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Obwohl es eine wundervolle Krise war, mit Punktgewinnen bei den Meinungsumfragen und Rosenberg tot, mit einem sauberen, aufpolierten Image und einem Amerika, dem wohl zumute war, weil er an der Spitze des Staates stand, mit den Demokraten, die nichts zu melden hatten, und mit der Wiederwahl im nächsten Jahr so gut wie in der Tasche, hatte er diese Krise und die damit verbundenen Zusammenkünfte im Morgengrauen satt. Er hatte F. Denton Voyles satt, seine Selbstgefälligkeit und Arroganz und seine gedrungene kleine Gestalt, Voyles, der in einem zerknitterten Trenchcoat an der anderen Seite eines Schreibtisches saß und aus dem Fenster schaute, während er mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten sprach. Er würde in einer Minute hier sein, wieder eine Zusammenkunft vor dem Frühstück, wieder eine unerfreuliche Begegnung, bei der Voyles nur einen Bruchteil von dem berichten würde, was er wusste.
Er hatte es satt, im Dunkeln gelassen und nur mit den Krümeln gefüttert zu werden, die Voyles ihm vor die Füße zu werfen geruhte. Auch Gminski würde ihm ein paar Krümel zuwerfen, und damit sollte er genug haben und zufrieden sein. Verglichen mit ihnen wusste er überhaupt nichts. Immerhin hatte er Coal, der ihre Papiere durchpflügte und seinem Gedächtnis einverleibte und aufpasste, dass sie nicht logen.
Er hatte auch Coal satt. Seine Perfektion und sein Auskommen ohne Schlaf. Seine Brillanz. Seine Gewohnheit, jeden Tag zu beginnen, wenn die Sonne irgendwo über dem Atlantik stand, und jede verdammte Minute jeder verdammten Stunde zu planen, bis sie über dem Pazifik stand. Und dann griff sich Coal noch einen Karton mit dem ganzen Mist des Tages, nahm ihn mit nach Hause, las ihn, entschlüsselte ihn, speicherte ihn und kam dann ein paar Stunden später wieder an und sprudelte den stinklangweiligen Mischmasch heraus, den er gerade verschlungen hatte. Wenn Coal müde war, schlief er fünf Stunden, aber das Normale waren drei oder vier. Er verließ sein Büro im Westflügel gegen elf Uhr abends, las während der ganzen Heimfahrt auf dem Rücksitz seiner Limousine, und ungefähr um die Zeit, zu der der Motor der Limousine abgekühlt war, wartete Coal bereits darauf, dass sie ihn ins Weiße Haus zurückbrachte. Er hielt es für eine Sünde, später als fünf Uhr morgens an seinem Schreibtisch einzutreffen. Und wenn er hundertzwanzig Stunden pro Woche arbeiten konnte, sollten alle anderen imstande sein, wenigstens achtzig zu leisten. Er verlangte achtzig. Nach drei Jahren konnte sich niemand in der Administration an all die Leute erinnern, die Fletcher Coal gefeuert hatte, weil sie keine achtzig Stunden in der Woche arbeiteten. Das passierte jeden Monat mindestens dreimal.
Coal war am glücklichsten in den Frühstunden, in denen Hochspannung herrschte und eine unerfreuliche Zusammenkunft anstand. In der vergangenen Woche hatte diese Sache mit Voyles bewirkt, dass er ununterbrochen lächelte. Er stand neben dem Schreibtisch und las ein paar Briefe, während der Präsident die Post überflog und zwei Sekretärinnen herumwieselten.
Der Präsident warf einen Blick auf ihn. Tadelloser schwarzer Anzug, weißes Hemd, rote Seidenkrawatte, ein bisschen zuviel Pomade im Haar über den Ohren. Er hatte ihn restlos satt, aber er würde darüber hinwegkommen, wenn die Krise vorüber war und er wieder zum Golfspielen zurückkehren und es Coal überlassen konnte, sich um die Details zu kümmern. Er redete sich ein, dass er, als er siebenunddreißig war, ebensoviel Energie und Ausdauer besessen hätte, aber er wusste es besser.
