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Im Gedränge am Ausgang des Rüsselkäfers schob sich Asmus hinter dem Knickerbockermann her, der einen anderen Besucher untergehakt hatte und mit ihm vertraulich flüsterte. Wahrscheinlich war er derjenige, dem er zugeklatscht hatte.
Der von den illegalen Häusern in den Naturschutzgebieten gesprochen hatte. Was wusste er darüber? Asmus spitzte die Ohren. Am Klang erkannte er den Einheimischen, aber er konnte sich natürlich nicht zwischen sie drängen.
Er merkte sich das Äußere des Mannes, soweit er es von hinten erkennen konnte. Vielleicht wusste Ose Rat, wenn er ihn beschrieb: ein Kopf kleiner als er selbst, trotz seiner Jugend schütteres aschblondes Haar, etwas länger als üblich, aber modisch akkurat gescheitelt, gekleidet in eine lässig sitzende weiße Hose, darüber ein Pullover mit Rautenmuster. Das zur Hose gehörende Jackett baumelte ihm am Daumen über der Schulter.
Eine Bewegung rechts von Asmus lenkte ihn ab. Ferdinand Schröder, der offenbar Asmus gerade entdeckt hatte, versuchte sich aus der Umklammerung der lebhaft diskutierenden Gruppen zu befreien. Seinen kräftigen Pranken konnte niemand standhalten.
In die Lücke, die dadurch entstand, preschte Asmus, vorbei an dem Nazi mit der Armbinde, dessen aufmerksam hin- und herfliegende Blicke er wahrnahm, und packte Schröder am Arm. »Was machen Sie hier?«, herrschte er ihn an. »Habe ich Ihnen nicht Inselverbot erteilt?«
»Ich bin privat hier«, zischte Schröder zurück. »Sie auch?«
Allerdings. Verhaften konnte er ihn nicht. »Wo übernachten Sie?«
»Das geht Sie nichts an. Privat eben.«
»Waren Sie gestern und vorgestern schon auf der Insel?«
Schröder zuckte die Achseln.
»Die Auskunft reicht mir nicht.«
»Mir egal. Ich habe mich bei Herrn Sinkwitz höchstpersönlich erkundigt. Meine Partei ist in Preußen nicht verboten, und Ihr Inselverbot ist Quatsch.«
»Die Proletarischen Hundertschaften unter kommunistischer Führung wurden bereits verboten«, unterbrach Asmus ihn.
»Sehe ich aus wie eine Hundertschaft? Sinkwitz bestätigt mir, dass ich herumlaufen darf, wo ich will. Dies ist ein freies Land, und gegen mich liegt keine Anzeige vor. Auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister.«
Asmus ließ ihn wohl oder übel gehen, obwohl er sich bereits gefragt hatte, ob Schröder mit dem Anschlag auf der Werft zu tun haben könnte. Mehrfach dort gesehen worden war er ja, und eine passende Ausrede wäre immer gewesen, dass er sich wegen des Fährplans hätte erkundigen wollen.
Schröder marschierte unbeeindruckt mit schwingenden Armen davon. Dieser kaltschnäuzige Widerling hatte sich gut geschlagen, was sein Recht betraf. Aber dass er sich ausgerechnet von höchster Stelle Schützenhilfe geholt hatte, ärgerte Asmus ganz gehörig. Sinkwitz hätte durchaus eine Formulierung finden können, die Schröder etwas vorsichtiger gemacht hätte. Als Asmus sich nach Böhrnsen umsah, der solches Interesse für Schröder gezeigt hatte, war der verschwunden.
Dafür entdeckte er Müller, Jacobsen und Bauer, die soeben in einen offenen Wagen mit Chauffeur einstiegen und abfuhren.
Wo er nun schon in Westerland war, machte sich Asmus zu Fuß zur Wache auf. Es wurde spät, bis er ankam, und ausnahmsweise war Sinkwitz anwesend. Er schrieb in ein Heft. »Moin, moin. Sind alle dienstlich unterwegs?«, fragte Asmus erstaunt.
