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Am nächsten Tag holte Asmus Ose zu Hause ab, sie wohnte gewissermaßen in Sichtweite von seinem Boot am nördlichen Ende von Keitum, gar nicht so weit weg von der Kirche St. Severin.
»Wir müssen eine ganze Strecke fahren«, erklärte Ose, raffte ihr naturfarbenes Leinenkleid und kletterte auf den Soziussitz. »Nach Morsum. Das Kliff dort ist einzigartig, ist aber zum wunden Punkt von Sylt geworden. Noch vor dem Krieg wollten sie von dort für Militärfahrzeuge eine Brücke zum Festland bauen. Dieser Plan ist erledigt, aber jetzt nimmt ja der Dammbau in der Nähe seinen Ausgang. Und ausgerechnet das Kliff wollten sie abtragen und seine Erde als Dammunterbau verwenden! Stell dir vor!«
»Ja, stelle ich mir vor.«
»Und? Ein bisschen selbst denken hilft manchmal!«
»Besondere geologische Erdschichten, Pflanzen und Tiere wären verschwunden«, schlug Asmus ernst vor.
»Na ja, sicher«, gab Ose besänftigt zu. »Weißt du eigentlich, dass Niklas bei uns auf Friesisch Nis ist? Ich werde dich trotzdem Niklas nennen, bis du dich als Sylter bewährt hast. Und Asmus ist Asmussen. Ich hoffe, ich sehe mich nicht gezwungen, eines Tages Herr Niklas Asmus zu dir zu sagen.«
»Nein, ich hoffe es auch nicht. Können wir jetzt losfahren, nachdem die sprachlichen Fronten geklärt sind?« Asmus setzte seinen Tschako auf, den Ose naserümpfend betrachtete.
»Militärische Ausdrücke liebe ich auch nicht«, bemerkte sie.
»Gewiss, Ose. Aber Diskussionen über Ausdrücke und Uniformen erübrigen sich. Ich bin nun mal Polizist und möchte an die Arbeit. So schnell wie möglich.« Sie war eine kleine Kratzbürste, wie Asmus mittlerweile festgestellt hatte. Aber es musste im Rahmen bleiben.
»Jetzt im Frühling sind die Pflanzen, die du schützen sollst, nicht so gut zu erkennen. Nächste Lehrstunde, wenn sie blühen«, versprach Ose, als sie am Strand unterhalb des Kliffs standen. »Die unterschiedlichen Farben hier repräsentieren Kaolinsand, Glimmerton und Sandstein, und jede Schicht hat eine eigene Pflanzen- und Tierwelt. Schmetterlinge fliegen später, zur Blütezeit, aber die Vögel nisten natürlich schon. Die Uferschwalben sind die pfeilschnellen Geschosse …«
»Na, na«, unterbrach Asmus sie tadelnd. »Wie war das mit den militärischen Ausdrücken?«
Ose grinste. »… die sich vor den Kliffwänden tummeln und sich Niströhren graben. Im Unterschied zu denen gibt es die stinkfaulen Brandenten, die den Kaninchen die Buddelei im Sand und im Schlick überlassen und in deren Wohnungen einziehen, wenn sie ihnen gemütlich genug erscheinen. Diese schwarzweißen großen Tiere, die du da vorne siehst.«
»Faule Enten! Du sollst doch die Natur schützen, nicht moralisch beurteilen«, tadelte Asmus scherzhaft.
»Oh, ich schütze sie ganztägig! Mit den Brandgänsen oder Brandenten, wie du willst, haben wir ein besonders gutes Verhältnis – wir überreden sie zur Zusammenarbeit.«
»Die wie funktioniert?«
»Wenn zu wenig Kaninchenhöhlen da sind, graben wir den Gänsen Nisthöhlen mit einem Ausgang zu einem Priel oder einem Wasserlauf.«
»Das ist also eure Arbeit. Und deren?«
»Die Zahlung der Miete. In Form von Eiern.«
»Aber das ist doch kein Naturschutz«, wandte Asmus betroffen ein, während er verdrängte, dass er selber Möweneier sammeln wollte. Aber er war auch kein Naturschützer.
