172585.fb2 Der Zorn der G?tter - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 34

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»Haben Sie einen Reisepass?«, fragte Diane.

»Ich habe immer einen Reisepass dabei, wenn ich in der Fremde bin«, erwiderte Kelly. »Und hier komme ich mir in letzter Zeit sehr fremd vor.«

Diane nickte. »Mein Pass liegt in einem Bankschließfach. Ich hole ihn. Außerdem brauchen wir Bargeld.«

In der Bank angekommen, ging Diane nach unten in die Tresorräume und öffnete ihr Schließfach. Sie holte ihren Pass heraus, steckte ihn in ihre Handtasche, ging wieder nach oben und begab sich zum nächsten Schalter.

»Ich möchte mein Konto auflösen.«

»Selbstverständlich. Ihren Namen, bitte.«

»Diane Stevens.«

Der Bankangestellte nickte. »Einen Moment bitte.« Er ging zu einer Reihe von Aktenschränken, zog eine Schublade heraus und blätterte die Karten durch. Dann zog er eine heraus, musterte sie kurz und kam dann zu Diane zurück.

»Ihr Konto wurde bereits aufgelöst, Mrs. Stevens.«

Diane schüttelte den Kopf. »Nein, das muss ein Irrtum sein. Ich habe .«

Der Bankangestellte legte Diane die Karte hin. »Konto aufgelöst«, stand darauf. »Grund: Kontoinhaber verstorben.«

Diane starrte ungläubig auf die Karte, dann blickte sie zu dem Bankangestellten auf. »Sehe ich so aus, als wäre ich tot?«

»Natürlich nicht. Tut mir Leid. Wenn Sie möchten, kann ich den Direktor holen .«

»Nein!« Mit einem Mal wurde ihr klar, was geschehen war, und wieder lief es ihr eiskalt über den Rücken. »Nein, danke.«

Diane ging rasch zum Ausgang, wo Kelly wartete.

»Haben Sie den Pass und das Geld bekommen?«

»Den Pass habe ich. Aber die Mistkerle haben mein Bankkonto aufgelöst.«

»Wie konnten die ...?«:

»Ganz einfach. Sie sind von der KIG, wir nicht.« Diane dachte einen Moment lang nach. »O mein Gott.«

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Ich muss rasch einen Anruf erledigen.« Diane lief zu einer Telefonzelle, wählte eine Nummer und holte eine Kreditkarte heraus. Kurz darauf sprach sie mit einem Angestellten. »Das Konto läuft auf den Namen Diane Stevens. Es ist gedeckt .«

»Tut mir Leid, Mrs. Stevens. Unseren Unterlagen zufolge wurde Ihre Kreditkarte als gestohlen gemeldet. Wenn Sie einen Antrag einreichen, können wir Ihnen in ein, zwei Tagen eine neue Karte ausstellen und .«

»Ist schon gut«, sagte Diane. Sie hängte den Hörer ein und kehrte zu Kelly zurück. »Sie haben meine Kreditkarten gesperrt.«

Kelly atmete tief durch. »Jetzt sollte ich besser auch ein, zwei Anrufe machen.«

Kelly war fast eine halbe Stunde am Telefon. Als sie zurückkehrte, war sie fuchsteufelswild. »Der Krake hat wieder zugeschlagen. Aber ich habe noch ein Bankkonto in Paris, ich kann also .«

»Dazu haben wir keine Zeit, Kelly. Wir müssen sofort von hier weg. Wie viel Geld haben Sie bei sich?«

»Bis nach Brooklyn reicht es noch. Wie sieht’s bei Ihnen aus?« »Mit meinem kommen wir gerade mal bis New Jersey.«

»Dann sitzen wir fest. Ihnen ist doch sicher klar, weshalb die das machen, nicht wahr? Um uns daran zu hindern, nach Europa zu reisen und die Wahrheit herauszufinden.«

»Sieht so aus, als ob es ihnen gelungen wäre.«

»Nein«, sagte Kelly nachdenklich. »Wir fahren trotzdem.«

»Wie denn?«, sagte Diane skeptisch. »Mit meinem Raumschiff?«

»Mit meinem.«

Joseph Berry, der Geschäftsführer eines Juwelierladens an der Fifth Avenue, schenkte Kelly und Diane sein verbindlichstes Lächeln, als die beiden auf ihn zukamen. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ja«, sagte Kelly. »Ich möchte meinen Ring verkaufen. Es ist .«

