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Smith Keen wanderte erregt vor Feldmans Büro herum, und die Sekretärin schaute zu. Er sah, wie sie sich eilig ihren Weg durch den Gang zwischen den Schreibtischreihen bahnten. Gray hielt ihre Hand. Sie sah wirklich gut aus, aber das würde er später würdigen. Sie waren außer Atem.
«Smith Keen, das ist Darby Shaw«, sagte Gray zwischen zweimaligem Luftholen.
Sie gaben sich die Hand.»Hallo«, sagte sie und schaute sich in der betriebsamen Redaktion um.
«Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Darby. Nach allem, was ich gehört habe, sind Sie eine bemerkenswerte Frau.«
«Stimmt«, sagte Grantham.»Aber plaudern können wir später.«
«Kommt mit«, sagte Keen, und sie waren wieder unterwegs.»Feldman will, dass wir den Konferenzraum benutzen. «Sie durchquerten die Redaktion und betraten einen großen Raum mit einem langen Tisch in der Mitte. Er war voll von Männern, die sofort verstummten, als sie eintraten. Feldman machte die Tür zu.
Er griff nach ihrer Hand.»Ich bin Jackson Feldman, der Chefredakteur. Sie müssen Darby sein.«
«Wer sonst?«fragte Gray, immer noch außer Atem.
Feldman ignorierte ihn und ließ den Blick um den Tisch wandern. Er stellte vor.»Das ist Howard Krauthammer, Chef vom Dienst; Ernie DeBasio, stellvertretender Chef vom Dienst/ Ausland; Elliot Cohen, stellvertretender Chef vom Dienst/ Inland; und Vince Litsky, unser Anwalt.«
Sie nickte höflich und vergaß die Namen sofort wieder. Sie waren alle mindestens fünfzig, alle in Hemdsärmeln, alle überaus interessiert. Sie konnte die Spannung spüren.
«Geben Sie mir die Kassette«, sagte Gray.
Sie holte sie aus ihrer Handtasche und gab sie ihm. Der Fernseher und der Videorecorder standen im hinteren Teil des Raums auf einem Tisch. Er legte die Kassette in den Recorder ein.»Das haben wir vor zwanzig Minuten bekommen und deshalb selbst noch nicht gesehen.«
Darby setzte sich auf einen Stuhl an der Wand. Die Männer rückten näher an den Bildschirm heran und warteten auf ein Bild.
Zuerst erschien das Datum — 12. Oktober. Dann saß Curtis Morgan auf einem Stuhl in einer Küche. Er hielt einen Schalter in der Hand, mit dem er offenbar die Kamera bediente.
«Mein Name ist Curtis Morgan, und wenn Sie dies sehen, bin ich vermutlich tot. «Es war ein schlimmer erster Satz. Die Männer rückten noch näher heran.
«Heute ist der 12. Oktober, und ich tue dies in meinem Haus. Meine Frau ist beim Arzt. Ich sollte eigentlich bei der Arbeit sein, aber ich habe mich krank gemeldet. Meine Frau weiß nichts von alledem. Ich habe es niemandem gesagt. Wenn Sie mich sehen, haben Sie auch das hier gelesen. Dies ist eine eidesstattliche Erklärung, die ich unterschrieben habe, und ich habe vor, sie zusammen mit dieser Kassette aufzubewahren, wahrscheinlich in einem Schließfach bei einer Bank in der Innenstadt. Ich werde die Erklärung vorlesen und noch auf einige andere Dinge zu sprechen kommen.«
«Wir haben die Erklärung«, sagte Gray schnell. Er stand neben Darby an der Wand. Niemand sah ihn an. Alle Augen hingen am Bildschirm. Morgan las langsam die Erklärung vor. Sein Blick wanderte von den Seiten zur Kamera, hin und her, hin und her.
Dazu brauchte er zehn Minuten. Jedesmal, wenn Darby das
Wort» Pelikan «hörte, schloss sie die Augen und schüttelte langsam den Kopf. Darauf war alles hinausgelaufen. Es war ein böser Traum. Sie versuchte zuzuhören.