»Du hast schon recht. Jedoch nur im Prinzip. Tatsächlich ist es aber so, dass die Kaninchenbauten knapp sind, weil immer mehr Brandgänse vom Festland nach Sylt flüchten und deshalb mehrere Paare ein und dieselbe Höhle benutzen. Dann liegen mehrere Eigelege aufeinander, und die unteren erhalten beim Bebrüten keine Wärme. Sie verfaulen, und in diesem Matsch holen sich möglicherweise die oben geschlüpften Gössel Krankheiten, mit denen sie nicht fertig werden.«
»Ach so«, sagte Asmus geschlagen. Es handelte sich also doch um Naturschutz im weiteren Sinne.
»Ja. Wir lassen immer ein ebenerdiges Gelege von acht bis zehn Eiern zurück. Diese Anzahl von Kleinen schaffen die Eltern auszubrüten. Manchmal schmuggeln sich auch andere Wasservögel in die Gelege, wie Mittelsäger. Und alle Eier werden betreut. Es kann richtig putzig sein zu beobachten, was schließlich aus dem Nest in den Priel paddelt.«
»Und hier im Schutzgebiet? Greift ihr da auch ein?«
»Nein, hier natürlich nicht. Hier wird alles sich selbst überlassen. Übrigens haben wir das Schutzgebiet den Herren Avenarius, Goebel und Dr. Ahlborn zu verdanken, die im letzten Augenblick verhindert haben, dass das Kliff abgetragen wurde.«
»Keine Friesen?«
»Nein«, sagte Ose mit bitterer Miene, »keine Nordfriesen. Da müssen immer andere kommen, um unser Erbe zu schützen. Wir allein schaffen es einfach nicht. Sind wir zu dumm, oder was?«
»Vermutlich seid ihr zu arglos. Ihr ahnt anscheinend nicht, was gewiefte Kaufleute aus euren Schätzen an Geld herausholen können.«
Ose sah Asmus betroffen an. »Ja, das könnte sein. Dann lass uns jetzt zum Ende der Nössehalbinsel fahren. Dort befindet sich immer die Speerspitze derjenigen, die unser Sylt verderben wollen.«
»Die Bauarbeiter also«, bemerkte Asmus. »Die sind angeheuert und können auch nichts dafür.«
Am Munkhoog, wo das Restaurant Nösse mitten in die Einöde gebaut worden war, hatten sie das Motorrad zurückgelassen, als sie zum Kliff hinuntergewandert waren. Eine Flagge knatterte leise am Fahnenmast des Gasthauses, und der Wind säuselte in den Gräsern der Heide. Sonst waren keine Geräusche zu hören, auch keine Vögel.
Ganz anders an der Baustelle des Damms. Der Lärm dort war ohrenbetäubend. Das Quietschen von Stahl auf Stahl, wahrscheinlich von der heftig dampfenden kleinen Arbeitslok, mischte sich mit dem Wiehern von Zugpferden, dem Gebrüll der Vorarbeiter und dem dumpfen Wummern von Rammen auf Holzpfählen.
»Lass uns auf den Holzstapel steigen«, brüllte Ose in Asmus’ Ohr. »Von dort bekommt man die bessere Übersicht.«
Asmus half Ose ritterlich, auf die zum Verlegen bereitgelegten Bahnschwellen zu klettern.
Der Deichfuß hatte schon Gestalt angenommen, soweit man blicken konnte. Wo bereits Schienen gelegt waren, machten sie einen scharfen Knick nach links, am dunstigen Horizont verschwand das Bauwerk in einem weiten Rechtsbogen im Watt. Möglicherweise waren auch dort schon Schienen verlegt, jedoch sah Asmus nur den Kleiboden, der so verdichtet war, dass seine Oberfläche im Zwielicht glänzte. Im rechten Winkel zum Damm ragte in die offene See hinaus ein dünner schwarzer Strich, an dessen Ende drei oder vier Schuten und Rammen festgemacht hatten.
