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Für einen Mann, der es gewohnt war, seine Macht zu demonstrieren und zuzusehen, wie andere vor ihm krochen, war es schwierig, mit dem Hut in der Hand aufzutreten und um gut Wetter zu bitten. Er durchquerte mit K. O. Lewis und zwei Agenten im Schlepp die Redaktion so bescheiden, wie er nur konnte. Er trug seinen üblichen verknautschten Trenchcoat mit dem um die Mitte seiner kleinen, massigen Gestalt eng zusammengeschnallten Gürtel. Er machte nicht viel her, aber sein Gebaren und sein Gang ließen keinen Zweifel daran, dass er es gewohnt war, seinen Kopf durchzusetzen. Alle mit dunklen Mänteln angetan, erweckten sie den Eindruck eines Mafiabosses mit seinen Leibwächtern. In der geschäftigen Redaktion trat für einen Moment Stille ein, als sie sie schnell durchquerten. F. Denton Voyles war, bescheiden oder nicht, eine nicht zu übersehende Persönlichkeit.
Eine kleine, angespannte Gruppe von Redakteuren wartete auf dem kurzen Flur vor Feldmans Büro. Howard Krauthammer kannte Voyles und ging ihm entgegen. Sie gaben sich die Hand und flüsterten. Feldman war am Telefon und sprach mit Mr. Ludwig, dem Verleger, der in China war. Smith Keen gesellte sich zu ihnen und gab Voyles und Lewis die Hand. Die beiden Agenten hielten Abstand.
Feldman öffnete seine Tür und sah Denton Voyles. Er bedeutete ihm, hereinzukommen. K. O. Lewis folgte ihm. Sie tauschten Routinehöflichkeiten aus, bis Smith Keen die Tür schloss und alle sich niedergelassen hatten.
«Ich nehme an, Sie haben eine eindeutige Bestätigung des Pelikan-Dossiers«, sagte Voyles.
«Die haben wir«, erwiderte Feldman.»Wollen Sie und Mr.
Lewis nicht das Manuskript der Story lesen? Ich meine, das würde die Sache vereinfachen. Wir gehen in ungefähr einer Stunde in Satz, und der Reporter, Mr. Grantham, möchte Ihnen Gelegenheit zu einem Kommentar geben.«
«Das weiß ich zu würdigen.«
Feldman ergriff ein Exemplar des Manuskripts und reichte es Voyles, der es leicht widerstrebend nahm. K. O. Lewis beugte sich vor, und sie begannen sofort mit der Lektüre.»Wir gehen nach draußen«, sagte Feldman.»Lassen Sie sich Zeit. «Er und Keen verließen das Büro und machten die Tür hinter sich zu. Die beiden Agenten rückten enger zusammen.
Feldman und Keen durchquerten die Redaktion und steuerten auf die Tür des Konferenzraums zu. Davor standen zwei massige Wachmänner. Als sie eintraten, fanden sie Gray und Darby allein darin vor.
«Sie müssen White and Blazevich anrufen«, sagte Feldman.
«Ich habe nur auf Sie gewartet.«
Sie nahmen die Hörer der Nebenapparate ab. Krauthammer war anderswo beschäftigt, und Keen gab Darby seinen Hörer. Gray wählte die Nummer.
«Marty Velmano, bitte«, sagte Gray.»Ich bin Gray Grantham von der Washington Post, und ich muss mit ihm sprechen. Es ist dringend.«
«Einen Moment, bitte«, sagte die Sekretärin.
Der Moment verging, und eine andere Sekretärin war am Apparat.»Mr. Velmanos Büro.«
Gray identifizierte sich abermals und verlangte nach ihrem Boss.
«Er ist in einer Sitzung«, sagte sie.
«Ich auch«, sagte Gray.»Gehen Sie hinein, sagen Sie ihm, wer ich bin, und sagen Sie ihm weiterhin, dass heute um Mitternacht sein Foto auf der Titelseite der Post erscheinen wird.«
«Nun — ja, Sir.«
Sekunden später sagte Velmano:»Ja, was gibt es?«
Gray nannte seinen Namen zum dritten Mal und wies auf das Bandgerät hin.
«Ich habe verstanden«, fuhr Velmano ihn an.
