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Kathy Ordonez ging in Tanner Kingsleys Büro und brachte ihm die Morgenzeitungen. »Es ist schon wieder so weit.« Er warf einen Blick auf die Schlagzeilen, als sie ihm die Zeitungen reichte.
»NEBEL LEGT DEUTSCHE GROßSTÄDTE LAHM« »ALLE SCHWEIZER FLUGHÄFEN WEGEN NEBEL GESPERRT«
»NEBEL IN ITALIEN FORDERT ZAHLREICHE TODESOPFER«
»Soll ich das Senatorin van Luven schicken?«, fragte Kathy.
»Ja. Sofort«, sagte Tanner grimmig.
Kathy verließ eilends sein Büro.
Tanner warf einen Blick auf seine Armbanduhr und lächelte. Inzwischen müsste die Bombe hochgegangen sein. Die beiden Weiber sind endlich beseitigt.
Seine Sekretärin meldete sich über die Gegensprechanlage. »Mr. Kingsley, Senatorin van Luven ist für Sie am Apparat. Nehmen Sie das Gespräch entgegen?«
»Ja.« Tanner griff zum Telefon. »Tanner Kingsley.«
»Hallo, Mr. Kingsley. Hier ist Senatorin van Luven.«
»Guten Tag, Senatorin.«
»Meine Assistentinnen und ich sind zufällig in der Nähe Ihrer Firma. Wäre es Ihnen recht, wenn wir zu einem kurzen Besuch bei Ihnen vorbeikommen.«
»Jederzeit«, erwiderte Tanner aufgeräumt. »Ich führe Sie gerne herum, Senatorin.«
»Gut. Wir sind in Kürze da.«
Tanner drückte auf die Taste der Gegensprechanlage. »Ich erwarte in ein paar Minuten Gäste. Stellen Sie keine Anrufe durch.«
Er dachte an den Nachruf, den er vor ein paar Wochen in der Zeitung gelesen hatte. Senatorin van Luvens Mann war an einem Herzanfall gestorben. Ich werde ihr mein Beileid aussprechen.
Fünfzehn Minuten später trafen Senatorin van Luven und ihre beiden attraktiven Assistentinnen ein.
Tanner stand auf und begrüßte sie. »Freut mich sehr, dass Sie vorbeigekommen sind.«
Senatorin van Luven nickte. »Corinne Murphy und Karolee Trost kennen Sie ja bereits.«
Tanner lächelte. »Ja. Schön, Sie beide wiederzusehen.« Er wandte sich an die Senatorin. »Ich habe gehört, dass Ihr Mann verstorben ist. Mein herzliches Beileid.«
Senatorin van Luven nickte. »Danke. Er war seit langem krank, und vor ein paar Wochen ist er dann .« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Übrigens, die Hinweise auf die globale Erwärmung, die Sie mir zukommen ließen, sind sehr eindrucksvoll.«
»Danke.«
»Könnten Sie uns vielleicht zeigen, was Sie hier machen?«
»Natürlich. Wie lange darf ich Sie herumführen? Ich kann Ihnen eine fünftägige Besichtigungstour anbieten, eine viertägige und einen Rundgang, der etwa anderthalb Stunden dauert.«
Corinne Murphy grinste. »Die fünftägige Tour wäre doch .«
Senatorin van Luven fiel ihr ins Wort. »Wir begnügen uns mit der anderthalbstündigen Führung.«
»Mit Vergnügen.« »Wie viele Menschen arbeiten bei der KIG?«, fragte Senatorin van Luven.
»Ungefähr zweitausend. Wir haben Niederlassungen in einem Dutzend Länder in aller Welt.«
Corinne Murphy und Karolee Trost waren sichtlich beeindruckt.
»In der hiesigen Zentrale sind fünfhundert Mitarbeiter tätig. Das Verwaltungspersonal und die Kollegen von der Forschung sind in separaten Quartieren untergebracht. Jeder wissenschaftliche Mitarbeiter verfügt über einen IQ von mindestens einhundertsechzig.«
»Das sind ja die reinsten Genies«, stieß Corinne Murphy aus.
Senatorin van Luven sah sie missbilligend an.
»Folgen Sie mir bitte«, sagte Tanner.
Die Senatorin und ihre beiden Assistentinnen folgten Tanner durch eine Seitentür in ein angrenzendes Gebäude. Er führte sie in einen Raum, der voller geheimnisvoll aussehender Geräte stand.