»Nein, im Gegenteil. Es ist außergewöhnlich ruhig, sie haben alle Feierabend.«
»Dann konzentrieren sich die Bösewichte der Insel wohl hauptsächlich auf Munkmarsch.«
Sinkwitz sah auf. »Wieso?«
»Der Mord in der Werft. Heute zerschnittene Reifen an meinem Motorrad.«
»Unfall in der Werft, meinen Sie wohl. Ein Bolzen im Hinterkopf. Ich habe mich im Krankenhaus erkundigt. Und dass jemand etwas gegen Polizisten und dessen Fahrzeug hat, ist normal«, entgegnete Sinkwitz gleichmütig.
Es war zwecklos, ihn zu fragen, ob die Kollegen in Husum Bescheid erhalten hatten. »Kennen Sie zufällig einen Ferdinand Schröder?«
»Ja, sicher. Ein Parteigenosse aus Flensburg. Sie wissen inzwischen sicher, dass ich der KPD angehöre.«
»Ja. Ich habe ihm wegen Agitation Inselverbot erteilt.«
»Das können Sie gar nicht.«
»Er benahm sich in meinem Beisein unflätig einer Frau gegenüber. Es sollte ein kleiner Schuss vor den Bug sein. Ich hätte ihn auch anzeigen können.«
»Dann machen Sie das das nächste Mal. Ich bin der Überzeugung, dass er sehr willig mitgeht.« Sinkwitz grinste hinterhältig.
»Wieso sollte er?«
»Eine erwiesenermaßen falsche Anschuldigung würde sich in Ihrer Personalakte nicht sehr gut machen. Das weiß einer wie Schröder, auf dem Feld ist er Spezialist. Unter anderem hat er gegen das schwachsinnige Betriebsrätegesetz gekämpft. Er war bei der Protestversammlung neunzehnhundertzwanzig vor dem Reichstagsgebäude dabei. Zweiundvierzig Tote unter unseren Genossen.«
»Soviel ich weiß, schossen die Demonstranten als erste auf die Sicherheitspolizisten, die die Abgeordneten schützen sollten«, erinnerte sich Asmus. »Etliche von ihnen waren schon an mehreren Stellen in der Stadt von aufgehetzten Protestierern entwaffnet und misshandelt worden.«
Sinkwitz schwieg. Asmus fand es verstörend, dass sein Vorgesetzter in erster Linie Kommunist und dann in zweiter Polizist war. Seiner Ansicht nach war die politische Einstellung Privatsache.
»Die Probleme des einfachen Volkes und die Lebensgefahr, in die Arbeiter schnell mal geraten können, gehen an Ihrer vornehmen Familie wahrscheinlich sowieso vorbei«, murmelte Sinkwitz in Gedanken versunken.
Asmus verzichtete auf die Erwiderung, dass mit der russischen Räterepublik, der von Sinkwitz ersehnten Staatsform, und der Machtübernahme durch die Bolschewiken als Erstes Hunderttausende politische Feinde, Gegner oder einfach nur widerspenstige Menschen ermordet worden waren. Ihm selber schien deshalb die größere Gefahr bei den Fanatikern zu liegen, die ihre Ideologie durchsetzen wollten. Aber eines war sicher: Sinkwitz und er würden sich bei dem Thema Kommunismus nicht einigen können.
»Sie scheinen Schröder sehr gut zu kennen«, mutmaßte er.
»Das will ich meinen. Wir sind seit langem befreundet.«
Dieses Bekenntnis verschlug Asmus die Sprache. Ohne es zu beabsichtigen, war er Sinkwitz gewaltig auf die Füße getreten. Nicht unwahrscheinlich, dass Schröder sogar bei ihm logierte. Das sollte er aber herausbekommen können.
»Übrigens, Wachtmeister Asmus!«
Der scharfe Ton, den Sinkwitz anschlug, unterbrach Asmus in seinen Überlegungen und alarmierte ihn.
