172630.fb2 Die Akte - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 44

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DREIUNDVIERZIG

Der Start ging glatt vonstatten, und der Jet flog westwärts, angeblich nach Denver. Er war angemessen, aber keinesfalls luxuriös ausgestattet; schließlich gehörte er den Steuerzahlern und stand einem Mann zur Verfügung, der sich nicht viel aus den feineren Dingen des Lebens machte. Kein guter Whisky, stellte Gray fest, als er in den Schränken nachsah. Voyles war Abstinenzler, und das ärgerte Gray in diesem Moment — er war Gast an Bord und hatte großen Appetit auf einen Drink. Er fand zwei halbgekühlte Sprite im Kühlschrank und gab eine davon Darby.

Der Jet schien seine Flughöhe erreicht zu haben. Der Kopilot erschien an der Kabinentür. Er war höflich und stellte sich vor.

«Uns wurde gesagt, dass Sie uns kurz nach dem Start ein neues Ziel nennen würden.«

«Stimmt«, sagte Darby.

«Gut. In ungefähr zehn Minuten müssen wir es wissen.«

«Okay.«

«Gibt es in diesem Ding irgendwo etwas Alkoholisches?«fragte Gray.

«Nein. Tut mir leid. «Der Kopilot lächelte und kehrte ins Cockpit zurück.

Darby und ihre langen Beine nahmen den größten Teil der kleinen Couch ein, aber er war entschlossen, neben ihr Platz zu finden. Er hob ihre Füße an und setzte sich ans Ende. Sie lagen auf seinem Schoß. Rote Zehennägel. Er streichelte ihre Knöchel und dachte an nichts anderes als an dieses große Ereignis dass er ihre Füße hielt. Für ihn war das etwas sehr Intimes, aber ihr schien es nichts auszumachen. Sie lächelte jetzt sogar ein wenig, entspannte sich. Es war vorbei.

«Haben Sie Angst gehabt?«fragte er.

«Ja. Und Sie?«

«Ja, aber ich fühlte mich gleichzeitig sicher. Ich meine, es ist schwierig, sich gefährdet vorzukommen, wenn man von sechs bewaffneten Männern umgeben ist. Und es ist schwierig, in einem fensterlosen Transporter das Gefühl zu haben, dass man beobachtet wird.«

«Voyles hat es Spaß gemacht, meinen Sie nicht auch?«

«Er war wie Napoleon, machte Pläne und befehligte seine Truppen. Für ihn war es ein großer Augenblick. Morgen früh wird er unter Beschuss geraten, aber es wird von ihm abprallen. Der einzige Mensch, der ihn entlassen kann, ist der Präsident, und ich würde sagen, er kann Voyles im Moment nichts anhaben.«

«Und die Morde sind aufgeklärt. Ihm muss sehr wohl sein in seiner Haut.«

«Ich glaube, wir haben seine Amtszeit um zehn Jahre verlängert. Ausgerechnet wir!«

«Ich glaube, er ist tüchtig«, sagte Darby.»Anfangs mochte ich ihn nicht, aber irgendwie nimmt er einen für sich ein. Als er von Verheek sprach, sah ich eine Spur von Feuchtigkeit in seinen Augen.«

«Ein reizender Mensch. Ich bin sicher, Fletcher Coal wird entzückt sein, wenn dieser nette kleine Mann in ein paar Stunden bei ihm aufkreuzt.«

Ihre Füße waren lang und schlank. Einfach perfekt. Er streichelte den Spann und kam sich vor wie ein Schuljunge, der bei der zweiten Verabredung vom Knie aus höher vordringt. Sie waren blass und brauchten Sonne, und er wusste, sie würden in wenigen Tagen braun sein, und zwischen den Zehen würde sich Sand festgesetzt haben. Sie hatte ihn nicht eingeladen, sie später zu besuchen, und das beunruhigte ihn. Er hatte keine Ahnung, wohin sie wollte, und das war Absicht. Vielleicht wusste sie selbst noch nicht, wo sie landen würde.

Das Spiel mit den Füßen erinnerte sie an Thomas. Jetzt, in dem leise dröhnenden und leicht vibrierenden Jet, war er plötzlich viele Meilen von ihr entfernt. Er war erst seit zwei Wochen tot, aber es kam ihr viel länger vor. So vieles hatte sich verändert. Es war besser so. Wenn sie noch in Tulane wäre, an seinem Büro vorbeigehen, seinen Hörsaal sehen, mit anderen Professoren reden, von der Straße aus zu seiner Wohnung hinaufschauen würde, dann wäre das fürchterlich aufwühlend. Auf lange Sicht sind die kleinen Erinnerungen angenehm, aber in der Zeit des Trauerns stehen sie im Wege. Sie war jetzt ein anderer Mensch, mit einem anderen Leben an einem anderen Ort.

