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Der Schlachtplan sah vor, dass sie an diesem Punkt ihrer Suche in diesem Fahrstuhl zu stehen hatte, aber wie sie es sah, waren so viele unerwartete Ereignisse eingetreten, dass eine Änderung des Schlachtplans angezeigt gewesen wäre. Er war nicht dieser Meinung. Es hatte eine eingehende Debatte über diese Fahrt im Fahrstuhl gegeben, und nun stand sie darin. Er hatte recht: es war der kürzeste Weg zu Curtis Morgan. Und sie hatte auch recht: es war ein gefährlicher Weg zu Curtis Morgan. Aber die anderen Wege waren nicht weniger gefährlich. Der ganze Schlachtplan war mörderisch.
Sie trug ihr einziges Kleid und ihre einzigen Schuhe mit hohen Absätzen. Gray sagte, sie sähe sehr gut aus, aber das war zu erwarten gewesen. Der Fahrstuhl hielt im neunten Stock, und als sie heraustrat, hatte sie Magenkrämpfe und konnte kaum atmen.
Zum Empfang musste sie ein elegantes Foyer durchqueren. An der Wand prangte in großen, dicken Messingbuchstaben der Name WHITE AND BLAZEVICH. Ihre Knie waren weich, aber sie schaffte es bis zu der Frau am Empfang, die freundlich lächelte. Es war zehn vor fünf.
«Kann ich Ihnen helfen?«fragte sie. Dem Namensschild zufolge hieß sie Peggy Young.
«Ja«, brachte Darby nach einem Räuspern heraus.»Ich bin um fünf Uhr mit Curtis Morgan verabredet. Mein Name ist Dorothy Blythe.«
Die Frau war fassungslos. Ihr Unterkiefer sackte herab, und sie starrte Darby, jetzt Dorothy, an. Sie konnte nicht sprechen.
Darby blieb das Herz stehen.»Fehlt Ihnen etwas?«
«Äh — nein. Entschuldigung. Einen Augenblick bitte. «Peggy Young stand schnell auf und verschwand.
Hau ab! Dir Herz dröhnte wie eine Trommel. Hau ab! Sie versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren, aber sie musste gegen Hyperventilation ankämpfen. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Hau ab!
Sie sah sich um, versuchte, so gelassen zu wirken, als wäre sie nichts als eine Mandantin, die auf ihren Anwalt wartet. Bestimmt würde man sie nicht hier im Foyer einer Anwaltskanzlei niederschießen.
Er kam zuerst, gefolgt von der Empfangsdame. Er war ungefähr fünfzig, mit buschigem grauen Haar und grässlich finsterer Miene.»Hi«, sagte er, aber nur, weil er es musste.»Ich bin Jarreld Schwabe, ein Partner hier. Sie sagen, Sie hätten eine Verabredung mit Curtis Morgan?«
Bleib dabei.»Ja. Um fünf. Gibt es ein Problem?«
«Und Ihr Name ist Dorothy Blythe?«
Ja, aber Sie können mich Dot nennen.»Ja, das habe ich bereits gesagt. Was ist los?«Sie hörte sich an, als wäre sie echt verärgert.
Er rückte näher an sie heran.»Wann haben Sie die Verabredung getroffen?«
«Ich weiß es nicht mehr so genau. Vor ungefähr zwei Wochen. Ich habe Curtis auf einer Party in Georgetown kennengelernt. Er hat mir erzählt, dass er Öl- und Gas-Anwalt ist, und zufällig brauche ich einen solchen Anwalt. Deshalb rief ich hier an und vereinbarte eine Zusammenkunft. Und nun sagen Sie mir bitte, was hier vorgeht?«Sie war erstaunt, wie gut diese Worte aus ihrem trockenen Mund herauskamen.
«Wozu brauchen Sie einen Öl- und Gas-Anwalt?«
«Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht«, sagte sie, und es klang ziemlich bissig.
Die Fahrstuhltür ging auf, und ein Mann in einem billigen Anzug kam rasch herbei, um dem Gespräch folgen zu können.
Darby warf ihm einen finsteren Blick zu. Ihre Beine konnten jede Sekunde ihren Dienst versagen.
