172582.fb2 Der Tote am Steinkreuz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 21

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Kapitel 20

Die Festhalle schien überfüllt. Cron hatte in ihrem Amtssessel Platz genommen. Fidelma hatte sie darum ersucht, denn es war ihr Recht als Tanist. Sie trug auch ihren bunten Mantel und die Wildlederhandschuhe ihres Amtes. Neben ihr saß ihre Mutter und starrte hochmütig in den Raum, als ginge sie alles ringsumher nichts an. Auf einem Sitz etwas seitlich unterhalb des Podiums lag Bruder Eadulf zurückgelehnt, noch blaß und mit Ringen um den Augen. Ein wenig besser ging es ihm offenbar schon, denn trotz aller Proteste Fidelmas hatte er sein Krankenbett verlassen. Neben ihm hatte der stämmige Duban Platz genommen, vorgebeugt saß er da mit den Unterarmen auf den Knien. In der Mitte der Halle hatten sich Archü und Scoth niedergelassen, neben ihnen der Einsiedler Gadra mit Moen. Gadra lehnte sich zu Moen hin und übersetzte ihm das Geschehen. Seine Finger trommelten auf die erhobene Handfläche des jungen Mannes. Agdae rutschte unruhig auf einer Bank auf der anderen Seite der Halle neben Pater Gorman hin und her. Im Hintergrund der Halle saß die »Frau mit Geheimnissen«, Clidna, ganz allein, doch mit erhobenem Kopf, als erwarte sie, daß ihr jemand das Recht streitig machen würde, anwesend zu sein. Einige Stühle weiter hatte sich das Dienstmädchen Grella niedergelassen. Duban hatte mehrere seiner Männer an den Türen der Halle postiert.

Fidelma stellte sich links von Cron unterhalb des Podiums auf.

»Es sieht so aus, als seien alle da«, bemerkte sie.

»Bist du bereit anzufangen?« fragte Cron.

Agdae rief von seinem Platz aus: »Aber Menma ist noch nicht hier. Sollte er nicht auch dabeisein? Schließlich hat er Ebers Leiche entdeckt und Moen als seinen Mörder erkannt.«

Cron schien beunruhigt.

»Ich habe ihn gestern losgeschickt, damit er die Rinder auf der Weide zusammentreibt. Seltsam, daß er noch nicht wieder hier ist. Sollten wir nicht auf ihn warten?«

»Ich fürchte, da könnten wir lange warten, Tanist von Araglin«, meinte Fidelma. »Nein, wir fangen an, denn ich habe nicht damit gerechnet, daß Menma hier anwesend wäre.«

»Was soll das heißen? Beschuldigst du Menma ...?« setzte Cranat an und vergaß die Gleichgültigkeit, die sie zur Schau trug.

Fidelma hob die Hand.

»Alles zu seiner Zeit. Vincit qui patitur. Der Geduldige setzt sich durch.«

Erwartungsvolles Schweigen trat in der Halle ein, alle schauten gespannt auf Fidelmas schlanke, ruhige Gestalt. Sie betrachtete ihre erhobenen Gesichter und musterte eins nach dem anderen.

»Dies war eine der schwierigsten Untersuchungen, die ich je zu führen hatte«, begann sie. »Schwierig deshalb, weil man es normalerweise mit einem Mörder und einem Umfeld zu tun hat. In diesem eurem schönen Tal sah ich mich schließlich fünf gewaltsamen Todesfällen gegenüber, und zunächst schien es keinen Zusammenhang zwischen ihnen zu geben. Es hatte den Anschein, als passierten viele ganz verschiedene Dinge zur gleichen Zeit. Doch indem ich das zu Anfang annahm, irrte ich mich. Alles hängt zusammen und ist in der Mitte verbunden wie die Fäden eines riesigen Spinnennetzes. Alles läuft in einem Punkt zusammen, wo eine alles beherrschende Gestalt sitzt und die Fäden zieht.«

Sie hielt inne und ließ die Überraschung aufbranden und wieder verebben.

»Wo fangen wir an, dieses hauchdünne Netz von Täuschung zu zerreißen, in dem so viele Leben gefangen sind? Ich könnte im Zentrum beginnen und direkt auf die Spinne losgehen, die dort lauert. Damit aber ließe ich vielleicht der Spinne die Möglichkeit, auf einem Faden, der mir bisher entgangen ist, aus dem Netz zu flüchten. Deshalb werde ich am Rand beginnen und langsam, aber sicher die äußeren Fäden kappen, so daß die Spinne nicht mehr entrinnen kann.«

Cron beugte sich mit skeptischer Miene vor.

»Das klingt alles sehr poetisch, Schwester Fidelma. Kommst du mit deiner Rhetorik auch zur Sache?«

»Du kennst meine Methoden, Cron«, erwiderte Fidelma und musterte sie abschätzend, »und du hast gesagt, daß du sie zu würdigen weißt. Ich glaube nicht, daß ich mein Vorgehen rechtfertigen muß.«

Die Tanist errötete. Fidelma wandte sich wieder ihren Zuhörern zu.

