172630.fb2
Am Sonntag gab Verheek die Runde durch die Lokale auf. Es brachte nichts ein. Sie hatte angerufen, und sie besuchte diese Orte nicht, also zum Teufel damit. Er trank zuviel und aß zuviel, und er hatte New Orleans satt. Er hatte bereits für den späten Montagnachmittag seinen Rückflug gebucht, und wenn sie sich nicht wieder meldete, war mit dem Detektivspielen Schluss.
Er konnte sie nicht finden, und das war nicht seine Schuld. Nicht einmal Taxifahrer fanden sich in dieser Stadt zurecht. Bis es Mittag geworden war, würde Voyles herumschreien. Er hatte getan, was in seinen Kräften stand.
Er lag auf dem Bett, nur mit Baxershorts bekleidet, blätterte eine Zeitschrift durch und ignorierte den Fernseher. Es war fast elf Uhr. Er würde bis zwölf warten und dann zu schlafen versuchen.
Es läutete genau um elf. Er drückte auf einen Knopf der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus.»Hallo?«
Sie war es.»Ich bin’s, Gavin.«
«Sie leben also noch.«
«Gerade eben.«
Er setzte sich auf die Bettkante.»Was ist passiert?«
«Sie haben mich heute gesehen, und einer von ihnen, mein Freund Stummel, hat mich durchs Quarter verfolgt. Sie sind Stummel noch nicht begegnet, aber er ist einer von denen, die Sie und alle anderen beim Betreten der Kapelle beobachtet haben.«
«Aber Sie sind davongekommen.«
«Ja. Ein kleines Wunder, aber ich bin davongekommen.«
«Was ist mit Stummel passiert?«
«Den hat’s schwer erwischt. Vermutlich liegt er jetzt irgendwo in einem Bett mit Eiswürfeln in seinen Shorts. Er war nur wenige Schritte von mir entfernt, als er sich auf einen Streit mit den falschen Leuten einließ. Ich habe Angst, Gavin.«
«Ist er Ihnen von irgendwoher gefolgt?«
«Nein. Wir sind uns gewissermaßen zufällig begegnet.«
Verheek schwieg eine Sekunde. Ihre Stimme bebte, aber sie hatte sie unter Kontrolle. Sie verlor ihre Gelassenheit.»Hören Sie, Darby. Ich habe für morgen nachmittag einen Flug gebucht. Schließlich habe ich diesen kleinen Job, und mein Boss erwartet, dass ich in meinem Büro sitze. Ich kann also nicht den ganzen nächsten Monat in New Orleans verbringen und darauf hoffen, dass man Sie nicht umbringt und dass Sie zur Vernunft kommen und mir vertrauen. Ich fliege morgen ab, und ich meine, Sie sollten mitkommen.«
«Wohin?«
«Nach Washington. In mein Haus. Fort von dem Ort, an dem Sie sich jetzt befinden.«
«Und was passiert dann?«
«Nun, zum einen bleiben Sie am Leben. Ich rede mit dem Direktor, und ich verspreche Ihnen, Sie werden in Sicherheit gebracht. Irgendwas werden wir unternehmen. Alles ist besser als das.«
«Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir einfach von hier abfliegen könnten?«
«Weil drei FBI-Agenten da sein werden, die Sie beschützen. Weil ich kein kompletter Idiot bin. Hören Sie, Darby, sagen Sie mir, wo wir uns gleich jetzt treffen können, und binnen einer Viertelstunde hole ich Sie mit drei Agenten ab. Die Burschen sind bewaffnet und haben keine Angst vor Ihrem kleinen Stummel und seinen Freunden. Wir bringen Sie noch heute nacht aus der Stadt, und morgen fliegen wir nach Washington. Ich verspreche Ihnen, dass Sie meinen Boss, den ehrenwerten F. Denton Voyles, persönlich kennenlernen werden, und danach sehen wir weiter.«