«Wir bringen in der Morgenausgabe eine Story über Ihren Mandanten Victor Mattiece und seine Verwicklung in die Morde an den Richtern Rosenberg und Jensen.«
«Großartig! Dafür werden wir Sie die nächsten zwanzig Jahre vor Gericht schleifen. Sie müssen den Verstand verloren haben, Mann. Wir werden die Post aufkaufen.«
«Ja, Sir. Denken Sie daran, wir nehmen das auf.«
«Nehmen Sie auf, was Sie wollen. Wir werden Sie verklagen. Das wird großartig werden! Victor Mattiece wird die Washington Post kaufen! Das ist phantastisch!«
Gray schüttelte fassungslos den Kopf. Die Redakteure lächelten den Fußboden an. Das war im Begriff, überaus spaßig zu werden.
«Ja, Sir. Haben Sie von dem Pelikan-Dossier gehört? Wir haben eine Kopie.«
Totenstille. Dann ein fernes Grunzen, wie das letzte Keuchen eines sterbenden Hundes. Dann abermals Stille.
«Mr. Velmano? Sind Sie noch da?«
«Ja.«
«Wir haben außerdem eine Kopie des Memos, das Sie am 28. September an Sims Wakefield geschickt haben und in dem Sie darauf hinweisen, dass die Aussichten Ihres Mandanten wesentlich besser wären, wenn Rosenberg und Jensen aus dem Gericht entfernt würden. Wir wissen aus sicherer Quelle, dass diese Idee von jemandem recherchiert wurde, der Einstein genannt wird und unseres Wissens in einer Bibliothek im sechsten Stock Ihrer Firma sitzt.«
Stille.
Gray fuhr fort:»Wir haben die Story so weit fertig, dass sie in Satz gehen kann, aber wir wollten Ihnen Gelegenheit zu einem
Kommentar geben. Möchten Sie einen Kommentar abgeben, Mr. Velmano?«
«Ich habe Kopfschmerzen.«
«Okay. Sonst noch etwas?«
«Haben Sie vor, das Memo Wort für Wort zu bringen?«
«Ja.«
«Wollen Sie mein Foto bringen?«
«Ja. Es ist ein altes, von einer Anhörung vor dem Senat.«
«Sie Mistkerl.«
«Vielen Dank. Sonst noch etwas?«
«Ich stelle fest, dass Sie bis fünf Uhr gewartet haben. Eine Stunde früher, und wir hätten zum Gericht laufen und diese verdammte Sache stoppen können.«
«Ja, Sir. Das haben wir absichtlich getan.«
«Sie Mistkerl.«
«Okay.«
«Ihnen macht es wohl nichts aus, Leute zu ruinieren, ja?«Die Stimme versagte, und er hörte sich fast bemitleidenswert an. Was für ein wundervolles Zitat. Gray hatte zweimal auf das Bandgerät hingewiesen, aber Velmano war zu schockiert, um daran zu denken.
«Nein, Sir. Sonst noch etwas?«
«Sagen Sie Jackson Feldman, dass die Klage morgen früh um neun, sowie das Gericht öffnet, erhoben wird.«
«Das werde ich tun. Bestreiten Sie, das Memo geschrieben zu haben?«
«Natürlich.«
«Bestreiten Sie die Existenz des Memos?«
«Es ist pure Erfindung.«
«Es wird kein Verfahren geben, Mr. Velmano, und ich glaube, Sie wissen es.«
Stille, dann:»Sie Mistkerl.«
In den Hörern klickte es, und sie hörten nur noch das Freizeichen. Sie lächelten einander ungläubig an.
«Möchten Sie nicht Journalistin werden, Darby?«fragte Smith Keen.
«Oh, das macht schon Spaß«, sagte sie.»Aber gestern wäre beinahe zweimal jemand über mich hergefallen. Nein, danke.«
Feldman stand auf und deutete auf das Bandgerät.»Ich bin dafür, dass wir nichts davon benutzen.«
«Aber mir hat der Satz über das Ruinieren von Leuten gefallen. Und was ist mit den Prozessdrohungen?«
«Wir brauchen sie nicht, Gray. Die Story nimmt schon jetzt die gesamte Titelseite ein. Vielleicht später.«
Jemand klopfte an die Tür. Es war Krauthammer.»Voyles möchte Sie sehen«, sagte er zu Feldman.