»Fangen wir mit dem ersten Faden an. Das ist Mu-adnat vom Schwarzen Moor.«

»Was hat Muadnat mit dem Mord an meinem Gatten zu tun?« fragte Cranat mit schneidender Stimme. »Er war Ebers Freund und früher sein Tanist.«

»Mit Geduld macht man aus der Flachspflanze ein Leinenhemd«, antwortete Fidelma mit einer alten Volksweisheit, die zu den Lieblingssprüchen ihres Lehrers Morann von Tara gehört hatte. »Meine Beteiligung an dieser Angelegenheit begann tatsächlich mit Muadnat, deshalb ist es auch angebracht, mit ihm anzufangen. Muadnat kam vor einiger Zeit in den Besitz eines Goldbergwerks. Er fand es auf dem Land, das er seinem Vetter Archü abnehmen wollte.«

»Wo soll das sein?« fragte Archü überrascht. »Ich habe noch nie von einem Goldbergwerk im Schwarzen Moor gehört.«

»Es liegt auf der anderen Seite des Berges, auf Boden, den man nicht bebauen kann. Du hast ihn als Axtland bezeichnet. Ich muß dazu sagen, daß es wahrscheinlich nicht Muadnat war, der die Mine entdeckte, sondern ein Bergmann namens Morna. Er war der Bruder des Herbergswirts Bressal, dessen Herberge nicht weit von diesem Tal an dem Weg nach Westen liegt, der nach Lios Mhor und Cashel führt.«

»Meinst du die Herberge, in der wir übernachteten?« fragte Archü.

»Eben die«, bestätigte Fidelma. »Erinnert ihr euch, daß Bressal von seinem Bruder Morna sprach, der ihm einen Gesteinsbrocken gebracht hatte, von dem er behauptete, er werde ihn reich machen? Der stammte aus der Höhle auf deinem Land, in der man Gold gefunden hatte.«

»Das ist eine Lüge!« fuhr Agdae zornig dazwischen. »Muadnat hat mir gegenüber nie etwas von einem Goldbergwerk erwähnt. Ihr wißt alle, daß ich sein Neffe und sein Adoptivsohn bin.«

»Muadnat wollte die Mine geheimhalten«, sprach Fidelma unbeeindruckt weiter. »Sein Problem bestand darin, daß er einen Vetter hatte, der Anspruch auf das Land erhob. Dieser Vetter, nämlich Archü, beschloß, die Sache vor Gericht zu bringen. Muadnat bemühte sich verzweifelt, das Land zu behalten. Muadnat wollte zwar die Gesetze zu seinen Gunsten verdrehen, sie aber nicht völlig brechen. Die Sache war heikel. Mu-adnat hatte jedoch insofern Glück, als Archü lieber das Gericht in Lios Mhor anrief, als den Fall von Eber entscheiden zu lassen. Eber war ein gerissener Mann und hätte zu viele Fragen gestellt, um zu erfahren, warum Muadnat so versessen auf das Land war.«

Agdae zog eine säuerliche Miene.

»Warum hat mich Muadnat nicht zum Teilhaber an seiner Goldmine gemacht?«

»Du bist nicht rücksichtslos genug dafür«, rief Clidna.

Fidelma sah, daß Cron sie tadeln wollte, weil sie in der Festhalle gesprochen hatte.

»Clidna hat recht«, kam sie ihr schnell zuvor. »Ag-dae ist nicht der Mann, der sich an geheimem Bergbau beteiligen würde. Muadnat suchte jemanden, der Befehle ausführen würde, ohne zu fragen. Er entschied sich für seinen Vetter Menma.«

»Menma?« fragte Agdae stirnrunzelnd. »Arbeitete Menma für Muadnat?«

Fidelma sah ihn traurig an. »Menma war sein Aufseher. Menma leitete das Bergwerk, heuerte die Bergleute an und sorgte dafür, daß sie verpflegt wurden und das Gold nach dem Süden gebracht wurde, wo es sicher gelagert werden konnte. Wie verpflegt man heimlich einen Trupp hungriger Bergleute in einem friedlichen ländlichen Tal, ohne daß die Bauern etwas merken? Das Versteck war kein Problem, die Höhle selbst bot ihnen Schutz. Aber wo kriegt man die Verpflegung her?«

»Man überfällt Bauernhöfe und treibt Vieh weg«, antwortete Eadulf triumphierend. »Nicht zu viel, nur hier und da ein paar Kühe.«

»Aber Muadnat besaß einen reichen Hof«, wandte Cron ein. »Er hätte die Bergleute verpflegen können, ohne Viehdiebstähle vorzutäuschen.«

»Dann hätte aber Agdae erfahren, was vor sich ging. Agdae war ja Muadnats Oberhirt. Agdae hätte es gemerkt, wenn Muadnat immer mehr Rinder schlachtete und das Fleisch an einen Ort schaffte, von dem Agdae nichts wußte. Und hätte Muadnat Agdae aus seiner Stellung entfernt, hätte das noch mehr Verdacht erregt. Schließlich war Agdae Muadnats nächster Verwandter.«

Agdae wurde rot vor Beschämung.

»Wie bist du darauf gekommen, daß mit den Viehdiebstählen etwas nicht stimmte?« fragte Duban.

»Ich habe davon gehört, daß Viehdiebe oder Geächtete Rinder wegtreiben. Aber, wie Eadulf schon sagte, nicht nur eins oder zwei. Solche Diebe suchen Vieh, das sie verkaufen können. Sie treiben also ganze Herden weg oder jedenfalls so viele Tiere, daß sich der Verkauf lohnt. Mir kam der Verdacht, daß diese Rinder nur zum Schlachten gestohlen wurden. Dieser Verdacht bestätigte sich, als uns auf dem Rückweg von Gadras Einsiedelei einige der Viehdiebe begegne-ten. Sie ritten nach Süden und hatten Esel mit Tragekörben bei sich. Die Körbe waren zweifellos mit Gold gefüllt.«

»Nur einige der Viehdiebe?« fragte Duban.

