172585.fb2 Der Zorn der G?tter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

Der Zorn der G?tter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

9

Lois Reynolds lächelte, als sie das Motorengeräusch der tief fliegenden Maschine hörte. Gary. Er war spät dran. Lois hatte ihm angeboten, ihn am Flughafen abzuholen, aber er hatte gesagt: »Nur keine Umstände, Schwesterherz. Ich nehme mir ein Taxi.«

»Aber Gary. Ich komme gern .«

»Bleib lieber daheim, und warte dort auf mich.«

»Wie du möchtest, Bruderherz.«

Ihr Bruder war seit jeher die wichtigste Person in Lois’ Leben. Ihre Jugendzeit in Kelowna war der reinste Albtraum gewesen. Schon als junges Mädchen hatte Lois das Gefühl gehabt, dass die ganze Welt gegen sie sei: die Hochglanzmagazine, die Fotomodelle, die weiblichen Filmstars - und das nur, weil sie ein bisschen pummelig war. Wo stand denn geschrieben, dass mollige Mädchen nicht genauso schön waren wie diese krank aussehenden dürren Dinger? Lois Reynolds betrachtete sich ständig im Spiegel. Sie hatte lange blonde Haare, blaue Augen, einen zarten, hellen Teint und einen ihrer Ansicht nach hübschen, vollschlanken Körper. Keiner sagt ein Wort, wenn Männer mit Bierbäuchen, die ihnen über den Gürtel hängen, durch die Gegend laufen. Aber sobald eine Frau ein paar Pfunde zu viel hat, wird sie verschmäht. Welcher Schwachkopf hat das Recht zu bestimmen, dass die Idealmaße einer Frau 9166-91 sind?

Solange sich Lois erinnern konnte, hatten ihre Schulkameradinnen hinter ihrem Rücken über sie gespottet -»Fettarsch«, »Tonne«, »Schweinchen«. Die Schimpfwörter hatten ihr zutiefst wehgetan, aber Gary war immer zur Stelle gewesen und hatte sie verteidigt.

Als Lois ihr Studium an der University of Toronto abschloss, hatte sie genug von dem Spott. Wenn es irgendwo einen Traummann gibt, der eine richtige Frau sucht, hier bin ich.

Und eines Tages tauchte der Traummann unverhofft auf. Er hieß Henry Lawson. Sie lernten sich bei einem geselligen Abend der Kirchengemeinde kennen, und Lois war augenblicklich von ihm angetan. Er war groß und schlank, hatte blonde Haare, eine angenehme Art und schien stets zu einem Lächeln aufgelegt. Sein Vater war der Pfarrer der Kirchengemeinde. Lois verbrachte fast den ganzen Abend mit Henry, und im Verlauf ihrer Unterhaltung erfuhr sie, dass ihm ein Pflegeheim gehörte und dass er ein Naturfreund war.

»Wenn Sie morgen Abend noch nichts vorhaben«, sagte er, »würde ich Sie gern zum Essen ausführen.«

Lois zögerte nicht einen Moment. »Gern, vielen Dank.«

Henry Lawson führte sie ins Sassafraz aus, eines der besten Restaurants von Toronto. Die Speisen auf der Karte waren verlockend, aber Louis bestellte sich nur eine Kleinigkeit, weil sie nicht wollte, dass Henry sie für einen Vielfraß hielt.

Als Henry bemerkte, dass sie nur Salat aß, sagte er: »Davon werden Sie doch nicht satt.«

»Ich versuche abzunehmen«, flunkerte Lois.

Er ergriff ihre Hand. »Ich möchte nicht, dass Sie abnehmen, Lois. Ich mag Sie so, wie Sie sind.«

Mit einem Mal verspürte sie ein Kribbeln. Er war der erste Mann, der das zu ihr gesagt hatte.

»Ich bestelle Ihnen ein Steak mit Kartoffeln und einen CaesarSalat«, sagte Henry.

Es war einfach wunderbar, endlich einen Mann gefunden zu haben, der Verständnis dafür hatte, dass sie einen gesunden Appetit besaß, und der das sogar gut fand.

