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Bei Brim, Stearns and Kidlow arbeiteten, so stand es in der neuesten Ausgabe des Juristenhandbuchs von Martindale-Hubbell, hundertneunzig Anwälte. Und bei White and Blazevich waren es vierhundertzwölf. Also stand zu hoffen, dass Garcia nur einer von möglicherweise sechshundertzweien war. Doch wenn Mattiece noch mit anderen Washingtoner Firmen in Verbindung stand, war die Zahl größer, und sie hatten keine Chance.
Wie erwartet, arbeitete bei White and Blazevich niemand, der Garcia hieß. Darby suchte nach einem anderen lateinamerikanischen Namen, fand aber keinen. Es war eine dieser blütenweißen, aristokratischen Firmen, in der nur Leute von den Eliteuniversitäten arbeiteten, die lange, mit Zahlen endende Namen hatten. Es waren ein paar Frauen darunter, aber nur zwei waren Partner. Die meisten der Frauen waren nach 1980 eingestellt worden. Wenn sie lange genug am Leben blieb, um ihr Studium beenden zu können, würde Darby bestimmt nicht für eine Fabrik wie White and Blazevich arbeiten.
Grantham hatte ihr nahegelegt, nach lateinamerikanischen Namen zu suchen, weil Garcia als Falschname ein wenig ungewöhnlich war. Vielleicht war der Mann Lateinamerikaner, und da Garcia dort ein häufig vorkommender Name ist, war er ihm vielleicht als erster eingefallen. Es funktionierte nicht. In dieser Firma gab es keine Lateinamerikaner.
Dem Handbuch zufolge waren ihre Mandanten groß und reich. Banken, Unternehmen, die in Fortune unter den fünfhundert größten aufgeführt waren, und eine Menge Ölgesellschaften. Vier der in dem Prozess Beklagten waren als Mandanten aufgeführt, aber nicht Mr. Mattiece. Da waren
Chemieunternehmen und Schifffahrtslinien, und White and Blazevich vertrat auch die Regierungen von Nordkorea, Libyen und Syrien. Verrückt, dachte sie. Unsere Feinde heuern unsere Anwälte an, damit sie bei unserer Regierung für sie eintreten. Aber schließlich kann man Anwälte für praktisch alles anheuern.
Brim, Stearns and Kidlow war eine kleinere Version von White and Blazevich, aber hier gab es tatsächlich vier lateinamerikanische Namen. Sie notierte sie. Zwei Männer und zwei Frauen. Vermutlich war diese Firma wegen Geschlechtsund Rassendiskriminierung verklagt worden, denn in den letzten zehn Jahren hatte sie alle möglichen Leute eingestellt. Die Mandantenliste war vorhersagbar: Öl und Gas, Versicherungen, Banken, Regierungskontakte. Ziemlich langweiliger Kram.
Sie saß eine Stunde lang in einer Ecke der juristischen Bibliothek von Fordham. Es war Freitagmorgen, zehn Uhr in New York und neun Uhr in New Orleans, und anstatt sich in einer Bibliothek zu verstecken, in der sie noch nie gewesen war, hätte sie jetzt eigentlich in Verfahrensrecht unter Alleck sitzen sollen, einem Professor, den sie nie gemocht hatte, jetzt aber sehr vermisste. Alice Stark würde neben ihr sitzen. Einer ihrer Kommilitonen, ein Blödmann namens D. Ronald Petrie, würde hinter ihr sitzen, sich mit ihr verabreden wollen und schlüpfrige Bemerkungen machen. Auch ihn vermisste sie. Sie vermisste die stillen Morgenstunden auf Thomas’ Balkon, wo sie so oft Kaffee getrunken und darauf gewartet hatte, dass das French Quarter seine Spinnweben abschüttelte und zum Leben erwachte. Sie vermisste den Duft des Rasierwassers an seinem Bademantel.
Sie dankte der Bibliothekarin und verließ das Gebäude. Auf der Zweiundsechzigsten wanderte sie ostwärts auf den Park zu. Es war ein herrlicher Oktobermorgen mit klarem Himmel und kühlem Wind. Eine angenehme Abwechslung nach New Orleans, aber unter den gegebenen Umständen schwer zu würdigen. Sie trug eine neue Sonnenbrille und einen Schal, den sie bis zum Kinn hochgezogen hatte. Das Haar war nach wie vor dunkel, aber sie würde nicht noch mehr abschneiden. Sie war entschlossen, zu gehen, ohne ständig über die Schulter zu schauen. Vermutlich waren sie nicht hinter ihr her, aber sie wusste, dass es Jahre dauern würde, bevor sie wieder ohne jeden Zweifel eine Straße entlanggehen konnte.