»Menma war nicht dabei und ein paar andere auch nicht, die wir gleich nennen werden«, erklärte Fidelma.

»Ich sehe allerdings keine Verbindung zwischen Muadnats Goldbergwerk und dem Mord an Eber und Teafa«, protestierte Agdae mürrisch.

»Dazu kommen wir noch, wenn wir den anderen Fäden des Spinnennetzes nachgehen«, versicherte ihm Fidelma. »Muadnat wollte das Bergwerk unbedingt behalten. Dafür tat er alles. Vielleicht sogar gegen den Rat seines Partners.«

Schweigen trat ein.

»Muadnat hörte nie auf Menmas Rat, in keiner Sache«, spottete Agdae.

»Noch als Muadnat in Lios Mhor war, hatte sein Partner wahrscheinlich schon beschlossen, daß er das Bergwerk übernehmen werde«, erwiderte Fidelma. »Muadnat hatte durch seinen Rechtsstreit mit Archü zuviel Aufsehen erregt. Das Bergwerk sollte geheim bleiben. Noch wichtiger war, daß Muadnat sich mit Eber überworfen hatte.

Bis vor wenigen Wochen war Muadnat Ebers Tanist. Er sollte Fürst werden, wenn Eber starb. Doch plötzlich sah er sich abgesetzt. Eber hatte die derbfhine seiner Familie überredet, seine Tochter Cron anstelle von Muadnat als Tanist anzuerkennen.

Der Überfall auf Bressals Herberge zum Beispiel wurde wahrscheinlich ohne Wissen Muadnats unternommen. Ihn führte ein Mann, in dem ich später Menma wiedererkannte. Man hatte ihm gesagt, daß Bressals Bruder Morna - der Bergmann, der die Mine entdeckt hatte -, zuviel redete. Morna hatte seinem Bruder sogar einen Gesteinsbrocken mit einer Spur von Gold mitgebracht und ihm erzählt, davon würde er reich werden. Daß Morna sonst nichts weiter ausgeplaudert hatte, wußte derjenige nicht. Zufällig waren wir anwesend und halfen Menmas Überfall abwehren.«

»Was ist aus Morna geworden?« wollte Duban wissen. »Wurde er umgebracht?«

»Ja. Er wurde gefangengenommen und getötet. Die Leiche schaffte man auf Archüs Hof und hoffte, man werde ihn einfach für einen Geächteten halten, der bei dem Viehdiebstahl getötet wurde. Auf seine Verwandtschaft mit Bressal kam ich nur durch die Ähnlichkeit der beiden Brüder.«

»Du denkst also, daß Muadnat nichts von dem Überfall auf Bressals Herberge und dem Mord an Bressals Bruder wußte?« fragte Eadulf erstaunt.

»Ich begreife nicht, was die Geschichte von Muad-nats Goldbergwerk mit dem Mord an meinem Vater zu tun hat«, fuhr Cron dazwischen.

Fidelma gestattete sich ein kurzes Lächeln.

»Ich bin nur dem ersten Faden des Spinnennetzes gefolgt. Muadnat mußte sterben, weil zwei alte menschliche Gefühle es verlangten - Furcht und Habgier. Natürlich war es Menma, der ihn tötete. Menma tötete Muadnat, wie man ein Tier schlachtet. Genauso hatte er Morna getötet. Es war diese kalte, berufsmäßige Technik, die Menma verriet. Eine seiner Aufgaben im rath bestand darin, die Tiere zu schlachten, die das Fleisch für die Tafel des Fürsten lieferten. Ich weiß nicht, ob es seine Idee war, Muadnat danach an dem Steinkreuz aufzuhängen. Vielleicht sollte mich das auf eine falsche Fährte locken. Menma beging einen Fehler. Bevor er den Todesstreich führte, ließ er es zu, daß Muadnat sein Haar packte und ein Büschel ausriß. Es blieb am Tatort liegen.«

»Welchen Nutzen sollte Menma davon haben, seinen Partner Muadnat umzubringen?« fragte Pater Gorman. »Das ergibt für mich keinen Sinn. Agdae hätte doch sowieso Muadnats Reichtum geerbt.«

»Wie wir gehört haben, wußte Agdae nichts von dem Bergwerk, und wenn das geheim blieb, konnte der Partner allein den Nutzen daraus ziehen, ob Ag-dae nun den Hof erbte oder nicht.«

»Behauptest du, daß Menma für alle Morde in Ara-glin verantwortlich ist?« fragte Duban. »Ich habe Schwierigkeiten, dir darin zu folgen.«

»Menma war nur verantwortlich für die Morde an Morna, an Muadnat und an Dignait ... denn die wurden alle auf dieselbe Art verübt. Menma tötete seine Opfer wie ein Fleischer, der ein Lamm schlachtet.«

»Aber warum wurde Dignait getötet?« fragte Pater Gorman.

»Aus einem einfachen Grunde, und zwar demselben, aus dem Morna getötet wurde«, erwiderte Fidelma. »Sie wurde zum Schweigen gebracht. Dignait war nicht diejenige, die uns zum Frühstück die Giftpilze auf die Teller legte, an denen Bruder Eadulf beinahe gestorben wäre. Eine erfahrene Köchin hätte bessere Methoden gewußt, jemanden zu vergiften, als ihm ein Gericht Lorcheln vorzusetzen, die man leicht erkennen konnte.«

»Der Angelsachse erkannte sie nicht«, wandte Cron spöttisch ein.