Als Morgan mit der Erklärung fertig war, legte er sie auf den Tisch und wendete sich ein paar Notizen auf einem Block zu. Er war ein gutaussehender Mann, der jünger wirkte als neunundzwanzig. Er war zu Hause, deshalb trug er keine Krawatte, nur ein gestärktes weißes Oberhemd. White and Blazevich war nicht gerade der ideale Ort, um dort zu arbeiten, aber die meisten der vierhundert Anwälte waren anständig und hatten vermutlich keine Ahnung von Mattiece. Er bezweifelte sogar, dass außer Wakefield, Velmano und Einstein noch andere an der Verschwörung beteiligt waren. Es gab einen Partner namens Jarreld Schwabe, dem zuzutrauen war, dass er daran beteiligt war, aber Morgan hatte keinen Beweis dafür. (Darby erinnerte sich gut an ihn.) Da war eine Sekretärin, die die Firma ein paar Tage nach den Morden ganz plötzlich verlassen hatte. Ihr Name war Miriam LaRue, und sie hatte achtzehn Jahre in der Öl- und Gasabteilung gearbeitet. Durchaus möglich, dass sie etwas wusste. Sie wohnte in Fall Church. Eine andere Sekretärin, deren Namen er nicht nennen wollte, hatte ihm erzählt, sie hätte gehört, wie Wakefield und Velmano darüber sprachen, ob man ihm, Morgan, vertrauen könnte. Aber sie hatte nur Bruchstücke gehört. Sie behandelten ihn anders, nachdem das Memo auf seinem Schreibtisch gefunden worden war. Es war, als hätten sie ihn am liebsten an die Wand gestellt und ihm mit dem Tode gedroht, falls er über das Memo sprechen sollte, aber das konnten sie nicht, weil sie nicht sicher waren, ob er es gesehen hatte. Sie scheuten davor zurück, deshalb einen großen Wirbel zu machen. Aber er hatte es gesehen, und sie waren fast sicher, dass er es gesehen hatte. Und wenn sie bei den Morden an Rosenberg und Jensen die Hand im Spiel gehabt hatten — er war schließlich nur ein angestellter Anwalt und in Sekundenschnelle zu ersetzen.
Litsky, der Anwalt, schüttelte ungläubig den Kopf. Die Lähmung ließ nach, und sie bewegten sich ein wenig auf ihren Stühlen.
Morgan fuhr mit dem Wagen zur Arbeit, und zweimal war ihm jemand gefolgt. Einmal, beim Lunch, hatte er einen Mann gesehen, der ihn beobachtete. Er redete eine Weile über seine Familie, dann begann er abzuschweifen. Es war offensichtlich, dass er keine harten Tatsachen mehr zu bieten hatte. Gray gab Feldman die Erklärung und das Memo, der es las und Krauthammer übergab, der es seinerseits weiterreichte.
Morgans letzte Worte waren erschreckend.»Ich weiß nicht, wer diese Kassette sehen wird. Ich werde dinn tot sein, also spielt es wohl keine Rolle. Ich hoffe, Sie werden dies dazu benutzen, Mattiece und seine skrupellosen Anwälte festzunageln. Aber wenn die skrupellosen Anwälte dies sehen, dann könnt ihr alle zur Hölle fahren.«
Gray nahm die Kassette aus dem Recorder. Er rieb sich die Hände und lächelte die Anwesenden an.»Nun, meine Herren, haben wir Ihnen genug Beweismaterial gebracht, oder wollen Sie noch mehr?«
«Ich kenne diese Leute«, sagte Litsky fassungslos.»Wakefield und ich haben im vorigen Jahr zusammen Tennis gespielt.«
Feldman war aufgestanden und wanderte herum.»Wie haben Sie Morgan ausfindig gemacht?«
«Das ist eine lange Geschichte«, sagte Gray.
«Geben Sie mir die Kürzestfassung.«
«Wir haben einen Jurastudenten gefunden, der im Sommer als Praktikant bei White and Blazevich gearbeitet hat. Er hat ein Foto von Morgan identifiziert.«
«Wie sind Sie an das Foto gekommen?«fragte Litsky.
«Fragen Sie nicht. Das tut nichts zur Sache.«
«Ich bin dafür, dass wir die Story bringen«, sagte Krauthammer laut.
«Ich auch«, sagte Elliot Cohen.