«Sagten Sie nicht, das FBI wäre unbeteiligt?«
«Es ist unbeteiligt, aber das kann sich ändern.«
«Woher kommen dann die drei Agenten?«
«Ich habe Freunde.«
Sie dachte einen Moment nach, und ihre Stimme war plötzlich kräftiger.»Hinter Ihrem Hotel liegt etwas, das Riverwalk heißt. Es ist ein Einkaufszentrum mit Restaurants und…«
«Ich habe heute nachmittag zwei Stunden dort verbracht.«
«Gut. Im zweiten Stock ist ein Bekleidungsgeschäft, das Frenchmen’s Bend heißt.«
«Das habe ich gesehen.«
«Ich möchte, dass Sie morgen mittag Punkt zwölf am Eingang stehen und dort fünf Minuten warten.«
«Morgen mittag um zwölf werden Sie nicht mehr am Leben sein. Machen Sie endlich Schluss mit diesem Katz- und Mausspiel, Darby.«
«Tun Sie, was ich Ihnen sage. Wir sind uns bisher nicht begegnet, ich habe also keine Ahnung, wie Sie aussehen. Tragen Sie ein schwarzes Hemd und eine rote Baseballmütze.«
«Und wo soll ich so etwas finden?«
«Das ist Ihr Problem.«
«Okay, okay. Ich werde mir die Sachen besorgen. Vermutlich wollen Sie, dass ich mir mit einer Schaufel oder so etwas in der Nase bohre. Das ist doch albern.«
«Mir ist nicht nach Albernheiten zumute, und wenn Sie nicht mit diesem Blödsinn aufhören, dann lassen wir es eben.«
«Es geht um Ihren Hals.«»Bitte, Gavin.«
«Entschuldigung. Ich werde tun, was Sie wollen. An dieser Stelle herrscht ein ziemlicher Betrieb.«
«Ja. Ich fühle mich sicherer an Orten, wo viele Menschen sind. Bleiben Sie ungefähr fünf Minuten am Eingang stehen, mit einer zusammengefalteten Zeitung in der Hand. Ich werde aufpassen. Nach fünf Minuten gehen Sie in den Laden hinein, und zwar in die rechte hintere Ecke. Da ist ein Gestell mit Safarijacken. Beschäftigen Sie sich da eine Weile, und ich werde Sie finden.«
«Und was werden Sie anhaben?«
«Meinetwegen brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen.«
«Also gut. Und wie geht es dann weiter?«
«Sie und ich, und nur Sie und ich verlassen die Stadt. Ich will nicht, dass irgend jemand sonst davon weiß. Können Sie das verstehen?«
«Nein, das kann ich nicht verstehen. Ich kann dafür sorgen, dass Sie beschützt werden.«
«Nein, Gavin. Ich bin der Boss, okay? Niemand sonst. Vergessen Sie Ihre drei Agentenfreunde. Einverstanden?«
«Einverstanden. Und wie gedenken Sie mit mir die Stadt zu verlassen?«
«Auch dafür habe ich einen Plan.«
«Mir gefallen Ihre Pläne nicht, Darby. Diese Ganoven sitzen Ihnen im Genick, und jetzt ziehen Sie mich mit in diese Sache hinein. Es wäre wesentlich sicherer, wenn wir es auf meine Art tun würden. Sicherer für Sie, und sicherer für mich.«
«Aber Sie werden um zwölf da sein, ja?«
Er stand neben dem Bett und sprach mit geschlossenen Augen.»Ja, ich werde da sein. Ich hoffe nur, dass Sie auch da sein werden.«
«Wie groß sind Sie?«
«Einsfünfundsiebzig.«
«Wieviel wiegen Sie?«
«Vor dieser Frage habe ich mich gefürchtet. Normalerweise lüge ich. Hundert Kilo, aber ich habe vor, abzunehmen. Ich schwöre es.«
«Wir sehen uns morgen, Gavin.«
«Ich hoffe es.«
Sie hatte aufgelegt. Er warf den Hörer auf die Gabel.»Verdammtes Luder!«brüllte er die Wände an.»Verdammtes Luder!«Er wanderte ein paar Mal am Fußende des Bettes entlang, dann ging er ins Badezimmer, wo er die Tür hinter sich zumachte und die Dusche aufdrehte.