»Ich weiß, daß Morcheln gewöhnlich gekocht gegessen werden. Ich bin fremd in eurem Land und dachte, dies wäre eure Art, sie zuzubereiten«, verteidigte sich Eadulf errötend. »Deshalb habe ich nicht gemerkt, daß es Lorcheln waren.«

»Dignait wäre auf etwas anderes gekommen, hätte sie uns vergiften wollen. Nein, Dignait wurde getötet, weil sie den wirklichen Täter gesehen hatte.«

»Und wer war das? Menma?« Grella fand den Mut, die Frage zu stellen. »Menma war an dem Morgen wie immer bei den Häusern zugange.«

»Das sage ich euch zu seiner Zeit. Erst wollen wir das Spinnennetz noch weiter aufreißen. Kommen wir nun zu dem Mord an Eber und Teafa. Was den Fall so schwierig machte, war die Tatsache, daß die meisten Leute einen Grund hatten, Eber umzubringen. Er war ein gehaßter Mann. Bei Teafa war das anders. Wer haßte sie? Ich sah, daß es leichter sein würde, den Mord an Teafa aufzuklären als den an Eber. Wenn derselbe Täter beide getötet hatte, dann schieden viele Verdächtige aus.«

Sie hielt einen Moment inne.

»Als ich hierherkam, sagte man mir, Eber, der Fürst von Araglin, sei ermordet worden und seinen Mörder hätte man gefaßt. Ich sollte den Fall untersuchen und dafür sorgen, daß mit dem Mörder nach Recht und Gesetz verfahren würde. Das hörte sich ganz einfach an. Nur war es nicht so einfach.

Der angebliche Mörder erwies sich als blind und taubstumm. Ich spreche von Moen. Er sollte nicht nur Eber, sondern auch die Frau getötet haben, die ihn aufgezogen hatte.

Anfangs sagte man mir, Eber sei freundlich und großzügig gewesen und habe keine Feinde gehabt. Er sei ein Abbild aller Tugenden auf Erden gewesen. Wer würde ihn da töten außer einem wildgewordenen Tier? Als solches wurde mir Moen beschrieben.«

Moen gab ein zorniges Knurren von sich, als Gadra ihm das übersetzte. Fidelma überging es.

»Bald stellte sich jedoch heraus, daß Eber nicht das Abbild aller Tugenden war, wie zuerst jeder behauptet hatte. Offenbar war Eber ein seltsamer, abnormer Mensch. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, was ihn dazu gemacht hat. Wie ich hörte, trank er auch und führte beleidigende Reden. Wen er verletzt hatte, den machte er sich durch Bestechung wieder gewogen. Man übersah seine Fehler, denn er war ja der Fürst. Doch er und seine Familie verbargen ein düsteres Geheimnis ... Es gab Inzest unter ihnen.«

Cron erblaßte. Cranat neben ihr machte keinen Versuch, ihre Tochter zu trösten, sondern saß steif da, den Blick starr auf einen Punkt in der Ferne gerichtet.

»Die Anfänge davon liegen lange zurück, Cron«, sagte Fidelma. »Es begann zu der Zeit, als Eber in die Pubertät kam und seine beiden Schwestern in ähnlichem Alter waren. Mehrere Leute hier wußten, daß er seine Schwestern zwang, mit ihm zu schlafen, und andere vermuteten es vielleicht. Ich erfuhr in einem Gespräch, daß Moen in diesem Inzest gezeugt wurde.«

Es wurde plötzlich still in der Halle. Cron warf einen Blick hinüber zu Moen. Ihr Gesicht war totenblaß.

»Willst du damit sagen, daß er . daß Teafa . seine Mutter? Eber ...?« Die Worte blieben ihr im Halse stecken.

»Ich habe keinen Zweifel daran, daß Teafa unter Ebers Nachstellungen zu leiden hatte«, fuhr Fidelma ruhig fort. »Aber er hatte noch eine andere Schwester namens Tomnat.«

Duban sprang mit zornrotem Gesicht auf.

»Wie kannst du es wagen, ihren Namen da hineinzuziehen!« schrie er. »Wie kannst du es wagen, anzudeuten, sie sei die Mutter eines ... eines ...«

»Gadra!« Fidelma überging seinen Ausbruch und wandte sich dem alten Einsiedler zu. »Gadra, wer war Moens Mutter?«

Der Alte ließ die Schultern resigniert sinken.

»Du kennst die Antwort bereits.«

»Dann sag sie allen, damit sie die Wahrheit erfahren.«

»Es geschah in dem Jahr, bevor Eber Cranat heiratete. Tomnat wurde schwanger von Eber. Teafa wußte es.«

»Tomnat liebte mich!« rief Duban dazwischen mit vor Erregung brüchiger Stimme. Cron starrte ihn an und traute ihren Ohren nicht. »Sie hätte es mir gesagt, wenn es so gewesen wäre. Sie ist verschwunden. Eber hat sie umgebracht, dessen bin ich mir sicher.«

»So war es nicht«, entgegnete Gadra traurig. »Tom-nat und Teafa bewahrten das Geheimnis. Sie wußten, wenn es bekannt würde, wenn entweder Eber oder Pater Gorman davon erführen, dann hätten sie das Kind wohl töten lassen, Eber, um seine Schande zu verbergen, und Pater Gorman wegen seines unversöhnlichen Glaubens. Gorman findet es in Ordnung, was in vielen christlichen Ländern getan wird, daß nämlich im Inzest gezeugte Kinder im Namen der Moral getötet werden. Bei Pater Gorman hätte die arme Tomnat keine Hilfe gefunden, wenn sie sich an ihn gewandt hätte.«

»Warum wandte sich Tomnat nicht an Duban? Er behauptet, daß er sie liebte und sie ihn.« Fidelmas Mund wurde schmal. »Wenn es so war, hätte sie sich doch Duban anvertrauen können.«

»Wenn du die Wahrheit erfahren willst, sollst du sie hören«, erwiderte der Alte. »Tomnat wußte, daß Du-ban viel zu sehr in seinem Ehrgeiz befangen war, nach Cashel zu gehen und den goldenen Halsreif des Kriegers zu erringen. Trotz seiner Liebesbeteuerungen hätte Duban niemals die Erfüllung seines ehrgeizigen Wunsches gefährdet. Durfte sie damit rechnen, daß er das Kind annehmen würde, das Kind ihres eigenen Bruders?«

Duban beugte sich vor und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Also wandte sie sich an dich, Gadra?« fragte Fidelma ruhig.