Sein Lächeln gefror. »Tut mir Leid. Wir kaufen keine Schmuckstücke an.«

»Oh. Das ist schade.«

Joseph Berry wollte sich bereits abwenden, als Kelly die Hand öffnete, in der ein Ring mit einem großen Smaragd lag. »Das ist ein Platinring mit einem siebenkarätigen Smaragd, umgeben von dreikarätigen Diamanten.«

Sichtlich beeindruckt starrte Joseph Berry auf den Ring. Er nahm eine Juwelierlupe und klemmte sie sich ins Auge.

»Ein herrliches Stück, aber wir halten uns grundsätzlich an die Regel, dass wir .«

»Ich möchte zwanzigtausend Dollar dafür.«

»Sagten Sie zwanzigtausend Dollar?«

»Ja, in bar.«

Diane starrte sie an. »Kelly .«

Berry musterte den Ring ein weiteres Mal und nickte.

»Ich ... äh ... glaube, das lässt sich einrichten. Einen Moment.« Er verschwand im Büro.

»Sind Sie wahnsinnig?«, zischte Diane. »Sie lassen sich ausrauben!«

»Aha? Wenn wir hier blieben, werden wir umgebracht. Sagen Sie mir, wie viel unser Leben wert ist.«

Darauf fiel Diane keine Antwort ein.

Joseph Berry kam lächelnd aus dem Büro zurück. »Ich schicke umgehend jemanden zur Bank auf der anderen Straßenseite und lasse das Geld für Sie holen.«

Diane wandte sich an Kelly. »Ich wünschte, Sie würden das sein lassen.«

Kelly zuckte die Achseln. »Es ist doch nur ein Schmuckstück .« Sie schloss die Augen.

Es ist doch nur ein Schmuckstück ...

Sie war gerade aufgestanden, als das Telefon klingelte.

»Guten Morgen, Liebling.« Es war Mark.

»Guten Morgen.«

Sie wartete darauf, dass er ihr zum Geburtstag gratulierte.

Stattdessen sagte er: »Du arbeitest doch heute nicht. Hast du Lust auf eine Wanderung?«

Das war nicht unbedingt das, was Kelly erwartet hatte. Deshalb war sie zunächst ein bisschen enttäuscht. Immerhin hatten sie erst vor einer Woche über ihren Geburtstag gesprochen. Mark hatte ihn offenbar vergessen.

»Von mir aus.«

»Ich hole dich in einer halben Stunde ab.«

»Ich erwarte dich.« »Wohin fahren wir?«, fragte Kelly, als sie im Wagen saßen.

Beide trugen Wanderkleidung.

»Bei Fontainebleau gibt es herrliche Wanderwege.«

»Oh. Fährst du oft dorthin?«

»Ich habe das früher immer gemacht, wenn ich fliehen wollte.«

Kelly schaute ihn verdutzt an. »Wovor wolltest du fliehen?«

Er zögerte einen Moment. »Vor der Einsamkeit. Da draußen habe ich mich nicht so allein gefühlt.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu und lächelte. »Seit ich dich kenne, war ich nicht mehr dort.«

Fontainebleau, rund 60 Kilometer südöstlich von Paris gelegen, ist ein prachtvoller Königspalast inmitten dichter Wälder.

Als der majestätische Bau in der Ferne aufragte, sagte Mark: »König Franz I. ließ den jetzigen Renaissancebau anstelle eines alten Jagdschlösschens errichten. Viele französische Könige lebten hier, unter anderem Ludwig XIV, der hier das Edikt von Nantes unterzeichnete.«

»Ach, wirklich?« Kelly musterte ihn von der Seite und dachte: Ob es wohl damals schon Geburtstagskarten gegeben hat? Ich wünschte, ich hätte eine von ihm bekommen. Ich benehme mich wie ein Schulmädchen.

Dann hatten sie die unmittelbare Schlossumgebung erreicht. Mark fuhr auf einen der Parkplätze.