«Wo waren die Kassette und die Erklärung?«
«In einem Schließfach der First Columbia. Morgans Frau hat mir heute morgen um fünf den Schlüssel gegeben. Ich habe nichts Unrechtes getan. Das Pelikan-Dossier ist von einem Unbeteiligten vollauf verifiziert worden.«
«Wir sollten sie bringen«, sagte Ernie DeBasio.»Mit der größten Schlagzeile seit NIXON ZURÜCKGETRETEN.«
Feldman blieb neben Smith Keen stehen. Die beiden Freunde musterten sich eingehend.»Wir sollten sie bringen«, sagte Keen.
Er wendete sich an den Anwalt.»Vince?«
«In juristischer Hinsicht gibt es keine Einwände. Aber ich würde die Story gern sehen, wenn sie geschrieben ist.«
«Wie lange werden Sie dazu brauchen?«fragte der Chefredakteur Gray.
«Der Teil über das Dossier ist bereits skizziert. Den kann ich in ungefähr einer Stunde fertig haben. Geben Sie mir zwei Stunden für Morgan. Höchstens drei.«
Feldman hatte nicht gelächelt, seit er Darby die Hand gegeben hatte. Jetzt durchquerte er den Raum und baute sich vor Gray auf.»Was ist, wenn diese Kassette ein Schwindel ist?«
«Ein Schwindel? Wir reden über Leichen, Jackson. Ich habe die Witwe gesehen. Sie ist eine echte, lebendige Witwe. Unsere Zeitung hat über den Mord an Morgan berichtet. Er ist tot. Sogar seine Firma hat gesagt, dass er tot ist. Und das ist er selbst auf der Kassette, der vom Sterben redet. Ich weiß, dass er es ist. Und wir haben mit der Notarin gesprochen, die seine Unterschrift auf der eidesstattlichen Erklärung beglaubigt hat. Sie hat ihn identifiziert. «Gray wurde lauter und ließ den Blick durch den Raum wandern.»Alles, was er gesagt hat, verifiziert das Pelikan-Dossier. Alles. Mattiece, den Prozess, die Morde. Und dann haben wir Darby, die Verfasserin des Dossiers. Und weitere Leichen, und sie haben sie durchs ganze Land gejagt. Da gibt es keine Löcher, Jackson. Es ist eine Story.«
Endlich lächelte Feldman.»Es ist mehr als eine Story. Sehen Sie zu, dass Sie bis zwei Uhr fertig sind. Jetzt ist es elf. Benutzen Sie diesen Konferenzraum und schließen Sie die Tür zu. «Feldman wanderte wieder herum.»Wir kommen um Punkt zwei hier wieder zusammen und lesen den Entwurf. Zu niemandem ein Wort.«
Die Männer standen auf und verließen den Raum, aber nicht, bevor jeder Darby die Hand gegeben hatte. Sie wussten nicht recht, ob sie herzlichen Glückwunsch oder danke oder was auch immer sagen sollten, deshalb lächelten sie nur und schüttelten ihr die Hand. Sie blieb sitzen.
Nachdem sie allein waren, setzte sich Gray neben sie, und sie hielten sich bei den Händen.
«Wie fühlen Sie sich?«fragte er.
«Ich weiß nicht. Dies ist das Ende der Straße, nehme ich an. Wir haben es geschafft.«
«Das hört sich nicht sonderlich glücklich an.«
«Ich habe schon bessere Monate gehabt. Ich freue mich für Sie.«
Er sah sie an.»Weshalb freuen Sie sich für mich?«
«Sie haben die Teile zusammengefügt, und morgen kommt es heraus. Und es steht ganz groß Pulitzerpreis darauf.«
«Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.«
«Lügner.«
«Okay, vielleicht einmal. Aber als Sie gestern aus dem Fahrstuhl kamen und mir sagten, dass Garcia tot ist, da habe ich aufgehört, an Pulitzerpreise zu denken.«
«Das ist nicht fair. Ich habe die ganze Arbeit getan. Wir haben meinen Verstand und mein Aussehen und meine Beine benutzt, und Sie heimsen den ganzen Ruhm ein.«
«Ich werde mit Vergnügen Ihren Namen nennen. Ich werde sagen, dass Sie das Dossier geschrieben haben. Wir bringen Ihr Foto auf der Titelseite, neben denen von Rosenberg, Jensen, Mattiece, dem Präsidenten, Verheek und…«
«Thomas? Wird auch sein Foto gebracht werden?«
«Das hat Feldman zu entscheiden. In diesem Fall hat er das letzte Wort.«
Sie dachte darüber nach und sagte nichts.