»Gegen Sie ist Anzeige erstattet worden. Wegen Diebstahls von Möweneiern. Oder sind Sie inzwischen jagdberechtigt?«
Die Erbitterung blieb Asmus fast im Halse stecken. »Nein. Ich hatte Hunger.«
»Gewiss. Solche Ausreden hören wir häufig von Beschuldigten, wie Sie selbst wissen«, erwiderte Sinkwitz höflich mit einem eher fühlbaren als hörbaren Unterton von Überheblichkeit.
»Es waren übrigens keine Möweneier, sondern Eier von Brandgänsen. Die stehen nicht unter Schutz.«
»Können Sie das beweisen?«
»Nein, aber der, der mich anzeigte, auch nicht. Wer war das?«
»Das ist mir entfallen. Sie können sich den Namen aus den Anzeigen der letzten Wochen ja heraussuchen.«
»Ja. Jetzt gleich?«
»Irgendwann. Es ist zu unwichtig.«
»Aha. Und was passiert jetzt?«
Sinkwitz zuckte die Schultern. »Nichts. Auf Sylt gibt es in fast jedem Haus eine Flinte, jagdberechtigt sind die meisten.«
Das stimmte. Wenn Asmus dienstlich im Gelände unterwegs war, hörte er meistens Schüsse. Die Jäger von Kaninchen und Möwen, auf den Sandbänken auch von Seehunden, ließen sich natürlich nicht sehen, da keine Jagdzeit war. Und Eierdiebe hatte er nie angezeigt, sondern war in eine andere Richtung gegangen. Ärgerlich war lediglich, dass sich Kurgäste aus reinem Beutetrieb beteiligten und aus der Ferne nicht immer von den Einheimischen unterschieden werden konnten.
»Sie sind also Jagdberechtigter, wenn jemand fragt«, versetzte Sinkwitz und entließ Asmus in die beginnende Dämmerung.
Es war schon dunkel, als er auf sein Boot stieg.
Als Asmus am nächsten Morgen Ose abholte, regnete es. Ein scharfer Südwestwind trieb das Wasser in Schlieren über seine Motorradbrille. Ose klammerte sich geduckt an seinen Rücken. Sie würden binnen kurzem durchnässt sein. So konnte er nicht weiterfahren.
Der Mai und der Juni waren schon viel zu kalt gewesen, und das schien sich fortzusetzen. Jetzt in den ersten Julitagen war es herbstlich unwirtlich.
»Ose!«, schrie Asmus über seine Schulter nach hinten. »Ich schlage vor, wir setzen uns in ein Café, bis der Schauer vorbei ist.«
»Ja, gut! Dann am besten ins Kurhaus in Westerland«, rief sie ihm ins Ohr.
Eine Viertelstunde später stiegen sie mit eingezogenen Köpfen tropfnass die Stufen zum Kurhaus hoch, deren Markisen heute eingerollt waren. Das gemütliche kleine Café war bis zum letzten Platz besetzt. Viele Kur- und Badegäste hatten die gleiche Idee wie sie gehabt. Asmus verstand jetzt Müllers Forderung nach mehr Cafés.
Später, als sie sich endlich bei Törtchen und Tee aufgewärmt hatten, fiel Asmus auf, dass ihre auf Heide und Düne ausgerichtete Kleidung nicht gerade hierher passte. Der sportlichste Aufzug bei den Männern waren modische Knickerbockerhosen, die vermutlich sogar original aus England stammten. Ihm fiel sein Nachbar von der Parteiversammlung ein, wobei ihn vor allem dessen Bekannter interessierte.
