172630.fb2 Die Akte - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 37

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SECHSUNDDREISSIG

Er verbrachte die Nacht in Zimmer 13, schlief aber kaum. Das Restaurant wurde um sechs geöffnet, und er schlich zum Kaffee hinunter, danach schlich er zurück in sein Zimmer. Das Hotel war alt und verwinkelt und durch die Verbindung von drei Häusern entstanden. Überall gab es kleine Türen und schmale Flure, die in alle Richtungen verliefen. Die Atmosphäre war zeitlos.

Es würde ein langer, anstrengender Tag werden, aber er würde ihn mit ihr verbringen, und darauf freute er sich. Er hatte einen Fehler gemacht, einen schlimmen Fehler, aber sie hatte ihm verziehen. Genau halb neun klopfte er an die Tür von Zimmer 1. Sie öffnete sie schnell und schloss sie dann hinter ihm wieder ab.

«Haben Sie gut geschlafen?«fragte sie, aber nur aus Höflichkeit.

«Nein. «Er warf ein Exemplar der Times aufs Bett. Er hatte es bereits überflogen, und es stand wieder nichts darin.

Darby griff zum Telefon und wählte die Nummer der Juristischen Fakultät von Georgetown. Sie sah ihn an und lauschte in den Hörer, dann sagte sie:»Vermittlungsbüro bitte. «Es folgte eine lange Pause.»Ja, hier spricht Sandra Jernigan. Ich bin Partnerin bei White and Blazevich hier in der Stadt, und wir haben Probleme mit unseren Computern. Wir versuchen, einige Lohnlisten zu rekonstruieren, und die Buchhaltung hat mich gebeten, Sie nach den Namen der Studenten zu fragen, die im letzten Sommer als Praktikanten bei uns gearbeitet haben. Soweit ich weiß, waren es vier. «Sie hörte einen Moment zu.»Jernigan. Sandra Jernigan«, wiederholte sie.»Ah ja. Wie lange wird das dauern?«Eine Pause.»Und Ihr Name ist Joan? Vielen

Dank, Joan. «Darby deckte die Sprechmuschel ab und holte tief Luft. Gray beobachtete sie genau, aber mit einem bewundernden Lächeln.

«Ja, Joan. Also sieben waren es. Unsere Unterlagen sind ein einziges Chaos. Haben Sie ihre Adressen und Sozialversicherungsnummern? Wir brauchen sie für die Steuer. Natürlich. Wie lange wird das dauern? Gut. Einer unserer Büroangestellten ist gerade in Ihrer Gegend. Sein Name ist Snowden, und er wird in einer Viertelstunde bei Ihnen sein. Vielen Dank, Joan. «Darby legte den Hörer auf und schloss die Augen.

«Sandra Jernigan«, sagte er.

«Ich bin nicht gut im Lügen«, sagte sie.

«Sie waren wundervoll. Und der Büroangestellte bin vermutlich ich.«

«Sie können ohne weiteres als Angestellter einer Anwaltskanzlei durchgehen. Sie haben etwas von einem alternden Ex-Jurastudenten an sich. «Und Sie sind ziemlich schlau, dachte sie.

«Das Flanellhemd gefällt mir.«

Sie trank einen großen Schluck kalten Kaffee.»Dies kann ein langer Tag werden.«

«So weit, so gut. Ich hole die Liste, und wir treffen uns in der Bibliothek. Richtig?«

«Ja. Das Vermittlungsbüro ist im fünften Stock der Juristischen Fakultät. Ich werde in Zimmer 336 sein. Das ist ein kleiner Konferenzraum im dritten Stock. Sie nehmen als erster ein Taxi. Wir treffen uns dort in einer Viertelstunde.«

«Jawohl, Madam. «Grantham war zur Tür hinaus. Darby wartete fünf Minuten und verließ dann mit ihrer Segeltuchtasche das Zimmer.

Die Fahrt war kurz, aber das Taxi kam im Morgenverkehr nur langsam voran. Das Leben auf der Flucht war schon schlimm genug, aber Davonlaufen und Detektivspielen gleichzeitig war zuviel. Sie hatte schon fünf Minuten im Taxi gesessen, bevor sie daran dachte, dass ihr vielleicht jemand folgte. Und das war vielleicht nur gut. Vielleicht würde ein harter Tag als recherchierende Reporterin ihre Gedanken von Stummel und den anderen Quälgeistern ablenken. Sie würde heute und morgen arbeiten, und am späten Mittwochabend würde sie an einem Strand sein.

Sie würden mit Georgetown anfangen. Wenn das eine Sackgasse war, würden sie es mit der Juristischen Fakultät von George Washington versuchen und, wenn dazu noch Zeit war, mit der American University. Drei Versuche, und dann war sie auf und davon.

Das Taxi hielt vor McDonough Hall am Fuße des Capitol Hill. Mit ihrer Tasche und dem Flanellhemd war sie nur eine unter vielen Jurastudentinnen vor einer Vorlesung oder einem Seminar. Sie stieg die Treppe zum dritten Stock hinauf und machte die Tür des Konferenzraums hinter sich zu. Der Raum wurde gelegentlich für Vorlesungen und Einstellungsgespräche benutzt. Sie legte ihre Notizen auf den Tisch und war nur noch eine Jurastudentin, die sich auf ein Seminar vorbereitete.

Nur Minuten später kam Gray zur Tür herein.»Joan ist ein reizendes Mädchen«, sagte er, als er die Liste auf den Tisch legte.»Namen, Adressen und Sozialversicherungsnummern. Ist das nicht nett?«

Darby warf einen Blick auf die Liste und zog ein Telefonbuch aus der Tasche. Darin fand sie fünf der Namen. Sie sah auf die Uhr.»Es ist jetzt fünf nach neun. Ich wette, dass nicht mehr als die Hälfte von diesen Leuten jetzt in einem Seminar sitzt. Einige von ihnen werden später ein Seminar haben. Ich rufe diese fünf an und sehe zu, wer zu Hause ist. Sie nehmen die beiden ohne Telefonnummer und lassen sich in der Registratur ihren Stundenplan geben.«

Gray sah gleichfalls auf die Uhr.»Wir treffen uns hier in einer Viertelstunde wieder. «Zuerst ging er, dann Darby. Sie ging zu den Münzfernsprechern im ersten Stock und wählte die Nummer von James Maylor.