Die Bäume im Park boten eine prachtvolle Schau aus Gelb, Orange und Rot. Der Wind ließ die Blätter sanft herabsegeln. Sie bog nach Süden zum Central Park West ab. Morgen würde sie abreisen und ein paar Tage in Washington verbringen. Wenn sie überlebte, würde sie danach das Land verlassen, vielleicht in die Karibik. Sie war bereits zweimal dort gewesen. Da gab es tausend kleine Inseln, auf denen die meisten Leute irgendeine Art von Englisch sprachen.
Jetzt war die Zeit gekommen, das Land zu verlassen. Sie hatten ihre Spur verloren, und sie hatte sich bereits nach den Flügen nach Nassau und Jamaika erkundigt. Wenn es dunkel wurde, konnte sie schon dort sein.
Sie fand einen Münzfernsprecher im Hintergrund eines Cafes an der Sixth Avenue und wählte Grays Nummer in der Post. »Ich bin’s«, sagte sie.
«Wunderbar. Ich hatte schon befürchtet, Sie hätten das Land bereits verlassen.«
«Ich denke darüber nach.«
«Können Sie damit noch eine Woche warten?«
«Vermutlich. Ich komme morgen. Was wissen Sie inzwischen?«
«Ich sammle Schrott. Ich habe mir Kopien der Jahresbilanzen der sieben öffentlichen Firmen besorgt, die an dem Prozess beteiligt waren. In keiner von ihnen ist Mattiece Vorstandsmitglied oder Direktor.«
«Was noch?«
«Nur die übliche endlose Telefoniererei. Gestern habe ich drei Stunden damit verbracht, bei den Gerichten herumzulungern und nach Garcia Ausschau zu halten.«
«Vor Gericht werden Sie ihn nicht finden. Zu der Sorte Anwälten gehört er nicht. Er ist in einer Wirtschaftsfirma.«
«Das hört sich an, als hätten Sie eine bessere Idee.«
«Ich habe mehrere Ideen.«
«Also gut. Dann bleibe ich einfach hier sitzen und warte auf Sie.«
«Ich rufe an, sobald ich angekommen bin.«
«Rufen Sie mich nicht zu Hause an.«
Sie schwieg eine Sekunde.»Darf ich fragen, warum nicht?«
«Es ist durchaus möglich, dass jemand mithört und mich vielleicht sogar beschattet. Einer meiner besten Informanten meint, ich hätte genügend Staub aufgewirbelt, dass sie mich nicht mehr aus den Augen lassen werden.«
«Wundervoll. Und da wollen Sie, dass ich komme und mit Ihnen gemeinsame Sache mache?«
«Uns kann nichts passieren, Darby. Wir müssen nur vorsichtig sein.«
Sie umklammerte den Hörer und biss die Zähne zusammen.»Wie können Sie es wagen, mir gegenüber von Vorsicht zu reden! Ich versuche jetzt seit zehn Tagen, Bomben und Schüssen auszuweichen, und Sie sind so von sich eingenommen, dass Sie mir sagen, ich sollte vorsichtig sein. Sie können mir den Buckel runterrutschen, Grantham! Vielleicht sollte ich mich von Ihnen fernhalten.«
Es gab eine Pause, während sie sich in dem kleinen Cafe umschaute. Zwei Männer an einem Tisch in der Nähe sahen zu ihr herüber. Sie war viel zu laut. Sie wendete sich ab und holte tief Luft.