«Bringen Sie ihn her.«
Gray erhob sich, und Darby ging zum Fenster. Die Sonne wurde schwächer, Schatten breiteten sich aus. Der Verkehr kroch die Straße entlang. Von Stummel und seinen Genossen war nichts zu sehen, aber sie waren da, warteten zweifellos darauf, dass es dunkel wurde, planten zweifellos einen letzten Versuch, sie umzubringen, entweder vorbeugend oder aus Rache. Gray sagte, er hätte einen Plan, wie sie nach Redaktionsschluss das Gebäude verlassen könnten, ohne dass es zu einer Schießerei käme, aber er ließ sich nicht näher darüber aus.
Voyles kam mit K. O. Lewis herein. Feldman machte sie mit Gray Grantham und Darby Shaw bekannt. Voyles ging zu ihr und schaute lächelnd zu ihr auf.»Also Sie sind es, die all das ins Rollen gebracht hat«, sagte er und versuchte, es bewundernd klingen zu lassen. Es funktionierte nicht.
Er war ihr sofort unsympathisch.»Das war wohl eher Mr. Mattiece«, sagte sie kalt. Er wendete sich ab und zog den Trenchcoat aus.
«Können wir uns setzen?«fragte er in den Raum hinein.
Sie ließen sich um den Tisch herum nieder — Voyles, Lewis, Feldman, Keen, Grantham und Krauthammer. Darby blieb am Fenster stehen.
«Ich habe einen offiziellen Kommentar abzugeben«, verkündete Voyles und ließ sich von Lewis ein Blatt Papier reichen. Gray bereitete sich darauf vor, Notizen zu machen.
«Heute vor zwei Wochen haben wir ein Exemplar des Pelikan-Dossiers bekommen und es noch am gleichen Tag dem Weißen Haus übergeben. Es wurde vom stellvertretenden Direktor, K. O. Lewis, Mr. Fletcher Coal persönlich ausgehändigt, der es zusammen mit unserem Tagesbericht für das Weiße Haus erhielt. Bei dieser Zusammenkunft war Special Agent Eric East zugegen. Wir waren der Ansicht, dass es genügend Fragen aufwarf, um der Sache nachzugehen. Aber das ist sechs Tage lang unterblieben, bis Mr. Gavin Verheek, beratender Anwalt des Direktors, in New Orleans ermordet aufgefunden worden war. Daraufhin hat das FBI sofort mit umfassenden Nachforschungen über Victor Mattiece begonnen. Mehr als vierhundert Agenten von siebenundzwanzig Büros waren an der Untersuchung beteiligt, haben mehr als elftausend Stunden erbracht, mehr als sechshundert Leute verhört und Reisen in fünf andere Länder unternommen. Zur Zeit läuft die Untersuchung auf vollen Touren. Wir halten Victor Mattiece für den Hauptverdächtigen bei den Morden an den Richtern Rosenberg und Jensen, und gegenwärtig versuchen wir, ihn ausfindig zu machen.«
Voyles faltete das Blatt zusammen und gab es Lewis zurück.
«Was werden Sie tun, wenn Sie Mattiece finden?«fragte Grantham.
«Ihn verhaften.«
«Haben Sie einen Haftbefehl?«
«Den werden wir bald haben.«
«Haben Sie eine Ahnung, wo er steckt?«
«Offengestanden, nein. Wir versuchen seit einer Woche, ihn ausfindig zu machen, bisher ohne Erfolg.«
«Hat sich das Weiße Haus in Ihre Nachforschungen bezüglich Mattiece eingemischt?«
«Dazu werde ich mich inoffiziell äußern. Einverstanden?«
Gray warf einen Blick auf den Chefredakteur.»Einverstanden«, sagte Feldman.
Voyles musterte Feldman, dann Keen, dann Krauthammer, dann Grantham.»Was jetzt kommt, ist inoffiziell, okay? Sie dürfen es unter keinen Umständen verwenden. Sind wir uns darüber einig?«
Sie nickten und beobachteten ihn aufmerksam. Auch Darby beobachtete ihn.
Voyles warf Lewis einen misstrauischen Blick zu.»Vor zwölf Tagen hat der Präsident der Vereinigten Staaten mich im Oval Office aufgefordert, Victor Mattiece als Verdächtigen zu ignorieren. Er hat verlangt, dass wir uns aus der Sache zurückziehen.«
«Hat er einen Grund dafür angegeben?«fragte Grantham.