«Also, Ms. Shaw. Ich habe drei Stunden, um die größte Story meiner Laufbahn zu schreiben. Eine Story, die die Welt erschüttern wird. Eine Story, die einen Präsidenten zu Fall bringen kann. Eine Story, die die Morde aufklärt. Eine Story, die mich reich und berühmt machen wird.«
«Sie sollten mich sie schreiben lassen.«
«Würden Sie das tun? Ich bin müde.«
«Holen Sie Ihre Notizen. Und Kaffee.«
Sie machten die Tür zu und setzten sich an den Tisch. Ein Volontär rollte einen PC mit einem Drucker herein. Sie baten ihn, eine Kanne Kaffee zu bringen. Und etwas Obst. Sie umrissen die Story abschnittsweise, beginnend mit den Morden, dann der Pelikan-Fall im Süden von Louisiana, dann Mattiece und seine Verbindung zum Präsidenten, dann das PelikanDossier und das ganze Unheil, das es angerichtet hatte, Callahan, Verheek, dann Curtis Morgan und seine Straßenräuber, dann White and Blazevich und Wakefield, Velmano und Einstein. Darby zog es vor, mit der Hand zu schreiben. Sie umriss den Prozess und das Dossier und das, was von Mattiece bekannt war. Gray übernahm den Rest und tippte rohe Notizen in den Computer.
Darby war ein Muster an Organisation, mit ordentlich auf dem Tisch ausgelegten Notizen und sorgfältig auf Papier niedergeschriebenen Worten. Er war ein Wirbelwind von Chaos er redete mit dem Computer und druckte auf gut Glück Absätze aus, die verworfen wurden, sobald sie auf dem Papier standen. Sie sagte ihm immer wieder, er sollte ruhig sein. Dies ist keine juristische Bibliothek, erklärte er ihr. Dies ist eine Zeitung. Hier arbeitete man mit einem Telefon an jedem Ohr und jemandem, der einem etwas zuruft.
Halb eins schickte Smith Keen Essen herein. Darby aß ein kaltes Sandwich und beobachtete den Verkehr unten auf der Straße. Gray wühlte sich durch Berichte über Wahlkampffinanzierungen.
Sie sah ihn. Er lehnte an der Mauer eines Hauses auf der anderen Seite der Fünfzehnten Straße, und er wäre nicht verdächtig gewesen, wenn er nicht eine Stunde zuvor am Madison Hotel gelehnt hätte. Er trank etwas aus einem großen Plastikbecher und beobachtete den Vordereingang der Post. Er trug eine schwarze Mütze und Jeansjacke und — hose. Er war unter dreißig. Und er stand einfach da und schaute über die Straße. Sie knabberte an ihrem Sandwich und beobachtete ihn zehn Minuten. Er trank aus seinem Becher und rührte sich nicht von der Stelle.
«Gray, kommen Sie bitte einmal her.«
«Was ist?«Er trat zu ihr. Sie zeigte auf den Mann mit der schwarzen Mütze.
«Sehen Sie ihn sich genau an«, forderte sie ihn auf.»Sagen Sie mir, was er tut.«
«Er trinkt etwas, vermutlich Kaffee. Er lehnt an dem Haus dort drüben, und er beobachtet dieses Gebäude.«
«Was hat er an?«
«Jeans von Kopf bis Fuß und eine schwarze Mütze. Und anscheinend Stiefel. Was ist mit ihm?«
«Vor einer Stunde habe ich ihn dort drüben am Hotel gesehen. Er war halb verdeckt von dem Wagen der Telefongesellschaft, aber ich wusste, dass er es war. Und jetzt steht er hier.«
«Also?«
«Also hat er zumindest während der letzten Stunde hier herumgestanden und nichts getan, als dieses Gebäude zu beobachten.«
Gray nickte. Dies war nicht der Augenblick für eine dumme Bemerkung. Der Mann sah verdächtig aus, und sie war beunruhigt. Sie waren ihr zwei Wochen lang gefolgt, von New Orleans nach New York und jetzt vielleicht nach Washington. Vom Verfolgtwerden verstand sie mehr als er.