»Was ist das?«, erkundigte sich Asmus.
»Das ist ein Hilfsdamm für die Feldbahn, mit der das Baumaterial von den Schuten hier auf Land transportiert wird. Die Gleise, Steine, Schwellen und so weiter werden aus Husum angeliefert.« Ose zeigte in die andere Richtung der Baustelle. »Dort sind die Wohnbaracken der Arbeiter. Die bleiben jeweils mehrere Wochen, bevor sie ein paar Tage frei bekommen und dann mit den Materialschuten zurückfahren.«
Asmus drehte sich um. Einfache kleine Holzhütten, in denen die Männer wahrscheinlich zu sechst oder zu acht hausten. Dagegen war nichts einzuwenden. Ungemütlich würden sie erst im Herbst werden, aber da würden die Arbeiten vermutlich sowieso eingestellt werden.
In der Nähe der Hütten fand eine Gruppe von Männern seine Aufmerksamkeit, die mit den Händen auf dem Rücken jemandem zu lauschen schienen. Eine Versammlung offenbar. Oder eine Predigt? Jedenfalls stand ein Mann auf einer Öltonne und sprach zu seinen Zuhörern. Asmus fiel zunächst nur seine Kappe auf, die sich durch ihre rundliche Form von den üblichen Schirmmützen unterschied.
»Schon wieder einer von denen! Komm, lass uns woanders hingehen«, schlug Ose vor und zog an Asmus’ Ärmel, um ihn in eine andere Richtung zu lenken. »Immer müssen sie hetzen. Dabei geht es ihnen gar nicht um Verbesserungen für die Arbeiter, sondern um Wählerstimmen.«
»Nein, warte! Die Stimme kenne ich doch«, widersprach Asmus. Er schüttelte Oses Arm ab und näherte sich der Gruppe.
Ose, die ihm folgte, raunte ihm zu: »Einer der kommunistischen Agitatoren. Sie kommen regelmäßig, um die Arbeiter aufzuwiegeln. Die streiken dann von Zeit zu Zeit, und wieder geht es nicht vorwärts.«
»Aber das wäre doch in eurem Sinne.«
»Nein. So nicht.« Ose schüttelte den Kopf, dass der eine dicke Zopf, den sie heute lose trug, von einer Schulter auf die andere sprang.
Asmus, der inzwischen den Tschako unter seiner von innen nach außen gewendeten Jacke versteckt hatte, schlenderte zu den Männern und schlängelte sich in die letzte Reihe der Zuhörer. Das Grün seiner Uniform fiel hoffentlich nicht zu sehr zwischen den Blaumännern oder den grauen Kitteln der Arbeiter auf.
Er biss sich auf die Unterlippe, als er erkannte, wer da von der Tonne herunter sprach: Sinkwitz.
»Die klassenlose Gesellschaft ist unser Ziel«, brüllte Sinkwitz und streckte seine geballten Fäuste in die Höhe. »Ihr knechtet für Kapitalisten, die sich in dem Geld baden, das ihr verdient! Bei diesem Dammbau gehen euch die Kälte und die Nässe auf die Lungen, ihr endet mit Schwindsucht, oder ihr holt euch Verletzungen und Gicht, die euch arbeitsunfähig machen, ihr ertrinkt, werdet vom Blitz erschlagen und anderes mehr. Das wollen wir ändern! Und ihr habt die Wahl im Mai des nächsten Jahres! Ihr wisst, was ich meine!«
Das war es, wovon Matthiesen gesprochen hatte: Sinkwitz betätigte sich bei den Arbeitern am Damm als sozialistischer Agitator, wenn man seine Rede genau analysierte, vielleicht auch als kommunistischer. Dies war, soweit Asmus es beurteilen konnte, mit seinem Amt als Chef der Schutzpolizei nicht vereinbar. Aber möglicherweise verstand Sinkwitz auf dem Grat zwischen Erlaubtem und Nichterlaubtem zu balancieren, ohne in die Falle zu gehen.