Coal schnippte mit den Fingern, funkelte die Sekretärinnen an, und sie waren froh, das Oval Office verlassen zu dürfen.
«Und er hat gesagt, er würde nicht kommen, wenn ich hier bin. Das ist wirklich ein Witz. «Coal war offensichtlich erfreut.
«Ich glaube, er mag Sie nicht«, sagte der Präsident.
«Er mag nur Leute, die er über den Haufen rennen kann.«
«Ich nehme an, ich muss liebenswürdig zu ihm sein.«
«Tragen Sie dick auf, Chef. Er muss die Finger davon lassen. Diese Theorie ist so schwach, dass sie geradezu lächerlich ist, aber in seinen Händen könnte sie gefährlich werden.«
«Was ist mit der Studentin?«
«Wir überprüfen sie. Sie scheint harmlos zu sein.«
Der Präsident stand auf und streckte sich. Coal hantierte mit Papieren. Eine Sekretärin meldete über die Gegensprechanlage die Ankunft von Voyles.
«Ich verschwinde«, sagte Coal. Er würde hinter der nächsten Ecke zuhören und zusehen. Auf sein Betreiben waren im Oval Office drei Fernsehkameras installiert worden. Die Monitore standen in einem kleinen, verschlossenen Raum im Westflügel, zu dem nur er einen Schlüssel hatte. Sarge wusste von diesem Raum, hatte sich aber nicht die Mühe gemacht, ihn zu betreten. Noch nicht.
Dem Präsidenten war wohler zumute bei dem Gedanken, dass Coal zumindest zusehen würde. Er nahm Voyles an der Tür mit einem warmen Händedruck in Empfang und geleitete ihn zur Couch — ein herzliches, freundschaftliches Geplauder unter vier Augen. Voyles war nicht beeindruckt. Er wusste, dass Coal zuhörte. Und zusah.
Voyles zog seinen Trenchcoat aus und legte ihn ordentlich auf einen Stuhl. Er wollte keinen Kaffee.
Der Präsident schlug die Beine übereinander. Er trug die braune Strickjacke. Der Großvater.
«Denton«, sagte er ernst,»ich möchte mich für Fletcher Coal entschuldigen. Er hat nicht viel Fingerspitzengefühl.«
Voyles nickte flüchtig. Du dämlicher Esel. In diesem Büro gibt es genügend Drähte, um der Hälfte aller Bürokraten in Washington einen tödlichen Stromschlag beizubringen. Coal saß irgendwo im Keller und hörte von seinem Mangel an Fingerspitzengefühl.»Er kann eine Pest sein, nicht wahr?«knurrte Voyles.
«Ja, das kann er. Ich muss auf ihn aufpassen. Er ist sehr intelligent und arbeitet hart, aber gelegentlich neigt er dazu, es zu übertreiben.«
«Er ist ein Mistkerl, und das sage ich ihm ins Gesicht. «Voyles schaute zur Lüftungsklappe des Porträts von Thomas Jefferson empor, wo eine Kamera alles aufzeichnete, was darunter passierte.
«Also gut, ich werde dafür sorgen, dass er Ihnen nicht in die Quere kommt, bis die Sache erledigt ist.«
«Tun Sie das.«
Der Präsident trank langsam einen Schluck Kaffee und überlegte, was er als nächstes sagen sollte. Voyles war nicht für seine Plauderkunst berühmt.
«Sie müssen mir einen Gefallen tun.«
Voyles sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken.»Ja, Sir?«
«Ich brauche Informationen über dieses Pelikan-Ding. Es ist an den Haaren herbeigezogen, aber schließlich kommt mein Name darin vor. Wie ernst nehmen Sie es?«
Oh, war das ein Spaß. Voyles unterdrückte ein Lächeln. Es funktionierte. Der Präsident und Mr. Coal waren wegen des Pelikan-Dossiers ins Schwitzen geraten. Sie hatten es am Dienstagabend erhalten, sich den ganzen Mittwoch darüber Sorgen gemacht, und jetzt, in den frühen Morgenstunden des Donnerstag, lagen sie auf den Knien und bettelten um etwas, das kaum mehr war als ein Studentenulk.