Schwabe war unerbittlich.»In unseren Unterlagen steht nichts von einer solchen Verabredung.«
«Dann feuern Sie die Sekretärin, die den Terminkalender führt. Werden bei Ihnen alle neuen Mandanten auf diese Art empfangen?«Oh, sie war empört, aber Schwabe ließ nicht locker.
«Sie können Curtis Morgan nicht sehen«, sagte er.
«Und weshalb nicht?«wollte sie wissen.
«Er ist tot.«
Ihre Knie waren butterweich und im Begriff nachzugeben. Ein heftiger Schmerz schoss durch ihren Magen Aber, dachte sie schnell, es war völlig in Ordnung, wenn sie schockiert wirkte. Schließlich hätte er ihr neuer Anwalt sein sollen.
«Das tut mir leid. Weshalb hat mich niemand angerufen?«
Schwabe war noch immer argwöhnisch.»Wie ich schon sagte, haben wir keine Unterlagen über eine Dorothy Blythe.«
«Was ist mit ihm passiert?«fragte sie fassungslos.
«Er wurde vor einer Woche überfallen und niedergeschossen. Vermutlich von einem Straßenräuber.«
Der Mann in dem billigen Anzug kam einen Schritt näher.»Können Sie sich irgendwie ausweisen?«
«Wer zum Teufel sind Sie?«fuhr sie ihn laut an.
«Er gehört zum Sicherheitsdienst«, sagte Schwabe.
«Was gibt es hier zu sichern?«fragte sie sogar noch lauter.»Ist das hier eine Anwaltskanzlei oder ein Gefängnis?«
Der Partner sah den Mann in dem billigen Anzug an, und es war offensichtlich, dass keiner von beiden so recht wusste, was er in dieser Situation tun sollte. Sie sah sehr gut aus, sie hatten sie verärgert, und ihre Geschichte klang irgendwie glaubhaft. Sie entspannten sich ein wenig.
«Vielleicht sollten Sie lieber gehen, Ms. Blythe«, sagte Schwabe.
«Mit Vergnügen!«
Der Wachmann wollte ihr helfen.»Hier entlang«, sagte er.
Sie schob ihn beiseite.»Wenn Sie mich anrühren, wird morgen früh meine erste Handlung darin bestehen, dass ich Sie verklage. Gehen Sie mir aus dem Weg!«
Das erschütterte sie ein wenig. Sie war wütend und schlug um sich. Vielleicht waren sie ein bisschen zu hart.
«Ich begleite Sie hinunter«, sagte der Wachmann.
«Ich finde allein hinaus. Mich wundert nur, dass Sie überhaupt noch Mandanten haben. «Sie bewegte sich rückwärts. Ihr Gesicht war gerötet, aber nicht vor Wut. Es war Angst.»Ich habe Anwälte in vier Staaten und bin noch nie so behandelt worden«, schrie sie sie an. Sie war in der Mitte des Foyers.»Voriges Jahr habe ich eine halbe Million Anwaltskosten bezahlt, und dieses Jahr wird es eine ganze Million sein, aber dieser Laden hier wird keinen Cent davon sehen. «Je näher sie dem Fahrstuhl kam, desto lauter schrie sie. Sie sahen ihr nach, bis sich die Fahrstuhltür geschlossen hatte und sie verschwunden war.
Gray wanderte mit dem Telefon in der Hand am Fußende des Bettes herum und wartete auf Smith Keen. Darby hatte sich auf dem Bett ausgestreckt und die Augen geschlossen.
Gray blieb stehen.»Hallo, Smith. Ich möchte, dass Sie ganz schnell etwas überprüfen.«
«Wo sind Sie?«fragte Keen.
«In einem Hotel. Gehen Sie sechs oder sieben Tage zurück.