Als sie ausstiegen und auf die Wälder zugingen, fragte Mark: »Schaffst du zwei Kilometer?«

Kelly lachte. »Auf dem Laufsteg lege ich tagtäglich weitere Strecken zurück.«

Mark ergriff ihre Hand. »Gut. Dann mal los.«

Sie kamen an einer Reihe prachtvoller Gebäude vorbei und stießen dann auf einen Waldweg. Sie waren völlig allein, umgeben von grünen Feldern und uralten Bäumen. Es war ein sonniger Sommertag mit wolkenlosem Himmel und einem angenehmen, warmen Wind.

»Ist das nicht herrlich?«, fragte Mark.

»Es ist zauberhaft, Mark.«

»Ich bin froh, dass du heute frei hast.«

Kelly fiel etwas ein. »Musst du heute nicht arbeiten?«

»Ich habe beschlossen, mir einen Tag freizunehmen.«

»Oh.«

Tiefer und immer tiefer wanderten sie in den geheimnisvollen Wald.

»Wie weit willst du noch gehen?«, fragte Kelly nach einer Viertelstunde.

»Da vorne ist eine Stelle, die ich besonders mag. Wir sind gleich da.«

Ein paar Minuten später stießen sie auf eine Lichtung, in deren Mitte eine mächtige Eiche stand.

»Da wären wir«, sagte Mark.

»Ist das hier friedlich.«

Kelly sah, dass irgendetwas in die Rinde des Baumes geritzt war. Sie ging hin. HERZLICHE GLÜCKWÜNSCHE ZUM GEBURTSTAG stand dort.

Sprachlos starrte sie Mark einen Moment lang an. »Oh, Mark, mein Liebster. Vielen Dank.«

Er hatte es also doch nicht vergessen.

»Ich glaube, da könnte noch was im Baum sein.«

»Im Baum?« Kelly trat einen Schritt näher und sah die Höhlung, die sich unmittelbar vor ihr in Augenhöhe auftat. Sie schob die Hand hinein, ertastete ein kleines Päckchen und holte es heraus. Es war eine Geschenkschachtel. »Was ...?«

»Mach sie auf.«

Kelly öffnete sie und bekam große Augen. In der Schachtel lag ein Platinring mit einem siebenkarätigen Smaragd, umgeben von dreikarätigen Diamanten. Kelly starrte ihn ungläubig an. Dann wandte sie sich um und schlang die Arme um Mark. »Das ist viel zu viel.«

»Ich würde dir den Mond schenken, wenn du mich darum bitten würdest. Kelly, ich liebe dich.«

Sie schmiegte sich an ihn und gab sich einem Hochgefühl hin, wie sie es noch nie erlebt hatte. Und dann sagte sie etwas, das sie niemals hatte sagen wollen. »Ich dich auch, mein Liebster.«

Er schaute sie mit strahlender Miene an. »Dann sollten wir sofort heiraten. Wir .«

»Nein.« Es war wie ein Peitschenhieb.

Mark schaute sie überrascht an. »Warum nicht?«

»Es geht nicht.«

»Kelly - glaubst du mir etwa nicht, dass ich dich liebe?«

»Doch.«

»Und du liebst mich doch auch?«

»Ja.«

»Aber du willst mich nicht heiraten?«

»Ich möchte es ja, aber ich ... ich kann nicht.«

»Das verstehe ich nicht. Was ist denn los?«

Er musterte sie verständnislos. Und Kelly wusste genau, dass Mark sie nie wieder würde sehen wollen, wenn sie ihm von ihrem traumatischen Erlebnis erzählte. »Ich . ich könnte niemals eine richtige Frau für dich sein.«

»Was meinst du damit?«

Es war das Schwerste, das Kelly jemals hatte aussprechen müssen. »Mark, wir könnten niemals miteinander schlafen. Als ich acht Jahre alt war, wurde ich missbraucht.« Sie blickte zu den Bäumen am Rande der Lichtung, als suchte sie dort Trost, während sie dem ersten Mann, den sie jemals geliebt hatte, die ganze erbärmliche Geschichte erzählte. »Ich mache mir nichts aus Sex. Der bloße Gedanke daran stößt mich schon ab. Ich habe Angst davor. Ich . ich bin keine richtige Frau. Ich bin nicht normal.« Mühsam holte sie Luft und versuchte, nicht laut loszuweinen.

Kelly spürte, wie Mark ihre Hände ergriff. »Das tut mir ja so Leid, Kelly. Es muss schrecklich gewesen sein.«

Kelly schwieg.