«Wir gehen der Sache nach, Mr. President. «Das war eine Lüge, aber woher sollte er das wissen?» Wir lassen keinen
Hinweis, keinen Verdächtigen außer acht. Ich hätte es Ihnen nicht zukommen lassen, wenn ich es nicht ernst nähme. «Die Falten auf der gebräunten Stirn schoben sich zusammen, und Voyles hätte am liebsten gelacht.
«Was haben Sie herausbekommen?«
«Nicht viel, aber wir haben gerade erst angefangen. Wir haben es vor nicht einmal achtundvierzig Stunden bekommen. Ich habe vierzehn Agenten in New Orleans angewiesen, nachzugraben. Es ist alles Routine. «Die Lügen kamen so gut an, dass er fast hören konnte, wie Coal nach Luft schnappte.
Vierzehn! Es versetzte ihm einen derartigen Schlag in die Magengrube, dass er sich aufsetzte und die Kaffeetasse auf den Tisch stellte. Vierzehn Fibbies, die herumliefen, ihre Marken vorzeigten, Fragen stellten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Sache herauskam.»Vierzehn, sagen Sie. Hört sich an, als wäre es Ihnen ziemlich ernst.«
Voyles gab keinen Millimeter nach.»Es ist uns sehr ernst, Mr. President. Rosenberg und Jensen sind seit einer Woche tot, und die Spur wird immer kälter. Wir gehen Hinweisen nach, so schnell wir können. Meine Männer arbeiten rund um die Uhr.«
«Das alles leuchtet mir ein, aber wie ernst ist diese PelikanTheorie zu nehmen?«
War das ein Spaß! Die Akte musste erst noch nach New Orleans geschickt werden. Sie hatten sich noch nicht einmal mit New Orleans in Verbindung gesetzt. Er hatte Eric East angewiesen, eine Kopie an das dortige Büro zu schicken mit der Anweisung, unauffällig ein paar Fragen zu stellen. Es war eine Sackgasse, genau wie hundert andere Spuren, denen sie nachgingen.
«Ich glaube nicht, dass etwas dahintersteckt, Mr. President, aber wir müssen die Sache überprüfen.«
Die Falten entspannten sich, und es erschien der Anflug eines Lächelns.»Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, Denton, wie viel Schaden dieser Unsinn anrichten kann, wenn die Presse Wind davon bekommt.«
«Wir ziehen nicht die Presse zu Rate, wenn wir eine Untersuchung anstellen.«
«Ich weiß. Lassen wir das. Mir wäre es nur lieb, wenn Sie sich aus dieser Sache zurückziehen würden. Ich meine, schließlich ist es völlig absurd, und es könnte durchaus sein, dass mir etwas angelastet wird. Sie verstehen, was ich damit sagen will?«
Voyles war brutal.»Verlangen Sie von mir, dass ich einen Verdächtigen ignoriere, Mr. President?«
Coal lehnte sich dem Monitor entgegen. Nein, ich will, dass Sie dieses Pelikan-Dossier vergessen! Er hätte es beinahe laut gesagt. Er hätte es Voyles klipp und klar sagen und dann dem dicken kleinen Tropf eine reinhauen können, wenn er frech wurde. Aber er versteckte sich in einem verschlossenen Raum, weit von den handelnden Personen entfernt. Und er wusste, zum gegenwärtigen Zeitpunkt war das genau der Ort, an den er gehörte.