Asmus beugte sich zu Ose hinüber. »Kennst du zwei junge Männer, Freunde wohl, von denen der eine vermutlich ein Bayer ist, der andere einheimisch, aber gekleidet wie ein Großstädter in weißem Anzug. Der machte eine sehr spitze Bemerkung über die illegal gebauten Sommerhäuser von reichen Fremden in den Gebieten, die wir heute unter Schutz stellen. Er erwähnte auch Pläne für Hörnum. Der muss von hier sein.«
Ose runzelte die Stirn und dachte nach. »Es könnte sein, dass ich weiß, wen du beschreibst. Möglicherweise handelt es sich um Cord Sibbersen, der Sylt verließ, um in München zu studieren. Er hatte wegen des Ausverkaufs der Insel an Fremde, wie er sagte, anfänglich großen Krach mit seinem Vater, einem Kaufmann, und in der Folge mit der gesamten Kaufmannschaft. Schließlich schickte man ihn fort. Ich wusste gar nicht, dass er zurück ist.«
»Er bekam auf seine Frage keine Antwort von den Parteimitgliedern.«
»Nein, natürlich nicht. Wenn er der ist, den ich meine. Das Sticheln gehörte zu seiner Natur, nur umsetzen konnte er seine Ideen nie. Er war kein Macher, aber seine Worte wirkten immer. Er brachte es fertig, Umzüge von Gleichgesinnten zu organisieren und einen Aufruhr zu veranstalten. Ich werde meinen Vater fragen, ob er noch etwas über Cord weiß. Ich war zu jung damals.«
»Dann wäre er ja eigentlich genau das, was Parteien als Einpeitscher brauchen.«
»Ja, nur gibt es keine Partei, die seine Ideen umsetzen würde. Ich vermute, alle finden sie gefährlich. Ihn auch, denn er nennt die Männer beim Namen, die sich auf irgendeine Art an Sylt zu bereichern versuchen. Furchtlos, rücksichtslos, manchmal peinlich für die Angeschuldigten. Ihm ist es ganz gleich, welcher Partei sie angehören, und auch, ob sie große oder kleine Gewinne machen. Er gilt als unberechenbar. Er bringt es fertig, sich für Miesmuscheln einzusetzen.«
»Ja, das möchte ich aber doch hoffen«, rief Asmus mit strenger Stimme, und Ose schüttete sich so vor Lachen aus, dass einige Gäste herüberblickten.
Ihr blieb das Lachen im Halse stecken, als gleich darauf am Nachbartisch ein ernsthafter Streit mit dem Kellner ausbrach, der sehr laut seitens der Gäste wurde.
Ein Paar wollte drei Tassen Kaffee und zwei Stück Sahnetorte bezahlen. Die Dame weigerte sich, die Summe von 30 000, – Mark zu akzeptieren. »Siebenundzwanzigtausend«, beharrte sie. »So stand es auf der Karte, als wir uns setzten.«
»Tut mir leid, meine Dame«, entschuldigte sich der Kellner. »Dann hätten Sie die drei Tassen gleichzeitig bestellen müssen. Da Sie das aber nicht taten – zwischen Ihren Bestellungen ist der Kaffeepreis gestiegen.«
»Das ist doch nicht die Möglichkeit!«, schimpfte die Dame aufgebracht, blickte sich um und erhielt von einigen anderen Tischen Solidaritätsbekundungen.
»Das war vorgestern auch schon so, nur kostete die Tasse sechstausend.«
»Wir reisen morgen ab«, rief jemand anders. »Zum Glück ist die Rückreise bereits bezahlt. Und für dieses Wetter müsste man ja noch Zuzahlung bekommen! Das ist doch kein Sommer, was die hier haben!«
»Wir gehen!« Mehrere erboste Gäste winkten dem Kellner nachdrücklich, endlich mit der Rechnung zu kommen, bevor sie erhöht wurde.
»Ich kann auch nichts dafür«, murmelte dieser unglücklich und hastete von Tisch zu Tisch.
Ose rückte an Asmus heran. »Ich habe überhaupt nicht an die Preise gedacht«, flüsterte sie beklommen. »Nur an den eiskalten Regen beim Fahren und wie wir ihm entgehen könnten.«
»Ich auch nicht«, bekannte Asmus. Im Alltag hatte er sich daran gewöhnt, Geldausgaben zu vermeiden, aber mit Ose auf dem Soziussitz, die sich an ihn schmiegte und ihm eine atemberaubende Wärme durch den Rücken jagte, war ihm die Vorsicht abhanden gekommen.
»Wir legen zusammen, es wird schon reichen«, hauchte sie ihm ins Ohr.