Ich brauche die Todesanzeige von Curtis D. Morgan.«
«Wer ist das?«
«Garcia.«
«Garcia! Was ist mit Garcia passiert?«
«Er ist offensichtlich tot. Von Straßenräubern erschossen.«
«Daran erinnere ich mich. Wir haben vorige Woche einen Bericht über einen jungen Anwalt gebracht, der ausgeraubt und erschossen wurde.«
«Das muss er gewesen sein. Können Sie für mich nachs ehen? Ich brauche den Namen und die Adresse seiner Frau, falls wir sie haben.«
«Wie haben Sie ihn gefunden?«
«Das ist eine lange Geschichte. Wir wollen versuchen, noch heute abend mit seiner Witwe zu sprechen.«
«Garcia ist tot. Mann, das ist gespenstisch.«
«Das ist mehr als gespenstisch. Der Mann hat etwas gewusst, und sie haben ihn um die Ecke gebracht.«
«Und Sie — sind Sie in Sicherheit?«
«Wer weiß?«
«Wo ist die Frau?«
«Hier bei mir.«
«Was ist, wenn sie sein Haus beobachten?«
Daran hatte Gray noch nicht gedacht.»Das Risiko müssen wir eingehen. Ich rufe in einer Viertelstunde wieder an.«
Er stellte das Telefon auf den Fußboden und setzte sich in einen alten Schaukelstuhl. Auf dem Tisch stand warmes Bier, und er nahm einen großen Schluck. Er betrachtete sie. Ein Unterarm bedeckte beide Augen. Sie trug jetzt Jeans und ein Sweatshirt. Das Kleid hatte sie in eine Ecke geworfen, die Schuhe mit den hohen Absätzen von sich geschleudert.
«Sind Sie okay?«fragte er leise.
«Mir geht es wunderbar.«
Sie war ungeheuer schlagfertig, und das gefiel ihm. Natürlich, sie war fast Anwältin, und vermutlich wurde ihnen an der Universität Schlagfertigkeit beigebracht. Er trank Bier und bewunderte die Jeans. Er genoss es, sie anstarren zu können, ohne dabei erwischt zu werden.
«Starren Sie mich an?«fragte sie.
«Ja.«
«Sex ist das letzte, was mich im Moment interessiert.«
«Warum erwähnen Sie es dann?«
«Weil ich das Gefühl habe, dass es Sie nach meinen roten Zehennägeln gelüstet.«
«Stimmt.«
«Ich habe Kopfschmerzen. Hundsgemeine Kopfschmerzen.«
«Die haben Sie sich redlich erarbeitet. Kann ich Ihnen irgend etwas bringen?«
«Ja. Ein Ticket nach Jamaika.«
«Sie können noch heute abend abreisen. Ich bringe Sie gleich jetzt zum Flughafen.«
Sie nahm den Unterarm von den Augen und massierte ihre Schläfen.»Tut mir leid, dass ich geweint habe.«
Er leerte die Bierdose mit einem langen Zug.»Sie haben sich das Recht dazu verdient. «Ihr Gesicht war tränenüberströmt gewesen, als sie aus dem Fahrstuhl trat. Er wartete auf sie wie ein werdender Vater, nur dass er eine.38er in der Tasche hatte, eine.38er, von der sie nichts wusste.
«Nun, was halten Sie von der Arbeit eines recherchierenden Reporters?«fragte er.
«Ich würde lieber Schweine schlachten.«
«Nun, ehrlich gesagt, nicht jeder Tag ist so ereignisreich. An manchen Tagen sitze ich nur an meinem Schreibtisch und rufe
Hunderte von Bürokraten an, die mir alle nichts sagen.«
«Hört sich großartig an. Lassen Sie uns das morgen tun.«
Er streifte seine Schuhe ab und legte die Füße aufs Bett. Sie schloss die Augen und atmete tief. Minuten vergingen ohne ein weiteres Wort.
«Haben Sie gewusst, dass man Louisiana den Pelikan-Staat nennt?«fragte sie mit geschlossenen Augen.