«Den offenkundigen. Er hat gesagt, es wäre sehr peinlich für ihn und könnte seinen Bemühungen um eine Wiederwahl schweren Schaden zufügen. Er wäre der Ansicht, dass hinter dem Pelikan-Dossier nicht viel stecke, und wenn wir ihm nachgingen, würde die Presse Wind davon bekommen und er politischen Schaden erleiden.«
Krauthammer hörte mit offenem Mund zu. Keen starrte auf den Tisch. Feldman ließ sich kein Wort entgehen.
«Sind Sie ganz sicher?«fragte Gray.
«Ich habe das Gespräch aufgenommen. Ich habe ein Band, das niemand zu hören bekommt, es sei denn, dass der Präsident diese Unterredung abstreitet.«
Es folgte ein langes Schweigen, während dessen sie diesen niederträchtigen kleinen Bastard und sein Bandgerät bewunderten. Ein Tonband!
Feldman räusperte sich.»Sie haben die Story gelesen. Es gibt eine leere Zeitspanne zwischen dem Tag, an dem das FBI das Dossier bekam, und dem Beginn der Untersuchung. Die muss in der Story erklärt werden.«
«Sie haben meine Stellungnahme. Mehr bekommen Sie nicht.«
«Wer hat Gavin Verheek umgebracht?«fragte Gray.
«Ich kann mich über Details der Untersuchung nicht äußern.«
«Aber Sie wissen es?«
«Wir haben eine Vermutung. Aber mehr sage ich nicht.«
Gray ließ den Blick um den Tisch wandern. Es war offensichtlich, dass Voyles im Moment nicht mehr zu sagen hatte. Die Redakteure genossen den Augenblick.
Voyles lockerte seine Krawatte und lächelte beinahe.»Das ist natürlich inoffiziell, aber wie ist es Ihnen gelungen, Morgan, den toten Anwalt, ausfindig zu machen?«
«Ich kann mich über Details der Untersuchung nicht äußern«, sagte Gray mit einem boshaften Grinsen. Alle lachten.
«Wie geht es jetzt weiter?«fragte Krauthammer Voyles.
«Morgen mittag wird ein Geschworenengericht zusammentreten. Schnelle Anklageerhebung. Wir werden versuchen, Mattiece zu finden, aber das wird schwierig sein. Wir haben keine Ahnung, wo er sich aufhält. Er hat den größten Teil der letzten fünf Jahre auf den Bahamas verbracht, aber er besitzt Häuser in Mexiko, Panama und Paraguay. «Voyles warf zum zweiten Mal einen Blick auf Darby. Sie lehnte neben dem Fenster an der Wand und hörte zu.
«Wann kommt die erste Ausgabe heraus?«fragte Voyles.
«Wir drucken die ganze Nacht hindurch, ab halb elf«, sagte Keen.
«In welcher Ausgabe wird die Story erscheinen?«
«In der Stadt-Spätausgabe, ein paar Minuten vor Mitternacht. Sie hat die höchste Auflage.«
«Werden Sie Coals Foto auf der Titelseite bringen?«
Keen sah Krauthammer an, der Feldman ansah.»Sollten wir wohl. Wir werden Sie dahingehend zitieren, dass das Dossier Fletcher Coal persönlich ausgehändigt wurde, und hn werden wir dahingehend zitieren, dass Mattiece dem Präsidenten vier Komma zwei Millionen Dollar hat zukommen lassen. Ja, ich finde, das Gesicht von Mr. Coal sollte auf der Titelseite erscheinen, zusammen mit denen aller anderen.«
«Das finde ich auch«, sagte Voyles.»Wenn ich um Mitternacht einen Mann herschicke, kann ich dann ein paar Exemplare bekommen?«
«Natürlich«, sagte Feldman.»Warum?«
«Weil ich sie Coal persönlich bringen möchte. Ich möchte um Mitternacht an seine Tür klopfen, ihn im Pyjama sehen und die Zeitung vor seiner Nase schwenken. Dann möchte ich ihm sagen, dass ich mit einer Vorladung vors Geschworenengericht wiederkommen werde, und kurz darauf werde ich eine
Anklageschrift haben. Und danach erscheine ich mit den Handschellen.«
Er sagte das mit solcher Genugtuung, dass es beängstigend war.