«Was meinen Sie, Darby?«
«Nennen Sie mir einen guten Grund, weshalb dieser Mann, der ganz offensichtlich kein Penner ist, so etwas tut.«
Der Mann sah auf die Uhr und ging langsam den Gehsteig entlang, bis er außer Sicht war. Auch Darby sah auf die Uhr.
«Jetzt ist es genau eins«, sagte sie.»Sehen wir jede Viertelstunde nach.«
«Okay. Ich bezweifle, dass etwas dahintersteckt«, sagte er. Ein Versuch, sie zu beruhigen. Es funktionierte nicht. Sie setzte sich an den Tisch und betrachtete ihre Notizen.
Er beobachtete sie und kehrte dann langsam zum Computer zurück.
Gray tippte intensiv eine Viertelstunde lang, dann trat er wieder ans Fenster. Darby beobachtete ihn genau.»Ich sehe ihn nicht«, sagte er.
Sie sahen ihn um halb zwei.»Darby«, sagte er und deutete auf die Stelle, an der sie ihn zuerst gesehen hatte. Sie schaute aus dem Fenster und richtete langsam den Blick auf den Mann mit der schwarzen Mütze. Jetzt trug er einen dunkelgrünen Anorak, und er schaute nicht zur Post herüber. Er betrachtete seine
Stiefel und warf nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Haupteingang. Das machte ihn noch verdächtiger, aber er stand halb versteckt hinter einem Lieferwagen. Der Plastikbecher war verschwunden. Er zündete sich eine Zigarette an. Er warf einen Blick auf die Post, dann beobachtete er den Gehsteig vor dem Gebäude.
«Weshalb habe ich dieses flaue Gefühl im Magen?«sagte Darby.
«Wie konnten sie Ihnen folgen? Es ist unmöglich.«
«Sie haben gewusst, dass ich in New York war. Das kam mir damals auch unmöglich vor.«
«Vielleicht sind sie mir gefolgt. Man hat mir gesagt, dass ich beobachtet würde. Und genau das tut der Kerl. Woher sollte er wissen, dass Sie hier sind? Der Typ hat es auf mich abgesehen.«
«Vielleicht«, sagte sie langsam.
«Haben Sie ihn schon einmal gesehen?«
«Sie stellen sich nicht vor.«
«Wir haben noch eine halbe Stunde, und dann sind sie hier, um unsere Story zurechtzuschnitzen. Wir sollten zusehen, dass wir fertig werden. Danach können wir uns mit dem Typen dort drüben beschäftigen.«
Sie machten sich wieder an die Arbeit. Viertel vor zwei sah er wieder aus dem Fenster, und der Mann war fort. Der Drucker ratterte den ersten Entwurf heraus, und sie machte sich ans Überarbeiten.
Die Redakteure lasen mit ihren Bleistiften. Litsky, der Anwalt, las zu seinem Vergnügen. Ihm schien es mehr Spaß zu machen als den anderen.
Es war eine lange Story, und Feldman strich sie zusammen. Smith Keen machte Randnotizen. Krauthammer gefiel, was er las.
Sie lasen langsam und schweigend. Gray überarbeitete das Ganze noch einmal. Darby stand am Fenster. Der Typ war wieder da, jetzt mit einem marineblauen Blazer zu den Jeans. Es war bewölkt, um die fünfzehn Grad, und er trank aus dem Becher. Er hatte ihn mit beiden Händen umfasst, um sich warm zu halten. Er trank einen Schluck, schaute zur Post, schaute die Straße entlang und wieder auf seinen Becher. Er stand jetzt vor einem anderen Gebäude, und genau um viertel nach zwei begann er, auf der Fünfzehnten nach Norden hin Ausschau zu halten.
Ein Wagen hielt auf seiner Straßenseite an. Die hintere Tür wurde geöffnet, und da war er. Der Wagen fuhr schnell davon. Leicht hinkend ging Stummel auf den Mann mit der schwarzen Mütze zu. Sie wechselten ein paar Worte, dann ging Stummel südwärts zur Kreuzung von Fünfzehnter und L Street. Der Typ blieb, wo er war.