»Na, du Sylter Naturhure, auch wieder unterwegs, um Ärger zu machen?«, vernahm Asmus plötzlich eine Stimme. Er wandte sich um. Ein drahtiger kleiner Kerl hatte seinen Kopf zwischen ihn und Ose gezwängt und wartete mit gebleckten Zähnen auf ihre Reaktion. Sie wirkte zu Stein erstarrt.
»Nehmen Sie die Beleidigung zurück, oder ich zeige Sie an«, erklärte Asmus wütend und setzte seinen Tschako auf. »Ich nehme Sie auch gerne gleich mit ins Revier, wo Sie Ihre Aussage machen können.«
»Dazu haben Sie kein Recht«, stammelte der Kerl, überrascht durch den Anblick der Polizeiuniform. »Fragen Sie nur den Genossen Sinkwitz. Eine Person wie dieses Weib hat hier nichts zu suchen. Die will Sabotage üben!«
Genosse! Auch dieser unflätige Kerl war Kommunist. Vor einigen Wochen erst hatten diese Leute im Rheinland für Ausschreitungen und Plünderungen gesorgt. Gott behüte, dass sie jetzt auch hier einen Aufruhr anzettelten. »Unsinn! Zu dieser Baustelle haben behördliche Mitarbeiter der Insel Sylt und ihre Begleiter jederzeit Zugang! Das weiß selbstverständlich auch Hauptwachtmeister Sinkwitz. Hingegen vermute ich, dass Sie sich auf dieser Baustelle illegal aufhalten. Oder arbeiten Sie etwa hier?«
Dem Genossen liefen Schweißtropfen an den Schläfen entlang und versickerten in einem grauen Halstuch. Sein Blaumann war sauber und sah eher nach Verkleidung als nach Schutzkleidung aus. Im Augenblick war er ein in Bedrängnis geratener Komplize des obersten Kommunisten der Insel. Er schwieg.
»Sind Sie vom Festland?«, fragte Asmus scharf.
»Aus Flensburg.«
»Dann rate ich Ihnen, so schnell wie möglich dorthin zurückzufahren. Leute wie Sie brauchen wir hier nicht. Wie heißen Sie?«
»Ferdinand Schröder.«
»Und als was arbeiten Sie?«
»Werftarbeiter.«
»Nun gut. Ich werde Herrn Sinkwitz über einen Ferdinand Schröder informieren, der sich hier illegal agitatorisch betätigte. Ich werde darauf bestehen, dass Ihnen verboten wird, die Insel in Zukunft zu betreten. Wenn wir das im Tagesprotokoll festhalten, wird auch Herr Sinkwitz Sie nicht mehr aus Parteifreundschaft schützen können.«
Der kleine Kerl warf Asmus einen feindseligen Blick zu und verschand. Asmus wurde abgelenkt, weil ihm auffiel, dass Sinkwitz seine Rede beendet hatte, von der Tonne heruntergesprungen war und inzwischen mit einem Mann in Arbeitskleidung tuschelte.
Asmus hätte es nicht gekümmert, wenn der unbekannte Kerl nicht seine volle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hätte. Ein Kerl wie ein Schrank, er glotzte zu Asmus herüber, nickte und schüttelte nach einer Weile den Kopf. Aus der Ferne sah es aus, als empfange er Befehle von Sinkwitz.
»Du hast mir ja gar nicht gesagt, dass der Agitator mein eigener Chef ist. Kennst du zufällig den Mann neben Sinkwitz?«, raunte Asmus in Oses Ohr.
»Sicher. Jörn Frees, ein dorfbekannter Taugenichts, der in Keitum wohnt. Er schlägt sich so durch als Tagelöhner oder treibt sich herum, wenn er keinen findet, der Verwendung für ihn hat. Aber seitdem es die Baustelle gibt, arbeitet er manchmal hier. Warum interessiert er dich?«
»Ich weiß es nicht. Ein Gefühl. Sie reden über uns. Die Frage ist, meinen sie dich oder mich? Oder uns als Gespann?«
»Komm, lass uns gehen, wenn du genug gesehen hast. Mir ist nie wohl, wenn ich hier bin.«
»Ose! Wie kam denn dieser Flensburger Drahthaarterrier dazu, dich in solcher Weise zu beleidigen?«, fiel Asmus ein und ließ auf sich beruhen, dass sie seine Fragen nicht beantworten wollte.