Und ein anderer Mann streichelte ihre Füße. Anfangs war er eine Pest gewesen, arrogant und aufdringlich, ein typischer Reporter. Aber er war sehr schnell aufgetaut, und unter der zynischen Schale war ein warmherziger Mann zum Vorschein gekommen, der sie offensichtlich sehr gern hatte.

«Morgen ist ein großer Tag für Sie«, sagte sie.

Er trank einen Schluck Sprite. Er hätte ein kleines Vermögen bezahlt für ein eiskaltes Importbier in einer grünen Flasche.»Großer Tag«, sagte er, die Zehen bewundernd. Es würde mehr sein als nur ein großer Tag, aber er hatte das Gefühl, es herunterspielen zu müssen. In diesem Augenblick galten seine Gedanken ihr, nicht dem Chaos des morgigen Tages.

«Was wird passieren?«fragte sie.

«Ich werde wohl in die Redaktion zurückkehren und darauf warten, dass die Bombe einschlägt. Smith Keen hat gesagt, er würde die ganze Nacht dort sein. Eine Menge Leute werden sehr früh kommen. Wir versammeln uns im Konferenzraum, und weitere Fernseher werden hereingebracht. Wir verbringen den

Vormittag damit, zuzusehen, was sich tut. Es wird ein Mordsspaß sein, die offizielle Stellungnahme des Weißen Hauses zu hören. White and Blazevich werden etwas von sich geben. Bei Mattiece bin ich da nicht so sicher. Von Runyan wird ein Kommentar kommen. Voyles wird eine große Rolle spielen. Die Anwälte werden Geschworenengerichte einberufen. Und bei den Politikern wird das ganz große Flattern anfangen. Sie werden den ganzen Tag über auf dem Capitol Hill Pressekonferenzen abhalten. Es wird ein Tag werden, an dem eine wichtige Nachricht auf die andere folgt. Schade, dass Sie das verpassen werden.«

Sie gab ein sarkastisches kleines Schnauben von sich.»Was wird Ihre nächste Story sein?«

«Wahrscheinlich Voyles und sein Tonband. Es ist damit zu rechnen, dass das Weiße Haus jede Einmischung bestreitet, und wenn für Voyles die Tinte zu heiß wird, schlägt er zurück. Ich möchte dieses Band haben.«

«Und danach?«

«Das hängt davon ab, wie sich die Dinge entwickeln. Nach sechs Uhr morgen früh haben wir die Konkurrenz auf dem Hals. Es wird eine Million Gerüchte und tausend Stories geben, und jede Zeitung im Lande wird mitmischen wollen.«

«Aber Sie werden der Star sein«, sagte sie bewundernd, aber nicht sarkastisch.

«Ja, ich werde meine Viertelstunde haben.«

Der Kopilot klopfte und öffnete die Tür. Er sah Darby an.

«Atlanta«, sagte sie, und er machte die Tür wieder zu.

«Warum Atlanta?«fragte Gray.

«Sind Sie schon einmal in Atlanta umgestiegen?«

«Natürlich.«

«Haben Sie sich beim Umsteigen in Atlanta schon einmal verlaufen?«»Ich glaube, ja.«

«Plädoyer beendet. Der Flughafen ist riesig und herrlich überfüllt.«

Er leerte die Dose und stellte sie auf den Boden.»Und wohin von dort aus?«Er wusste, dass er nicht fragen sollte, weil sie es ihm nicht von sich aus gesagt hatte. Aber er wollte es wissen.

«Ich fliege so schnell wie möglich irgendwohin. Auf die übliche Tour mit Tickets zu vier verschiedenen Flughäfen. Es ist wahrscheinlich unnötig, aber ich fühle mich dabei sicherer. Zum Schluss werde ich irgendwo in der Karib ik landen.«

Irgendwo in der Karibik. Das engte es auf an die tausend Inseln ein. Weshalb war sie so vage? Vertraute sie ihm nicht? Er saß da und spielte mit ihren Füßen, und sie wollte ihm nicht verraten, wohin sie reiste.

«Was soll ich Voyles sagen?«

«Ich rufe Sie an, wenn ich angekommen bin. Vielleicht schreibe ich auch ein paar Zeilen.«

Großartig! Sie würden Brieffreunde sein. Er konnte ihr seine Stories schicken, und sie schickte ihm Ansichtskarten vom Strand.

«Wollen Sie sich vor mir verstecken?«fragte er und sah sie dabei an.

