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NEUNUNDZWANZIG

Jahrhundertelang tobte, ohne dass sich jemand einmischte, ein stiller, aber gewaltiger Naturkampf an der Küste des Landes, das später Louisiana heißen sollte. Es war ein Kampf um Landgewinn. Erst in neuester Zeit waren Menschen an ihm beteiligt. Von Süden her drängte das Meer mit seinen Gezeiten und Stürmen und Überschwemmungen landeinwärts. Von Norden her trug der Mississippi einen unerschöpflichen Vorrat an Süßwasser und Sedimenten herbei und überspülte die Marschen mit der Erde, die sie zum Leben und Gedeihen brauchten. Das Salzwasser aus dem Golf ließ die Küste erodieren und verbrannte die Süßwassermarschen, indem es das Gras abtötete, das sie zusammenhielt. Der Ruß reagierte darauf, indem er den halben Kontinent entwässerte und seine Erde im unteren Louisiana ablud. Er baute aus seinen Sedimenten langsam eine lange Reihe von Deltas auf, von denen jedes schließlich den Weg des Flusses blockierte und ihn zwang, seinen Lauf abermals zu ändern. Die üppigen Feuchtgebiete wurden von den Deltas geschaffen.

Es war ein grandioser Kampf des Gebens und Nehmens, ausschließlich von den Kräften der Natur gesteuert. Die von dem mächtigen Fluss ständig wieder aufgefüllten Deltas konnten sich nicht nur gegen den Golf behaupten, sondern dehnten sich sogar aus.

Die Marschen waren ein Wunderwerk natürlicher Evolution. Mit Hilfe der nährstoffreichen Sedimente entwickelten sie sich zu einem grünen Paradies aus Zypressen und Eichen und dicht mit Pontederien und Binsen und Rohrkolben überwachsenen Flächen. Das Wasser wimmelte von Krabben, Garnelen, Austern, Schnapperfischen, Flundern, Makrelen, Brassen,

Krebsen und Alligatoren. Die Küstenebene war das unangefochtene Revier der Tiere. Hunderte von Zugvogelarten suchten sie auf, um dort zu brüten.

Die Feuchtgebiete waren riesig und grenzenlos, reich und üppig.

Dann wurde in den dreißiger Jahren dort Öl entdeckt, und die Ausbeutung begann. Die Ölgesellschaften baggerten zehntausend Meilen Kanäle aus, um an die Reichtümer zu gelangen. Sie durchzogen das fragile Delta mit einer Unzahl von säuberlichen kleinen Gräben. Sie zerfetzten die Marschen in schmale Bänder.

Sie bohrten, fanden Öl und baggerten wie die Wilden, um daran zu kommen. Ihre Kanäle waren ideale Wege für den Golf und sein Salzwasser, das die Marschen wegfraß.

Seit Öl gefunden wurde, sind Zehntausende von Morgen Feuchtgebiet vom Meer verschlungen worden. Alljährlich verschwinden rund hundertfünfzig Quadratkilometer von Louisiana. Jede Viertelstunde geht ein weiterer Morgen verloren.

1979 bohrte eine Ölgesellschaft ein tiefes Loch in Terrebonne Parish und stieß auf Öl. Es war ein Routinetag bei einer Anlage unter vielen, aber es war kein Routinefund. Da war eine Menge Öl. Sie bohrten hundert Meter entfernt ein weiteres Loch und landeten einen weiteren Volltreffer. Sie wichen eine Meile zurück, bohrten und fanden ein noch größeres Vorkommen. Drei Meilen entfernt stießen sie abermals auf Öl.

Die Ölgesellschaft deckte die Bohrlöcher ab und überdachte die Situation. Es handelte sich ohne jeden Zweifel um ein bedeutendes neues Feld.

Die Ölgesellschaft gehörte Victor Mattiece, einem Cajün aus Lafayette, der beim Bohren nach Öl im Süden von Louisiana mehrere Vermögen gemacht und wieder verloren hatte. 1979 war er gerade wieder einmal reich und, was noch wichtiger war, er hatte Zugang zum Geld anderer Leute. Er war schnell überzeugt, dass er ein großes Lager entdeckt hatte, und begann, um die stillgelegten Bohrlöcher herum Land aufzukaufen.

Geheimhaltung ist entscheidend, aber auf den Ölfeldern schwer zu wahren. Mattiece wusste, dass, wenn er mit zu viel Geld um sich warf, bald ein hektisches Bohren rings um seine neue Goldmine herum einsetzen würde. Da er ein Mann von unendlicher Geduld war, der alles genau plante, betrachtete er das großartige Bild und sagte nein zum schnellen Geld. Er beschloss, dass er alles haben wollte. Er setzte sich mit seinen Anwälten und anderen Beratern zusammen und entwickelte einen Plan zum methodischen Ankauf des umliegenden Landes unter einer Unzahl von Firmenbezeichnungen. Sie bildeten neue Gesellschaften, benutzten einige seiner alten, kauften andere, in Schwierigkeiten steckende Firmen ganz oder teilweise auf und machten sich an die Arbeit des Landerwerbs.