«Nein, das habe ich nicht gewusst.«
«Im Grunde ist es eine Schande, weil die Braunpelikane Anfang der 60er Jahre praktisch ausgerottet wurden.«
«Was passierte mit ihnen?«
«Pestizide. Sie fressen nur Fische, und die Fische leben in Flusswasser voll von Pestiziden. Der Regen spült die Pestizide vom Land in kleine Bäche, und von dort gelangen sie in größere Flüsse und schließlich in den Mississippi. Wenn dann die Pelikane in Louisiana die Fische fressen, sind sie voll von DDT und anderen Chemikalien, die sich im Fettgewebe der Vögel ablagern. Das führt nur selten sofort zu ihrem Tod. Aber in Stresszeiten, zum Beispiel bei Nahrungsknappheit oder schlechtem Wetter, sind die Pelikane und Adler und Kormorane gezwungen, auf ihre Reserven zurückzugreifen. Dabei werden sie buchstäblich von ihrem eigenen Fett vergiftet. Wenn sie nicht daran sterben, sind sie in der Regel unfähig, sich fortzupflanzen. Die Schalen ihrer Eier sind so dünn und empfindlich, dass sie beim Bebrüten zerbrechen. Haben Sie das gewusst?«
«Woher sollte ich das wissen?«
«Ende der sechziger Jahre hat man in Louisiana damit begonnen, Braunpelikane aus Südflorida anzusiedeln, und im Lauf der Jahre hat sich die Population langsam wieder vergrößert. Aber die Vögel sind nach wie vor stark gefährdet. Vor vierzig Jahren gab es Tausende von ihnen. Die Zypressensümpfe, die Mattiece vernichten möchte, sind die Heimat von nur ein paar Dutzend Pelikanen.«
Gray dachte über diese Dinge nach. Sie schwieg lange Zeit.
«Welchen Tag haben wir heute?«fragte sie schließlich, ohne die Augen zu öffnen.
«Montag.«
«Heute vor einer Woche habe ich New Orleans verlassen. Heute vor zwei Wochen haben Thomas und Verheek zusammen gegessen. Und das war der schicksalsträchtige Moment, in dem das Pelikan-Dossier weitergegeben wurde.«
«Morgen ist es drei Wochen her, dass Rosenberg und Jensen ermordet wurden.«
«Ich war eine unschuldige kleine Jurastudentin, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerte und ein wundervolles Verhältnis mit ihrem Professor hatte. Aber diese Zeiten sind vermutlich vorbei.«
Mit dem Studium und dem Professor ist sicherlich Schluss, dachte er.»Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?«
«Ich habe keine. Ich versuche nur, aus dieser verdammten Sache herauszukommen und am Leben zu bleiben. Ich werde irgendwohin verschwinden und mich ein paar Monate verstecken, vielleicht auch ein paar Jahre. Ich habe genug Geld, um mich längere Zeit über Wasser zu halten. Wenn ich an dem Punkt angelangt bin, an dem ich nicht mehr über die Schulter sehe, falls das jemals wieder der Fall sein sollte, komme ich vielleicht zurück.«
«An die Universität?«
«Ich glaube nicht. Die Juristerei hat ihren Reiz verloren.«
«Weshalb wollten Sie Anwältin werden?«
«Aus Idealismus und wegen des Geldes. Ich dachte, ich könnte die Welt verändern und dafür bezahlt werden.«
«Aber es gibt doch ohnehin schon so verdammt viele Anwälte. Weshalb strömen all diese intelligenten jungen Leute in die Juristischen Fakultäten?«
«Ganz einfach. Es ist Habgier. Sie wollen BMWs und goldene Kreditkarten. Wenn man an eine gute Universität geht, unter den ersten zehn Prozent abschließt und einen Job bei einer großen Firma bekommt, dann hat man nach ein paar Jahren ein sechsstelliges Gehalt, und von da an geht es ständig aufwärts. Das ist garantiert. Im Alter von fünfunddreißig kann man schon ein Partner sein, der mindestens zweihunderttausend im Jahr einsackt. Manche verdienen noch viel mehr.«
«Und was ist mit den anderen neunzig Prozent?«
«Für die sieht es weniger rosig aus. Sie müssen sich mit dem begnügen, was übrigbleibt.«
«Die meisten Anwälte, die ich kenne, hassen ihren Beruf. Sie würden lieber etwas anderes tun.«
«Aber sie können nicht ausscheiden, wegen dem Geld. Sogar ein lausiger Anwalt in einer kleinen Kanzlei kann nach zehn Jahren Praxis an die hunderttausend im Jahr verdienen. Vielleicht hassen sie ihren Beruf, aber wo sonst könnten sie so viel Geld scheffeln?«
«Ich verabscheue Anwälte.«
«Und vermutlich glauben Sie, dass Reporter angebetet werden.«
Gutes Argument. Gray sah auf die Uhr, dann griff er zum Telefon. Er wählte Keens Nummer. Keen las ihm die Todesanzeige vor und die Post-Story über den sinnlosen Straßenmord an dem jungen Anwalt. Gray machte sich Notizen.