Sie sah sich im Konferenzraum um. Sie waren in die Story vertieft. Stummel war nicht mehr zu sehen, also konnte sie ihn Gray nicht zeigen, der las und lächelte. Nein, sie beobachteten nicht den Reporter. Sie warteten auf sie.
Und sie mussten zu allem entschlossen sein. Sie standen auf der Straße und hofften darauf, dass irgendein Wunder geschah — dass sie aus dem Gebäude kam und sie sie erledigen konnten. Sie war drinnen, packte aus und schwenkte Kopien dieses verdammten Dossiers. Irgendwie mussten sie ihr Einhalt gebieten. Sie hatten ihre Anweisungen.
Sie war in einem Raum voller Männer, und plötzlich fühlte sie sich nicht mehr sicher.
Feldman wurde als letzter fertig. Er schob sein Exemplar Gray zu.»Kleinigkeiten. Dürfte ungefähr eine Stunde kosten. Reden wir über Telefonanrufe.«
«Nur drei, meine ich«, sagte Gray.»Das Weiße Haus, das FBI und White and Blazevich.«
«Von denen haben Sie nur Wakefield beim Namen genannt. Weshalb?«fragte Krauthammer.
«Ihn hat Morgan am schwersten belastet.«
«Aber das Memo kam von Velmano. Ich finde, sein Name sollte auch genannt werden.«
«Einverstanden«, sagte Smith Keen.
«Gleichfalls«, sagte DeBasio.
«Ich habe seinen Namen hineingeschrieben«, sagte Feldman.»Auf Einstein kommen wir später. Warten Sie bis halb fünf oder fünf, bevor Sie im Weißen Haus und bei White and Blazevich anrufen. Wenn Sie es früher tun, drehen sie vielleicht durch und rennen zum Gericht.«
«Stimmt«, sagte Litsky, der Anwalt.»Sie können es nicht verhindern, aber sie werden es versuchen. Ich würde mit dem Anruf bis fünf warten.«
«Okay«, sagte Gray.»Um halb vier bin ich mit der Überarbeitung fertig. Dann rufe ich das FBI an und höre mir an, was man dort dazu zu sagen hat. Dann das Weiße Haus, dann White and Blazevich.«
Feldman war schon fast zur Tür hinaus.»Wir treffen uns hier um halb vier wieder. Bleibt in der Nähe eurer Telefone.«
Als der Raum wieder leer war, schloss Darby die Tür und zeigte auf das Fenster.»Habe ich Ihnen gegenüber je Stummel erwähnt?«
«Ist er etwa aufgetaucht?«
Sie schauten auf die Straße hinunter.
«Ja. Er hat sich mit unserem kleinen Freund getroffen, dann ist er wieder verschwunden. Ich bin ganz sicher, dass er es war.«
«Damit bin ich wohl aus dem Spiel.«
«Höchstwahrscheinlich. Ich möchte so schnell wie möglich von hier fort.«»Wir lassen uns etwas einfallen. Ich informiere unseren Sicherheitsdienst. Soll ich es Feldman sagen?«
«Nein. Noch nicht.«
«Ich kenne einige Polizisten.«
«Großartig. Und sie können einfach anmarschiert kommen und die Kerle zusammenschlagen.«
«Diese Polizisten könnten es.«
«Sie können ihnen nichts anhaben. Was tun sie denn schon?«
«Sie planen nur einen Mord.«
«Wie sicher sind wir in diesem Gebäude?«
Gray dachte kurz nach.»Erlauben Sie, dass ich es Feldman sage. Wir werden zwei Wachmänner vor diese Tür postieren.«
«Okay.«
Um halb vier hieß Feldman die zweite Fassung gut, und Gray bekam grünes Licht für seinen Anruf beim FBI. Vier Telefone wurden in den Konferenzraum gebracht, und das Bandgerät wurde eingeschaltet. Feldman, Smith Keen und Krauthammer hörten an den Nebenapparaten mit.
Gray rief Phil Norvell an, einen guten Bekannten und gelegentlichen Informanten, wenn es so etwas innerhalb des FBI überhaupt gab. Norvell meldete sich an seinem eigenen Apparat.