Die anderen in der Branche kannten Mattiece und wussten, dass er Geld hatte und mehr beschaffen konnte. Mattiece wusste, dass sie es wussten; also setzte er in aller Stille zwei Dutzend gesichtslose Firmen auf die Landbesitzer von Terrebonne Parish an. Es funktionierte ohne größere Probleme.

Der Plan sah vor, das Land zu beschaffen und dann noch einen weiteren Kanal durch die unglückliche, gequälte Marsch zu baggern, damit die Männer und ihre Maschinen zu den Bohrstellen gebracht und das Öl ohne Verzug herausbefördert werden konnte. Der Kanal sollte fünfundfünfzig Kilometer lang werden und doppelt so breit wie die anderen. Auf ihm würde reger Verkehr herrschen.

Weil Mattiece Geld hatte, war er bei den Politikern und Bürokraten beliebt. Er spielte gekonnt ihr Spiel. Er teilte Geld aus, wo immer es erforderlich war. Er liebte die Politik, hasste aber jede Form von Publicity. Er war paranoid und scheute die Öffentlichkeit.

Während der Landerwerb glatt vonstatten ging, musste Mattiece plötzlich feststellen, dass er knapp bei Kasse war. Anfang der achtziger Jahre ging es mit der Wirtschaft bergab, und seine anderen Anlagen stellten die Förderung ein. Er brauchte Unmengen von Geld, und er wollte Partner, die Erfahrung damit hatten, es aufzubringen und kein Wort darüber zu verlieren. Also hielt er sich von Texas fern. Er ging ins Ausland und fand ein paar Araber, die seine Karten studierten und seiner Schätzung eines Riesenvorkommens an Öl und Erdgas zustimmten. Sie kauften einen Teil des Unternehmens, und Mattiece hatte wieder reichlich Bargeld.

Er machte sich erneut ans Austeilen und erhielt die offizielle Genehmigung, sich seinen Weg durch die empfindlichen Marschen und Zypressensümpfe zu baggern. Die Teile fügten sich großartig zusammen, und Mattiece konnte eine Milliarde Dollar riechen. Vielleicht auch zwei oder drei.

Dann passierte etwas Unvorhergesehenes. Es wurde Anklage erhoben, um dem Baggern und Bohren ein Ende zu machen. Der Kläger war eine obskure Umweltorganisation, die sich Green Fund nannte.

Die Anklage kam völlig unerwartet, weil Louisiana fünfzig Jahre lang zugelassen hatte, dass es von Ölgesellschaften und Leuten wie Victor Mattiece verschlungen und verschmutzt wurde. Es war ein Kuhhandel gewesen. Die Ölgesellschaften beschäftigten viele Leute und zahlten gut. Mit den Steuern auf Öl und Gas, die in Baton Rouge eingingen, wurden die Gehälter der Staatsangestellten bezahlt. Aus den kleinen Dörfern in den Bayous waren schnell hochgeschossene Städte geworden. Die Politiker von den Gouverneuren abwärts nahmen das Geld und spielten mit. Alles war in bester Ordnung; was machte es da schon, wenn ein paar Marschlandschaften litten.

Green Fund reichte die Klage beim US-Bezirksgericht in Lafayette ein. Ein Bundesrichter stoppte das Projekt bis zu einer Verhandlung der ganzen Angelegenheit.

Mattiece rastete vollkommen aus. Er verbrachte Wochen mit seinen Anwälten, planend und Ränke schmiedend. Er würde keine Kosten scheuen, um zu gewinnen. Tut alles Erforderliche, wies er sie an. Verstoßt gegen jede Regel und jeden ethischen Grundsatz, heuert jeden Experten an, gebt jede Untersuchung in Auftrag, schneidet jede Kehle durch, gebt so viel Geld aus, wie ihr wollt. Hauptsache, ihr gewinnt den verdammten Prozess.

Ohnehin schon kein Mann, den man je zu Gesicht bekam, verschwand er noch tiefer in der Versenkung. Er zog auf die Bahamas und operierte von einer uneinnehmbaren Festung auf Lyford Cay aus. Einmal wöchentlich flog er nach New Orleans, um sich mit seinen Anwälten zu treffen, dann kehrte er auf die Insel zurück.

Obwohl er jetzt unsichtbar war, sorgte er dafür, dass seine Zuwendungen an Politiker größer wurden. Sein Jackpot lag nach wie vor sicher unter Terrebonne Parish, und eines Tages würde er ihn ans Licht bringen. Aber niemand weiß, wann er gezwungen sein wird, Gefälligkeiten einzufordern.

