172630.fb2 Die Akte - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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EINUNDZWANZIG

Gavin Verheek war ein müder alter Mann gewesen, als er in New Orleans eintraf, und nach zwei in allen möglichen Lokalen verbrachten Nächten war er erschöpft und ausgelaugt. Er hatte das erste Lokal nur kurze Zeit nach der Beisetzung betreten und anschließend sieben Stunden lang mit den Jungen und Rastlosen Bier getrunken und sich mit ihnen über Straftaten, Verträge, Wall-Street-Kanzleien und andere Dinge unterhalten, die ihm zuwider waren. Er wusste, dass er Fremden gegenüber nicht behaupten durfte, er gehörte zum FBI. Er hatte keine Dienstmarke.

Am Samstagabend besuchte er fünf oder sechs Lokale. Tulane hatte abermals verloren, und nach dem Spiel füllten sich die Lokale mit Schlachtenbummlern. An Unterhaltungen war nicht mehr zu denken, und um Mitternacht gab er es auf.

Er schlief tief und fest mit den Schuhen an den Füßen, als das Telefon läutete. Er stürzte sich darauf.»Hallo? Hallo?«

«Gavin?«fragte sie.

«Darby! Sind Sie das?«

«Wer sonst?«

«Weshalb haben Sie nicht schon früher angerufen?«

«Bitte, stellen Sie keine dämlichen Fragen. Ich rufe von einer Telefonzelle aus an, also keine krummen Touren.«

«Sie können mir vertrauen, Darby. Ich schwöre es.«

«Okay, ich vertraue Ihnen. Was nun?«

Er sah auf die Uhr und begann, seine Schnürsenkel zu lösen.»Das müssen Sie mir sagen. Wie geht es weiter? Wie lange wollen Sie sich in New Orleans verstecken?«»Woher wissen Sie, dass ich in New Orleans bin?«

Er schwieg eine Sekunde.

«Ich bin in New Orleans«, sagte sie.»Und ich nehme an, Sie möchten, dass ich zu Ihnen komme und wir gute Freunde werden und ich mich dann in die Hände des FBI begebe und mich darauf verlasse, dass mich Ihre Leute für alle Zeit beschützen.«

«So ist es. Wenn Sie es nicht tun, ist es nur eine Sache von Tagen, bis Sie tot sind.«

«Sie machen keine Umschweife, stimmt’s?«:

«Nein. Sie spielen ein gefährliches Spiel, und Sie wissen nicht, was Sie tun.«

«Wer ist hinter mir her, Gavin?«

«Könnten verschiedene Leute sein.«

«Wer ist es?«

«Ich weiß es nicht.«

«Jetzt sind Sie es, der spielt. Wie kann ich Ihnen vertrauen, wenn Sie nicht reden wollen?«

«Okay. Ich denke, ich kann guten Gewissens sagen, dass Ihr kleines Dossier jemandem einen Schlag versetzt hat. Sie haben richtig vermutet — die falschen Leute haben von dem Dossier gehört, und jetzt ist Thomas tot. Und sie werden Sie in dem Augenblick umbringen, in dem sie Sie finden.«

«Wir wissen, wer Rosenberg und Jensen umgebracht hat, stimmt’s, Gavin?«

«Ich denke schon.«

«Weshalb unternimmt das FBI dann nichts?«

«Es könnte sein, dass da ein Vertuschungsversuch läuft.«

«Danke, dass Sie das gesagt haben.«

«Es könnte mich den Job kosten.«

«Wem sollte ich davon erzählen, Gavin? Wer vertuscht was?«

«Ich weiß es nicht genau. Wir waren sehr an Ihrem Dossier interessiert, bis das Weiße Haus Druck machte; jetzt haben wir es ad acta gelegt.«

«Das kann ich verstehen. Weshalb glauben sie, die Sache wäre erledigt, wenn sie mich umbringen?«

«Diese Frage kann ich nicht beantworten. Vielleicht sind sie überzeugt, dass Sie mehr wissen.«

«Soll ich Ihnen was erzählen? Kurz nach der Explosion der Bombe, während Thomas in dem brennenden Wagen war und ich halb bewusstlos, brachte mich ein Polizist mit Namen Rupert zu seinem Wagen und setzte mich hinein. Ein anderer Polizist in Jeans und Cowboystiefeln fing an, mir Fragen zu stellen. Mir war schlecht, und ich stand unter Schock. Sie verschwanden, Rupert und sein Cowboy, und wurden nicht mehr gesehen. Sie waren keine Polizisten, Gavin. Sie beobachteten die Explosion, und da ich nicht in dem Wagen saß, gingen sie zu Plan B über. Ich wusste es nicht, aber vermutlich hätte ich ein oder zwei Minuten später eine Kugel in den Kopf bekommen.«