Grantham sprach langsam.»Tut mir leid. Ich…«»Vergessen Sie’s. Vergessen Sie’s einfach.«
Er wartete einen Moment.»Sind Sie okay?«
«Mir geht es großartig. Habe mich nie besser gefühlt.«»Kommen Sie nach Washington?«
«Ich weiß es nicht. Hier bin ich sicher, und noch sicherer bin ich, wenn ich in ein Flugzeug steige und das Land verlasse.«
«Gewiss, aber ich dachte, Sie hätten diese wunderbare Idee, wie wir Garcia finden und dann vielleicht Mattiece festnageln können. Ich dachte, Sie wären empört und moralisch entrüstet und dürsteten nach Rache. Was ist mit Ihnen los?«
«Nun, zum einen habe ich dieses brennende Verlangen, meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag zu erleben. Ich bin nicht selbstsüchtig, aber vielleicht möchte ich auch den dreißigsten noch erleben. Das wäre schön.«
«Ich verstehe.«
«Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen. Ich glaube, Sie sind mehr an Pulitzerpreisen und Ruhm interessiert als an meinem hübschen kleinen Hals.«
«Ich versichere Ihnen, dass das nicht stimmt. Vertrauen Sie mir, Darby. Sie werden sicher sein. Sie haben mir die Geschichte Ihres Lebens erzählt. Sie müssen mir vertrauen.«
«Ich werde darüber nachdenken.«
«Das ist nicht definitiv.«
«Nein, das ist es nicht. Lassen Sie mir ein bisschen Zeit.«
«Okay.«
Sie legte auf und bestellte ein Hörnchen. Ein Dutzend Sprachen ertönten um sie herum; das Cafe war plötzlich überfüllt. Lauf, Baby, lauf, sagte ihr der gesunde Menschenverstand. Nimm ein Taxi zum Flughafen. Bezahle bar für ein Ticket nach Miami. Steig in die nächste Maschine, die nach Süden fliegt. Lass Grantham wühlen und wünsch ihm alles Gute. Er war sehr gut, und er würde eines Tages eine
Möglichkeit finden, die Story zu bringen. Und sie würde sie lesen, während sie an einem sonnenüberfluteten Strand lang, eine Pina colada trank und den Windsurfern zuschaute.
Stummel hinkte auf dem Gehsteig vorbei. Sie erhaschte einen Blick auf ihn, durch das Gedränge der Gäste und durch das Fenster hindurch. Ihr Mund war plötzlich trocken, und ihr war schwindlig. Er schaute nicht herein. Er trottete nur vorbei, es sah aus, als hätte er sich verlaufen. Sie lief zwischen den Tischen hindurch und beobachtete ihn von der Tür aus. Leicht hinkend erreichte er die Ecke von Sixth Avenue und Achtundfünfzigster Straße und wartete dort auf Grün. Er begann, die Sixth zu überqueren, dann überlegte er es sich anders und überquerte die Achtundfünfzigste. Ein Taxi hätte ihn beinahe umgenietet.
Er ging nirgendwo hin, sondern wanderte nur leicht hinkend in der Gegend herum.
Croft sah den jungen Mann, als er aus dem Fahrstuhl trat. Er kam in Begleitung eines anderen jungen Anwalts, und da sie ihre Aktenkoffer nicht bei sich hatten, war offensichtlich, dass sie zu einem späten Lunch unterwegs waren. Nach fünftägigem Beobachten von Anwälten hatte Croft ihre Gewohnheiten kennengelernt.
Das Gebäude lag an der Pennsylvania, und Brim, Stearns and Kidlow residierte in den Stockwerken Drei bis Elf. Garcia verließ mit seinem Kollegen das Haus, und sie lachten auf ihrem ganzen Weg die Straße entlang. Irgend etwas war sehr komisch. Croft folgte so dicht auf wie möglich. Sie gingen und lachten fünf Blocks und betraten dann, genau wie er vermutet hatte, für eine schnelle Mahlzeit ein kleines Yuppie-Restaurant.
Croft rief Grantham dreimal an, bevor er ihn erreichte. Es war fast zwei, die Mittagspause war so ziemlich vorbei, und wenn Grantham den Mann erwischen wollte, dann sollte er gefälligst in der Nähe des Telefons bleiben. Grantham hieb den Hörer auf die Gabel. Sie würden sich in dem Gebäude treffen.
Auf dem Rückweg gingen Garcia und sein Kollege etwas langsamer. Es war ein herrlicher Tag, und sie genossen die kurze Erholung von der Tretmühle des Verklagens von Leuten oder was immer sie für zweihundert Dollar pro Stunde taten.
Croft versteckte sich hinter seiner Sonnenbrille und hielt Abstand.
Gray wartete im Foyer in der Nähe der Fahrstühle. Croft war dicht hinter ihnen, als sie durch die Drehtür hereinkamen. Er deutete rasch auf ihren Mann. Gray sah das Signal und drückte auf den Fahrstuhlknopf. Er öffnete sich, und er trat einen Augenblick vor Garcia und seinem Kollegen ein. Croft blieb zurück.