Der Präsident bewegte sich und schlug die Beine andersherum übereinander.»Sie wissen doch genau, worauf ich hinauswill, Denton. Es gibt wesentlich größere Fische in diesem Teich. Die Presse verfolgt die Untersuchung, ist ganz wild darauf, herauszubekommen, wer verdächtigt wird. Sie wissen, wie die Leute sind. Und ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass ich bei der Presse keine Freunde habe. Sogar mein eigener Pressesprecher kann mich nicht leiden. Ha, ha, ha. Vergessen Sie es für eine Weile. Lassen Sie die Finger davon und konzentrieren Sie sich auf die wirklich Verdächtigen. Diese Sache ist ein Scherz, aber sie könnte für mich äußerst peinlich werden.«
Denton musterte ihn scharf. Unerbittlich.
Der Präsident bewegte sich wieder.»Was ist mit dieser
Khamel-Angelegenheit? Hört sich doch recht gut an, oder?«
«Könnte sein.«
«Ja. Und da wir gerade von Zahlen sprechen — wie viele Männer haben Sie auf Khamel angesetzt?«
Voyles sagte» Fünfzehn «und hätte fast gelacht. Der Mund des Präsidenten klappte auf. Der heißeste Verdächtige in diesem Spiel bekommt fünfzehn, und dieses verdammte Pelikan-Ding bekommt vierzehn.
Coal lächelte und schüttelte den Kopf. Voyles hatte sich in seinen eigenen Lügen verfangen. Auf Seite vier des Mittwochsberichtes gaben Eric East und C. O. Lewis die Zahl mit dreißig an, nicht fünfzehn. Nicht nervös werden, Chef. Er spielt mit Ihnen.
Der Präsident war sehr nervös.»Großer Gott, Denton. Weshalb nur fünfzehn? Ich dachte, das wäre ein überaus wichtiger Durchbruch.«
«Es können auch ein paar mehr sein. Ich bin es, der diese Untersuchung leitet, Mr. President.«
«Ich weiß. Und Sie leisten gate Arbeit. Ich will mich nicht einmischen. Ich möchte nur, dass Sie in Erwägung ziehen, Ihre Zeit anderen Dingen zu widmen. Das ist alles. Als ich diese Pelikan-Akte las, ist mir beinahe schlecht geworden. Wenn sie der Presse in die Hände fällt und sie der Sache nachgeht, werde ich gekreuzigt.«
«Sie wünschen also, dass wir uns aus der Sache zurückziehen?«
Der Präsident beugte sich vor und starrte Voyles wütend an.»Ich wünsche es nicht nur, Denton. Ich befehle Ihnen, die Finger davon zu lassen. Ignorieren Sie sie für ein paar Wochen. Beschäftigen Sie sich mit anderen Dingen. Wenn die Sache wieder aufflackern sollte, können Sie meinetwegen wieder einen Blick darauf werfen. Vergessen Sie nicht, noch bin ich hier der Boss.«
Voyles gab nach und brachte ein winziges Lächeln zustande.»Ich schlage Ihnen einen Handel vor. Ihr Messerstecher Coal hat mich bei der Presse reingeritten. Sie hat Kleinholz aus mir gemacht wegen dem Schutz, den wir Rosenberg und Jensen zuteil werden ließen.«
Der Präsident nickte ernst.
«Sie halten mir diesen Bullterrier vom Leibe, und ich vergesse die Pelikan-Theorie.«
«Ich lasse mich auf keinen Handel ein.«
Voyles grinste höhnisch, behielt aber einen klaren Kopf.
«Gut. Ich schicke morgen fünfzig Agenten nach New Orleans. Und übermorgen weitere fünfzig. Wir werden in der ganzen Stadt unsere Marken schwenken und unser Möglichstes tun, um Aufmerksamkeit zu erregen.«
Der Präsident stand auf und trat ans Fenster. Voyles saß regungslos da und wartete.