Eine Männerstimme meldete sich.»Hallo.«

«Spreche ich mit Dennis Maylor?«fragte sie.

«Nein. Ich bin James Maylor.«

«Entschuldigung. «Sie legte auf. Er wohnte zehn Minuten entfernt. Er hatte kein Neun-Uhr-Seminar, und wenn er um zehn eines hatte, würde er noch vierzig Minuten zu Hause sein. Vielleicht.

Sie rief die anderen vier an. Zwei meldeten sich, und sie vergewisserte sich; bei den anderen beiden wurde der Hörer nicht abgenommen.

Gray wartete ungeduldig in der Registratur im dritten Stock. Eine als Teilzeitkraft dort arbeitende Studentin versuchte, die Registratorin zu finden, die sich irgendwo in den hinteren Räumen aufhielt. Die Studentin teilte ihm mit, sie wäre nicht sicher, ob sie Angaben über Stundenpläne machen könnten. Gray sagte, er wäre sicher, sie könnten es, wenn sie nur wollten.

Die Registratorin bog argwöhnisch um eine Ecke.»Kann ich Ihnen helfen?«

«Ja. Ich bin Gray Grantham von der Washington Post, und ich versuche, zwei Ihrer Studenten zu finden, Laura Kaas und Michael Akers.«

«Gibt es irgendein Problem?«fragte sie nervös.

«Durchaus nicht. Nur ein paar Fragen. Haben sie heute morgen eine Vorlesung oder ein Seminar?«Er lächelte, und es war ein warmes, vertrauenerweckendes Lächeln, mit dem er gewöhnlich ältere Frauen bedachte. Es verfehlte nur selten seinen Zweck.

«Haben Sie irgendeinen Ausweis oder so etwas?«»Natürlich. «Er griff in seine Brieftasche und schwenkte ihn langsam vor ihrer Nase, ungefähr so wie ein Polizist, der weiß, dass er ein Polizist ist, und der nicht scharf darauf ist, es alle Welt wissen zu lassen.

«Nun, eigentlich sollte ich mit dem Dekan sprechen, aber…«

«Gut. Wo ist sein Büro?«

«Aber er ist nicht da. Er ist verreist.«

«Ich brauche nur ihren Stundenplan, damit ich sie finden kann. Ich will weder ihre Adressen wissen noch Einzelheiten über ihren Studienstand. Nichts Vertrauliches oder Persönliches.«

Sie warf einen Blick auf die Teilzeitangestellte, die nur die Achseln zuckte, als wollte sie sagen» Was ist schon dabei?«

«Einen Augenblick bitte«, sagte sie und verschwand wieder um die Ecke.

Darby wartete in dem kleinen Raum, als er die Computerausdrucke auf den Tisch legte.»Diesen Dingern zufolge müssten Akers und Kaas jetzt hier sein«, sagte er.

Darby warf einen Blick auf die Stundenpläne.»Akers hat Verfahrensrecht, Kaas Verwaltungsrecht, beide von neun bis zehn. Ich werde versuchen, sie zu finden. «Sie zeigte Gray ihre Notizen.»Maylor, Reinhard und Wilson waren zu Hause; Ratliff und Linney konnte ich nicht erreichen.«

«Maylor wohnt am nächsten. Ich kann in ein paar Minuten bei ihm sein.«

«Was ist mit einem Wagen?«

«Ich habe bei Hertz angerufen. Er sollte in einer Viertelstunde auf dem Parkplatz der Post stehen.«

Maylors Wohnung lag im dritten Stock eines für Studenten und andere Leute mit sehr schmaler Brieftasche umgebauten Lagerhauses. Schon nach dem ersten Klopfen öffnete er die Tür mit vorgelegter Kette.

«Ich suche James Maylor«, sagte Gray wie ein alter Kumpel.

«Der bin ich.«

«Ich bin Gray Grantham von der Washington Post, und ich würde Ihnen gern ein paar ganz kurze Fragen stellen.«

Die Kette wurde gelöst und die Tür geöffnet. Gray betrat die

Zwei-Zimmer-Wohnung. In der Mitte war ein Fahrrad geparkt, das den größten Teil des Raumes einnahm.

«Worum geht es?«Er war neugierig und offensichtlich bereit, Fragen zu beantworten.

«Soweit ich weiß, haben Sie im Sommer für White and Blazevich gearbeitet.«

«Das stimmt. Drei Monate.«

Gray machte sich Notizen.»In welcher Abteilung?«

«International. Überwiegend Knochenarbeit. Nichts Grandioses. Eine Menge Recherchen und Rohentwürfe für Abkommen.«

«Wem waren Sie unterstellt?«

«Keiner Einzelperson. Da waren drei angestellte Anwälte, die dafür sorgten, dass ich beschäftigt war. Der für sie zuständige Partner war Stanley Coopman.«

Gray zog ein Foto aus der Tasche. Es war Garcia auf dem Gehsteig.»Erkennen Sie dieses Gesicht wieder?«

Maylor nahm das Foto und betrachtete es eingehend.»Ich glaube nicht. Wer ist das?«

«Ein Anwalt, der vermutlich bei White and Blazevich arbeitet.«

«Es ist eine riesige Firma. Ich habe in der Ecke einer Abteilung gesessen. Dort arbeiten mehr als vierhundert Anwälte.«

«Ja, das habe ich gehört. Sie sind sicher, dass Sie ihn nicht gesehen haben?«

«Ganz sicher. Sie residieren auf zwölf Stockwerken, und in die meisten davon bin ich nie gekommen.«

Gray steckte das Foto wieder ein.»Sind Sie dort noch irgendwelchen anderen Praktikanten begegnet?«

«Oh, sicher. Zwei von Georgetown, die ich schon kannte, Laura Kaas und JoAnne Ratliff. Zwei Studenten von George Washington, Patrick Franks und einem Typ, der Vanlandingham hieß; einem Mädchen von Harvard namens Elizabeth Larson; einem Mädchen von Michigan namens Amy MacGregor; und einem Typ von Emory, der Moke hieß, aber ich glaube, den haben sie gefeuert. Im Sommer wimmelt es dort immer von Praktikanten.«

«Wollen Sie für die Firma arbeiten, wenn Sie mit dem Studium fertig sind?«

«Ich weiß es noch nicht. Ich bin nicht sicher, ob eine von diesen großen Firmen das richtige für mich ist.«

Gray lächelte und verstaute den Notizblock in seiner Gesäßtasche.»Sie haben dort gearbeitet. Wie kann ich diesen Mann finden?«

Maylor dachte einen Moment lang darüber nach.»Ich nehme an, Sie können nicht dort aufkreuzen und herumfragen.«

«Die Annahme ist richtig.«

«Und alles, was Sie haben, ist dieses Foto?«

«Ja.«

«Dann tun Sie vermutlich genau das Richtige. Einer der Praktikanten wird ihn erkennen.«

«Danke.«

«Steckt der Mann in Schwierigkeiten?«

«Nein, nein. Es könnte nur sein, dass er etwas beobachtet hat. Und selbst das ist nur eine Vermutung. «Gray öffnete die Tür.