«Nur gut, dass Sie keinen Groll gegen ihn hegen«, sagte Gray. Nur Smith Keen fand das spaßig.
«Glauben Sie, dass er vor Gericht gestellt wird?«fragte Krauthammer sofort.
Voyles warf wieder einen Blick auf Darby.»Er wird sich für den Präsidenten opfern. Er wird sich freiwillig vor das Erschießungskommando begeben, um seinen Boss zu retten.«
Feldman schaute auf die Uhr und schob seinen Stuhl vom Tisch zurück.
«Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«fragte Voyles.
«Natürlich. Welchen?«
«Ich würde gern ein paar Minuten allein mit Ms. Shaw reden. Wenn sie nichts dagegen hat.«
Alle sahen Darby an, die mit einem Achselzucken ihr Einverständnis erklärte. Die Redakteure und K. O. Lewis standen auf und verließen den Raum. Darby ergriff Grays Hand und bat ihn zu bleiben. Sie setzten sich Voyles gegenüber an den Tisch.
«Ich wollte mit Ihnen allein sprechen«, sagte Voyles.
«Er bleibt«, sagte sie.»Es ist inoffiziell.«
«Also gut.«
Sie kam ihm zuvor.»Wenn Sie mich verhören wollen — ich äußere mich nur in Gegenwart eines Anwalts.«
Er schüttelte den Kopf.»Nichts dergleichen. Ich habe mich nur gefragt, was Sie nun vorhaben.«
«Weshalb sollte ich Ihnen das sagen?«
«Weil wir Ihnen helfen können.«»Wer hat Gavin Verheek umgebracht?«
Voyles zögerte.»Inoffiziell.«
«Inoffiziell«, sagte Gray.
«Ich werde Ihnen sagen, wer ihn unserer Ansicht nach umgebracht hat. Aber zuerst möchte ich wissen, wie oft Sie mit ihm gesprochen haben, bevor er umgebracht wurde.«
«Wir haben im Laufe des Wochenendes ein paar Mal miteinander telefoniert. Wir wollten uns vorigen Montag treffen und New Orleans verlassen.«
«Wann fand das letzte Gespräch statt?«
«Sonntagabend.«
«Und wo war er da?«
«In seinem Zimmer im Hilton.«
Voyles holte tief Luft und schaute dann zur Decke.»Und Sie vereinbarten mit ihm das Treffen am Montag?«
«Ja.«
«Kannten Sie ihn persönlich?«
«Nein.«
«Der Mann, der ihn umgebracht hat, war derselbe, den Sie an der Hand hielten, als ihm das Gehirn weggepustet wurde.«
Sie scheute vor der Frage zurück. Gray stellte sie für sie.»Wer war es?«
«Ein gewisser Khamel.«
Sie rang nach Luft und versuchte, etwas zu sagen. Aber sie schaffte es nicht.
«Das ist ziemlich verwirrend«, sagte Gray, um Sachlichkeit bemüht.
«So könnte man es ausdrücken. Der Mann, der Khamel tötete, ist ein freiberuflich arbeitender Agent, den die CIA angeheuert hat. Er war vor Ort, als Callahan umgebracht wurde, und ich glaube, Darby hat ihn kennengelernt.«
«Rupert«, sagte sie leise.
«Das ist natürlich nicht sein wirklicher Name, aber Rupert tut es auch. Er hat vermutlich zwanzig Namen. Wenn er der ist, von dem ich glaube, dass er es ist, dann ist er Engländer und überaus zuverlässig.«
«Haben Sie eine Ahnung, wie verwirrend das alles ist?«fragte sie.
«Ich kann es mir vorstellen.«
«Weshalb war Rupert in New Orleans? Weshalb ist er ihr gefolgt?«fragte Gray.