«Ich weiß noch nicht, wo ich landen werde, Gray. Das ergibt sich erst, wenn ich dort bin.«

«Aber Sie werden anrufen?«

«Ja, irgendwann. Ich verspreche es.«

Um elf Uhr abends waren nur noch fünf Anwälte von White and Blazevich im Hause, und sie saßen im Büro von Marty Velmano im zehnten Stock. Velmano, Sims Wakefield, Jarreld Schwabe, Nathaniel (Einstein) Jones und ein bereits im Ruhestand befindlicher Partner namens Frank Cortz. Auf

Velmanos Schreibtisch standen zwei Flaschen Scotch. Die eine war ganz leer, die andere fast. Einstein hockte allein in einer Ecke und murmelte vor sich hin. Er hatte wirres, struppiges graues Haar und eine spitze Nase und sah in der Tat verrückt aus. Besonders jetzt. Sims Wakefield und Jarreld Schwabe saßen vor dem Schreibtisch, ohne Krawatte und mit aufgekrempelten Hemdsärmeln.

Cortz beendete ein Telefongespräch mit einem Mitarbeiter von Victor Mattiece. Er übergab Velmano das Telefon, der es auf den Schreibtisch stellte.

«Das war Strider«, berichtete Cortz.»Sie sind in Kairo in der Penthouse-Suite irgendeines Hotels. Mattiece will nicht mit uns reden. Strider sagt, er ist übergeschnappt und benimmt sich höchst merkwürdig. Er hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen und denkt natürlich nicht daran, auf diese Seite des Ozeans zurückzukehren. Strider hat gesagt, sie hätten die Jungs mit den Kanonen angewiesen, sofort aus der Stadt zu verschwinden. Die Jagd ist abgeblasen. Die Katze ist aus dem Sack.«

«Und was tun wir jetzt?«fragte Wakefield.

«Wir sind auf uns allein gestellt«, sagte Cortz.»Mattiece will von uns nichts mehr wissen.«

Sie redeten ruhig und bedächtig. Das Anschreien hatte Stunden zuvor aufgehört. Wakefield hatte Velmano wegen des Memos Vorwürfe gemacht. Velmano gab Cortz die Schuld, weil er der Firma einen derart anrüchigen Mandanten zugeführt hatte. Das war vor zwölf Jahren, krächzte Cortz zurück, und seither haben wir seine dicken Honorare gern eingesteckt. Schwabe gab Velmano und Wakefield die Schuld, weil sie mit dem Memo so unvorsichtig umgegangen waren. Sie zogen Morgan wieder und wieder durch den Dreck. Nur er konnte es gewesen sein. Einstein saß in der Ecke und beobachtete sie. Aber das alles lag jetzt hinter ihnen.

«Grantham hat nur mich und Sims erwähnt«, sagte Velmano.»Ihr anderen dürftet in Sicherheit sein.«

«Weshalb verschwinden Sie und Sims nicht einfach aus dem Land?«fragte Schwabe.

«Ich bin morgen früh um sechs in New York«, sagte Velmano.»Dann nach Europa für einen Monat von Ort zu Ort.«

«Ich kann nicht verschwinden«, sagte Wakefield.»Ich habe eine Frau und sechs Kinder.«

Sie hatten sich jetzt fünf Stunden sein Gejammer wegen seiner sechs Kinder anhören müssen. Als ob sie keine Familien hätten Velmano war geschieden, und seine beiden Kinder waren erwachsen. Sie konnten damit fertig werden. Und er konnte damit fertig werden. Es war ohnehin Zeit, in den Ruhestand zu treten. Er hatte massenhaft Geld beiseite geschafft, und er liebte Europa, vor allem Spanien, deshalb hieß es für ihn adios. Irgendwie tat Wakefield ihm leid, der erst zweiundvierzig war und nicht sonderlich viel Geld besaß. Er verdiente gut, aber seine Frau war eine Verschwenderin, die versessen war auf Kinder. Wakefield war ziemlich verstört.

«Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte Wakefield zum dreißigsten Mal.»Ich weiß es einfach nicht.«

Schwabe versuchte, ihm ein bisschen zu helfen.»Ich finde, Sie sollten es Ihrer Frau sagen. Ich habe keine, aber wenn ich eine hätte, würde ich versuchen, sie darauf vorzubereiten.«

«Das kann ich nicht«, sagte Wakefield kläglich.

«Natürlich können Sie das. Sie können es ihr entweder jetzt sagen oder sechs Stunden warten, bis sie Ihr Foto auf der Titelseite der Post sieht. Sie müssen es ihr sagen, Sims.«

«Das kann ich nicht. «Er weinte beinahe.