«Nochmals vielen Dank.«

Darby studierte den Vorlesungsplan für den Herbst am Schwarzen Brett gegenüber den Münzfernsprechern. Sie wusste noch nicht genau, was sie tun würde, wenn die Neun-UhrSeminare vorüber waren, aber sie versuchte angestrengt, sich etwas einfallen zu lassen. Das Schwarze Brett sah genauso aus wie das in Tulane: säuberlich untereinander angeordnet die Hörsaal-Angaben; Bemerkungen zu Aufgaben; Anzeigen wegen Büchern, Fahrrädern, Zimmern, Mitbewohnern und hundert anderen derartigen Bedürfnissen, auf gut Glück angeheftet; Hinweise auf Parties, universitätsinterne Sportveranstaltungen, Clubtreffen. Eine junge Frau mit einem Rucksack und Wanderstiefeln blieb neben ihr stehen und betrachtete das Schwarze Brett. Sie war zweifellos eine Studentin.

Darby lächelte sie an.»Entschuldigen Sie. Kennen Sie zufällig Laura Kaas?«

«Natürlich.«

«Ich muss ihr etwas ausrichten. Könnten Sie sie mir zeigen?«

«Ist sie jetzt hier?«

«Ja, sie hat Verwaltungsrecht bei Ship, Zimmer 207.«

Plaudernd wanderten sie gemeinsam in Richtung auf Ships Verwaltungsrecht. Auf dem Flur herrschte plötzlich Gedränge, als vier Säle sich gleichzeitig leerten. Darbys Begleiterin deutete auf eine hochgewachsene, kräftige Frau, die auf sie zukam. Darby dankte ihr und folgte Laura Kaas, bis sich die Menge verlief und das Gedränge nachgelassen hatte.

«Entschuldigen Sie, Laura. Sie sind doch Laura Kaas?«Die hochgewachsene Frau blieb stehen und musterte sie.»Ja.«

Das war der Teil, den sie gar nicht mochte.»Ich bin Sara Jacobs, und ich arbeite an einer Story für die Washington Post. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«Sie hatte sich für Laura

Kaas als erste entschieden, weil sie, im Gegensatz zu Michael Akers, um zehn keine Vorlesung hatte. Bei ihm würde sie um elf ihr Glück versuchen.

«Worüber?«

«Es wird nur eine Minute dauern. Können wir hier hineingehen?«Darby winkte sie in einen leeren Hörsaal. Laura folgte ihr langsam.

«Sie haben im Sommer bei White and Blazevich gearbeitet?«

«Ja. «Sie sprach langsam, argwöhnisch.

Sara Jacobs bemühte sich, ihre Nerven unter Kontrolle zu halten.»In welcher Abteilung?«

«Steuern.«

«Mögen Sie Steuerrecht?«Es war ein schwacher Versuch zu plaudern.

«Früher mochte ich es. Jetzt hasse ich es.«

Darby lächelte, als wäre das das Komischste, das sie seit Jahren gehört hatte. Sie zog ein Foto aus der Tasche und zeigte es Laura Kaas.

«Kennen Sie diesen Mann?«

«Nein.«

«Soweit ich weiß, ist er Anwalt bei White and Blazevich.«

«Da gibt es Unmengen von Anwälten.«

«Sind Sie ganz sicher?«

«Ja. Ich bin nie aus dem fünften Stock herausgekommen. Es würde Jahre dauern, bis man alle kennengelernt hat, und sie kommen und gehen so schnell. Sie wissen ja, wie Anwälte sind.«

Laura schaute sich um, und die Unterhaltung war beendet.»Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar«, sagte Darby.

«Keine Ursache«, sagte Laura, bereits auf dem Weg zur Tür.

Genau um halb elf trafen sie sich wieder in Zimmer 336. Gray hatte Ellen Reinhart auf der Auffahrt erwischt, als sie gerade wegfahren wollte. Sie hatte in der Prozessabteilung unter einem Partner namens Daniel O’Malley gearbeitet und den größten Teil des Sommers bei der Verhandlung einer Gruppenklage in Miami verbracht. Sie war seit zwei Monaten nicht mehr da und hatte daheim nur kurze Zeit im Washingtoner Büro gearbeitet. White and Blazevich unterhielten Büros in vier Städten, darunter Tampa. Sie kannte Garcia nicht, und sie hatte es eilig.

Judith Wilson war nicht in ihrer Wohnung gewesen, aber ihre Mitbewohnerin hatte gesagt, sie käme gegen eins zurück.

Sie strichen Maylor, Kaas und Reinhart von der Liste, berieten sich flüsternd, dann machten sie sich wieder auf den Weg — Gray, um Edward Linney zu finden, der zwei Sommer als Praktikant bei White and Blazevich gearbeitet hatte. Er stand nicht im Telefonbuch, aber er wohnte in Wesley Heights, nördlich vom Hauptcampus von Georgetown.