Ose winkte ab. »Solche Häme schütten sie über uns alle aus, die sich um die Natur kümmern. Natürlich nur, wenn man nicht in Begleitung eines Polizisten ist. Unsere Gruppe ist ja bekannt. Selbst den alten Herrn Avenarius attackieren sie als Spinner. Sie kennen unsere Vorbehalte gegen den Damm und glauben, wer das Kliff gerettet hat, schafft es auch, den Bau des Damms zu verhindern, wenn er will. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze – es ist schließlich ein riesiges Bauvorhaben. Und wer ist in diesen Zeiten nicht dankbar für Arbeit und Lohn?«
»Aber ihr wollt den Dammbau gar nicht verhindern.«
»Wir können es nicht. Wir sind einzelne Leute ohne jede Macht – ausgenommen ein wenig den Herrn Avenarius – und treten an gegen den geballten Willen des preußischen Staates und der Interessenten. Außer den Kaufleuten und Hoteliers der Insel sind da noch die Geldgeber aus ganz Deutschland, die wir nicht einmal kennen. Wir wissen aber, dass Musikhallen, Bäder und Kurhäuser in Planung sind, die viel Geld bringen werden. Mit Landschulheimen für die Kinderverschickung ködern sie die Orte, die keinen so guten Strand haben. Und so weiter.«
»Und diese ganzen Bauvorhaben werden viel einfacher und preiswerter zu bewerkstelligen sein, wenn der Wattenmeer-Damm erst einmal fertig ist«, verstand Asmus.
»Ja, eben.«
»Ich habe schon von den Befürchtungen der Fischer und Bauern gehört«, sagte Asmus bedrückt.
»Recht haben sie. Bei den Fischern steht sogar ihr ganzes Gewerbe auf dem Spiel. Dagegen scheinen unsere Ängste als Naturschützer verschwindend gering zu sein. Wir fürchten, dass über den Damm Raubtiere einwandern, die wir hier bisher nicht haben: Füchse, Dachse, Marder … Für sie werden die Bodenbrüter unter den Vögeln das reinste Schlaraffenland darstellen. Insgesamt wird unser schönes Sylt ganz schnell eine andere Insel werden. Es wird ein Leben vor dem Dammbau gegeben haben und eins nach dem Dammbau geben.«
»Alles in allem erwächst in mir starker Zweifel, ob der Damm für Sylt wirklich gut ist«, stellte Asmus fest.
»Ja. Aber damit gehörst du zu einer Minderheit. Viele wollen sich Sylt zur Beute machen, und der Rest interessiert sich nicht für die Entwicklung, die man so leicht erkennen kann. Lass uns jetzt zurückgehen, bevor mich wieder die Wut packt.«
Asmus sah Ose lächelnd an. Mit vor Zorn geröteten Wangen sah sie besonders hübsch aus.
Nachdem sie sich für den nächsten Tag verabredet hatten, knatterte Asmus auf seinem Motorrad nach Munkmarsch zurück. Seltsam, dieses Tuscheln mit einem Einheimischen, sobald einer seiner Vorgesetzten ihn, Asmus, in unerwarteter Umgebung oder Begleitung zu Gesicht bekam. In diesem Fall war es wahrscheinlich Sinkwitz, der missbilligte, dass Asmus zu den Naturschützern gefunden hatte. Aber was hatte dieser Jörn Frees damit zu tun?
Gerade als Asmus sein Motorrad im Schuppen von Bahnsen abgestellt hatte, begegnete ihm der Werftbesitzer selbst, mit einer Miene, die mit jedem Tag sorgenvoller zu werden schien.