«Das ist eine sehr lange Geschichte, und ich kenne nur einen Teil davon. Ich versuche, Abstand von der CIA zu halten, das können Sie mir glauben. Ich habe selbst genug um die Ohren. Es geht auf Mattiece zurück. Vor ein paar Jahren brauchte er mehr Geld, um sein großes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Deshalb verkaufte er einen Anteil davon an die Regierung von Libyen. Ich bin nicht sicher, ob das legal war, aber daraufhin schaltete sich die CIA ein. Allem Anschein nach überwachte sie Mattiece und die Libyer sehr eingehend, und als es zu dem Prozess kam, verfolgte ihn die CIA. Ich glaube nicht, dass sie Mattiece bei den Richtermorden verdächtigte, aber nur wenige Stunden, nachdem wir dem Weißen Haus ein Exemplar ausgehändigt hatten, erhielt auch Bob Gminski eine Kopie Ihres kleinen Dossiers. Fletcher Coal gab sie ihm. Ich habe keine Ahnung, wem Gminski etwas von dem Dossier erzählt hat, aber die falschen Worte gelangten in die falschen Ohren, und vierundzwanzig Stunden später war Mr. Callahan tot. Und Sie, meine Liebe, haben sehr viel Glück gehabt.«
«Weshalb fühle ich mich dann nicht glücklich?«sagte sie.
«Das erklärt Rupert nicht«, sagte Gray.
«Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich vermute, dass Gminski sofort Rupert losschickte mit dem Auftrag, Darby im Auge zu behalten. Ich glaube, das Dossier beunruhigte Gminski anfänglich mehr als uns alle. Wahrscheinlich schickte er Rupert los, damit er sich an Darby hängte, teils, um sie zu beobachten, teils, um sie zu beschützen. Dann fliegt der Wagen in die Luft, und damit hatte Mr. Mattiece das Dossier bestätigt. Welchen anderen Grund könnte es geben, Callahan und Darby umzubringen? Ich habe Grund zu der Annahme, dass sich nur ein paar Stunden, nachdem der Wagen explodierte, Dutzende von CIA-Leuten in New Orleans aufhielten.«
«Aber warum?«
«Das Dossier hatte sich als stimmig erwiesen, und Mattiece brachte Leute um. Der größte Teil seiner Firmen sitzt in New Orleans. Und ich glaube, die CIA war sehr besorgt wegen Darby. Zu ihrem Glück. Sie war zur Stelle, als es darauf ankam.«
«Wenn die CIA so schnell handelte, weshalb haben Sie es dann nicht getan?«fragte sie.
«Gute Frage. Wir hielten nicht soviel von dem Dossier, und wir wussten nicht einmal halb soviel wie die CIA. Es kam uns ziemlich unwahrscheinlich vor, und wir hatten ein Dutzend andere Verdächtige. Wir haben es ganz einfach unterschätzt. Außerdem hatte der Präsident uns angewiesen, die Finger davon zu lassen, und das fiel uns nicht schwer, weil ich noch nie von Mattiece gehört hatte. Ich hatte keinen Grund, seiner Anweisung zuwiderzuhandeln. Aber dann wurde mein Freund Gavin umgebracht, und daraufhin setzte ich die Truppen in Marsch.«
«Weshalb hat Coal Gminski das Dossier gegeben?«fragte Gray.
«Es hat ihm Angst gemacht. Und, um die Wahrheit zu sagen, das ist einer der Gründe, weshalb wir es ihm zukommen ließen. Gminski ist — nun ja, Gminski ist eben Gminski, und manchmal tut er Dinge auf seine Art, ohne Rücksicht auf kleine Hindernisse wie Gesetze und dergleichen. Coal wollte das Dossier überprüft haben, und er glaubte, Gminski würde das schnell und unauffällig tun.«
«Also war Gminski Coal gegenüber nicht aufrichtig.«
«Er hasst Coal, wofür ich vollstes Verständnis habe. Gminski ist nur dem Präsidenten Rechenschaft schuldig und, nein, er war Coal gegenüber nicht aufrichtig. Es ging alles so schnell. Vergessen Sie nicht, es ist gerade erst zwei Wochen her, dass Gminski, Coal, der Präsident und ich das Dossier zum ersten Mal sahen. Wahrscheinlich hatte Gminski vor, dem Präsidenten einen Teil der Geschichte zu erzählen, hatte aber einfach keine Gelegenheit dazu.«
Darby schob ihren Stuhl zurück und trat wieder ans Fenster. Draußen war es inzwischen dunkel, und der Verkehr war dicht und stockend. Es war gut und schön, diese Geheimnisse erklärt zu bekommen, aber sie warfen nur weitere Fragen auf. Sie wollte einfach verschwinden. Sie hatte es satt, auf der Flucht zu sein und gejagt zu werden; hatte es satt, mit Gray Reporter zu spielen; hatte es satt, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer was getan hatte und warum; hatte das Schuldgefühl satt, das sie seit der Niederschrift dieses verdammten Dossiers nicht verlassen hatte; hatte es satt, sich alle drei Tage eine neue Zahnbürste kaufen zu müssen. Sie sehnte sich nach einem kleinen Haus an einem abgelegenen Stück Strand ohne Telefone und ohne Leute, die sich hinter Fahrzeugen und Torpfosten versteckten. Sie wollte drei Tage lang schlafen, ohne Alpträume zu haben und ohne Schatten zu sehen. Es war Zeit, zu verschwinden.