Senatorin van Luven ging zu einem der sonderbaren Apparate und fragte: »Wozu dient das?«
»Das ist ein so genannter Sonograph, Senatorin. Er wandelt den Klang der menschlichen Stimme in ein Schallspektrogramm um. Damit kann man tausende verschiedener Stimmen erkennen.«
Karolee Trost runzelte die Stirn. »Und wie funktioniert das?«
»Stellen Sie es sich einmal folgendermaßen vor: Wenn Sie von einem Freund oder einer Freundin angerufen werden, erkennen Sie sofort die Stimme, weil Sie sich das typische Klangmuster eingeprägt haben. Auf die gleiche Weise programmieren wir diesen Prozessor. Wir verwenden einen elektronischen Filter, der nur einen bestimmten Frequenzbereich zum Aufzeichnungsgerät durchlässt, sodass wir nur die sprecherspezifischen Merkmale der betreffenden Person erfassen.«
Im weiteren Verlauf der Besichtigungstour bekamen sie eine Reihe faszinierender Apparaturen, teils riesengroß, teils im Westentaschenformat, zu sehen, dazu Elektronenmikroskope, Chemielabors, in denen ein Dutzend Wissenschaftler gemeinsam arbeiteten, Tafeln voller geheimnisvoller Zeichen und Symbole sowie Büros, in denen jeweils nur ein Forscher mit der Lösung eines vertrackten Problems beschäftigt war.
Schließlich kamen sie an einem roten Ziegelbau vorbei, dessen Tür mit zwei Schlössern versehen war.
»Was ist da drin?«, fragte Senatorin van Luven.
»Dort führen wir geheime Forschungen im Auftrag der Regierung durch. Tut mir Leid, aber hier ist der Zutritt für Unbefugte verboten, Senatorin.«
Die Führung dauerte alles in allem fast zwei Stunden. Als sie vorüber war, geleitete Tanner die drei Frauen in sein Büro zurück.
»Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen«, sagte er. Senatorin van Luven nickte. »Es war interessant.«
»Sehr interessant.« Corinne Murphy lächelte. Sie hatte den Blick auf Tanner geheftet.
»Ich bin begeistert!«, rief Karolee Trost.
Tanner wandte sich an die Senatorin. »Übrigens, haben Sie schon mit Ihren Kollegen über das Umweltproblem diskutiert, über das wir gesprochen haben?«
»Ja.« Die Senatorin klang unverbindlich.
»Könnten Sie mir vielleicht verraten, wie die Chancen Ihrer Meinung nach stehen, Senatorin?« »Das ist kein Ratespiel, Mr. Kingsley. Es wird noch weitere Besprechungen geben. Wenn eine Entscheidung gefallen ist, sage ich Ihnen Bescheid.«
Tanner rang sich ein Lächeln ab. »Danke. Und vielen Dank auch für Ihren Besuch.«
Er blickte ihnen nachdenklich hinterher, als sie gingen.
Als sich die Tür hinter ihnen wieder geschlossen hatte, meldete sich Kathy Ordonez über die Gegensprechanlage. »Mr. Kingsley, Saida Hernandez hat versucht, Sie zu erreichen. Sie sagte, es sei dringend, aber Sie hatten ja angeordnet, dass ich keine Gespräche durchstellen sollte.«
»Geben Sie sie mir«, sagte Tanner.
Saida Hernandez war die Frau, die er zum Adams Hotel geschickt hatte, wo sie die Bombe legen sollte.
»Apparat eins.«
Tanner griff zum Telefon und rechnete mit einer guten Nachricht. »Ist alles gut gegangen, Saida?«
»Nein. Tut mir Leid, Mr. Kingsley.« Er hörte den ängstlichen Unterton in ihrer Stimme. »Sie sind davongekommen.«
Tanner fuhr auf. »Was sind sie?«
»Ja, Sir. Sie sind aufgebrochen, bevor die Bombe hochging. Ein Page hat gesehen, wie sie das Hotel verließen.«
Tanner knallte den Hörer auf die Gabel. Dann betätigte er die Gegensprechanlage. »Schicken Sie Flint und Carballo her.«
Kurz darauf traten Harry Flint und Vince Carballo in Tanners Büro.