«Noch ein paar Dinge«, sagte Keen.»Feldman macht sich große Sorgen um Ihre Sicherheit. Er hat damit gerechnet, heute in seinem Büro von Ihnen informiert zu werden, und war stocksauer, weil er nichts von Ihnen gehört hat. Sehen Sie zu, dass Sie ihm morgen vormittag Bericht erstatten. Verstanden?«
«Ich werde es versuchen.«
«Versuchen reicht nicht, Gray. Wir sind alle sehr nervös.«
«Die Times ist uns auf den Fersen, stimmt’s?«
«Es ist nicht die Times, die mir im Augenblick Sorgen macht. Ich mache mir wesentlich mehr Sorgen um Sie und die Frau.«
«Uns geht’s gut. Es ist alles in bester Ordnung. Was haben Sie sonst noch?«
«In den letzten beiden Stunden sind drei Anrufe für Sie eingegangen, von einem Mann namens Cleve. Sagt, er wäre Polizist. Kennen Sie ihn?«
«Ja.«
«Nun, er möchte Sie heute abend sprechen. Sagt, es wäre dringend.«
«Ich rufe ihn nachher an.«
«Okay. Aber seien Sie vorsichtig. Wir sind noch bis spät abends hier, also melden Sie sich.«
Gray legte auf und betrachtete seine Notizen. Es war kurz vor sieben.»Ich fahre zu Mrs. Morgan. Und ich möchte, dass Sie hier bleiben.«
Sie setzte sich auf und legte die Arme um die Knie.»Ich möchte mitkommen.«
«Was ist, wenn sie das Haus beobachten?«fragte er.
«Weshalb sollten sie das Haus beobachten? Er ist tot.«
«Vielleicht sind sie jetzt argwöhnisch, weil heute eine mysteriöse Mandantin aufgetaucht ist und nach ihm gefragt hat. Obwohl er tot ist, erregt er Aufmerksamkeit.«
Sie dachte eine Minute darüber nach.»Nein. Ich komme mit.«
«Es ist zu riskant, Darby.«
«Kommen Sie mir nicht mit Risiken. Ich habe zwölf Tage in den Minenfeldern überlebt. Das hier ist ein Kinderspiel.«
Er wartete an der Tür auf sie.»Übrigens, wo soll ich heute übernachten?«
«Im Jefferson Hotel.«
«Haben Sie die Telefonnummer?«
«Was dachten Sie denn?«
«Dumme Frage.«
Der Privatjet mit Edwin Sneller an Bord landete ein paar Minuten nach sieben auf dem National Airport in Washington. Er war froh gewesen, New York verlassen zu können. Er hatte sechs Tage dort verbracht und ausschließlich in seiner Suite im Plaza Hotel herumgesessen. Fast eine Woche lang hatten seine Männer Hotels überprüft, Flughäfen beobachtet und auf den Straßen patrouilliert, und sie wussten verdammt gut, dass sie nur ihre Zeit vergeudeten. Aber Befehl war Befehl. Sie waren angewiesen worden, zu bleiben, bis sich irgend etwas tat und sie woanders weitermachen konnten. Der Versuch, die Frau in Manhattan zu finden, war absurd, aber sie mussten in der Nähe bleiben für den Fall, dass sie einen Fehler machte wie einen Telefonanruf oder eine Kreditkarten-Transaktion, durch die man ihr auf die Spur kommen konnte. Dann wurden sie gebraucht.