Garcia drückte auf den Knopf Nummer Sechs, und einen Sekundenbruchteil später tat Gray dasselbe. Gray las Zeitung und hörte zu, wie die beiden Anwälte über Football redeten. Der junge Mann war nicht älter als sieben- oder achtundzwanzig. Die Stimme war vielleicht vage vertraut, aber er hatte sie nur am Telefon gehört, und sie hatte keine besonderen Merkmale. Das Gesicht war dicht vor ihm, aber er konnte es nicht eingehend betrachten. Die Chancen, dass er es tatsächlich war, standen nicht schlecht. Er sah dem Mann auf den Fotos sehr ähnlich, er arbeitete für Brim, Stearns and Kidlow, und einer ihrer unzähligen Mandanten war Mr. Mattiece. Er war Reporter. Es war sein Job, vorzupreschen und Fragen zu stellen.
Sie verließen den Fahrstuhl im sechsten Stock, noch immer über die Redskins diskutierend, und Gray schlenderte, in seiner Zeitung lesend, hinter ihnen her. Das Foyer der Firma war elegant und üppig, mit Kronleuchtern und Perserteppichen, und an der Wand stand in dicken goldenen Lettern der Firmenname. Die Anwälte blieben an der Rezeption stehen, um sich über eingegangene Anrufe unterrichten zu lassen. Gray ging zielstrebig auf die Sekretärin zu, die ihn eingehend musterte.
«Kann ich Ihnen helfen, Sir?«fragte sie in dem Ton, der bedeutete:»Was zum Teufel wollen Sie?«
Gray war nicht um eine Antwort verlegen.»Ich habe eine Besprechung mit Roger Martin. «Er hatte den Namen im Telefonbuch gefunden, und er hatte eine Minute zuvor vom unteren Foyer aus angerufen, um sich zu vergewissern, dass Anwalt Martin heute im Hause war. Der Tafel war zwar zu entnehmen, dass die Firma in den Stockwerken Drei bis Elf residierte, aber auf ihr waren nicht alle hundertneunzig Anwälte aufgeführt. Mit Hilfe des Branchenbuches hatte er ein Dutzend schnelle Anrufe getätigt, um in jeder Etage einen Anwalt zu finden. Roger Martin war der Mann im sechsten Stock.
Er warf der Sekretärin einen finsteren Blick zu.»Wir haben schon zwei Stunden zusammengesessen.«
Das verblüffte sie, und ihr fiel keine Erwiderung ein. Gray eilte um die Ecke in einen Korridor und erhaschte gerade noch einen Blick auf Garcia, der eben sein vier Türen entferntes Büro betrat.
Der Name neben der Tür war David M. Underwood. Gray klopfte nicht an. Er wollte schnell zuschlagen und vielleicht schnell wieder verschwinden. Mr. Underwood hängte sein Jackett auf einen Bügel.
«Hi. Ich bin Gray Grantham von der Washington Post. Ich suche einen Mann namens Garcia.«
Underwood runzelte die Stirn und schien verblüfft.»Wie sind Sie hier hereingekommen?«fragte er.
Die Stimme klang plötzlich vertraut.»Zu Fuß. Sie sind Garcia, nicht wahr?«
Er zeigte auf eine Schreibtischplakette mit seinem Namen in Goldbuchstaben.»David M. Underwood. In diesem Stockwerk gibt es niemanden, der Garcia heißt. Ich kenne keinen Garcia in dieser Firma.«
Gray lächelte, als spielte er mit. Underwood war ängstlich. Oder verärgert.
«Wie geht es Ihrer Tochter?«fragte Gray.
Underwood kam um den Schreibtisch herum, jetzt ziemlich verwirrt.»Welcher?«
Das passte nicht. Garcia war sehr besorgt gewesen um seine Tochter, ein Kleinkind, und wenn er mehr als eine gehabt hätte, dann hätte er es bestimmt erwähnt.
«Der jüngsten. Und Ihrer Frau?«
Underwood war jetzt auf Schlagnähe herangekommen und schob sich noch näher heran. Offensichtlich war er ein Mann, der vor körperlichem Kontakt keine Angst hatte.