Gray beobachtete sie genau.»Man ist ihr nach New York und dann hierher gefolgt«, sagte er zu Voyles.»Wer ist es?«
«Sind Sie sicher?«fragte Voyles.
«Sie haben den ganzen Tag auf der Straße gestanden und das Gebäude beobachtet«, sagte Darby und deutete mit einem Kopfnicken auf das Fenster.
«Wir haben aufgepasst«, sagte Gray.»Sie sind irgendwo da draußen.«
Voyles schien skeptisch.»Haben Sie sie früher schon einmal gesehen?«fragte er Darby.
«Einen von ihnen. Er hat mich bei dem Gedenkgottesdienst für Thomas in New Orleans beobachtet. Er hat mich durchs French Quarter gejagt. Er hätte mich beinahe in Manhattan gefunden, und vor ungefähr fünf Stunden habe ich gesehen, wie er mit einem anderen Mann redete. Ich bin ganz sicher, dass er es war.«
«Wer ist es?«fragte Gray Voyles noch einmal.
«Ich glaube nicht, dass die CIA Sie jagen würde.«
«Oh, der hat mich gejagt.«
«Sehen Sie sie jetzt?«
«Nein. Sie sind vor zwei Stunden verschwunden. Aber sie sind irgendwo da draußen.«
Voyles stand auf und streckte seine dicken Arme. Er wanderte langsam um den Tisch herum und wickelte eine Zigarre aus.»Stört es Sie, wenn ich rauche?«
«Ja, es stört mich«, sagte sie. Er legte die Zigarre auf den Tisch.
«Wir können helfen«, sagte er.
«Ich will Ihre Hilfe nicht«, sagte sie zum Fenster.
«Was wollen Sie dann?«
«Ich will das Land verlassen, aber wenn ich es tue, will ich absolut sicher sein, dass mir niemand folgt. Nicht das FBI, nicht Sie, nicht Rupert oder einer von seinen Kumpanen.«
«Sie werden zurückkommen und vor dem Geschworenengericht aussagen müssen.«
«Nur, wenn man mich finden kann. Ich gehe an einen Ort, an dem man sich um Vorladungen nicht zu kümmern braucht.«
«Was ist mit der Verhandlung? Bei der Verhandlung werden
Sie gebraucht.«
«Die findet frühestens in einem Jahr statt. Darüber denke ich nach, wenn es soweit ist.«
Voyles steckte die Zigarre in den Mund, zündete sie aber nicht an.»Ich schlage Ihnen einen Handel vor.«
«Ich bin nicht in der richtigen Stimmung für einen Handel. «Sie lehnte jetzt an der Wand und sah abwechselnd ihn und Gray an.
«Es ist ein guter Handel. Ich habe Flugzeuge und Hubschrauber und massenhaft Leute, die bewaffnet sind und kein bisschen Angst haben vor diesen Kerlen, die da draußen Verstecken spielen. Erstens bringen wir Sie aus diesem Gebäude heraus, ohne dass jemand es merkt. Zweitens setzen wir Sie in mein Flugzeug und fliegen Sie an jeden von Ihnen gewünschten Ort. Drittens, von dort aus können Sie verschwinden. Sie haben mein Wort, dass wir Ihnen nicht folgen werden. Und viertens, Sie gestatten mir, über Mr. Grantham hier mit Ihnen in Verbindung zu treten, falls es dringend erforderlich werden sollte, aber nur dann.«
Sie sah Gray an, während Voyles sein Angebot machte, und es war offensichtlich, dass ihm der Handel gefiel. Sie verzog keine Miene, aber verdammt nochmal, es hörte sich gut an. Wenn sie Gavin nach seinem ersten Anruf vertraut hätte, dann wäre er noch am Leben, und sie hätte Khamel nie bei der Hand gehalten. Wenn sie New Orleans mit Gavin verlassen hätte, als er es vorschlug, wäre er nicht ermordet worden. Darüber hatte sie in den letzten sieben Tagen alle fünf Minuten nachgedacht.