Als die Anwälte von Green Fund, alle beide, knöcheltief in der Sache steckten, hatten sie es mit mehr als dreißig verschiedenen Beklagten zu tun. Einige besaßen Land. Einige erkundeten es. Andere verlegten Rohrleitungen. Wieder andere bohrten. Die Joint Ventures und Kommanditgesellschaften und Firmenverbände waren ein undurchdringliches Labyrinth.

Die Beklagten und ihre Scharen von hochbezahlten Anwälten reagierten mit schwerem Geschütz. Sie stellten einen Antrag, mit dem der Richter aufgefordert wurde, die Klage wegen Geringfügigkeit fallenzulassen. Abgewiesen. Sie forderten ihn auf, die Fortsetzung der Bohrarbeiten zu gestatten, während sie auf das Verfahren warteten. Abgewiesen. Sie heulten auf und wiesen in einem weiteren dicken Antrag darauf hin, wieviel Geld bereits in Erkundung, Bohren und so weiter investiert worden war. Gleichfalls abgewiesen. Sie stellten ganze Wagenladungen von Anträgen, und als sie alle abgewiesen wurden und offensichtlich war, dass es eines Tages eine Schwurgerichtsverhandlung geben würde, da wurden die Ölanwälte rabiat und griffen zu schmutzigen Tricks.

Zum Glück für die Klage von Green Fund war das Herz des neuen Ölvorkommens ein Ring von Marschen, der seit Jahren Wasservögeln als natürliche Zuflucht diente — Fischadlern, Reihern, Pelikanen, Enten, Kranichen, Gänsen und vielen anderen. Obwohl Louisiana nicht immer gut zu seinem Land war, zeigte es doch etwas mehr Mitgefühl für seine Tiere. Und weil das Urteil eines Tages von einer Jury aus durchschnittlichen und hoffentlich ganz gewöhnlichen Leuten gefällt werden würde, konzentrierten sich die Anwälte von Green Fund auf die Vögel.

Der Pelikan wurde zum Helden. Nach dreißig Jahren hinterhältiger Verseuchung mit DDT und anderen Pestiziden stand der Louisiana-Braunpelikan am Rande des Aussterbens. Fast zu spät wurde er in die Liste der bedrohten Arten aufgenommen und unter stärkeren Schutz gestellt. Green Fund bemächtigte sich des majestätischen Vogels und heuerte ein halbes Dutzend Experten aus dem ganzen Land an, damit sie ein gutes Wort für ihn einlegten.

Da an die hundert Anwälte beteiligt waren, kam das Verfahren nur langsam in Gang. Zeitweise trat es auf der Stelle, was Green Fund nur recht sein konnte. Die Bohranlagen standen still.

Sieben Jahre, nachdem Mattiece zum erstenmal mit seinem Düsenhubschrauber über Terrebonne Bay herumgeschwirrt war und die Route abgeflogen hatte, die sein kostspieliger Kanal nehmen sollte, kam die Pelikan-Klage in Lake Charles zur Verhandlung. Es war ein bitterer Prozess, der zehn Wochen dauerte. Green Fund forderte eine Entschädigung für die bereits angerichteten Verheerungen und ein dauerndes Verbot künftiger

Bohrarbeiten.

Die Ölgesellschaften holten sich zum Einreden auf die Jury einen aalglatten Prozessanwalt aus Houston. Er trug Stiefel aus Elefantenhaut und einen Stetson und konnte, wenn es erforderlich war, wie ein Cajun reden. Er war starker Tobak, vor allem im Vergleich zu den Green-Fund-Anwälten, die beide einen Bart trugen und mehr Eifer als Beredsamkeit an den Tag legten.

Green Fund verlor den Prozess, und das kam nicht völlig unerwartet. Die Ölgesellschaften gaben Millionen aus, und es ist schwierig, einen Bären mit einer Rute zu vertreiben. David hatte losgelegt, aber Goliath hat immer die besseren Karten. Die Geschworenen waren nicht beeindruckt von den eindringlichen Warnungen vor Umweltverschmutzung und den Hinweisen auf die empfindliche Ökologie der Feuchtgebiete. Öl bedeutete Geld, und die Leute brauchten Jobs.

Der Richter hob die einstweilige Verfügung aus zwei Gründen nicht auf. Erstens war er der Ansicht, dass Green Fund seine Argumente hinsichtlich des Pelikans, einer durch Bundesgesetz geschützten Art, bewiesen hatte. Und außerdem war allen klar, dass Green Fund in die Berufung gehen würde. Die Angelegenheit war also noch lange nicht erledigt.

Für eine Weile glätteten sich die Wogen, und Mattiece hatte einen kleinen Sieg errungen. Aber er wusste, dass es andere Tage in anderen Gerichtssälen geben würde. Er war ein Mann mit unendlicher Geduld, der alles genau plante.