Viertel vor elf stand Darby wieder vor dem Schwarzen Brett und hoffte auf ein weiteres Wunder. Akers war ein Mann, und es gab verschiedene Möglichkeiten, an ihn heranzutreten. Sie hoffte, dass er da war, wo er eigentlich sein sollte — in Zimmer 201 bei einem Seminar über Verfahrensrecht. Sie ging dorthin und wartete, bis die Tür aufging und rund fünfzig Jurastudenten herausströmten. Aus ihr würde nie eine Reporterin werden. Sie brachte es nicht fertig, sich vor Fremden aufzubauen und ihnen einen Haufen Fragen zu stellen. Es ging ihr gegen den Strich. Dennoch ging sie auf einen schüchtern wirkenden jungen Mann mit traurigen Augen und dicken Brillengläsern zu und sagte:»Entschuldigen Sie, kennen Sie zufällig Michael Akers? Ich glaube, er ist in diesem Kurs.«

Der junge Mann lächelte. Er war glücklich, dass er bemerkt worden war. Er deutete auf eine Gruppe von Männern, die auf den Haupteingang zugingen.»Dort ist er, in dem grauen Pullover.«

«Danke. «Sie ließ ihn stehen. Beim Verlassen des Gebäudes löste sich die Gruppe auf, und Akers und ein Freund waren auf dem Gehsteig angelangt.

«Mr. Akers«, rief sie ihm nach.

Sie blieben beide stehen und drehten sich um, dann lächelten sie, als sie nervös auf sie zukam.»Sind Sie Michael Akers?«fragte sie.

«Der bin ich. Und wer sind Sie?«

«Mein Name ist Sara Jacobs. Ich arbeite an einer Story für die Washington Post. Könnte ich Sie einen Moment allein sprechen?«

«Klar. «Der Freund kapierte und ging weiter.

«Worum geht es?«fragte Akers.

«Sie haben im Sommer als Praktikant bei White and Blazevich gearbeitet?«

«Ja. «Akers war umgänglich und genoss die Unterhaltung.

«In welcher Abteilung?«

«Immobilien. Stinklangweilig, aber es war ein Job. Weshalb wollen Sie das wissen?«

Sie zeigte ihm das Foto.»Kennen Sie diesen Mann? Er arbeitet bei White and Blazevich.«

Akers hätte ihn gern gekannt. Er wollte ihr helfen und sich lange mit ihr unterhalten, aber das Gesicht sagte ihm nichts.

«Nicht ganz astrein, dieses Foto, stimmt’s?«

«Kann sein. Kennen Sie den Mann?«

«Nein. Habe ihn nie gesehen. Es ist eine riesige Firma. Bei ihren Zusammenkünften tragen die Partner Schildchen mit ihren Namen. Können Sie sich das vorstellen? Die Leute, denen der Laden gehört, kennen sich nicht einmal gegenseitig. Es muss an die hundert Partner geben.«

Einundachtzig, um genau zu sein.»Waren Sie jemandem

unterstellt?«

«Ja, einem Partner namens Walter Welch. Ein Widerling. Mir hat es dort überhaupt nicht gefallen.«

«Erinnern Sie sich an irgendwelche anderen Praktikanten?«

«Klar. Es wimmelte dort von ihnen.«

«Wenn ich ihre Namen brauchen sollte, darf ich dann auf Sie zurückkommen?«

«Jederzeit. Steckt dieser Mann in Schwierigkeiten?«

«Ich glaube nicht. Er weiß vielleicht etwas.«

«Ich hoffe, sie werden alle aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Sie sind nichts als ein Haufen Ganoven, und das Arbeiten dort war eine Pest. Alles politisch.«

«Danke. «Sie lächelte und wendete sich zum Gehen. Er bewunderte die Rückenansicht und sagte:»Sie können mich jederzeit anrufen.«

«Danke.«

Darby, die recherchierende Reporterin, ging zum Bibliotheksgebäude nebenan und stieg die Treppe zum fünften Stock hinauf, wo in einer Reihe von engen Büros das Georgetown Law Journal untergebracht war. Sie hatte in der Bibliothek die neueste Nummer des Journal gefunden und festgestellt, dass JoAnne Ratliff Mitherausgeberin war. Sie vermutete, dass sich alle juristischen Zeitschriften mehr oder minder glichen. In den Redaktionen saßen die Topstudenten und arbeiteten an ihren gelehrten Artikeln und Kommentaren. Sie fühlten sich dem Rest der Studentenschaft überlegen und bildeten eine isolierte, sich ihres brillanten Verstandes bewusste Gruppe. Sie hielten sich fast ständig in der Redaktion auf. Sie war ihre zweite Heimat.

Sie trat ein und fragte einen jungen Mann, der ihr begegnete, wo sie JoAnne Ratliff finden könnte. Er deutete um eine Ecke herum. Zweite Tür rechts. Die zweite Tür öffnete sich in ein vollgestopftes Arbeitszimmer mit Reihen von Büchern. Zwei Frauen waren in ihre Arbeit vertieft.

«JoAnne Ratliff?«sagte Darby.

«Das bin ich«, erwiderte eine ältere Frau von ungefähr vierzig.

«Hi. Ich heiße Sara Jacobs, und ich arbeite an einer Story für die Washington Post. Darf ich Ihnen ganz kurz ein paar Fragen stellen?«

Die Frau legte langsam ihren Kugelschreiber auf den Tisch und warf der anderen einen finsteren Blick zu. Was immer sie auch tun mochten, es war ungeheuer wichtig, und diese Störung war ausgesprochen lästig. Schließlich waren sie namhafte Jurastudentinnen.

Darby hätte am liebsten gegrinst und eine boshafte Bemerkung gemacht. Schließlich war sie selbst Nummer Zwei ihres Jahrgangs, also tut gefälligst nicht so, als wäret ihr etwas ganz Besonderes.

«Worum geht es bei dieser Story?«fragte Ratliff.

«Könnten wir uns allein unterhalten?«

Die beiden Frauen tauschten abermals einen finsteren Blick.

«Ich habe sehr viel zu tun«, sagte Ratliff.

Ich auch, dachte Darby. Du überprüfst Zitate für irgendeinen unbedeutenden Artikel, und ich versuche, den Mann festzunageln, der zwei Richter des Obersten Bundesgerichts umgebracht hat.

«Das tut mir leid«, sagte Darby.»Ich verspreche Ihnen, es dauert nicht länger als eine Minute.«

Sie gingen zusammen auf den Flur hinaus.»Es tut mir sehr leid, dass ich Sie bei der Arbeit störe, aber es ist sehr wichtig.«

«Und Sie sind Reporterin bei der Post?«Es war eher eine Herausforderung als eine Frage, und sie war gezwungen, noch mehr zu lügen. Sie sagte sich, sie könnte zwei Tage lang lügen und betrügen und stehlen, dann ging es ab in die Karibik, und Grantham konnte zusehen, wie er zurechtkam.