»In einer Ehe ist Sex sehr wichtig«, sagte Mark.

Kelly nickte und biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste bereits, was danach kam. »Natürlich. Deshalb habe ich auch vollstes Verständnis, wenn du nicht willst, dass .«

»Aber darum geht es in einer Ehe nicht ausschließlich. In einer Ehe geht es vor allem darum, dass man sein Leben mit jemandem verbringen möchte, den man liebt - jemand, mit dem man reden kann, mit dem man in guten wie in schlechten Zeiten zusammen ist.«

Sie hörte ihm fassungslos zu, traute ihren Ohren kaum.

»Die Lust lässt irgendwann nach, Kelly, aber wahre Liebe nicht. Ich liebe dich von ganzem Herzen, wegen deiner inneren Werte. Ich möchte bis ans Ende meiner Tage mit dir zusammenleben. Ich komme auch ohne Sex aus.«

Kelly versuchte so ruhig wie möglich zu klingen. »Nein, Mark - das kann ich nicht zulassen.«

»Warum?«

»Weil du es eines Tages bereuen wirst. Du wirst dich in jemanden verlieben, der dir das gibt, was ich dir nicht geben kann, und dann wirst du mich verlassen . Und das würde mir das Herz brechen.«

Mark nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.

»Willst du wissen, warum ich dich niemals verlassen würde? Weil du meine bessere Hälfte bist. Wir werden heiraten.«

Kelly schaute ihm in die Augen. »Mark - bist du dir darüber im Klaren, in was du da reingerätst?«

Mark lächelte und sagte: »Ich glaube, diese Formulierung war jetzt nicht ganz so passend.«

Kelly lachte und schmiegte sich an ihn. »Oh, mein Schatz, bist du dir sicher, dass du ...?«:

Mit strahlender Miene schaute er sie an. »Ich bin mir sicher. Und was sagst du?«

Sie spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen.

»Ich sage ... Ja.«

Mark steckte ihr den Smaragdring an den Finger. Dann standen sie eine ganze Zeit lang eng umschlungen da.

Schließlich sagte Kelly: »Ich möchte, dass du morgen früh in den Salon mitkommst und ein paar der Models kennen lernst, mit denen ich arbeite.«

»Ich dachte, laut Vorschrift ist das nicht .«

»Die Vorschriften wurden geändert.«

Mark war Feuer und Flamme. »Ich rede mit einem Standesbeamten, den ich kenne, und sehe zu, dass er uns am Sonntag traut.«

Als Kelly und Mark am nächsten Morgen zum Salon kamen, deutete Kelly zum Himmel hinauf. »Sieht aus, als finge es jeden Moment an zu regnen. Alle reden übers Wetter, aber keiner macht etwas dagegen.«

Mark warf ihr einen eigenartigen Blick zu.

Kelly sah Marks Gesichtsausdruck. »Oh, tut mir Leid. Das ist ein Klischee, nicht wahr?«

Mark gab ihr keine Antwort.

Ein halbes Dutzend Models waren im Umkleideraum, als Kelly hineinkam.

»Ich muss euch etwas mitteilen. Ich werde am Sonntag heiraten, und ihr seid alle eingeladen.«

Im nächsten Moment plapperten alle durcheinander.

»Ist das der geheimnisvolle Beau, den du uns immer vorenthältst?«

»Kennen wir ihn?«

»Wie sieht er aus?«

»Wie der junge Cary Grant«, versetzte Kelly stolz.

»Oh! Wann lernen wir ihn kennen?«

»Jetzt. Er ist hier.« Kelly riss die Tür weit auf. »Komm rein, Liebling.«

Mark trat in das Zimmer, und sofort kehrte Stille ein. Eines der Models warf einen kurzen Blick auf Mark und sagte dann leise vor sich hin: »Soll das ein Witz sein?«

Mark Harris war gut einen Kopf kleiner als Kelly, ein unscheinbarer, eher durchschnittlich wirkender Mann mit schütter werdenden grauen Haaren.

Als der erste Schreck sich gelegt hatte, traten sie vor und gratulierten der angehenden Braut und dem Bräutigam.