«Okay, okay, der Handel gilt. Ich kann Fletcher Coal unter Kontrolle halten.«
Voyles stand auf und ging langsam zum Schreibtisch.»Ich traue ihm nicht, und wenn ich ihn bei dieser Untersuchung nur noch ein einziges Mal rieche, ist der Handel hinfällig und wir gehen dem Pelikan-Dossier mit allen Mitteln nach, die mir zur Verfügung stehen.«
Der Präsident reckte die Hände hoch und lächelte herzlich.»Abgemacht.«
Voyles lächelte, und der Präsident lächelte, und in dem verschlossenen Raum lächelte Fletcher Coal den Bildschirm an. Messerstecher. Bullterrier. Großartig. Das waren die Worte, um die sich Legenden bildeten.
Er schaltete die Monitore aus und schloss die Tür hinter sich ab. Sie würden weitere zehn Minuten damit verbringen, sich über die Kandidaten auf der Liste zu unterhalten, und er würde in seinem Büro zuhören, wo er eine Audio-, aber keine Videoanlage hatte. Um neun hatte er eine Personalversammlung. Um zehn eine Entlassung. Und er hatte etwas zu tippen. Die meisten Memos diktierte er einfach ins Gerät und übergab dann das Band einer Sekretärin. Aber hin und wieder hielt Coal ein Phantom-Memo für erforderlich. Diese Memos waren immer im ganzen Westflügel in Umlauf und immer überaus umstritten und wurden gewöhnlich der Presse zugespielt. Weil sie keinen Urheber hatten, lagen sie auf fast jedem Schreibtisch herum. Dann brüllte und tobte Coal. Er hatte schon Leute wegen Phantom-Memos entlassen, die auf seiner eigenen Schreibmaschine entstanden waren.
Es waren vier Absätze mit einfachem Zeilenabstand auf einer Seite, eine Zusammenfassung dessen, was er über Khamel und dessen kürzlichen Abflug aus Washington wusste. Und er gab vage Hinweise auf eine Verbindung zu den Libyern und den Palästinensern. Coal bewunderte sein Memo. Wie lange würde es dauern, bis es in der Post oder der Times stand? Er schloss kleine Wetten mit sich selbst ab, welche Zeitung es zuerst bringen würde.
Der Direktor war im Weißen Haus, und von dort aus würde er nach New York fliegen und erst morgen zurückkommen. Gavin ließ sich vor dem Büro von K. O. Lewis nieder, bis dieser einen Moment Zeit hatte. Er war drinnen.
Lewis war gereizt, aber immer noch Gentleman.»Sie sehen ziemlich mitgenommen aus.«
«Ich habe gerade meinen besten Freund verloren.«
Lewis wartete auf mehr.
«Sein Name war Thomas Callahan. Er ist der Mann aus Tulane, der mir das Pelikan-Dossier mitgebracht hat; es wurde herumgereicht und dann ins Weiße Haus und wer weiß wohin sonst noch geschickt, und jetzt ist er tot. Gestern abend von einer Autobombe in New Orleans in Stücke zerfetzt. Ermordet, K. O.«
«Das tut mir leid.«
«Es geht nicht darum, ob es Ihnen leid tut oder nicht. Die Bombe war ganz offensichtlich für Callahan bestimmt und für die Studentin, die das Dossier geschrieben hat. Sie heißt Darby Shaw.«
«Ich habe ihren Namen auf dem Dossier gesehen.«
«Richtig. Sie waren zusammen aus und sollten eigentlich beide in dem Wagen sitzen, als er in die Luft ging. Aber sie hat überlebt, und heute morgen um fünf bekam ich einen Anruf von ihr. Zu Tode verängstigt.«
Lewis hörte zu, schob es aber bereits beiseite.»Sie sind nicht sicher, dass es eine Bombe war.«
«Sie hat gesagt, es wäre eine Bombe gewesen. Sie machte WUMM! und fetzte alles in Stücke. Ich bin sicher, dass er tot ist.«
«Und Sie glauben, es besteht ein Zusammenhang zwischen seinem Tod und dem Dossier?«