»Arbeiter werden mittlerweile zweimal in der Woche ausbezahlt. Wir Beamten natürlich nicht.« Das war seine Art, ihr Angebot zu akzeptieren, falls es wirklich knapp werden würde, was er nicht hoffte. In seinen Kreisen war die finanzielle Beteiligung von Frauen an den Kosten einer Einladung eine Unmöglichkeit. Bei ihm hatte es nichts mit dem Festhalten überkommener Rollen wie in seiner Reederfamilie zu tun, sondern ausschließlich mit Höflichkeit. Immerhin war es seine Idee gewesen, derart dem Wetter auszuweichen. »Übrigens: Wer ist Rörd Jacobsen? Auch in der Parteiversammlung anwesend. Erste Reihe, teuer gekleidet, sehr zurückhaltend. Aber er schien anzunehmen, dass durchgeführt wird, was er vorschlägt. Ohne Diskussion.«
»Das wird es auch. Er führt ein Herrenausstattungsgeschäft mit Maßschneiderei.«
»In Westerland?«
»Oh ja. Natürlich sind seine Kunden hauptsächlich Gäste.«
Asmus ließ sich die Beschreibung durch den Kopf gehen. »Er dürfte also einer derjenigen sein, die am meisten durch den Damm profitieren werden. Mehr reiche Gäste und mehr begüterte Zuzügler, die hier schneidern lassen …«
»Wahrscheinlich.«
»Und der Herr Müller, der die Versammlung leitete?«
»… ist der Bürgermeister.«
Zu seinem Glück hatte Asmus ausreichend Geld bei sich. Erleichtert verließ er das Café. Die Muscheln hingen ihm zwar schon fast zum Hals heraus, aber sie würden ihn am Leben erhalten, zusammen mit verschiedenen Pflanzen der Salzwiesen, die als Gemüse verwendbar waren. Wenn er zur passenden Tide Freizeit hätte, würde er noch konsequenter als bisher Aale angeln. Auch die Buttschnur mit vierzig Haken hatte sich als sehr erfolgreich erwiesen. Ose würde er davon natürlich nichts erzählen, sie war strikt dagegen, im flachen Wasser ausgerechnet die Jungfische zu fangen. Aber was sollte er machen? Irgendwie musste er sich ja ernähren, übrigens wie die meisten Einheimischen auch. Unbebrütete Vogeleier gab es nicht mehr, die ersten Jungvögel schlüpften schon.
»Worüber denkst du nach?«, erkundigte sich Ose, als sie ins Freie traten, wo die Regenfront durch war und es nur noch von den Bäumen tropfte.
»Über leckere Muscheln.«
»Und warum grinst du dabei?«
»Einfach so. Ich freue mich meines Lebens.«
»Schön.«
»Kennst du eigentlich diesen Ferdinand Schröder näher?«
»Bestimmt nicht. Wenn ich ihn sehe, verschwinde ich lieber.«
»Ja, das kann ich verstehen. Er scheint mit meinem Chef befreundet zu sein.« Asmus schüttelte, immer noch verständnislos, den Kopf.
»Eben. Der oberste Polizist, der sich mit so einem Unflat, in meinen Augen ein Ganove, zusammentut …«
»Es stimmt also?«
»Ja, sicher. Das ist bekannt.«
»Warum hast du es mir nicht erzählt?«
»Ich wollte dich nicht beeinflussen. Es ist besser, dass du dir deine eigene Meinung bildest.«
Ose hatte recht. Trotzdem wäre ihm lieber gewesen, dass sie ihn gewarnt hätte.