»Das sind ja wunderbare Neuigkeiten.«

»Wir sind völlig begeistert.«

»Ihr werdet bestimmt glücklich miteinander.«

Danach gingen Kelly und Mark wieder. »Meinst du, die mögen mich?«, fragte Mark, als sie den Flur entlangliefen.

Kelly lächelte. »Selbstverständlich. Wer könnte dich denn nicht mögen?« Dann blieb sie stehen. »Oh!«

»Was ist?« »Ich bin auf dem Cover einer Modezeitschrift, die gerade eingetroffen ist. Ich möchte sie dir zeigen. Bin gleich wieder da.«

Kelly ging zum Umkleideraum zurück. Als sie an die Tür kam, hörte sie eines der Models sagen: »Will Kelly den wirklich heiraten?«

Kelly blieb stehen und lauschte.

»Sie muss verrückt geworden sein.«

»Ich habe gesehen, wie sie den hübschesten Männern auf der Welt einen Laufpass gegeben hat, und den reichsten dazu. Was findet sie nur an ihm?«

Eines der Models, das bislang geschwiegen hatte, ergriff das Wort. »Das ist doch ganz einfach«, sagte sie.

»Was denn?«

»Ihr werdet lachen.« Sie zögerte einen Moment.

»Mach schon.«

»Habt ihr schon mal den Spruch >Liebe macht blind< gehört?«

Niemand lachte.

Die Trauung fand im Justizministerium in Paris statt, und sämtliche Models nahmen als Brautjungfern daran teil. Draußen auf der Straße hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, nachdem sich die Nachricht von der Hochzeit des Supermodels Kelly herumgesprochen hatte. Und natürlich waren auch sämtliche Paparazzi aufmarschiert.

Sam Meadows war Marks Trauzeuge. »Wo wollt ihr die Flitterwochen verbringen?«, fragte Meadows.

Mark und Kelly blickten einander an. Sie hatten noch keinen Gedanken an die Flitterwochen verschwendet.

Mark sagte: »Äh ...« Dann nannte er den erstbesten Ort, der ihm einfiel. »In Sankt Moritz.«

Kelly lächelte beklommen. »Ja, in Sankt Moritz.«

Keiner von beiden war schon einmal in St. Moritz gewesen, und dementsprechend überwältigt waren sie von dem Ausblick, der sich ihnen bot, einem atemberaubenden Panorama aus majestätischen Bergen und lieblichen Tälern.

Das Hotel Palace Badrutt stand auf einem hohen Hügel. Mark hatte vorher angerufen und ein Zimmer reserviert, und als sie eintrafen, wurden sie vom Direktor höchstpersönlich in Empfang genommen. »Guten Tag, Mr. und Mrs. Harris. Ich habe unsere Hochzeitssuite für Sie vorbereiten lassen.«

Mark schwieg einen Moment lang. »Könnten Sie ... könnten Sie uns vielleicht ein zweites Bett in der Suite aufstellen?«

»Ein zweites Bett?«, fragte der Direktor mit ausdrucksloser Stimme.

»Äh ... ja, bitte.«

»Oh, selbstverständlich.«

»Vielen Dank.« Mark wandte sich an Kelly. »Hier gibt’s allerhand interessante Sachen zu sehen.« Er zog eine Liste aus der Tasche. »Das Engadiner Museum, den Druidenstein, den Sankt-Mauritius-Brunnen, auch einen schiefen Turm ...«

Als Mark und Kelly allein in ihrer Suite waren, sagte Mark: »Liebling, ich möchte keine Situation aufkommen lassen, in der du dich unwohl fühlst. Wir veranstalten diese Flitterwochen ja nur, damit kein Klatsch aufkommt. Wir werden unser ganzes Leben gemeinsam verbringen. Und das, was uns verbindet, ist wichtiger als alles Körperliche. Ich möchte einfach mit dir zusammen sein und dich bei mir haben.«

Kelly nahm ihn in die Arme und schmiegte sich an ihn.

»Ich . ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

Mark lächelte. »Du musst doch gar nichts sagen.«

Sie speisten im Restaurant unten im Erdgeschoss zu Abend und gingen dann wieder auf ihre Suite. Mittlerweile war ein zweites Doppelbett aufgestellt worden.

»Wollen wir eine Münze werfen?«

Kelly lächelte. »Such dir einfach eins aus.«

Als Kelly fünfzehn Minuten später aus dem Badezimmer kam, lag Mark bereits im Bett.