Gavin war Anwalt, untrainiert in der Kunst des Verhörs, und er wollte nicht leichtgläubig erscheinen.»Es wäre durchaus möglich. Ja, das glaube ich. Sie nicht?«
«Das spielt keine Rolle, Gavin. Ich habe gerade mit dem Direktor gesprochen. Pelikan steht nicht mehr auf unserer Liste. Ich weiß nicht einmal, ob es je draufgestanden hat, aber wir befassen uns nicht mehr damit.«
«Aber mein Freund wurde mit einer Autobombe ermordet.«
«Tut mir leid. Ich bin sicher, die dortigen Behörden gehen der Sache nach.«
«Hören Sie, K. O. Ich bitte Sie um einen Gefallen.«
«Hören Sie mir zu, Gavin. Ich habe keine Gefallen zu vergeben. Wir jagen ohnehin schon genug Kaninchen hinterher, und wenn der Direktor Schluss sagt, dann machen wir Schluss. Es steht Ihnen frei, mit ihm zu reden. Aber ich würde es Ihnen nicht empfehlen.«
«Vielleicht habe ich die Sache falsch angefasst. Ich dachte, Sie würden mir zuhören und wenigstens so tun, als wären Sie interessiert.«
Lewis wanderte um seinen Schreibtisch herum.»Gavin, Sie sehen schlecht aus. Nehmen Sie sich den Tag frei.«
«Nein, ich gehe in mein Büro, warte dort eine Stunde, und dann komme ich wieder her und fange von vorn an. Können wir es in einer Stunde noch einmal versuchen?«
«Nein. Voyles hat sich klar und deutlich ausgedrückt.«
«Die Frau auch, K. O. Er wurde ermordet, und sie hat sich irgendwo in New Orleans versteckt, hat Angst vor ihrem eigenen Schatten, bittet uns um Hilfe, und wir sind zu beschäftigt.«
«Tut mir leid.«
«Nein, das tut es nicht. Es ist meine Schuld. Ich hätte das verdammte Ding in den Papierkorb werfen sollen.«
«Es hat einen wichtigen Zweck erfüllt, Gavin. «Lewis legte ihm die Hand auf die Schulter, als wäre seine Zeit um und er hätte genug von diesem Geschwätz. Gavin machte sich frei und ging auf die Tür zu.
«Ja, es hat euch etwas gegeben, womit ihr herumspielen konntet. Ich hätte es verbrennen sollen.«
«Zum Verbrennen ist es zu gut, Gavin.«
«Ich gebe nicht auf. Ich bin in einer Stunde wieder da, und dann fangen wir wieder von vorn an. Diesmal ist es nicht richtig gelaufen. «Verheek knallte die Tür hinter sich ins Schloss.
Sie betrat Rubinstein Brothers von der Canal Street her und verschwand zwischen den Gestellen mit Männerhemden.
Niemand folgte ihr in das Geschäft. Sie suchte sich schnell einen marineblauen Parka aus, kleinste Männergröße, eine geschlechtslose Fliegersonnenbrille und eine englische Fahrermütze, die gleichfalls für Männer gedacht war, ihr aber passte. Als der Verkäufer die Kreditkarte durchzog, machte sie die Preisschilder ab und zog den Parka an. Er war unförmig wie die Sachen, die sie zu den Vorlesungen trug. Sie stopfte ihr Haar unter den Kapuzenkragen. Der Verkäufer schaute ihr diskret zu. Sie verließ das Geschäft durch den Ausgang zur Magazine Street und tauchte in der Menge unter.
Wieder auf der Canal Street. Eine Busladung Touristen strömte ins Sheraton, und sie mischte sich unter sie. Sie ging zu der Wand mit den Telefonzellen, suchte die Nummer heraus und rief Mrs. Chen an, die Frau, die in dem Doppelhaus neben ihr wohnte. Hatte sie irgend jemanden gesehen oder gehört? Sehr früh hatte jemand an die Tür geklopft. Es war noch dunkel gewesen, und sie war davon aufgewacht. Sie hatte niemanden gesehen, nur das Klopfen gehört. Ihr Wagen stand nach wie vor auf der Straße. War alles in Ordnung? Ja, alles bestens. Vielen Dank.