»Bevor man Tomnat ihren Zustand anmerkte, verließ sie Araglin und kam zu mir in meine Einsiedelei. Sie wußte, daß sie dort sicher war. Nur Teafa kannte ihren Aufenthaltsort.«

»Wenn Tomnat es mir nicht sagen konnte, warum hat es Teafa mir nicht gesagt?« rief Duban. »Ich habe wochenlang das ganze Tal nach Tomnat abgesucht und gedacht, Eber hätte sie umgebracht.«

»Teafa bewahrte das Geheimnis auf Tomnats Wunsch hin«, erklärte der Alte.

»Sprich weiter«, sagte Fidelma. »Was geschah dann?«

»Als ihre Zeit kam, gebar Tomnat Moen und starb dabei. Teafa war bei ihr und beschloß, das Baby zu sich zu nehmen und aufzuziehen. Sie wollte es als Findelkind ausgeben. Erst später merkte sie, daß das Kind behindert war, aber sie behielt es trotzdem, denn das hatte sie ihrer toten Schwester geschworen.«

Alle Blicke richteten sich auf Moen, dessen Gesicht sich kummervoll verzog, als Gadra ihm übersetzte, was er gesagt hatte.

Fidelma schaute sich verächtlich in der Halle um.

»Ihr seid hier eine bäuerliche Gemeinschaft. Bauern! Ihr wißt doch Bescheid über Inzucht. Ihr wißt, daß die Nachkommen eng verwandter Tiere meist bestimmte Verhaltensweisen oder Eigenschaften der Elterntiere verstärkt aufweisen. Das kann günstige Auswirkungen haben, zum Beispiel zu höherer Intelligenz führen, aber es kann auch Behinderungen wie Taubheit, Blindheit oder die Unfähigkeit zu sprechen nach sich ziehen.«

Cron unterbrach sie mit Abscheu in der Stimme.

»Willst du damit sagen, daß wir Moen annehmen müssen als den Sohn meines Vaters . seines eigenen Onkels? Daß er mein . mein Halbbruder ist?«

Sie erschauerte bei diesen Worten.

»Tomnat starb und hinterließ ein lebendes Kind«, bestätigte Fidelma. »Wie wir alle wissen, gab Teafa Moen als Findelkind aus, das sie auf der Jagd im Wald gefunden hätte. Anfangs fiel es nicht auf, daß das Kind anders war als andere Kinder. Doch dann merkte Tea-fa, daß mit dem Kind etwas nicht stimmte. Sie ließ Gadra holen, und als weiser Mann und Heiler erkannte Gadra das Problem. Er konnte die durch den Inzest hervorgerufenen Behinderungen nicht beheben, aber er lehrte Teafa eine Methode, sich mit Moen zu verständigen. Von seinen körperlichen Mängeln abgesehen, war das Kind hochintelligent und lernfähig. Teafa zog einen begabten Jungen groß.«

»Meinst du, daß Eber nicht einmal wußte, daß Moen sein Sohn war?« fragte Agdae.

»Nach allem, was man hört, war er freundlich zu dem Jungen«, erwiderte Fidelma. »Während alle Leute hier Eber haßten, tat Moen das nicht.«

Sie wandte sich wieder Gadra zu.

»Frage Moen, ob er wußte, daß Eber sein Vater war.«

Gadra schüttelte den Kopf.

»Das brauche ich ihn nicht zu fragen. Er hat viel gelitten. Ich kann dir aber sagen, daß Teafa das dem Jungen nie verraten hat. Es geschah zu seinem eigenen Schutz. Soviel ich weiß, hat auch Eber nie erfahren, daß Moen sein eigen Fleisch und Blut war.«

»Später hat man es Eber doch gesagt«, warf Fidelma rasch ein. »Eines Tages gab es einen Streit, den Critan mit anhörte. Dazu kommen wir noch.«

»Was hat meines Vaters ... sexuelles Verhalten«, mischte sich Cron ein, hielt dann inne und formulierte ihren Einwand neu. »Das alles mag von Interesse sein, aber es sagt nichts darüber aus, wer an dem Tod Ebers und Teafas schuld war.«

»Oh, das tut es wohl«, erwiderte Fidelma.