Tanner wandte sich den beiden Männern zu. Er war außer sich vor Wut. »Die beiden sind wieder entkommen. Aber das war das letzte Mal. Habt ihr verstanden? Ich werde euch sagen, wo sie sind, und ihr kümmert euch um sie. Irgendwelche Fragen?«
Flint und Carballo schauten sich an. »Nein, Sir.«
Tanner drückte auf einen Knopf, worauf der elektronische Stadtplan zum Vorschein kam. »Solange sie die Karten haben, die ich ihnen gegeben habe, können wir sie auch aufspüren.«
Sie sahen, wie die Lämpchen auf dem Bildschirm aufleuchteten. Sie bewegten sich nicht von der Stelle.
Tanner knirschte mit den Zähnen. »Sie haben die Karten weggeworfen.« Sein Gesicht war rot angelaufen, als er sich an Flint und Carballo wandte. »Ich möchte, dass sie noch heute umgebracht werden.«
Flint blickte Tanner verdutzt an. »Wie sollen wir sie kalt machen, wenn wir nicht wissen, wo sie ...?«:
Tanner fiel ihm ins Wort. »Meinen Sie etwa, ich lasse mich von zwei Frauen so einfach überlisten? Solange sie ihre Handys bei sich haben, können wir feststellen, wo sie sich aufhalten.«
»Haben Sie etwa ihre Handynummern rausgekriegt?«, fragte Flint überrascht.
Tanner ging nicht darauf ein. Er musterte den Stadtplan.
»Mittlerweile haben sie sich vermutlich getrennt.« Er drückte auf einen anderen Schalter. »Probieren wir’s zuerst mit Diane Stevens.« Tanner gab eine Nummer ein.
Das Licht auf dem Stadtplan bewegte sich langsam durch die Straßen von Manhattan, an Hotels, Geschäften und Kaufhäusern vorbei. Schließlich verharrte es vor einem großen Gebäude, das als NELSON GALLERY ausgeschildert war.
»Diane Stevens ist in einem Einkaufscenter.« Tanner drückte auf einen weiteren Knopf. »Mal sehen, wo Kelly Harris steckt.« Wieder gab er eine Nummer ein. Erneut bewegte sich ein Licht, diesmal aber in einem anderen Teil der Stadt.
Die Männer sahen zu, wie es eine Straße entlangwanderte, an der sich ein Bekleidungsgeschäft, ein Restaurant, eine Drogerie und eine Busstation befanden. Das Licht umkreiste einmal den Häuserblock und verharrte dann vor einem großen, offenen Gebäude.
»Kelly Harris ist an einer Busstation«, sagte Tanner mit grimmiger Stimme. »Wir müssen die beiden möglichst schnell abfangen.«
»Wie denn?«, fragte Carballo. »Sie sind an zwei verschiedenen Stellen, jede auf der anderen Seite der Stadt. Bis wir dort hinkommen, sind sie wahrscheinlich schon weg.«
Tanner drehte sich um. »Kommen Sie mit.« Flint und Carballo folgten ihm in das Zimmer nebenan. In dem Raum, den sie betraten, befanden sich allerlei Monitore, Computer und Keyboards mit bunten Knöpfen und Tasten. Auf einem Regal stand ein kleines, kompaktes Gerät, neben dem ein Dutzend CDs und DVDs aufgereiht waren. Tanner sah sie durch und schob eine CD mit der Aufschrift DIANE STEVENS in das Gerät.
»Das ist ein Sprachsynthesizer«, erklärte er den Männern. »Die Stimmen von Mrs. Stevens und Mrs. Harris wurden aufgezeichnet, die sprecherspezifischen Merkmale analysiert und dann digital erfasst. Auf Knopfdruck wird jedes Wort, das ich sage, ihrem Klangbild entsprechend angepasst.« Tanner nahm ein Handy und gab eine Nummer ein.
Ein verhaltenes »Hallo« war zu hören. Es war Kelly Harris’ Stimme.
»Kelly! Ich bin ja so froh, dass ich Sie erreiche.« Tanner sprach, aber sie hörten Diane Stevens’ Stimme.
»Diane! Sie haben mich gerade noch rechtzeitig erreicht. Ich bin im Begriff abzureisen.«
Flint und Carballo hörten verwundert zu.