Sie hatte keinen Fehler gemacht bis halb drei an diesem Nachmittag, als sie Geld brauchte und zur Bank ging. Sie wussten, dass dies passieren würde, zumal wenn sie vorhatte, das Land zu verlassen, und davor zurückscheute, Plastikgeld zu benutzen. Irgendwann würde sie Geld brauchen, und es musste überwiesen werden — ihre Bank war in New Orleans und sie nicht. Snellers Auftraggeber gehörten acht Prozent der Bank, nicht gerade viel, aber ein hübscher Zwölf-Millionen-Dollar-Anteil, mit dem sich einiges bewirken ließ. Kurz nach drei hatte er einen Anruf aus Freeport erhalten.
Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie in Washington sein würde. Sie war eine schlaue Person, die vor Schwierigkeiten davonlief, nicht mitten hinein. Und sie hatten schon gar nicht damit gerechnet, dass sie sich mit dem Reporter zusammentun würde. Auf die Idee waren sie nicht gekommen, aber jetzt kam es ihnen logisch vor. Und das war schlimmer als nur bedenklich.
Fünfzehntausend wanderten von ihrem Konto auf seines, und schon war Sneller wieder im Geschäft. Er hatte zwei Männer bei sich. Ein weiterer Privatjet war von Miami aus unterwegs. Er hatte sofort ein Dutzend Männer angefordert. Es würde ein schneller Job sein oder überhaupt keiner. Sie durften keine Sekunde verlieren.
Sneller hatte keine großen Hoffnungen. Mit Khamel im Team war offensichtlich alles möglich gewesen. Er hatte Rosenberg und Jensen sauber umgebracht und war dann verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Jetzt war er tot, in den Kopf geschossen wegen einer kleinen Jurastudentin.
Das Haus der Morgans lag in einem hübschen Vorort in Alexandria. Hier wohnten nur junge, wohlhabende Leute, und vor jedem Haus standen Fahrräder und Dreiräder.
Drei Wagen parkten in der Auffahrt. Einer davon hatte OhioKennzeichen. Gray läutete und beobachtete die Straße. Nichts Verdächtiges.
Ein älterer Mann machte die Tür einen Spaltbreit auf.»Ja?«sagte er leise.
«Ich bin Gray Grantham von der Washington Post, und dies ist meine Assistentin Sara Jacobs. «Darby zwang sich zu einem Lächeln.»Wir hätten gern mit Mrs. Morgan gesprochen.«
«Ich glaube nicht, dass sich das machen lässt.«
«Bitte. Es ist sehr wichtig.«
Er musterte sie eingehend.»Warten Sie einen Moment. «Er schloss die Tür und verschwand.
Das Haus hatte eine schmale, überdachte hölzerne Veranda. Sie standen im Schatten und konnten von der Straße aus nicht gesehen werden. Ein Wagen fuhr langsam vorüber.
Er machte die Tür wieder auf.»Ich bin Tom Kupcheck, ihr Vater, und sie möchte mit niemandem reden.«
Gray nickte, als hätte er dafür volles Verständnis.»Es würde keine fünf Minuten dauern, das verspreche ich.«
Er kam auf die Veranda und machte die Tür hinter sich zu.»Sie scheinen schwerhörig zu sein. Ich sagte, sie möchte mit niemandem reden.«
«Ich habe gehört, was Sie sagten, Mr. Kupcheck. Ich weiß, was sie durchgemacht hat, und ich respektiere ihr Privatleben.«
«Seit wann respektiert ihr Reporter irgend jemandes Privatleben?«
Offensichtlich hatte Mr. Kupcheck eine sehr kurze Leitung. Und sie war nahe daran durchzubrennen.
Gray blieb ruhig. Darby wich zurück. Für einen Tag hatte sie genug Wortwechsel gehabt.
«Ihr Mann hat mich vor seinem Tod dreimal angerufen. Ich habe am Telefon mit ihm gesprochen, und ich glaube nicht, dass sein Tod ein Zufall war und dass er von einem Straßenräuber umgebracht wurde.«
«Er ist tot. Meine Tochter ist mit ihren Nerven am Ende. Sie will mit niemandem reden. Und nun verschwinden Sie.«
«Mr. Kupcheck«, sagte Darby eindringlich,»wir haben Grund zu der Annahme, dass Ihr Schwiegersohn Zeuge einer organisierten kriminellen Aktivität war.«
Das machte ihn etwas ruhiger, und er musterte Darby.»Ach, wirklich? Aber ihm können Sie keine Fragen mehr stellen. Und meine Tochter weiß von nichts. Sie hatte einen schlechten Tag und hat Medikamente bekommen. Also gehen Sie bitte.«
«Können wir sie morgen sprechen?«fragte Darby.