»Bitte erkläre das«, forderte die Tanist kühl. »Willst du damit sagen, daß du jetzt doch Moen für schuldig hältst? Daß er herausfand, wer sein wirklicher Vater war? Daß er Eber wegen des Unrechts haßte, das er seiner Mutter und ihm angetan hatte?«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Die Beschuldigung, Moen sei der Mörder, habe ich schon in einem frühen Stadium der Untersuchung verworfen. Noch bevor ich mit ihm gesprochen hatte, wußte ich, daß Moen nicht der Mörder war.«

»Kannst du das bitte genauer darlegen?« fragte Pater Gorman trocken. »Mir schien es ganz offensichtlich zu sein, daß Moen der Täter war.«

»Die ursprüngliche Anklage lautete, Moen habe Teafa umgebracht und sich dann den Weg zu Ebers Wohnung gesucht und ihn ermordet. Mehrere Dinge paßten da nicht zusammen. Erstens erfuhr ich von Critan, daß er Teafa lebend gesehen hatte, nachdem Moen in Ebers Wohnung gegangen war. Wenn Moen beide Morde verübt haben sollte, dann mußte er erst Teafa und dann Eber getötet haben.«

»Warum das?« fragte Agdae.

»Weil Menma aussagte, er habe Moen mit dem Messer in der Hand über Ebers Leiche gebeugt angetroffen, nachdem er ihn gerade erstochen hatte. Die ganze Anklage beruhte darauf, daß Moen beinahe auf frischer Tat ertappt worden war.«

Das nahmen die Zuhörer schweigend zur Kenntnis. Dann sagte Cron: »Aber du hast Menma bereits als Mörder und somit auch als Lügner überführt. Vielleicht hat er gelogen.«

»Er hat sicherlich gelogen«, stimmte ihr Fidelma gelassen zu, »aber nicht in diesem Fall. Daß er Moen am Schauplatz der Tat entdeckte, kam ihm sehr gelegen. Etwas Besseres hätte er sich nicht wünschen können. Aber Teafa war noch am Leben, als Moen Ebers Wohnung betrat. Critan kam von Clidnas Haus zurück, begegnete Moen auf dem Weg zu Ebers Wohnung und sah dann Teafa lebendig an ihrer Hütte stehen mit einer Laterne in der Hand. Als Critan mir das erzählte, kam ihm, glaube ich, für einen Augenblick zum Bewußtsein, wie unlogisch das war, aber da er wollte, daß Moen der Schuldige wäre, überging er es.

Moen war in den frühen Morgenstunden spazierengegangen und wollte gerade zurück in Teafas Hütte, als ihm jemand einen Ogham-Stab in die Hand drückte. Mit Hilfe von Ogham kann man sich mit Moen verständigen. Moen berichtete mir, es sei jemand mit schwieligen Händen gewesen, doch wegen des starken Parfüms, das er roch, meinte er, es sei eine Frau gewesen. Die Schrift auf dem Ogham-Stab forderte ihn auf, sofort in Ebers Wohnung zu kommen. Er ging hin, stolperte über die Leiche, und so fand ihn Menma. Die Person, die Moen den Ogham-Stab in die Hand drückte, hatte den Mord begangen und wollte es so einrichten, daß er bei Eber entdeckt und verurteilt würde.«

»Welchen Beweis hast du für die Existenz dieses sagenhaften Ogham-Stabes, mit dem man Moen aufforderte, zu Eber zu kommen?« fragte Pater Gorman.

»Beweis? Ich habe den Stab selbst.« Fidelma lächelte selbstzufrieden. »Moen hatte nämlich den Stab an der Tür verloren. Er wurde ihm aus der Hand geschlagen, bevor er zu Ebers Wohnung ging. Der Mörder wollte nicht, daß dieses Beweisstück gefunden würde. Eber war bereits ermordet worden. Gerade als der Mörder den Stab wieder an sich bringen wollte, kam Teafa, von der Unruhe an der Tür geweckt, heraus. Sie hielt eine Lampe in der Hand und hatte eben erst gemerkt, daß Moen nicht da war. Sie sah den Og-ham-Stab und hob ihn auf. In dem Moment erblickte sie Critan und fragte ihn, ob er Moen gesehen habe. Der Bursche log sie an und ging seiner Wege. Der Mörder hatte im Schatten warten müssen, bis Critan fort war, und nun befand er sich in einem Dilemma. Teafa war in ihre Hütte gegangen, um die falsche Botschaft in Ogham zu lesen. Also mußte sie ebenfalls getötet werden. In dem Kampf mit ihr fiel die Öllampe, die Critan in Teafas Hand gesehen hatte, zu Boden und fing Feuer. Das Feuer mußte gelöscht werden, denn der Mörder wollte sichergehen, daß man auch diesen Mord Moen zur Last legte. Den Ogham-Stab mit der Anweisung darauf warf er ins Feuer, er verbrannte aber nicht ganz. Was auf dem Rest steht, läßt sich noch mit dem vergleichen, was in Moens ausgezeichnetem Gedächtnis haftenblieb. Er erinnerte sich, daß auf dem Stab stand: >Eber will dich sofort sprechen^ Die Buchstaben ER und WILL sind noch erhalten.«

Bruder Eadulf lächelte darüber, wie einfach Fidel-mas Erklärung war.