Diese Sache war größer, als dass sie sie hätte verkraften können. Es kommt ein Punkt, an dem man aufgibt und anfängt, Leuten zu vertrauen. Sie mochte diesen Mann nicht, aber in den letzten zehn Minuten war er ihr gegenüber bemerkenswert ehrlich gewesen.
«Ist es Ihr Flugzeug? Und Ihre Piloten?«
«Ja.«
«Wo steht es?«
«In Andrews.«
«Machen wir es so. Ich steige in das Flugzeug, und es fliegt nach Denver. Und niemand ist an Bord außer mir, Gray und Ihren Piloten. Und eine halbe Stunde nach dem Start weise ich den Piloten an, nach — sagen wir — Chicago zu fliegen. Kann er das tun?«
«Er muss den Flugplan vorlegen, bevor er startet.«
«Ich weiß. Aber Sie sind der Direktor des FBI und können einiges bewirken.«
«Okay. Was passiert, wenn Sie in Chicago angekommen sind?«
«Ich verlasse allein die Maschine, und sie fliegt mit Gray nach Andrews zurück.«
«Und was tun Sie in Chicago?«
«Ich tauche in einem von Menschen wimmelnden Flughafen unter und fliege mit der nächsten Maschine weiter.«
«Das dürfte funktionieren. Und Sie haben mein Wort, dass wir Ihnen nicht folgen werden.«
«Ich weiß. Entschuldigen Sie, dass ich so vorsichtig bin.«
«Der Handel gilt. Wann möchten Sie von hier fort?«
Sie sah Gray an.»Wann?«
«Ich brauche eine Stunde, um den Text noch einmal zu überarbeiten und Mr. Voyles’ Kommentar einzufügen.«
«In einer Stunde«, sagte sie zu Voyles.
«Ich warte auf Sie.«
«Können wir allein reden?«sagte sie za Voyles und deutete mit einem Kopfnicken auf Gray.
«Natürlich. «Er ergriff seinen Trenchcoat. An der Tür blieb er noch einmal stehen und lächelte sie an.»Sie sind eine tolle Frau,
Ms. Shaw. Mit Ihrem Verstand und Ihrem Mut haben Sie einen der widerwärtigsten Männer in diesem Land zur Strecke gebracht. Ich bewundere Sie. Und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen gegenüber immer aufrichtig sein werde.«
Er steckte die Zigarre in die Mitte seines freundlichen Lächelns und verließ den Raum.
Sie schauten zu, wie die Tür geschlossen wurde.»Glauben Sie, dass ich in Sicherheit sein werde?«fragte sie.
«Ja. Ich glaube, er meint es ehrlich. Außerdem hat er Männer, die Sie hier herausbringen können. Es ist okay, Darby.«
«Sie können mich doch begleiten, nicht wahr?«
«Natürlich.«
Sie ging zu ihm und legte ihm die Arme um die Taille. Er hielt sie fest umschlungen und machte die Augen zu.
Um sieben versammelten sich die Redakteure an diesem Dienstagabend zum letzten Mal um den Tisch herum. Sie lasen schnell den Abschnitt mit Voyles’ Kommentar, den Gray noch eingefügt hatte. Feldman kam etwas später herein, mit einem gewaltigen Lächeln.
«Ihr werdet es nicht glauben«, sagte er.»Ich hatte zwei Anrufe. Ludwig hat aus China angerufen. Der Präsident hat ihn dort ausfindig gemacht und ihn angefleht, die Story vierundzwanzig Stunden zurückzuhalten. Ludwig, immer der Gentleman, hörte respektvoll zu und sagte höflich nein. Der zweite Anruf kam von Richter Roland, einem alten Freund von mir. Allem Anschein nach haben ihn die Jungs von White and Blazevich vom Esstisch weggeholt und darum gebeten, noch heute abend eine Verhandlung anzusetzen und eine einstweilige Verfügung zu erlassen. Richter Roland hörte ziemlich respektlos zu und sagte unhöflich nein.«
«Also bringen wir das Ding!«rief Krauthammer.