«Ich habe keine Frau. Ich bin geschieden. «Er hob die linke Faust, und einen kurzen Moment lang dachte Gray, er wollte zuschlagen. Dann sah er die vier ringlosen Finger. Keine Frau. Kein Ring. Garcia betete seine Frau an, und er würde einen Ring tragen. Es war Zeit zum Gehen.
«Was wollen Sie?«fragte Underwood.
«Ich dachte, Garcia säße in diesem Stockwerk«, sagte er, sich zurückziehend.
«Ist Ihr Freund Garcia Anwalt?«
«Ja.«
Underwood entspannte sich ein wenig.»Nicht in dieser Firma. Wir haben einen Perez und einen Hernandez und vielleicht noch einen weiteren. Aber einen Garcia kenne ich nicht.«
«Nun ja, es ist eine große Firma«, sagte Gray, jetzt an der Tür.
Underwood folgte ihm.»Hören Sie, Mr. Grantham, wir sind es nicht gewohnt, dass Reporter hier auftauchen. Ich werde den Sicherheitsdienst anrufen, vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen.«
«Das ist nicht nötig. Vielen Dank. «Grantham war auf dem Korridor und verschwunden. Underwood informierte den Sicherheitsdienst.
Im Fahrstuhl verfluchte Grantham sich selbst. Außer ihm war niemand darin, deshalb fluchte er laut. Dann dachte er an Croft und verfluchte ihn, und als der Fahrstuhl hielt und die Tür aufging, stand Croft im Foyer neben den Münzfernsprechern. Ruhig bleiben, befahl er sich.
Sie verließen das Gebäude gemeinsam.»War nichts«, sagte Gray.
«Haben Sie mit ihm gesprochen.«
«Ja. Der falsche Mann.«
«Verdammt. Ich war ganz sicher, dass er es war. Es war der Mann auf den Fotos, oder etwa nicht?«
«Nein. Er sieht ihm nur ziemlich ähnlich. Versuchen Sie es weiter.«
«Ich habe diese Sache ziemlich satt, Grantham. Ich…«
«Sie werden dafür bezahlt. Machen Sie noch eine Woche weiter, okay? Ich kann mir schwerere Arbeit vorstellen.«
Croft blieb auf dem Gehsteig stehen, und Gray ging weiter.»Noch eine Woche, dann ist endgültig Schluss«, rief Croft hinter ihm her. Grantham schwenkte die Hand.
Er schloss den vorschriftsmäßig geparkten Volvo auf und fuhr zurück zur Post. Das war kein kluger Schachzug gewesen. Es war eine ziemliche Dummheit. Ein solcher Fehler hätte ihm nicht unterlaufen dürfen. Er würde den Vorfall bei seinem täglichen Gespräch mit Jackson Feldman und Smith Keen nicht erwähnen.
Feldman wollte ihn sprechen, sagte ein anderer Reporter, und er eilte in sein Büro. Er lächelte die Sekretärin, die im Begriff war, ihn anzufahren, zuckersüß an. Keen und Howard
Krauthammer, der Chef vom Dienst, warteten bei Feldman auf ihn. Keen machte die Tür zu und reichte Gray eine Zeitung.»Haben Sie das gesehen?«
Es war die Times-Picayune, die Zeitung von New Orleans, und die Story auf der Titelseite berichtete über den Tod von Verheek und Callahan, mit großen Fotos. Er las sie schnell, während sie ihn beobachteten. Es war von ihrer Freundschaft die Rede und ihrem gewaltsamen Tod in nur sechs Tagen Abstand. Und auch Darby Shaw wurde erwähnt, die verschwunden war. Aber keinerlei Hinweis auf das Dossier.
«Allem Anschein nach ist die Katze aus dem Sack«, sagte Feldman.
«Das sind nur die grundlegenden Tatsachen«, sagte Gray.»Die hätten wir schon vor drei Tagen bringen können.«
«Warum haben wir es nicht getan?«fragte Krauthammer.
«Da steckt nichts dahinter. Es sind zwei Tote, der Name der jungen Frau und tausend Fragen, von denen keine beantwortet wird. Sie haben einen Polizisten gefunden, der bereit war zu reden, aber er weiß nichts außer den blutigen Details.«
«Aber sie recherchieren, Gray «sagte Keen.
