einem Fachmann für Geologie zu tun.«

»Nun, nicht direkt. Es ist eines meiner Steckenpferde.«

Offenbar hatte Jacobsen noch mehr davon. Er schien ein interessanter Mensch zu sein. Asmus erhob sich unter Bedauern. »Jetzt muss ich weiter, ich bin im Dienst. Vielen Dank für den Saft, Herr Jacobsen.«

»Oh, das war doch selbstverständlich.« Jacobsen brachte Asmus zur Pforte und sah ihm über der Hecke nach, als er davonratterte.

Der Weg war sandig, aber durch breite Reifen festgefahren, worüber sich Asmus einen Augenblick wunderte.