»Moen sollte noch etwas getan haben, was geradezu unmöglich war«, warf er ein. »Als Menma Moen über die Leiche gebeugt antraf, war es kurz vor Sonnenaufgang, sagte er. Und neben Ebers Bett brannte eine Lampe.«

»Na und? Was ist daran verkehrt?« fragte Duban. »Vor Sonnenaufgang ist es immer dunkel.«

»Und wozu hätte Moen eine Lampe gebraucht?« wollte Eadulf wissen. »Das widerlegt die Beschuldigung, Moen habe sich heimlich eingeschlichen und Eber im Schlaf erstochen.«

»Genau«, meinte Fidelma anerkennend. »Es sei denn, wir glaubten, ein Blinder brauche eine Lampe, um zu sehen, was er tut.«

»Eber könnte die Lampe selbst angezündet haben«, erklärte Agdae, »um Moen hereinzulassen, und dann .«

»Natürlich!« spottete Fidelma. »Eber war wach, zündete die Lampe an und ließ Moen ein. Dann ging er wieder zu Bett und wartete bereitwillig, bis Moen sich dorthin getastet hatte, wo die Jagdmesser hingen, sich eins aussuchte, den Weg zum Bett fand und ihn erdolchte. Moens Version erklärt das Geschehen viel besser. Daß nämlich Eber schon tot war, als er den Raum betrat. Der Mörder hatte ihn bereits erstochen. Dann ging der Mörder hinaus, um Moen zu Ebers Wohnung zu locken, und mußte dabei auch noch Tea-fa töten. Eber wurde nicht im Schlaf erstochen. Er wurde von jemandem umgebracht, den er gut kannte und gegen den er keinen Verdacht hegte. Er hatte die Lampe angezündet und den Täter in sein Schlafzimmer gelassen.«

»Wem sollte Eber so weit vertrauen, daß er ihn in sein Schlafzimmer ließ?« fragte Agdae. »Seiner Ehefrau?«

Cron holte tief Luft.

»Beschuldigst du meine Mutter?«

Fidelma sah Cranat nachdenklich an. Ebers Witwe warf ihr einen verächtlichen Blick zu.

»Ich habe schon darauf gewartet, daß du deine üblen Anschuldigungen gegen mich richtest«, zischte Cranat. »Schwester Fidelma, ich erinnere dich daran, daß ich eine Prinzessin der Deisi bin. Ich besitze mächtige Freunde.«

»Dein Rang und deine Freunde bedeuten mir nichts, Cranat. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. Aber wir kommen nun endlich zu der Spinne im Zentrum ihres komplizierten Netzes.«

Cron starrte ihre Mutter entgeistert an.

»Das kann doch nicht sein.«

»Cranat hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie nach Geld und Macht strebt«, höhnte Agdae.

»Du kannst nicht beweisen, daß Cranat Anlaß hatte, ihren eigenen Gatten zu ermorden«, erhob Pater Gorman Einspruch bei Fidelma.

»Daß Cranat Anlaß dazu hatte? Ich kann es versuchen. Seit Cron dreizehn Jahre alt war, fand sich Cra-nat bereit, ihren Haß auf Eber zu unterdrücken, solange er sie unterstützte. Als Teafa ihr verriet, was Eber tat, verließ sie zwar sein Bett, lebte aber weiter als Fürstin: Reichtum geht über Tugend. Eber schien geneigt, das so zu akzeptieren. Vielleicht brauchte er eine Gattin, um den äußeren Anschein zu wahren? Von Duban hörte ich, daß es vor wenigen Wochen, als Cron Tanist wurde, erneut Streit zwischen Teafa und Cranat gab. Dabei wurde auch Moen erwähnt. Da erst erfuhr Cranat die Wahrheit über den Sohn ihres Gatten. Wollte sie nun Rache nehmen?«

Fidelma hielt inne. Niemand sprach.

»Reichtum geht über Tugend. Quaerenda pecunia primum est virtus post nummos. Cranat mochte Ebers Bett verlassen haben, doch eigenartigerweise begann sie nun eine Liebschaft mit Muadnat.

Starb Eber, könnte sie die Gattin des neuen Fürsten werden.«

Bruder Eadulf meldete sich aufgeregt zu Wort.

»Moen sagte, die Person, die ihm den Ogham-Stab gab, habe schwielige Hände gehabt wie ein Mann. Aber er roch Parfüm und glaubte, es sei eine Frau. Dignait hatte schwielige Hände. Dignait stand Cranat nahe, denn sie stammte auch von den Deisi und war als Cra-nats Dienerin hergekommen, als Cranat Eber heiratete.«

»Nur Damen von Rang verwenden Parfüm«, korrigierte ihn Duban. »Dignait hätte kein Parfüm benutzt.«

»Willst du damit behaupten, meine Mutter wäre Muadnats Partnerin bei dem Goldbergwerk gewesen und habe beschlossen, meinen Vater zu töten, um ihn heiraten zu können?« fragte Cron ungläubig.

»Cranat hatte Grund, Eber und Moen zu hassen.

Teafa hatte sie über die Verwandtschaft aufgeklärt.« Sie hielt inne und blickte Cron an. »Du kannst gut Latein, nicht wahr?«

»Meine Mutter hat es mich gelehrt«, erwiderte die Tanist.

»Sie hat dich gut erzogen. Es war eine lateinische Nachricht auf einem Stück Pergament, die zur endgültigen Lösung des Rätsels führte. Nachdem Menma Dignait in ihrem Zimmer getötet hatte, damit sie nicht aussagen konnte, wer die Lorcheln in der Küche auf die Teller gelegt hatte, erhielt er den Auftrag, die Leiche in Archüs unterirdische Vorratskammer zu schaffen. Dann sollte er mir das Pergament geben, auf dem der Hinweis darauf in Latein geschrieben stand. Es war gutes Latein.«

»Werde ich angeklagt, weil mein Latein so gut ist?« höhnte Cranat.