Er verfluchte sie zehn Minuten lang, während er unter der Dusche stand, dann drehte er den Hahn zu und trocknete sich ab. Es waren eher hundertacht Kilo, und das meiste davon befand sich an den falschen Stellen seiner einsfünfundsiebzig großen Gestalt. Es war ein unerfreulicher Anblick. Hier war er, im Begriff, diese wundervolle Frau zu treffen, die ihm ihr Leben anvertraute, und was war er für ein Fettwanst.
Er öffnete die Tür. Im Zimmer war es dunkel. Dunkel? Er hatte doch das Licht angelassen. Und wenn schon. Er strebte auf den Schalter neben der Kommode zu.
Der erste Schlag zerschmetterte seinen Kehlkopf. Es war ein gekonnter Schlag, der von der Seite kam, von irgendwo nahe der Wand. Er stöhnte schmerzgepeinigt und sank auf ein Knie, was den zweiten Schlag so einfach machte, wie den einer Axt auf einen dicken Baumstamm. Er traf ihn wie ein Stein auf die Schädelbasis, und Gavin war tot.
Khamel schaltete das Licht ein und betrachtete die erbärmliche nackte Gestalt auf dem Boden. Er gehörte nicht zu den Leuten, die ihre Arbeit bewundern. Er wollte keine
Brandstellen auf dem Teppich, also lud er sich die fette Leiche auf die Schultern und legte sie quer übers Bett. Schnell arbeitend und ohne jede überflüssige Bewegung schaltete Khamel den Fernseher wieder ein und stellte ihn auf volle Lautstärke, öffnete den Reißverschluss seiner Tasche, holte eine billige.25 er Automatik heraus und setzte sie an die rechte Schläfe des verstorbenen Gavin Verheek. Er bedeckte die Waffe und den Kopf mit zwei Kissen und drückte ab. Jetzt das Wichtigste: er nahm eines der Kissen und legte es unter den Kopf, warf das andere auf den Boden, bog die Finger der rechten Hand sorgfältig um den Griff der Pistole und legte sie dreißig Zentimeter vom Kopf entfernt hin. Er holte das Bandgerät unter dem Bett vor und stöpselte den Telefondraht wieder in die Wand. Er drückte auf einen Knopf, lauschte, und da war sie. Er schaltete den Fernseher aus. Jeder Job war anders. Einmal hatte er in Mexico City eines seiner Opfer drei Wochen lang verfolgt und dann mit zwei Prostituierten im Bett erwischt. Das war ein dummer Fehler gewesen. Während seiner langen Karriere hatten ihm zahlreiche dumme Fehler der Gegenseite die Arbeit erleichtert. In diesem Fall war der ganze Kerl ein dummer Fehler, ein dämlicher Anwalt, der umherzog, große Reden schwang und Karten mit seiner Zimmernummer auf der Rückseite verteilte. Er hatte die Nase in die Welt des OberligaKillers gesteckt, und das hatte er nun davon.
Mit ein bisschen Glück würden sich die Polizisten das Zimmer ein paar Minuten lang anschauen und zu dem Schluss kommen, dass hier ein schlichter Selbstmord vorlag. Sie würden ihres Amtes walten und sich ein paar Fragen stellen, die sie nicht beantworten konnten, aber ein paar Fragen tauchten immer auf. Und weil er ein bedeutender FBI-Anwalt gewesen war, würde in ein oder zwei Tage eine Autopsie vorgenommen werden, und am Dienstag würde ein Gerichtsmediziner plötzlich feststellen, dass es kein Selbstmord war.
Am Dienstag würde die Frau tot sein und er in Managua.