«Phil, Gray Grantham von der Post.«
«Ich weiß, für wen Sie arbeiten, Gray.«
«Ich habe das Bandgerät eingeschaltet.«
«Dann muss es etwas Ernstes sein. Was liegt an?«
«Wir bringen morgen früh eine Story mit allen Einzelheiten über eine Verschwörung zur Ermordung von Rosenberg und Jensen. Wir benennen Victor Mattiece, einen Ölspekulanten, und zwei seiner Anwälte hier in Washington. Wir erwähnen auch Verheek, natürlich nicht als einen der Verschwörer. Wir glauben, dass das FBI schon frühzeitig über Mattiece Bescheid wusste, es aber auf Drängen des Weißen Hauses unterließ, der Sache nachzugehen. Wir wollten euch Gelegenheit zu einem Kommentar geben.«
Vom anderen Ende der Leitung kam keine Reaktion.
«Phil, sind Sie noch da?«
«Ja, natürlich.«
«Irgendein Kommentar?«
«Ich bin sicher, dass wir einen Kommentar dazu haben, aber ich muss Sie zurückrufen.«
«Wir gehen bald in Druck. Sie sollten sich also beeilen.«
«Also, Gray, das ist wirklich ein Schuss aus dem Hinterhalt. Können Sie es einen Tag zurückhalten?«
«Ausgeschlossen.«
Norvell schwieg einen Moment.»Okay. Ich spreche mit Mr. Voyles, dann rufe ich zurück.«
«Danke.«
«Nein, ich danke Ihnen, Gray. Das ist wundervoll. Mr. Voyles wird hellauf begeistert sein.«
«Wir warten. «Gray drückte auf einen Knopf und machte die Leitung frei. Keen stellte das Bandgerät ab.
Sie warteten acht Minuten, dann war Voyles selbst am Apparat. Er bestand darauf, mit Jackson Feldman zu sprechen. Das Bandgerät war wieder eingeschaltet.
«Mr. Voyles?«sagte Feldman herzlich. Die beiden hatten sich viele Male getroffen, das» Mister «war also unnötig.
«Nennen Sie mich Denton, verdammt nochmal. Hören Sie, Jackson, was hat Ihr Junge schon in der Hand? Ihr springt von einer Klippe hinunter. Wir haben Mattiece nachgespürt, spüren ihm immer noch nach, und es ist zu früh, gegen ihn vorzugehen. Also, was hat Ihr Junge in der Hand?«»Sagt Ihnen der Name Darby Shaw etwas?«Feldman lächelte, als er die Frage stellte. Sie stand an der Wand.
Voyles reagierte sehr langsam.»Ja«, sagte er nur.
«Mein Junge hat das Pelikan-Dossier, Denton, und ich sitze hier und sehe Darby Shaw an.«
«Ich hatte befürchtet, sie wäre tot.«
«Nein. Sie ist überaus lebendig. Sie und Gray haben die in dem Dossier angeführten Fakten aus anderer Quelle bestätigt. Es ist alles hieb- und stichfest, Denton.«:
Voyles stieß einen tiefen Seufzer aus und warf das Handtuch.»Wir stellen Nachforschungen über Mattiece als Verdächtigen an«, sagte er.
«Das Bandgerät ist eingeschaltet, Denton, also seien Sie vorsichtig.«
«Wir müssen miteinander reden. Von Mann zu Mann, meine ich. Vielleicht kann ich Ihnen ein paar Hintergründe liefern.«
«Sie können gern herkommen.«
«Das werde ich tun. Ich bin in zwanzig Minuten bei Ihnen.«
Die Redakteure hatten einen Mordsspaß bei der Vorstellung, wie der große F. Denton Voyles in seine Limousine sprang und zur Post raste. Sie hatten ihn seit Jahren beobachtet und wussten, dass er ein Meister darin war, sich mit Niederlagen abzufinden.
Er hasste die Presse, und seine Bereitwilligkeit, auf ihrem eigenen Spielfeld zu reden, konnte nur eines bedeuten — er würde auf jemand anderen zeigen. Aller Wahrscheinlichkeit nach aufs Weiße Haus.
Darby hatte kein Verlangen, dem Mann zu begegnen. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit dem Entkommen. Sie konnte auf den Mann mit der schwarzen Mütze deuten, aber der war schon seit einer halben Stunde nicht mehr da. Und was konnte das FBI schon tun? Zuerst mussten sie ihn fangen, und was dann? Ihm vorwerfen, dass er herumgelungert und einen Hinterhalt geplant hatte? Ihn foltern und zwingen, alles zu gestehen? Wahrscheinlich würden sie ihr kein Wort glauben.