«Ja. Haben Sie im Sommer bei White and Blazevich gearbeitet?«

«Ja. Weshalb interessiert Sie das?«

Schnell, das Foto. Ratliff nahm es und analysierte es.

«Kennen Sie den Mann?«

Sie schüttelte langsam den Kopf.»Ich glaube nicht. Wer ist das?«

Diese Person würde eine großartige Anwältin abgeben. So viele Fragen. Wenn sie wüsste, wer er war, würde sie nicht hier auf diesem engen Flur stehen und sich mit dieser hochnäsigen Person abgeben.

«Er ist Anwalt bei White and Blazevich«, sagte Darby so aufrichtig wie möglich.»Ich dachte, Sie kennen ihn vielleicht.«

«Nein. «Sie gab Darby das Foto zurück.

Das reichte.»Trotzdem vielen Dank. Und entschuldigen Sie die Störung.«

«Keine Ursache«, sagte Ratliff und verschwand durch die Tür.

Sie sprang in den neuen Pontiac von Hertz, als er an der Ecke hielt, und sie fädelten sich in den Verkehr ein. Sie hatte genug von der Juristischen Fakultät von Georgetown.

«Ich hatte Pech«, sagt Gray.»Linney war nicht zu Hause.«

«Ich habe mit Akers und Ratliff gesprochen, und beide haben nein gesagt. Das sind fünf von sieben, die Garcia nicht kannten.«

«Ich habe Hunger. Wir wär’s mit Lunch?«

«Gute Idee.«

«Ist es möglich, dass fünf Praktikanten drei Monate in einer

Firma arbeiten und nicht einer von ihnen einen jungen angestellten Anwalt wiedererkennt?«

«Das ist nicht nur möglich, es ist sogar höchst wahrscheinlich. Vergessen Sie nicht, wir handeln auf gut Glück. Vierhundert Anwälte, das heißt in Wirklichkeit tausend Leute, wenn Sie sämtliche Mitarbeiter und Bürokräfte hinzurechnen. Und die Anwälte neigen dazu, sich ausschließlich auf ihrem eigenen kleinen Territorium aufzuhalten.«

«Sind die einzelnen Abteilungen räumlich voneinander getrennt?«

«Ja. Es ist durchaus möglich, dass ein Bankenanwalt im dritten Stock einen Bekannten in der Prozessabteilung im zehnten Stock wochenlang nicht zu Gesicht bekommt. Das sind vielbeschäftigte Leute.«

«Kann es sein, dass wir uns die falsche Firma ausgesucht haben?«

«Vielleicht die falsche Firma, vielleicht die falsche Universität.«

«Der erste, Maylor, hat mir die Namen von zwei Studenten von George Washington genannt, die im Sommer dort gearbeitet haben. Vielleicht sollten wir sie nach dem Lunch ausfindig machen. «Er verlangsamte und parkte hinter einer Reihe von kleinen Gebäuden.

«Wo sind wir?«fragte sie.

«Einen Block vom Mount Vernon Square entfernt. Von hier aus sind es sechs Blocks bis zur Post und vier bis zu meiner Bank. Und dieses kleine Restaurant liegt gleich um die Ecke.«

Sie gingen in das Restaurant, das sich schnell mit Mittagsgästen füllte. Sie wartete an einem Tisch beim Fenster, während er sich anstellte, um Club sandwiches zu holen. Der halbe Tag war vorüber, und obwohl ihr diese Art von Arbeit keinen Spaß machte, war es doch gut, etwas zu tun zu haben und die Schatten vergessen zu können. Sie würde nie Reporterin werden, und im Augenblick kam ihr auch eine juristische Laufbahn sehr zweifelhaft vor. Vor gar nicht langer Zeit hatte sie daran gedacht, nach ein paar Jahren Praxis Richterin zu werden. Vergessen wir das. Es war entschieden zu gefährlich.

Gray brachte ein Tablett mit Sandwiches und Eistee, und sie begannen zu essen.

«Ist dies ein typischer Tag für Sie?«fragte sie.

«Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Ich schnüffele den ganzen Tag herum, schreibe am späten Nachmittag meine Stories und recherchiere dann weiter bis tief in die Nacht hinein.«

«Wieviele Stories schreiben Sie pro Woche?«

«Manchmal drei oder vier, manchmal überhaupt keine. Ich suche mir meine Themen selbst aus, und mir redet kaum jemand drein. Dies hier ist ein bisschen anders. Ich habe seit zehn Tagen nichts geschrieben.«

«Was ist, wenn Sie nichts über Mattiece herausbekommen? Was werden Sie dann in Ihrer Story schreiben?«

«Das hängt davon ab, wie weit ich komme. Wir hätten diese Story über Verheek und Callahan bringen können, aber welchen Sinn hätte das gehabt? Es war eine große Story, aber es steckte nichts dahinter. Die anderen haben nur die Oberfläche angekratzt und dann aufgehört.«

«Und Sie wollen den großen Schlag landen.«

«Ich hoffe es. Wenn es uns gelingt, Ihr kleines Dossier zu verifizieren, dann haben wir den großen Schlag.«

«Sie sehen schon die Schlagzeilen vor sich, nicht wahr?«

«Ja. Das Adrenalin wird ausgepumpt. Dies wird die größte Story sein seit… «

«Watergate?«

«Nein. Watergate war eine Folge von Stories, die klein anfingen und sich dann immer mehr aufblähten. Die Leute sind monatelang Hinweisen nachgegangen und haben nicht lockergelassen, bis die Teile sich zusammenfügten. Eine Menge Leute kannte unterschiedliche Teile der Story. Dies, meine Liebe, ist etwas völlig anderes. Es ist eine wesentlich größere Story, und nur sehr wenige Leute kennen die Wahrheit. Watergate war ein stupider Einbruch und ein missglückter Vertuschungsversuch. Hier geht es um meisterhaft geplante Verbrechen sehr reicher und gerissener Leute.«

«Und die Vertuschung?«

«Die kommt als nächstes. Wenn wir Mattiece mit den Morden in Verbindung gebracht haben, können wir die große Story loslassen. Dann ist die Katze aus dem Sack, und über Nacht wird ein halbes Dutzend Untersuchungen eingeleitet werden. Ganz Washington wird fassungslos sein, zumal wenn herauskommt, dass der Präsident und Mattiece alte Freunde sind. Wenn sich der Staub legt, nehmen wir uns die Administration vor und versuchen herauszufinden, wer wann was gewusst hat.«