In den nächsten Wochen gingen sie fast täglich miteinander aus, und ein Abend war herrlicher als der andere. Sie kannten sich knapp einen Monat, als Henry sagte: »Lois, ich liebe dich. Ich möchte, dass du meine Frau wirst.«

Ein Antrag. Und sie hatte geglaubt, sie würde diese Worte niemals hören. Sie schloss ihn in die Arme und sagte: »Ich liebe dich auch, Henry. Ich möchte deine Frau werden.«

Die Hochzeit fand eine Woche später in der Kirche von Henrys Vater statt. Gary und ein paar Freunde und Freundinnen nahmen an der feierlichen Trauung teil, die von Henrys Vater vollzogen wurde. Lois war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen.

»Wo wollt ihr eure Flitterwochen verbringen?«, fragte Reverend Lawson.

»Am Lake Louise«, erwiderte Henry. »Dort ist es sehr romantisch.«

»Ein idealer Ort für die Flitterwochen.«

Henry schloss Lois in die Arme. »Ich hoffe doch, dass die Flitterwochen bis ans Ende unserer Tage währen.«

Lois war begeistert.

Unmittelbar nach der Hochzeit brachen sie zum Lake Louise auf, einem hinreißenden Ferienort im Banff National Park, im Herzen der kanadischen Rocky Mountains gelegen.

Als sie am späten Nachmittag dort eintrafen, funkelte der See in der Sonne.

Henry nahm Lois in die Arme. »Bist du hungrig?«

Sie blickte ihm in die Augen und lächelte. »Nein.«

»Ich auch nicht. Warum ziehen wir uns nicht einfach aus?« »O ja, Liebster.«

Zwei Minuten später lagen sie im Bett, und Henry liebte sie, wie sie es sich nicht schöner hätte vorstellen können. Es war wunderbar. Berauschend. Erschöpfend.

»Ach, Liebster, ich liebe dich so sehr.«

»Ich liebe dich auch, Lois«, sagte Henry. Er stand auf.

»Und jetzt müssen wir die Fleischeslust bekämpfen.«

Lois schaute ihn fragend an. »Was?«

»Knie dich hin.«

Sie lachte. »Bist du denn nicht müde, Liebster?«

»Knie dich hin.«

Sie lächelte. »Na schön.«

Sie kniete nieder und sah voller Verblüffung zu, wie er den breiten Gürtel aus seiner Hose zog. Er ging zu ihr, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, zog er ihr den Gürtel mit aller Kraft über das nackte Gesäß.

Lois schrie auf und wollte aufstehen. »Was hast du ...?«:

Er stieß sie nieder. »Ich hab’s dir doch gesagt, Liebste. Wir müssen die Fleischeslust bekämpfen.« Er holte mit dem Gürtel aus und schlug erneut zu.

»Hör auf! Hör auf damit!«

»Bleib, wo du bist«, herrschte er sie an.

Lois wehrte sich, wollte aufstehen, aber Henry drückte sie mit aller Kraft nieder und schlug ein weiteres Mal mit dem Gürtel zu.

Lois hatte das Gefühl, ihr werde am Gesäß die Haut abgezogen. »Henry! Mein Gott! Hör auf!«

Schließlich richtete sich Henry auf und atmete tief durch.

»Jetzt ist alles gut.«

Lois konnte sich kaum rühren. Sie spürte die offenen, nässenden Wunden an ihrem Gesäß. Mühsam und unter Schmerzen rappelte sie sich auf. Sie brachte kein Wort heraus, starrte ihren Mann nur voller Entsetzen an.

»Sex ist eine Sünde. Wir müssen gegen die Versuchung ankämpfen.«

Sie schüttelte den Kopf, war immer noch sprachlos, konnte nach wie vor nicht glauben, was soeben geschehen war.

»Denk an Adam und Eva, an den Sündenfall und die Vertreibung der Menschen aus dem Garten Eden«, fuhr er fort.

Lois brach in Tränen aus und schluchzte laut auf.

»Jetzt ist ja alles gut.« Er nahm Lois in die Arme. »Ist ja gut. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch, aber ...«:, sagte Lois unsicher.

»Keine Sorge. Wir haben sie besiegt.«

Das heißt, dass es zum letzten Mal passiert ist, dachte Lois. Vermutlich hat es damit zu tun, dass er der Sohn eines Pfarrers ist. Gott sei Dank ist es vorüber.