Sie beobachtete die Touristen und wählte die Nummer, die Gavin Verheek ihr gegeben hatte. Es war eine interne Nummer, was bedeutete, dass nur wenig Umstand gemacht wurde, und nach drei Minuten, in denen sie sich weigerte, ihren Namen zu nennen, und den seinen wiederholte, war er am Apparat.
«Wo sind Sie?«fragte er.
«Eines möchte ich von vornherein klarstellen. Im Augenblick sage ich weder Ihnen noch sonst jemandem, wo ich bin. Also fragen Sie nicht.«
«Okay. Ich nehme an, dass Sie es sind, die die Regeln aufstellt.«
«Danke. Was hat Mr. Voyles gesagt?«
«Mr. Voyles war im Weißen Haus und nicht zu erreichen. Ich will versuchen, später am Tage mit ihm zu reden.«
«Das ist ziemlich dürftig, Gavin. Sie sind seit fast vier Stunden im Büro, und Sie haben nichts. Ich hatte mehr erwartet.«
«Haben Sie Geduld, Darby.«
«Geduld bedeutet meinen Tod. Sie sind hinter mir her, stimmt’s, Gavin?«
«Ich weiß es nicht.«
«Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie eigentlich schon tot sein sollten, und dass die Leute, die versuchen, Sie umzubringen, bereits zwei Richter vom Obersten Bundesgericht ermordet und einen simplen Juraprofessor in die Luft gejagt haben und über Milliarden von Dollar verfügen, die sie ganz offensichtlich dazu verwenden, Leute aus dem Weg zu räumen? Was würden Sie tun, Gavin?«
«Mich ans FBI wenden.«
«Thomas hat sich ans FBI gewendet, und er ist tot.«
«Danke, Darby. Das ist nicht fair.«
«Mir geht es nicht um Fairness oder Gefühle. Mir geht es vielmehr darum, bis Mittag am Leben zu bleiben.«
«Gehen Sie nicht in Ihre Wohnung.«
«Ich bin doch nicht blöd. Sie sind schon dort gewesen. Und ich bin sicher, dass sie auch seine Wohnung beobachten.«
«Wo leben seine Angehörigen?«
«Seine Eltern leben in Naples, Florida. Ich nehme an, die Universität wird sich mit ihnen in Verbindung setzen. Er hat einen Bruder in Mobile, und ich habe daran gedacht, ihn anzurufen und ihm das alles zu erklären.«
Sie sah ein Gesicht. Er ging zwischen den Touristen an der Rezeption herum. Er hatte eine zusammengefaltete Zeitung in der Hand und versuchte, so auszusehen, als wäre er hier zu
Hause, nur ein Gast unter anderen, aber sein Gang war ein bisschen zögerlich, und seine Augen suchten. Das Gesicht war lang und schmal, mit einer runden Brille und glänzender Stirn.
«Hören Sie zu, Gavin. Notieren Sie das. Ich sehe einen Mann, den ich vor kurzem schon einmal gesehen habe. Vor ungefähr einer Stunde. Einsachtzig bis einsfünfundachtzig groß, schlank, dreißig Jahre alt, Brille, zurückweichendes dunkles Haar. Er ist weg. Er ist weg.«
«Wer zum Teufel ist es?«
«Er hat sich mir nicht vorgestellt.«
«Hat er Sie gesehen? Wo halten Sie sich auf?«
«In einer Hotelhalle. Ich weiß nicht, ob er mich gesehen hatte. Ich muss Schluss machen.«
«Darby, einen Moment noch. Was immer Sie tun, bleiben Sie mit mir in Verbindung, okay?«
«Ich werde es versuchen.«
Die Toiletten befanden sich gleich um die Ecke. Sie ging in die letzte Kabine, verriegelte die Tür und blieb eine Stunde darin.