»Wohin wollen Sie, Kelly?«
»Nach Chicago. Zum O’Hare und von dort aus mit dem Flugzeug nach Hause.«
»Kelly, Sie können jetzt nicht abreisen.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Wieso nicht?«
»Weil ich herausgefunden habe, worum es bei der ganzen Sache geht. Ich weiß, wer unsere Männer umgebracht hat und weshalb.«
»O mein Gott! Wie haben ... Sind sie sich sicher?«
»Absolut. Ich habe alle Beweise, die wir brauchen.«
»Diane, das ... das ist ja wunderbar.«
»Ich habe die Beweise bei mir. Ich bin im Delmont Hotel, in Penthouse A. Ich gehe von hier aus zum FBI. Ich möchte, dass Sie mitkommen, aber wenn Sie nach Hause müssen, habe ich dafür vollstes Verständnis.«
»Nein, nein! Ich möchte meinen Teil dazu beitragen und das zu Ende bringen, was Mark vorhatte.«
Wie gebannt verfolgten Flint und Carballo jedes Wort. Im Hintergrund hörten sie die Durchsage für einen Bus nach Chicago.
»Ich komme mit Ihnen, Diane. Sie sind im Delmont Hotel?«
»Ja, an der Sechsundachtzigsten Straße. Penthouse A.«
»Bin schon unterwegs. Bis gleich.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Tanner wandte sich an Flint und Carballo. »Der eine Teil des Problems wäre gelöst. Jetzt kümmern wir uns um den anderen.«
Flint und Carballo sahen zu, wie Tanner eine weitere CD mit der Aufschrift KELLY HARRIS in den Synthesizer schob. Dann drückte er auf einen Schalter und tippte eine Nummer in sein Handy ein.
Diane meldete sich unverzüglich. »Hallo .«
Tanner sprach ins Telefon, aber sie hörten Kelly Harris’ Stimme.
»Diane .«
»Kelly! Ist alles in Ordnung?« »Mir geht’s ausgezeichnet. Ich habe eine tolle Nachricht. Ich habe herausgefunden, wer unsere Männer umgebracht hat und weshalb.«
»Was? Wer ... wer ...?«:
»Darüber dürfen wir nicht am Telefon sprechen, Diane. Ich bin im Delmont Hotel an der Sechsundachtzigsten Straße, Penthouse A. Können wir uns dort treffen?«
»Na klar. Ich komme gleich hin.«
»Wunderbar, Diane. Ich warte.«
Tanner stellte das Gerät ab und wandte sich an Flint. »Sie warten dort.« Er reichte Flint einen Schlüssel. »Das ist der Schlüssel zu Penthouse A. Es ist unsere Firmensuite. Begeben Sie sich sofort dorthin und warten Sie. Ich möchte, dass Sie die beiden umbringen, sobald sie durch die Tür kommen. Ich sorge dafür, dass sich jemand um die Leichen kümmert.«
Carballo und Tanner blickten Flint hinterher, als er sich umdrehte und eiligen Schrittes hinausging.
»Und was soll ich machen, Mr. Kingsley?«, fragte Carballo.
»Sie kümmern sich um Saida Hernandez.«
Flint, der in Penthouse A wartete, war fest entschlossen, diesmal nichts schief gehen zu lassen. Er hatte gehört, dass Tanner Stümper beseitigen ließ. Nicht mit mir, dachte er. Er zog seine Pistole, überzeugte sich, dass sie geladen war, und schraubte den Schalldämpfer auf. Jetzt musste er nur noch warten.
Kelly Harris saß unterdessen in einem Taxi, das nur mehr sechs Häuserblocks vom Delmont Hotel entfernt war, und dachte ein ums andere Mal an Dianes Worte. Ich weiß, wer unsere Männer umgebracht hat und weshalb. Ich habe alle Beweise, die wir brauchen. Mark, ich werde sie büßen lassen für das, was sie dir angetan haben.
Diane fieberte förmlich vor Ungeduld. Der Albtraum war endlich vorüber. Irgendwie hatte Kelly herausgefunden, wer sie umbringen wollte, und sie hatte die nötigen Beweise. Du wirst stolz auf mich sein, Richard. Ich spüre, dass du in meiner Nähe bist und ...
Diane wurde vom Taxifahrer aus ihren Gedanken gerissen. »Das Delmont Hotel. Wir sind da, Ma’am.«