»Ist der oft hier?«
»Ich glaube. Man sieht ihn häufig auf der Insel, wenn das letzte Schiff schon abgelegt hat. Er streift allein in den Dörfern umher und besucht alle Versammlungen, die sich ihm bieten, ob es politische sind oder Zusammenkünfte von Fischern oder Kaufleuten. Soviel ich weiß, war er auch einmal bei einer Elternversammlung in der Schule von Westerland. Er mischt sich nicht ein, natürlich nicht, er lauscht nur. Vater hat ihn einmal aus der Klinik geworfen. Er muss jemanden haben, der ihn schützt und beherbergt. Ich glaube, das ist der Stinkwitz.«
Asmus verzog die Lippen. Da hatte er die Antwort auf seinen Verdacht. »Wieso Klinik?«
»Mein Vater ist dort Arzt. Schröder konnte keinen Patienten angeben, den er besuchte. Der, den er dem Pförtner nannte, war eine Woche zuvor entlassen worden. Darauf rief der Mann meinen Vater.«
»Sehr aufmerksam. Schröder nimmt also vor allem Witterung über die Stimmung in verschiedenen Gesellschaftsschichten auf?«
»Ich glaube, so könnte man es beschreiben.«
»Ist er auch gewalttätig?«
»Das glaube ich nicht, schon von seiner Statur her nicht. Er arbeitet mit dem Kopf.«
Ganz überzeugt war Asmus nicht. »Ein merkwürdiger Kerl. Das sieht nach langfristiger Planung aus.«
»Ja. Aber was planen sie?«
»Hoffentlich keinen Aufstand oder Ähnliches. Die Meldungen, dass die Kommunisten für Unruhe sorgen, kommen mittlerweile aus allen Ecken Deutschlands.«
»Ich habe es gelesen.«
»Übrigens war bei der Versammlung gestern auch ein Parteimitglied der NSDAP anwesend. Trotz Verbot.«
»Ja, wir Sylter sind anders als die übrigen Deutschen.«
Diese Behauptung, die er schon gehört hatte und in der auch Stolz durchklang, brachte Asmus zum Schmunzeln. Seine gute Laune verschwand auch nicht, als er auf der Heimfahrt feststellte, dass der Starkwind dabei war, zum Sturm aufzufrischen und der Regen keineswegs nachgelassen hatte.
In der Nacht gab es für Asmus keinen Grund mehr zum Schmunzeln. Der Sturm riss und ruckte an seinen Festmachern. Er lag mittlerweile längsseits an einer älteren Pier und hatte am Abend zur Sicherheit noch zwei Springs ausgebracht. Trotzdem schälte er sich aus seinem Schlafsack und öffnete das Luk im Bug einen Spalt, um hinauszusehen.
Es war Vollmond, aber schnell ziehende Wolkenbänder verdunkelten ihn alle paar Sekunden, und Asmus brauchte einige Zeit, um seine Augen auf die wechselnden Lichtverhältnisse einzustellen.
Das Fenderbrett hatte sich verschoben, einer der Fender rutschte nutzlos am Waschbord hin und her. Asmus hievte sich an Deck, tappte an die Reling und korrigierte den Sitz von Brett und Fender.
Als er sich aufrichtete, sah er im wandernden Mondlicht für einen kurzen Augenblick den Rücken eines Menschen, der hinter der Ecke eines Schuppens von Bahnsen verschwand. Eines breitschultrigen Mannes, korrigierte er sich selbst, es handelte sich um einen Mann.
Was hatte der gewollt? Eine weitere Schurkentat begehen?
Asmus blieb stehen und lauschte. Aber über den vielfältigen Geräuschen, die der Sturm machte, konnte er nichts hören, etwa ein Motorrad. Während er von oben noch nach seiner stets in Griffweite befindlichen Kleidung einschließlich der Gummistiefel angelte und sich hastig anzog, überlegte er, wer der nächtliche Besucher sein konnte.
Er tippte auf einen von außerhalb. Bahnsen wäre auf einem Kontrollgang bei ihm längsgekommen. Auch Jon hätte keinen Grund gehabt, sich zu verstecken.
Dann sprang er an Land, umrundete jedes Gebäude und jedes Boot der Werft sowie das Fährhaus. Aber der Besucher war spurlos verschwunden. Anzeichen für einen Schurkenstreich wie etwa einen Brandanschlag konnte er nicht finden.
Schließlich fröstelte ihn trotz der langen Winterunterhose. Er stapfte zurück zum Boot und kroch wieder in den Schlafsack, der mittlerweile ausgekühlt war.