Sie wollte mit dem FBI nichts zu tun haben. Sie wollte seinen Schutz nicht. Sie war im Begriff, eine Reise zu machen, und niemand würde wissen, wohin. Gray vielleicht ausgenommen. Aber vielleicht auch nicht.
Er wählte die Nummer des Weißen Hauses, und sie griffen nach den Nebenapparaten. Keen schaltete das Bandgerät ein.
«Fletcher Coal, bitte. Ich bin Gray Grantham von der Washington Post, und es ist sehr dringend.«
Er wartete.»Weshalb Coal?«fragte Keen.
«Alles muss über ihn laufen«, sagte Gray mit der Hand auf der Sprechmuschel.
«Sagt wer?«
«Sagt ein Informant.«
Die Sekretärin meldete sich mit der Nachricht, Mr. Coal wäre unterwegs. Bitte warten Sie. Gray lächelte. Das Adrenalin durchflutete seinen Körper.
Endlich:»Fletcher Coal.«
«Ja, Mr. Coal. Gray Grantham von der Post. Ich nehme dieses Gespräch auf. Haben Sie verstanden?«
«Ja.«
«Stimmt es, dass Sie sämtlichen Personen im Weißen Haus mit Ausnahme des Präsidenten eine Direktive haben zukommen lassen, derzufolge alle Mitteilungen an die Presse zuvor von Ihnen gutgeheißen werden müssen?«
«Völliger Unsinn. Um diese Dinge kümmert sich der Pressesprecher.«
«Ich verstehe. Wir bringen morgen früh eine Story, die, kurz gesagt, die in dem Pelikan-Dossier aufgezeigten Fakten bestätigt. Sie kennen das Pelikan-Dossier?«
Langsam:»Ich kenne die Akte.«
«Wir wissen, dass Mr. Victor Mattiece den Wahlkampf des Präsidenten vor drei Jahren mit mehr als vier Millionen Dollar unterstützt hat.«
«Vier Millionen und zweihunderttausend, alles auf legalen Wegen.«
«Wir glauben außerdem, dass das Weiße Haus interveniert und versucht hat, die Nachforschungen des FBI in bezug auf Mr. Mattiece zu behindern, und wir hätten dazu gern Ihren Kommentar.«
«Ist das etwas, was Sie glauben, oder etwas, was Sie zu drucken vorhaben?«
«Wir versuchen, dafür eine Bestätigung zu bekommen.«
«Und wer, glauben Sie, wird Ihnen das bestätigen?«
«Wir haben unsere Informanten, Mr. Coal.«
«Ach, haben Sie die? Das Weiße Haus bestreitet nachdrücklich jede Einmischung in diese Untersuchung. Nach dem tragischen Tod von Rosenberg und Jensen hat der Präsident darum gebeten, über den Stand der gesamten Untersuchung auf dem laufenden gehalten zu werden, aber es hat weder eine direkte noch eine indirekte Einmischung des Weißen Hauses in irgendeinen Aspekt der Untersuchung gegeben. Da sind Sie falsch informiert worden.«
«Hält der Präsident Victor Mattiece für einen Freund?«
«Nein. Sie sind sich einmal begegnet, und Mr. Mattiece hat, wie bereits erwähnt, einen beachtlichen Beitrag zum Wahlkampf geleistet, aber er ist kein Freund des Präsidenten.«
«Aber sein Beitrag war der größte, nicht wahr?«
«Das kann ich nicht bestätigen.«
«Haben Sie sonst noch irgendeinen Kommentar?«»Nein. Ich bin sicher, dass der Pressesprecher morgen früh darauf eingehen wird.«
Sie legten auf, und Keen schaltete das Bandgerät aus. Feldman war auf den Beinen und rieb sich die Hände.»Ich würde ein Jahresgehalt dafür geben, wenn ich jetzt im Weißen Haus sein könnte«, sagte er.
«Er ist eiskalt, nicht wahr?«sagte Gray bewundernd.
«Ja, aber sein eiskalter Hintern steckt jetzt ganz tief in kochendem Wasser.«