«Aber zuerst Garcia.«

«Ja. Ich weiß, dass er irgendwo da draußen ist. Er ist Anwalt in dieser Stadt, und er weiß etwas sehr Wichtiges.«

«Was ist, wenn wir ihn ausfindig machen und er nicht reden will?«

«Wir haben Mittel und Wege.«

«Zum Beispiel?«

«Folter, Entführung, Erpressung, Drohungen aller Art.«

Ein massiger Mann mit wutrotem Gesicht stand plötzlich neben dem Tisch.»Beeilt euch!«brüllte er.»Ihr redet zu viel.«

«Danke, Pete«, sagte Gray, ohne aufzuschauen. Pete verschwand in der Menge, aber sie konnten ihn an einem anderen Tisch brüllen hören. Darby ließ ihr Sandwich fallen.

«Er ist der Besitzer«, erklärte Gray.»Das gehört zum Ambiente.«

«Wie reizend. Kostet es extra?«

«Oh, nein. Das Essen ist billig, also muss die Masse es bringen. Er weigert sich, Kaffee zu servieren, weil er keine langen Unterhaltungen will. Er erwartet, dass wir essen wie auf der Flucht und dann schleunigst wieder verschwinden.«

«Ich bin satt.«

Gray sah auf die Uhr.»Es ist viertel nach zwölf. Um eins müssen wir in der Wohnung von Judith Wilson sein. Wollen Sie jetzt Ihr Geld anfordern?«

«Wie lange wird es dauern?«

«Wir können jetzt den Auftrag erteilen und das Geld später abholen.«

«Gehen wir.«

«Wieviel wollen Sie haben?«

«Fünfzehntausend.«

Judith Wilson wohnte im zweiten Stock eines baufälligen alten Gebäudes, das in Zwei-Zimmer-Studentenwohnungen unterteilt worden war. Um eins war sie noch nicht zu Hause, und sie fuhren eine Stunde herum. Gray spielte den Stadtführer. Er fuhr langsam am Montrose Theatre vorbei, das immer noch vernagelt und ausgebrannt war. Er zeigte ihr den täglichen Auftrieb am Dupont Circle.

Viertel nach zwei parkten sie auf der Straße, als ein roter Mazda in der schmalen Einfahrt hielt.»Das ist sie«, sagte Gray und stieg aus. Darby blieb im Wagen.

Er erwischte Judith auf der Vordertreppe. Sie war entgegenkommend genug. Sie redeten miteinander, er zeigte ihr das Foto, sie betrachtete es ein paar Sekunden und schüttelte dann den Kopf. Gleich darauf saß er wieder im Wagen.

«Niete Nummer sechs«, sagte er.

«Damit bleibt nur noch Edward Linney, der vermutlich unser heißestes Eisen ist, weil er zwei Sommer dort gearbeitet hat.«

Sie fanden einen Münzfernsprecher in einem kleinen Supermarkt, und Gray wählte Linneys Nummer. Niemand meldete sich. Er knallte den Hörer auf die Gabel und kehrte in den Wagen zurück.»Er war heute morgen um zehn nicht zu Hause, und jetzt ist er es auch nicht.«

«Er könnte in der Universität sein«, sagte Darby.»Wir brauchen seinen Vorlesungsplan. Sie hätten ihn sich zusammen mit dem der anderen geben lassen sollen.«

«Davon haben Sie nichts gesagt.«

«Wer ist denn hier der Detektiv? Wer ist der intelligente Reporter von der Washington Post? Ich bin schließlich nur eine kleine Ex-Jurastudentin, die auf dem Vordersitz hingerissen zuschaut, wie Sie operieren.«

Wie wäre es mit den Rücksitzen? hätte er beinahe gesagt.»Und wohin jetzt?«

«Zurück zur Juristischen Fakultät«, sagte sie.»Ich warte im Wagen, während Sie hineingehen und sich Linneys Vorlesungsplan verschaffen.«

«Ja, Madam.«

Jetzt saß ein Student am Schreibtisch im Büro der Registratorin. Gray bat um den Vorlesungsplan von Edward Linney, und der junge Mann machte sich auf die Suche nach der Registratorin. Fünf Minuten später kam die Registratorin langsam um die Ecke und bedachte ihn mit einem finsteren Blick.

Er produzierte das Lächeln.»Erinnern Sie sich an mich? Gray Grantham von der Post. Ich brauche noch einen Vorlesungsplan.«

«Der Dekan hat nein gesagt.«

«Ich denke, der Dekan ist nicht in der Stadt.«

«Ist er auch nicht. Der stellvertretende Dekan hat nein gesagt. Keine weiteren Vorlesungspläne. Sie haben mir schon genug Scherereien eingebracht.«

«Das verstehe ich nicht. Schließlich bitte ich Sie nicht um persönliche Unterlagen.«

«Der stellvertretende Dekan hat nein gesagt.«

«Wo ist der stellvertretende Dekan?«

«Er ist beschäftigt.«

«Ich werde warten. Wo ist sein Büro?«

«Er wird noch sehr lange Zeit beschäftigt sein.«

«Dann warte ich eben sehr lange Zeit.«

Sie baute sich vor ihm auf und verschränkte die Arme.»Er wird die Herausgabe weiterer Vorlesungspläne nicht zulassen. Unsere Studenten haben ein Recht auf ihr Privatleben.«

«Natürlich haben sie das. Was für Scherereien habe ich Ihnen eingebracht?«

«Das werde ich Ihnen sagen.«

«Bitte tun Sie es.«

Der Student verschwand um die Ecke herum.

«Einer der Studenten, mit denen Sie heute morgen gesprochen haben, hat White and Blazevich angerufen, und die haben den stellvertretenden Dekan angerufen, und der stellvertretende Dekan hat mich angerufen und gesagt, dass Reporter keine weiteren Vorlesungspläne erhalten sollen.«

«Weshalb sollte ihnen das etwas ausmachen?«

«Es macht ihnen etwas aus, okay? Wir arbeiten seit langem mit White and Blazevich zusammen. Sie stellen eine Menge von unseren Studenten ein.«

Gray versuchte, erbarmungswürdig und hilflos auszusehen.