Nun, so ging es ihm selbst. »Moin, moin, Hans Christian«, meinte Asmus nachdenklich, »als ich dich neulich bat, Mart nach einem Fremden im Hafengebiet zu fragen, hast du die Frage so weitergegeben?«
»Genau so.«
»Mir ist inzwischen eingefallen, dass der Attentäter natürlich hier im Hafen gar nicht fremd oder unbekannt sein muss.«
Bahnsen nickte.
»Außerdem habe ich allmählich erkannt, wie viele Gruppen mit unterschiedlichen Interessen auf Sylt gegeneinander arbeiten.«
»Da hast du recht. Aber für Einigkeit ist es zu spät, den Dammbau stoppen wir nicht mehr.«
Darauf einzugehen erübrigte sich. »Ist dir ein Jörn Frees bekannt?«
»Sicher doch. Ist öfter hier. Er wohnt in Keitum. Manchmal wandert er am Ufer längs, um hier ein Schwätzchen mit irgendwem zu halten. Meistens ist Mart dazu aufgelegt. Gelegentlich arbeitet er. Ich will ihm nichts Böses nachsagen, aber er gilt als nicht sehr hell im Kopf und unzuverlässig.«
»Hat er für dich auch schon einmal gearbeitet?«
»Ja, aber sehr selten. Dann muss hier schon Not am Mann sein. Beim Aufpallen von Booten ist er ganz nützlich, weil er Bärenkräfte hat.«
Es war offensichtlich dumm von ihm gewesen, den Werftattentäter unter Fremden zu suchen. Bei so vielen unterschiedlichen Interessensgemeinschaften auf der Insel in Zeiten allgemein steigender Not, aber mit der Aussicht auf einen Damm, der die finanziellen Nöte vieler mit einem Schlag beseitigen konnte, schien es logisch, dass die Tat im weitesten Sinne etwas mit dem Bau zu tun hatte und der Täter von der Insel stammte.
Am nächsten Morgen fuhren Asmus und Ose zu den Dünen bei List. Als Erstes zeigte er ihr den Schuppen, in dem der Schnaps eingelagert gewesen war. Aber über den Schmuggel von List aus wusste Ose nichts, sie konnte nur teilnahmsvoll nicken. Asmus erzählte ihr von der befremdlichen Reaktion der Dorfbewohner, als ein Mann vorbeiradelte.
Er grinste ihnen freundlich zu und winkte, dann war er schon fort und um die Ecke.
»Dann bist du an dem Morgen wohl nur einigen besonders schlecht gelaunten Leuten begegnet«, meinte Ose.
»Nein, es waren alle«, beharrte Asmus. »Ein allgemeines Verhalten, wie verabredet.«
»Ungewöhnlich. Allerdings ist die Schupo bei den meisten Leuten nicht sonderlich gut gelitten, mit Ausnahme von Lorns Matthiesen natürlich. Aber der kann nicht anders, als seine Vorgesetzten ihm vorgeben.«
»Nun, ja«, meinte Asmus zögernd. Er war anderer Ansicht. »Der Radler eben hat natürlich dich gemeint. Vielleicht verspricht er sich etwas vom Schutz der Dünen, hofft auf Leute, die mal gucken kommen, eben weil sie als etwas Besonderes ausgewiesen sind. Denen kann er ja Saft verkaufen.«
»Unsinn, Asmus! Das weißt du selbst. Aber ich krieg das raus.«
Asmus schmunzelte. Ose war eine unerschrockene junge Frau, die tatkräftig ihr jeweils nächstes Ziel ins Auge fasste.