Schwabe sah Velmano und Cortz an.

«Und was wird aus meinen Kindern?«fragte Wakefield.»Mein ältester Sohn ist dreizehn. «Er rieb sich die Augen.

«Nicht nervös werden, Sims. Nehmen Sie sich zusammen«, sagte Cortz.

Einstein stand auf und ging zur Tür.»Ich fahre in mein Haus in Florida. Rufen Sie nicht an, wenn es nicht unbedingt sein muss. «Er ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

Wakefield erhob sich matt und steuerte auf die Tür zu.

«Wo wollen Sie hin, Sims?«fragte Schwabe.

«In mein Büro.«

«Weshalb?«

«Ich muss mich eine Weile hinlegen. Sonst ist alles okay.«

«Ich kann Sie heimfahren«, sagte Schwabe. Sie musterten ihn eingehend. Er öffnete die Tür.

«Das ist nicht nötig«, sagte er, und er hörte sich kräftiger an. Er ging und machte die Tür hinter sich zu.

«Glauben Sie, dass mit ihm alles in Ordnung ist?«fragte Schwabe Velmano.

«Nein, das glaube ich nicht«, sagte Velmano.»Wir haben alle schon bessere Tage gehabt. Vielleicht sollten Sie in ein paar Minuten nachsehen, wie es ihm geht.«

«Das werde ich tun«, sagte Schwabe.

Wakefield steuerte zielstrebig auf die Treppe zu und ging eine Etage tiefer in den neunten Stock. Als er sich seinem Büro näherte, beschleunigte er seine Schritte. Er weinte, als er die Tür hinter sich abschloss.

Tu es schnell! Vergiss den Abschiedsbrief. Wenn du ihn schreibst, redest du dich nur selbst aus der Sache heraus. In der Lebensversicherung steckt eine Million. Er öffnete eine Schreibtischschublade. Denk nicht an die Kinder. Es würde dasselbe sein, wie wenn er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen wäre. Er zog die.38er unter einer Akte hervor. Tue es schnell! Schau nicht zu ihren Fotos an der Wand.

Vielleicht würden sie es eines Tages verstehen. Er steckte sie tief in den Mund und zog den Abzug durch.

Die Limousine kam vor dem zweigeschossigen Haus in Dumbarton Oaks, einem Teil von Georgetown, zum Stehen. Sie blockierte die Straße, aber das machte nichts, denn es war zwanzig Minuten nach Mitternacht, und es gab keinen Verkehr. Voyles und zwei Agenten stiegen aus dem Fond des Wagens und gingen rasch auf die Haustür zu. Voyles hatte eine Zeitung in der Hand. Er hämmerte mit der Faust gegen die Tür.

Coal schlief nicht. Er saß im Dunkeln in seinem Arbeitszimmer, in Pyjama und Bademantel, was Voyles sehr freute, als er an die Tür kam.

«Hübscher Pyjama«, sagte Voyles, seine Hose bewundernd.

Coal trat auf die winzige Betonveranda heraus. Die beiden Agenten schauten von dem schmalen Gehsteig aus zu.»Was zum Teufel wollen Sie?«fragte er langsam.

«Ich wollte Ihnen nur das hier bringen«, sagte Voyles und hielt ihm die Zeitung vors Gesicht.»Da ist ein hübsches Bild von Ihnen, direkt neben dem Präsidenten, wie er Mattiece umarmt. Ich weiß, wie sehr Sie Zeitungen lieben, deshalb dachte ich, ich sollte Ihnen eine bringen.«

«Morgen wird Ihr Gesicht darin sein«, sagte Coal, als hätte er die Story bereits geschrieben.

Voyles warf ihm die Zeitung vor die Füße und wendete sich zum Gehen.»Ich habe ein paar Tonbänder, Coal. Wenn Sie anfangen zu lügen, ziehe ich Ihnen in aller Öffentlichkeit die Hose runter.«

Coal starrte ihn an, sagte aber nichts.

Voyles hatte die Straße fast erreicht.»In zwei Tagen komme ich mit einer Vorladung wieder«, brüllte er.»Ich komme gegen zwei Uhr nachts und übergebe sie Ihnen selbst. «Er war beim

Wagen angekommen.»Als nächstes bringe ich dann die Anklage. Natürlich wird Ihr Arsch bis dahin Geschichte sein, und der Präsident wird einen anderen Haufen Idioten haben, die ihm sagen, was er tun soll. «Er verschwand in der Limousine, und sie brauste davon.

Coal hob die Zeitung auf und ging ins Haus.