»Ist dein Ogham ebenso gut?« erkundigte sich Fidelma. Sie fuhr fort, bevor Cranat antworten konnte. »Man tut gut daran, sich an den Ausspruch von Publius Terentius Afer zu erinnern, daß noch nie jemand einen Plan ersonnen habe, der nicht in der Ausführung abgeändert werden mußte. Duban war Menma zum Bergwerk gefolgt, weil er ihn mit den sogenannten Viehdieben beobachtet hatte. Er erreichte den Eingang der Höhle und hörte, wie Muadnats Partner Menma letzte Anweisungen gab. Duban stürmte in die Höhle. Menma hielt ihn auf und ermöglichte seinem Herrn damit die Flucht. Ich war auch da und sah die Gestalt davonreiten.«

»Du sahst eine Gestalt?« spottete Cranat. »Schwörst du, daß ich es war?«

»Es war eine Gestalt in einem bunten Amtsmantel.«

Crons Versuch zu lächeln geriet zu einer Grimasse. Sie wies auf das Amtsgewand, das sie trug.

»Aber ich trage solch einen Mantel.«

»Das stimmt«, rief Eadulf. »Und ich habe eine Gestalt in einem ähnlichen bunten Mantel den Weg über die Berge zum Bergwerk hinaufreiten sehen an dem Tag, als wir auf Muadnats Gehöft waren.«

»Jetzt komme ich ganz durcheinander. Klagst du Cranat oder ihre Tochter an?« rief Pater Gorman.

»Vor einiger Zeit erzählte mir Cron, daß ein solcher bunter Mantel von allen Fürsten von Araglin und ihren Gattinnen getragen wird. Du trägst auch einen, nicht wahr, Cranat? Und du benutzt auch ein starkes Rosenparfüm.«

Ebers Witwe blickte Fidelma finster an, doch diese wandte sich nun an Gadra.

»Gadra, sag Moen, daß ich ihn etwas riechen lassen möchte. Bring ihn her.« Sie erklärte den Zuhörern: »Zum Ausgleich für das Fehlen seiner anderen Sinne besitzt Moen einen hochentwickelten Geruchssinn, den ich früher schon an ihm beobachten konnte.«

Gadra tat, wie ihm geheißen, und führte Moen nach vorn bis vor das Podium.

»Pater Gorman, würdest du bitte hinzutreten und das Verfahren bezeugen? Es darf später nicht heißen, Moen sei im Zweifel gewesen.«

Etwas widerwillig kam der Priester nach vorn. Dann wandte sich Fidelma an Gadra.

»Erkläre Moen, er solle riechen, was ihm vorgehalten wird, und jeden Geruch identifizieren, den er schon einmal gespürt hat. Sag ihm, ich möchte es wissen, wenn er denselben Geruch wahrnimmt wie bei dem, der ihm den Ogham-Stab reichte.«

Sie streckte ihre Hand hin, damit Moen daran riechen konnte. Cranat hatte sich erhoben.

»Ich lasse dieses Ungeheuer nicht in meine Nähe!« kreischte sie und wollte die Halle verlassen.

»Du hast keine Wahl«, versicherte ihr Fidelma und gab Duban das Zeichen, vorzutreten und sich hinter sie zu stellen. Bei Fidelmas Handgelenk hatte Moen den Kopf geschüttelt. Fidelma nötigte Cron, die Hand auszustrecken. Moen roch daran, dann schrieb er einige Zeichen auf Gadras Hand.

Gadra schüttelte den Kopf.

Cranat hielt die Hände entschlossen hinter dem Rücken.

»Pater Gorman«, entschied Fidelma, »da Cranat sich weigert, dem Jungen ihre Hand hinzuhalten, würdest du ihr bitte helfen? Sie wird wohl nichts dagegen haben, wenn die Hand eines Priesters sie berührt.«

»Es tut mir leid, Lady«, murmelte Pater Gorman und nahm mit sichtlichem Widerwillen ihren linken Arm. Cranat drehte empört den Kopf zur Seite, während Moen an ihrem Handgelenk roch.

Erregung packte die Zuschauer, als er sich umwandte und schnell Zeichen auf Gadras Hand schrieb.

Der Alte blickte ihn entsetzt an.

»Das ist ein falsches Spiel!« kreischte Cranat. »Ihr habt euch abgesprochen, mir die Schuld zuzuschieben!«

Aber der Alte sah nicht Cranat an.

»Es ist nicht der Geruch der Frau, den er wiedererkannt hat«, sagte Gadra langsam und starrte entgeistert Pater Gorman an. Der Priester war totenblaß geworden.

Duban war automatisch vorgetreten und hatte den Priester am Handgelenk gepackt. Dann sah er verwirrt zu, wie dieser sich wehrte.

»Aber Moen sagte doch, die Person, die er an Tea-fas Tür roch, habe schwielige Hände gehabt. Die Hände des Priesters sind so weich wie Frauenhände.«

Fidelma blieb gelassen.

»Heute trägst du deine Lederhandschuhe nicht, Pater Gorman?« bemerkte sie. »Weißt du, Duban, gestern gabst du mir die Antwort, die mir noch fehlte, denn als ich glaubte, deine Hände wären schwielig, hattest du einfach nur Lederhandschuhe an.«

Mit einem plötzlichen Schrei riß sich Pater Gorman aus Dubans Griff los, sprang vom Podium und wollte aus der Halle stürmen. Aber auf halbem Wege wurde er überwältigt und weggeführt. Mit wutverzerrtem Gesicht schrie er kaum verständlich: »Und Christus sprach: >Ihr Schlangen, ihr Otterngezüchte! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?<!«

»Ein sehr passender Text«, murmelte Eadulf, um seine Überraschung zu verbergen.

Cranat sank auf ihren Stuhl zurück und atmete schwer mit hochrotem Gesicht. Haßerfüllt sah sie Fidelma an.

»Du hast uns noch so manches zu erklären, bevor wir dir diese absurde Beschuldigung glauben«, sagte sie ruhig.