«Wollen Sie, dass ich sie daran hindere?«
«Die Times hat die Sache aufgegriffen«, sagte Feldman.»Sie werden mehr bringen, morgen oder Sonntag. Wieviel können sie wissen?«
«Weshalb fragen Sie mich das? Möglich, dass sie eine Kopie des Dossiers haben. Möglich, aber äußerst unwahrscheinlich. Aber sie haben nicht mit der Frau gesprochen. Wir haben die Frau. Sie gehört uns.«
«Das hoffen wir«, sagte Krauthammer.
Feldman rieb sich die Augen und starrte die Decke an.»Nehmen wir an, sie haben eine Kopie des Dossiers und wissen, wer es geschrieben hat, und jetzt ist sie verschwunden. Deshalb können sie es im Moment nicht verifizieren, aber sie scheuen nicht davor zurück, das Dossier zu erwähnen, allerdings ohne Nennung von Mattiece. Sagen wir, sie wissen, dass Callahan ihr Professor war, unter anderem, und dass er das Dossier hierher gebracht und seinem guten Freund Verheek gegeben hat. Und nun sind sie tot, und sie ist auf der Flucht. Das ist eine verdammt gute Story, finden Sie nicht, Gray?«
«Es ist eine tolle Story«, sagte Krauthammer.
«Sie ist nicht der Rede wert im Vergleich zu dem, was noch kommt«, sagte Gray.»Ich will nicht, dass sie erscheint, weil sie nur die Spitze des Eisbergs ist. Außerdem wird sich jede Zeitung im Lande darauf stürzen. Wir können keine tausend Reporter brauchen, die sich gegenseitig auf die Füße treten.«
«Ich bin dafür, dass wir sie bringen«, sagte Krauthammer.»Sonst haut die Times sie uns um die Ohren.«
«Wir können die Story nicht bringen«, sagte Gray.
«Und weshalb nicht?«
«Weil ich sie nicht schreiben werde, und wenn jemand anders hier sie schreibt, verlieren wir die Frau. So einfach ist das. Sie überlegt sich schon jetzt, ob sie nicht ins nächste Flugzeug steigen und das Land verlassen soll. Ein Fehler von uns, und sie ist verschwunden.«
«Aber sie hat doch schon erzählt, was sie weiß«, sagte Keen.
«Ich habe ihr mein Wort darauf gegeben, dass ich die Story erst dann schreiben werde, wenn wir alles beisammen haben und Mattiece beim Namen nennen können. Es ist ganz einfach.«
«Sie benutzen sie, stimmt’s?«
«Sie ist eine Informantin. Aber sie ist nicht hier in der Stadt.«
«Wenn die Times das Dossier hat, dann wissen sie auch über Mattiece Bescheid«, sagte Feldman.»Und wenn sie über Mattiece Bescheid wissen, dann recherchieren sie wie die Wilden, um die Story zu verifizieren. Was ist, wenn sie uns zuvorkommen?«
Krauthammer grunzte entrüstet.»Wir sitzen hier herum und lassen uns die größte Story seit zwanzig Jahren entgehen. Ich sage, wir sollten bringen, was wir haben. Es ist nur die Oberfläche, aber schon jetzt eine tolle Sache.«
«Nein«, sagte Gray.»Ich schreibe sie nicht, bis ich alles zusammen habe.«
«Und wie lange wird das dauern?«fragte Feldman.
«Vielleicht eine Woche.«
«Wir haben keine Woche«, sagte Krauthammer.
Gray war verzweifelt.»Ich kann herausfinden, wieviel die Times weiß. Geben Sie mir achtundvierzig Stunden.«
«Sie werden morgen oder Sonntag etwas bringen«, sagte Feldman noch einmal.
«Sollen sie doch. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass es dieselbe Story sein wird mit vermutlich denselben Fotos. Warten wir’s ab und lesen wir ihre kleine Story, dann sehen wir weiter.«
Die Redakteure schauten sich gegenseitig an. Krauthammer war enttäuscht. Keen war beunruhigt. Aber der Boss war Feldman, und er sagte:»Okay. Wenn sie morgen früh etwas bringen, treffen wir uns um zwölf und sehen es uns an.«
«Gut«, sagte Gray rasch und griff nach der Tür.
«Sie sollten sich beeilen. Grantham«, sagte Feldman.»Viel länger können wir nicht darauf sitzen bleiben.«
Grantham war schon verschwunden.