Henry drückte sie an sich. »Ich liebe dich so sehr. Lass uns essen gehen.«

Lois konnte im Restaurant kaum sitzen. Sie litt furchtbare Schmerzen, aber um ein Kissen zu bitten wäre ihr zu peinlich gewesen.

»Ich bestelle«, sagte Henry. Er orderte für sich einen Salat und für Lois ein großes Gericht. »Du musst bei Kräften bleiben, meine Liebste.«

Während des Essens dachte Lois fortwährend an das, was gerade geschehen war. Henry war der wunderbarste Mann, den sie jemals kennen gelernt hatte. Sie war aber auch bestürzt über seinen - was war das?, dachte sie. Eine Macke? Eine Art Fetischismus? Jedenfalls war es jetzt vorbei. Jetzt konnte sie sich darauf freuen, fortan mit einem Mann zusammenzuleben, sich um ihn zu kümmern und seine Fürsorge zu genießen.

Als sie mit dem Hauptgang fertig waren, bestellte Henry ein zusätzliches Dessert für sie. »Ich mag üppige Frauen.«

Sie lächelte. »Freut mich, dass ich dir gefalle.«

Als sie aufgegessen hatte, fragte Henry: »Wollen wir wieder auf unser Zimmer gehen?«

»Gern.«

Als sie in ihr Zimmer zurückgekehrt waren, zogen sie sich aus und Henry schloss Lois in die Arme, worauf der Schmerz sofort nachzulassen schien. Er liebte sie zärtlich und behutsam, und diesmal genoss sie es noch mehr als zuvor.

»Das war wunderbar«, sagte Lois und kuschelte sich an ihren Mann.

»Ja.« Er nickte. »Und jetzt müssen wir Buße tun für unsere Fleischeslust. Knie dich hin.«

Mitten in der Nacht, als Henry schlief, packte Lois leise ihren Koffer und ergriff die Flucht. Sie nahm ein Flugzeug nach Vancouver und rief Gary an. Beim Mittagessen erzählte sie ihm, was vorgefallen war.

»Ich reiche die Scheidung ein«, sagte Lois, »aber ich muss aus der Stadt wegziehen.«

Gary dachte einen Moment lang nach. »Ich habe einen Freund, der in Denver eine Versicherungsagentur besitzt, Schwesterherz. Das ist achthundert Kilometer entfernt.«

»Das wäre bestens.«

»Ich rede mit ihm«, sagte Gary.

Zwei Wochen später war Lois in leitender Stellung bei einer Versicherungsagentur beschäftigt.

Gary war ständig mit ihr in Kontakt geblieben. Sie hatte sich einen reizenden kleinen Bungalow mit Blick auf die fernen Rocky Mountains gekauft, und von Zeit zu Zeit besuchte ihr Bruder sie. Vor allem die Wochenenden waren großartig - sie fuhren Ski, gingen gemeinsam angeln oder saßen einfach auf dem Sofa und redeten miteinander. Ich bin so stolz auf dich, Schwesterherz, sagte er immer, aber Lois war auch stolz auf Gary und dessen Leistungen. Er hatte einen Doktortitel in Naturwissenschaften erworben, arbeitete bei einem internationalen Unternehmen und hatte seinen Flugschein gemacht.

Während sich Lois in Gedanken mit ihrem Bruder beschäftigte, klopfte es an der Tür. Sie blickte aus dem Fenster, um festzustellen, wer sie besuchen kam. Es war Tom Huebner, ein Freund von Gary, ein hoch aufgeschossener, markig wirkender Charterpilot.

Lois öffnete die Tür und Huebner trat ein.

»Hi, Tom.«

»Lois.«

»Gary ist noch nicht da. Ich glaube, ich habe vor einer Weile seine Maschine gehört. Er müsste jede Minute eintreffen. Möchtest du warten oder ...?«:

Er starrte sie an. »Hast du die Nachrichten nicht gesehen?«

Lois schüttelte den Kopf. »Nein. Was ist denn los? Hoffentlich werden wir nicht schon wieder in einen Krieg verwickelt und .«

»Lois, ich fürchte, ich muss dir eine schlechte Nachricht überbringen. Eine sehr schlechte Nachricht.« Er sprach mit gepresster Stimme. »Es geht um Gary.«

Sie erstarrte. »Was ist mit ihm?«

»Er ist auf dem Weg hierher bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.« Er sah, wie sich ihre Augen trübten. »Es tut mir so Leid. Ich weiß, wie sehr ihr einander geliebt habt.«

Lois wollte etwas sagen, aber ihr Atem ging so schnell, dass sie kaum sprechen konnte. »Wie ... wie ... wie ...?«:

Tom Huebner ergriff ihre Hand und führte sie behutsam zur Couch.