Kelly ging zu ihm und setzte sich auf die Bettkante.

»Mark, bist du sicher, dass du damit klarkommst?«

»So sicher, wie ich mir in meinem ganzen Leben noch nie gewesen bin.«

»Gute Nacht.«

Kelly ging in ihr Bett, lag dann da und dachte nach. Sie ließ noch einmal die Nacht Revue passieren, die ihr Leben verändert hatte. Schscht! Sei still ... Wenn du deiner Mutter was davon erzählst, komm ich wieder und bring sie um. Dieses Ungeheuer hatte ihr etwas angetan, das ihr ganzes Dasein bestimmte. Er hatte etwas in ihr abgetötet und ihr Angst eingeflößt . Angst vor der Dunkelheit . Angst vor Männern . Angst vor der Liebe. Sie hatte sich seiner Macht unterworfen. Ich darf das nicht mehr zulassen. Auf keinen Fall. All die Gefühle, die sie so lange unterdrückt hatte, all die Leidenschaft, die sich im Laufe der Jahre aufgestaut hatte, brachen aus ihr hervor, als wäre ein Damm geborsten. Kelly blickte zu Mark, und mit einem Mal sehnte sie sich nach ihm, begehrte ihn mit aller Macht. Sie schlug die Zudecke zurück und ging zu seinem Bett. »Rutsch rüber.«

Mark setzte sich verdutzt auf. »Du hast doch gesagt, du . du willst nicht, dass ich in dein Bett komme, und ich .«

Kelly schaute ihn an und sagte leise: »Aber ich habe nicht gesagt, dass ich nicht in dein Bett will.« Sie betrachtete seine Miene, als sie ihr Nachthemd auszog und zu ihm ins Bett schlüpfte. »Nimm mich in die Arme«, flüsterte sie.

»Ja, Kelly! O ja!«

Er begann sanft und zärtlich. Zu sanft. Zu zärtlich. Die Schleusen hatten sich geöffnet, und Kelly brauchte ihn jetzt, wollte ihn unbedingt spüren. Sie liebte ihn mit einer Wildheit, die sie sich niemals zugetraut hätte, und gab sich dem wunderbaren Gefühl hin, das alles übertraf, was sie jemals erlebt hatte.

Als sie hinterher eng umschlungen beisammenlagen und sich ausruhten, sagte Kelly: »Kannst du dich an die Liste erinnern, die du mir gezeigt hast?«

»Ja.«

»Die kannst du wegwerfen«, sagte sie leise.

Mark grinste.

»Was bin ich bloß für ein Dummkopf gewesen«, sagte Kelly. Sie schmiegte sich an Mark, und sie redeten miteinander, liebten sich dann ein weiteres Mal, bis sie schließlich beide restlos erschöpft waren.

»Ich mache das Licht aus«, sagte Mark.

Sie verkrampfte sich und kniff die Augen zu, wollte Nein sagen. Aber sie spürte seinen warmen Körper neben sich, der sie beschützte, und so schwieg sie.

Als Mark das Licht ausgeschaltet hatte, schlug sie die Augen auf.

Und Kelly stellte fest, dass sie sich nicht mehr vor der Dunkelheit fürchtete. Sie ...

»Kelly? Kelly!«

Sie wurde jäh aus ihrem Tagtraum gerissen, blickte auf, und mit einem Mal war sie wieder in einem Juwelierladen an der Fifth Avenue in New York. Joseph Berry hielt ihr einen dicken Briefumschlag hin.

»Bitte sehr. Zwanzigtausend Dollar in Hundertdollarscheinen, genauso, wie Sie es wünschten.«

Es dauerte einen Moment, bis Kelly sich wieder gefasst hatte. »Vielen Dank.«

Kelly öffnete den Umschlag, nahm zehntausend Dollar heraus und reichte sie Diane.

Diane schaute sie verdutzt an. »Was soll das?«

»Das ist Ihre Hälfte.«

»Wofür? Ich kann doch nicht ...«

»Sie können es mir ja später zurückzahlen.« Kelly zuckte die Achseln. »Falls wir dann noch leben. Wenn nicht, brauche ich eh nichts mehr. Nun wollen wir doch mal sehen, wie wir von hier wegkommen.«