«Ich versuche ja nur, Edward Linney zu finden. Ich schwöre, er steckt nicht in irgendwelchen Schwierigkeiten. Ich muss ihm nur ein paar Fragen stellen.«

Sie roch einen Sieg. Sie hatte einen Reporter der Post in die Schranken verwiesen, und darauf war sie ziemlich stolz. Also bot sie ihm einen Krümel an.»Mr. Linney ist nicht mehr immatrikuliert. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«

Er wich zur Tür zurück und murmelte» Danke«.

Er hatte fast seinen Wagen erreicht, als jemand seinen Namen rief. Es war der Student aus der Registratur.

«Mr. Grantham«, sagte er, während er auf ihn zulief.»Ich kenne Edward. Er ist für eine Weile aus dem Studium ausgestiegen. Persönliche Probleme.«

«Wo ist er?«

«Seine Eltern haben ihn in eine Privatklinik gesteckt. Er macht eine Entziehungskur.«

«Wo ist er?«

«In Silver Springs. Im Parklane Hospital.«

«Wie lange ist er schon dort?«

«Ungefähr einen Monat.«

Grantham reichte ihm die Hand.»Danke. Ich werde niemandem verraten, dass Sie es mir gesagt haben.«

«Er steckt doch nicht in Schwierigkeiten, oder?«

«Nein. Mein Ehrenwort.«

Sie hielten bei der Bank an, und Darby verließ sie mit fünfzehntausend Dollar Bargeld. Das viele Geld machte ihr Angst. Linney machte ihr Angst. Und plötzlich machten auch White and Blazevich ihr Angst.

Parklane war eine Entziehungsklinik für die Reichen oder für Leute mit einer teuren Versicherung. Es war ein kleines, von

Bäumen umgebenes Gebäude, das ein paar hundert Meter von der Straße entfernt für sich allein stand. Sie kamen zu dem Schluss, dass dies schwierig werden könnte.

Gray betrat als erster das Foyer und fragte die Frau am Empfang nach Edward Linney.

«Er ist einer unserer Patienten«, sagte sie mit amtlicher Stimme.

Er machte von seinem besten Lächeln Gebrauch.»Ja, ich weiß, dass er ein Patient ist. Das hat man mir in der Juristischen Fakultät gesagt. In welchem Zimmer liegt er?«

Darby betrat das Foyer und wanderte zum Wasserbehälter, um dort sehr lange zu trinken.

«Er ist in Zimmer 22, aber Sie dürfen nicht zu ihm.«

«In der Juristischen Fakultät hat man mir gesagt, ich könnte mit ihm reden.«

«Wer sind Sie überhaupt?«

Er war überaus verbindlich.»Gray Grantham von der Washington Post. In der Juristischen Fakultät hat man mir gesagt, ich könnte ihm ein paar Fragen stellen.«

«Tut mir leid, dass man Ihnen das gesagt hat. Aber Sie müssen verstehen, Mr. Grantham, für dieses Hospital sind wir verantwortlich.«

Darby griff nach einer Zeitschrift und ließ sich auf einer Couch nieder.

Sein Lächeln verblasste beträchtlich, aber es war immer noch da.»Das verstehe ich durchaus«, sagte er, noch immer höflich.»Könnte ich mit dem Verwaltungsdirektor sprechen?«

«Weshalb?«

«Weil diese Sache sehr wichtig ist und ich Mr. Linney unbedingt heute noch sprechen muss. Wenn Sie es mir nicht gestatten, dann muss ich mit Ihrem Boss reden. Ich gehe nicht von hier fort, bevor ich mit dem Verwaltungsdirektor

gesprochen habe.«

Sie bedachte ihn mit ihrem besten» Scheren-Sie-sich-zum-Teufel«-Blick.»Einen Moment bitte. Sie können inzwischen Platz nehmen.«

«Danke.«

Sie verschwand, und Gray drehte sich zu Darby um. Er zeigte auf eine Doppeltür, hinter der die einzige Diele zu liegen schien. Sie holte tief Luft, ging schnell hindurch und stand auf einem großen Vorplatz, von dem drei sterile Korridore abzweigten. Ein Messingschild verwies auf Zimmer 18 bis 30. Es war der Mittelflügel des Hospitals, und der Vorplatz war düster und still mit dickem Teppichboden und geblümter Tapete.

Das konnte sie ins Gefängnis bringen. Sie würde von einem großen Wachmann oder einem kräftigen Pfleger überwältigt und in einen verschlossenen Raum gebracht werden, wo die Polizisten nicht gerade sanft mit ihr umgehen würden, wenn sie angekommen waren, und ihr Helfer draußen würde hilflos zusehen, wie man sie in Handschellen abführte. Ihr Name würde in der Zeitung stehen, in der Post, und Stummel, sofern er lesen konnte, würde ihn sehen, und dann hatten sie sie.

Als sie an diesen geschlossenen Türen vorbeischlich, schienen die Strände und die Pinas coladas in unerreichbare Ferne gerückt zu sein. Auch die Tür zu Nummer 22 war geschlossen. Auf einem Schild standen die Namen Edward L. Linney und Dr. Wayne McLatchee. Sie klopfte an.

Der Verwaltungsdirektor war noch arroganter als die Frau am Empfang. Aber schließlich bekam er auch mehr Geld. Er erklärte, sie hätten strikte Besuchsregeln. Ihre Patienten wären sehr kranke und labile Leute, und sie müssten sie schützen. Ihre Ärzte, die besten auf ihrem Gebiet, wären, was Besuche bei ihren Patienten anging, sehr streng. Besuche wären nur samstags und sonntags erlaubt, und auch dann nur für sorgfältig ausgewählte Personen, gewöhnlich nur Familienangehörige und enge Freunde, die zu den Patienten durften, und das auch nur für eine halbe Stunde. Sie mussten sehr streng sein.

Dies waren sehr empfindliche Leute, und sie konnten auf gar keinen Fall eine Befragung durch einen Reporter verkraften, ganz gleich, wie schwerwiegend die Umstände auch sein mochten.

Mr. Grantham fragte, wann Mr. Linney entlassen werden würde. Absolut vertraulich, erklärte der Verwaltungsdirektor. Vermutlich dann, wenn die Versicherung abgelaufen war, meinte Mr. Grantham, der redete und hinzögerte und halbwegs damit rechnete, jenseits der Doppeltür laute und wütende Stimmen zu hören.