«Das bezweifle ich. Rufen Sie vorher an.«
Gray reichte ihm eine Visitenkarte.»Wenn Sie reden möchte, soll sie mich unter der Nummer auf der Rückseite anrufen. Ich wohne zur Zeit in einem Hotel. Ich rufe morgen gegen Mittag wieder an.«
«Tun Sie das. Aber jetzt verschwinden Sie. Sie haben s.e schon jetzt aufgeregt.«
«Das tut mir leid«, sagte Gray, während er die Veranda verließ. Mr. Kupcheck öffnete die Tür, beobachtete aber ihr Fortgehen. Gray drehte sich zu ihm um.»War irgendein anderer Reporter bei Ihnen, oder hat jemand angerufen?«
«Einen Tag, nachdem er umgebracht wurde, hat ein ganzer Haufen angerufen. Sie wollten alles mögliche wissen. Unverschämte Bande.«
«Aber keiner in den letzten paar Tagen?«
«Nein. Und jetzt verschwinden Sie endlich.«
«Jemand von der New York Times?«
«Nein. «Er trat ins Haus und knallte die Tür zu.
Sie eilten zu dem vier Häuser weiter geparkten Wagen. Auf der Straße herrschte keinerlei Verkehr. Gray fuhr kreuz und quer durch die kurzen Vorortstraßen und bahnte sich im Zickzack seinen Weg aus dem Viertel heraus. Er schaute unablässig in den Rückspiegel, bis er ganz sicher war, dass sie nicht verfolgt wurden.
«Ende der Spur Garcia«, sagte Darby, als sie auf die 395 einbogen und auf die Innenstadt zufuhren.
«Noch nicht. Wir unternehmen morgen noch einen letzten verzweifelten Versuch, und vielleicht können wir dann mit ihr reden.«
«Wenn sie etwas wüsste, hätte sie es ihrem Vater gesagt. Und wenn ihr Vater Bescheid wüsste, wäre er nicht so unkooperativ gewesen. Da ist nichts zu holen, Gray.«
Das leuchtete ein. Sie fuhren ein paar Minuten schweigend weiter. Die Erschöpfung setzte ein.
«Wir können in einer Viertelstunde am Flughafen sein«, sagte er.»Ich setze Sie dort ab, und in einer halben Stunde können Sie abfliegen. Nehmen Sie die nächste Maschine, ganz gleich wohin. Hauptsache, Sie verschwinden.«
«Ich fliege morgen ab. Ich brauche ein bisschen Ruhe, und ich möchte darüber nachdenken, wo ich hin will. Danke.«
«Fühlen Sie sich sicher?«
«Im Augenblick, ja. Aber das kann sich von einer Sekunde auf die andere ändern.«
«Ich könnte heute nacht in Ihrem Zimmer schlafen. Genau wie in New York.«
«In New York haben Sie nicht in meinem Zimmer geschlafen, sondern auf einer Couch im Wohnzimmer. «Sie lächelte, und das war ein gutes Zeichen.
Er lächelte ebenfalls.»Okay. Dann schlafe ch heute nacht eben im Wohnzimmer.«
«Ich habe kein Wohnzimmer.«
«Und wo kann ich dann schlafen?«
Plötzlich lächelte sie nicht mehr. Sie biss sich auf die Lippe, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Er war zu schnell vorgeprescht. Es war wieder Callahan.
«Ich bin einfach noch nicht so weit.«
«Und wann werden Sie so weit sein?«
«Gray, bitte. Lassen wir das.«
Sie beobachtete den Verkehr vor ihnen und schwieg.»Es tut mir leid«, sagte er.
Langsam ließ sie sich auf den Sitz sinken und legte den Kopf in seinen Schoß. Er rieb sanft ihre Schulter, und sie umklammerte seine Hand.
«Ich habe fürchterliche Angst«, sagte sie leise.