Lois setzte sich und atmete tief durch. »Was ... was ist passiert?«

»Garys Maschine ist ein paar Meilen außerhalb von Denver an einen Berg geprallt.«

Lois hatte das Gefühl, als schwänden ihr die Sinne. »Tom, ich möchte allein sein.«

Er musterte sie besorgt. »Bist du dir sicher, Lois? Ich könnte hier bleiben und .«

»Danke, aber geh bitte.«

Tom Huebner erhob sich, stand einen Moment lang unschlüssig da und nickte dann. »Du hast meine Nummer. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«

Lois hörte nicht, wie er ging. Wie erstarrt saß sie da. Es war, als hätte ihr jemand gesagt, sie sei tot. Sie dachte an ihre Kindheit. Gary war immer ihr Beschützer gewesen, hatte sich mit den Jungs geprügelt, die sie neckten, hatte sie zu Baseballspielen, ins Kino und zu Partys begleitet. Vor einer Woche hatte sie ihn zum letzten Mal gesehen, und mit einem Mal hatte sie die Szene wieder vor Augen, als liefe ein Film ab.

Sie saßen beide am Esszimmertisch.

»Du isst ja gar nichts, Gary.«

»Es ist köstlich, Schwesterherz. Aber ich habe keinen Hunger.«

Sie betrachtete ihn einen Moment lang. »Möchtest du über irgendetwas reden?«

»Du merkst auch immer alles, was?« »Hat es etwas mit deiner Arbeit zu tun?«

»Ja.« Er schob den Teller weg. »Ich glaube, ich bin in Lebensgefahr.«

Lois schaute ihn erschrocken an. »Was?«

»Schwesterherz, nur eine Hand voll Menschen auf der ganzen Welt wissen, was da vor sich geht. Ich komme nächsten Montag wieder hierher und bleibe über Nacht. Am Dienstagmorgen muss ich nach Washington.«

Lois war verdutzt. »Wieso nach Washington?«

»Um über Prima zu berichten.«

Dann erklärte ihr Gary, worum es ging.

Und jetzt war Gary tot. Ich glaube, ich bin in Lebensgefahr. Ihr Bruder war nicht bei einem Unfall umgekommen. Er war ermordet worden.

Lois warf einen Blick auf ihre Uhr. Jetzt war es zu spät, um irgendetwas zu unternehmen, aber morgen würde sie ein paar Anrufe machen und dafür sorgen, dass ihr Bruder gerächt wurde. Sie wollte das zu Ende bringen, was Gary vorgehabt hatte. Mit einem Mal fühlte sich Lois wie ausgelaugt.

Nur mit Mühe konnte sie sich von der Couch erheben. Sie hatte noch nicht zu Abend gegessen, aber beim bloßen Gedanken an Essen wurde ihr übel.

Lois ging ins Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Sie war zu müde, um sich auszuziehen, lag nur wie benommen da, bis sie schließlich einschlief.

Lois träumte, dass sie und Gary in einem dahinrasenden Zug säßen und sämtliche Fahrgäste in dem Abteil rauchten. Es wurde immer heißer, und der Qualm brannte ihr im Hals. Hustend wachte sie auf, öffnete die Augen und blickte sich dann erschrocken um. Ihr Schlafzimmer brannte lichterloh, Flammen züngelten an den Vorhängen empor, und alles war voller Rauch. Keuchend und um Atem ringend schleppte sich Lois aus dem Bett. Sie versuchte, den Atem anzuhalten und torkelte ins Wohnzimmer. Der ganze Raum stand in Flammen und war in Qualm gehüllt. Sie wollte sich zur Tür durchschlagen, aber nach ein paar Schritten spürte sie, wie ihre Beine nachgaben, und fiel zu Boden.

Das Letzte, was Lois Reynolds wahrnahm, waren die gierigen Flammenzungen, die nach ihr leckten.