Die Erwähnung der Versicherung machte den Verwaltungsdirektor ziemlich wütend. Mr. Grantham fragte, ob er, der Verwaltungsdirektor, Mr. Linney fragen könnte, ob er Mr. Grantham zwei Fragen beantworten wollte. Das Ganze würde nicht länger als dreißig Sekunden dauern.

Kommt nicht in Frage, erklärte der Verwaltungsdirektor. Sie hatten sehr strenge Regeln.

Eine Stimme antwortete leise, und sie trat in das Zimmer. Der Teppich war dicker, und die Möbel waren aus Holz. Er saß in Jeans und ohne Hemd auf dem Bett, las in einem dicken Roman und sah sehr gut aus.

«Entschuldigen Sie«, sagte sie herzlich, während sie die Tür hinter sich zumachte.

«Kommen Sie herein«, sagte er mit einem sanften Lächeln. Es war seit zwei Tagen das erste nichtmedizinische Gesicht. Ein wunderschönes Gesicht. Er klappte das Buch zu.

Sie trat ans Fußende des Bettes.»Ich bin Sara Jacobs, und ich arbeite an einer Story für die Washington Post.«

«Wie sind Sie hereingekommen?«fragte er, offensichtlich erfreut, dass sie bei ihm war.

«Einfach so. Haben Sie im Sommer bei White and Blazevich gearbeitet?«

«Ja, und im vorigen Sommer auch. Sie haben mir einen Job angeboten, wenn ich mit dem Studium fertig bin. Falls ich es abschließe.«

Sie reichte ihm das Foto.»Kennen Sie diesen Mann?«

Er nahm es und lächelte.»Ja. Er heißt — warten Sie einen Moment. Er arbeitet in der Öl- und Gasabteilung im neunten Stock. Wie heißt er doch gleich?«

Darby hielt den Atem an.

Linney schloss die Augen und versuchte nachzudenken. Er betrachtete das Foto, und dann sagte er:»Morgan. Ich glaube, er heißt Morgan. Ja.«

«Sein Zuname ist Morgan?«

«So ist es. Sein Vorname fallt mir im Moment nicht ein. So etwas wie Charles — nein, das ist es nicht. Ich glaube, er fängt mit C an.«

«Und Sie sind sicher, dass er in der Öl- und Gasabteilung arbeitet?«Sie konnte sich zwar nicht an die genaue Zahl erinnern, aber sie war sicher, dass es bei White and Blazevich mehr als nur einen Morgan gab.

«Ja.«

«Im neunten Stock?«

«Ja. Ich habe in der Insolvenzenabteilung im achten Stock gearbeitet, und Öl und Gas nimmt die Hälfte des achten und den ganzen neunten Stock ein.«

Er gab ihr das Foto zurück.

«Wann kommen Sie hier heraus?«fragte sie. Es wäre unhöflich, einfach so aus dem Zimmer zu rennen.

«Nächste Woche, hoffe ich. Was hat dieser Mann getan?«

«Nichts. Wir müssen nur mit ihm reden. «Sie wich vom Bett zurück.»Ich muss weiter. Danke. Und viel Glück.«

«War mir ein Vergnügen.«

Sie machte leise die Tür hinter sich zu und eilte auf das Foyer zu. Die Stimme kam von hinten.

«He, Sie! Was tun Sie hier?«

Darby drehte sich um und stand vor einem hochgewachsenen schwarzen Wachmann mit einer Waffe an der Hüfte. Sie sah sehr schuldbewusst aus.

«Was machen Sie hier?«fragte er abermals, während er sie an die Wand drängte.

«Ich habe meinen Bruder besucht«, sagte sie.»Und schreien Sie mich gefälligst nicht an.«

«Wer ist Ihr Bruder?«

Sie deutete mit einem Kopfnicken auf seine Tür.»Zimmer 22.«

«Jetzt ist keine Besuchszeit. Sie haben hier nichts zu suchen.«

«Es war wichtig. Und ich gehe ja schon, okay?«

Die Tür von Zimmer 22 ging auf, und Linney schaute heraus.

«Ist das Ihre Schwester?«fragte der Wachmann.

Darby flehte mit den Augen.

«Ja, lassen Sie sie in Ruhe. Sie wollte gerade gehen.«

Sie atmete aus und lächelte Linney an.»Mom kommt am Wochenende.«

«Fein«, sagte Linney leise.

Der Wachmann trat zurück, und Darby rannte fast zu der Doppeltür. Grantham hielt dem Verwaltungsdirektor einen Vortrag über die Kosten des Gesundheitswesens. Sie kam durch die Tür, durchquerte das Foyer und hatte schon fast die Eingangstür erreicht, als der Verwaltungsdirektor sie ansprach.

«Miss! Oh, Miss! Darf ich wissen, wie Sie heißen?«

Darby war zur Tür hinaus und eilte zum Wagen. Grantham verabschiedete sich mit einem Achselzucken von dem Verwaltungsdirektor und verließ das Gebäude. Sie stiegen schnell ein und brausten davon.

«Garcias Nachname ist Morgan. Linney hat ihn sofort erkannt, aber es fiel ihm schwer, sich an den Namen zu erinnern. Der Vorname fängt mit C an. «Sie wühlte sich durch ihre Notizen aus dem Martindale-Hubbell.»Er hat gesagt, er arbeitet in der Öl- und Gasabteilung im neunten Stock.«

Grantham fuhr, so schnell er konnte.»Öl und Gas!«

«Das hat er gesagt. «Sie hatte es gefunden.»Curtis D. Morgan, Öl- und Gasabteilung, neunundzwanzig Jahre alt. Es gibt noch einen weiteren Morgan in der Prozessabteilung, aber der ist Partner und einundfünfzig.«

«Garcia ist Curtis Morgan«, sagte Gray erleichtert. Er sah auf die Uhr.»Es ist viertel vor vier. Wir müssen uns beeilen.«

«Ich kann es kaum erwarten.«

Rupert entdeckte sie, als sie von der Auffahrt des Parklane abbogen. Er fuhr wie ein Wilder, nur um sie nicht aus den Augen zu verlieren, dann gab er über Funk Bescheid.