Das Ziel kam schon in Sicht. »Bleib hier stehen«, raunte Ose Asmus zu. »Da kommt eine meiner Basen um drei Ecken.«
Ose lief hin und umarmte ihre Verwandte herzlich. Obwohl diese das Wort Naturschutz nie in den Mund genommen hätte, trug sie ihr Herz auf dem rechten Fleck. »Moin, Swaantje. Geht’s dir gut?«
»Moin, meine Kleine. Doch, so gut es eben möglich ist in diesen Zeiten. Meine Hühner legen wenigstens ordentlich.«
»Federvieh ist vernünftiger als manche Menschen.« Ose grinste. »Warum habt ihr Lister den Herrn Asmus denn so abweisend behandelt?«
»Hat er sich beklagt? Du weißt selbst, wie es ist. Wie der Herr, so’s Gescherr, sagen sie woanders, hab ich mal gehört, und da haben sie recht. Seitdem der Stinkwitz die Wache leitet, machen die Polizisten uns eigentlich nur Verdruss. Außer Lorns. Als der Asmus die Schmuggelware beschlagnahmt hat, konnte niemand sich das erklären. Aber wir dachten immer noch, dass er trotzdem die Befehle seines Vorgesetzten befolgt und dass wir neue Ärgernisse zu erwarten haben.«
»Und jetzt?«
»Jetzt wissen wir, dass er sie eben nicht befolgt. Er scheint ein ganz ordentlicher Mensch zu sein. Wir hoffen sogar, dass er aufklärt, warum am Westerländer Strand ein Däne zu Tode gekommen ist. Außerdem ist er sich nicht zu schade, Platt zu sprechen. Er ist das Gegenteil von Stinkwitz.«
»Das will ich meinen«, bestätigte Ose lachend und rannte zu Asmus zurück.
Asmus sah Ose neugierig entgegen.
»Alles geklärt«, behauptete sie forsch. »Wir können fahren.«
»Was denn überhaupt?«
»Warum die Leute garstig zu dir waren. Wegen deines Chefs. Sie dachten, du bist wie er. Aber allein, dass du Platt mit ihnen sprichst, unterscheidet dich grundlegend von Stinkwitz.«
»Sinkwitz«, verbesserte Asmus, der glaubte, dass es sich um ein Versehen handelte. »Und wieso kann er kein Platt? Er ist doch hier geboren.«
»Schon seine eingewanderten Großeltern sollen sich geweigert haben, Platt zu lernen. Und die Eltern dünken sich für die Sprache des Volkes zu gut. In Westerland findest du viele von dieser hochnäsigen Sorte, Ladenbesitzer, Hoteliers …«
»Er ist also unbeliebt.«
»Und wie! Jung übrigens auch. Er ist einer von den ganz Angepassten. Den hat Stinkwitz selber eingestellt. Da war es nur logisch, dass du von der gleichen Sorte sein musstest.«
»War es wohl. Allerdings wurde ich hierher zwangsversetzt. Vorher degradiert.«
»Du Ärmster.« Ose machte ein so teilnahmsvolles Gesicht, dass es Asmus ärgerte. Er hatte es nicht auf Mitleid angelegt.
»Geht schon«, knurrte er.
»Übrigens fällt mir eben noch etwas ein. Meine Dreieckenbase erwähnte einen Dänen, der in Westerland zu Tode gekommen ist. Ich vergaß zu fragen, was sie damit meinte, aber jedenfalls, dass du dem nachgehst.«
»Schon gut«, sagte Asmus grimmig. »Ich weiß es.« Dieser Fall schien ihn irgendwie einzuholen. Aber er war abgeschlossen, und deshalb konnte er ihn nicht aufgreifen. Das stellten sich die Leute zu einfach vor.
»Gut, dann werde ich dich jetzt in die Welt des Dünenkliffs, die Braune Düne, die Graue Düne und die Weiße Düne, die eine Wanderdüne ist, einführen. Außerdem wirst du Parabeldünen, Ausblasungsmulden und Heidetäler kennenlernen und dazu den einzigartigen Pflanzenbewuchs, die Vogelwelt und das Wunder der zahllosen Insekten. Und schließlich mein Lieblingstier: die Kreuzkröte.«
»Für sie werde ich mich besonders interessieren«, versprach Asmus, ehe er so richtig gemerkt hatte, was er da sagte. Mit rotem Kopf gab er Vollgas und hoffte, dass Ose auf seinen Nacken nicht achten würde.