Verheek hörte mit geschlossenen Augen zu.»Was ist mit den beiden passiert?«

«Ich weiß es nicht. Ich nehme an, sie bekamen es mit der Angst zu tun, als die echten Polizisten erschienen. Sie verschwanden. Ich saß in ihrem Wagen, Gavin. Sie hatten mich.«

«Sie müssen zum FBI kommen, Darby. Bitte, hören Sie auf mich.«

«Erinnern Sie sich an unser Telefongespräch am Donnerstagmorgen, wo ich plötzlich ein Gesicht sah, das mir bekannt vorkam, und ich es Ihnen beschrieben habe?«

«Natürlich.«

«Dieses Gesicht war gestern bei dem Gedenkgottesdienst, zusammen mit ein paar Freunden.«

«Wo waren Sie?«

«Gut versteckt. Er ging ein paar Minuten nach den anderen hinein, blieb zehn Minuten drinnen, schlich sich dann wieder hinaus und traf sich mit Stummel.«

«Stummel?«

«Ja, das ist auch einer von der Bande. Stummel, Rupert, Cowboy und der dünne Mann. Tolle Typen. Ich bin sicher, dass da noch mehr sind, aber denen bin ich noch nicht begegnet.«

«Die nächste Begegnung wird die letzte sein, Darby. Sie haben noch ungefähr achtundvierzig Stunden zu leben.«

«Wir werden sehen. Wie lange wollen Sie hier bleiben?«

«Ein paar Tage. Ich wollte auf alle Fälle bleiben, bis ich Sie gefunden hatte.«

«Hier bin ich. Vielleicht rufe ich morgen wieder an «Verheek holte tief Luft.»Okay, Darby. Wie Sie wollen. Aber seien Sie vorsichtig.«

Sie legte auf. Er warf das Telefon durchs Zimmer und verfluchte es.

Zwei Blocks entfernt und fünfzehn Stockwerke hoch schaute Khamel auf den Fernseher und murmelte rasch vor sich hin. Es war ein Film über Leute in einer Großstadt. Sie sprachen Englisch, seine dritte Sprache, und er wiederholte jedes Wort in seiner besten amerikanischen Aussprache. Das tat er stundenlang. Er hatte sich die Sprache angeeignet, während er sich in Belfast versteckte, und in den letzten zwanzig Jahren hatte er sich Tausende von amerikanischen Filmen angesehen. Sein Lieblingsfilm war Three Days of the Condor. Er schaute ihn sich viermal an, bis er begriffen hatte, wer wen umbrachte und weshalb. Er hätte Redford ermorden können.

Er wiederholte jedes Wort laut. Er hatte sich sagen lassen, dass sein Englisch als das eines Amerikaners durchgehen konnte, aber ein Patzer, ein Fehler, und sie würde weg sein.

Der Volvo stand auf einem Parkplatz, anderthalb Blocks von der Wohnung seines Besitzers entfernt, der hundert Dollar im Monat für den Platz bezahlte und für etwas, was er für eine sichere Bewachung hielt. Sie schlichen durch das Tor, das eigentlich verschlossen sein sollte.

Es war ein 1986er GL ohne Alarmanlage, und binnen Sekunden war die Fahrertür offen. Einer setzte sich auf den Kofferraum und zündete sich eine Zigarette an. Es war Sonntagmorgen, kurz vor vier Uhr.

Der andere öffnete einen kleinen Werkzeugkasten, den er in der Tasche hatte, und machte sich an dem Yuppie-Autotelefon zu schaffen, das Grantham sich so widerwillig zugelegt hatte. Die Innenbeleuchtung reichte aus, und er arbeitete schnell. Ein Kinderspiel. Sobald die Hörmuschel offen war, setzte er einen winzigen Sender ein und klebte ihn fest. Eine Minute später verließ er den Wagen und hockte sich vor die hintere Stoßstange. Der mit der Zigarette reichte ihm eine kleine schwarze Röhre, die er hinter dem Benzintank an einem Gitterrost befestigte. Es war ein Magnetsender, und er würde sechs Tage lang Signale aussenden, bevor er aufhörte und durch einen neuen ersetzt werden musste.

Nach weniger als sieben Minuten waren sie wieder verschwunden. Montag, sobald er das Gebäude der Post an der Fünfzehnten betreten hatte, würden sie sich Zutritt zu seiner Wohnung verschaffen und auch dort sein Telefon anzapfen.