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Ohne den Hörer von der Schulter zu nehmen, drückte Fletcher Coal auf einen weiteren Knopf an dem Telefon auf dem Schreibtisch im Oval Office. Drei Lämpchen blinkten bereits, wartende Gesprächspartner. Er wanderte langsam vor dem Schreibtisch herum und hörte zu, während er einen zweiseitigen Bericht von Justizminister Horton überflog. Er ignorierte den Präsidenten, der geduckt vor einem der Fenster stand, mit behandschuhten Händen seinen Golfschläger umklammerte, zuerst den gelben Ball anstarrte und dann den Blick langsam. über den blauen Teppich zu dem drei Meter entfernten Messingloch wandern ließ. Coal knurrte etwas in den Hörer. Der Präsident, der den Ball leicht anschlug und zusah, wie er exakt in das Loch rollte, bekam nichts davon mit. Das Loch klickte und leerte sich selbst, und der Ball rollte einen Meter zur Seite. Der Präsident rückte auf Strümpfen an den nächsten Ball heran; er war orange. Er tippte ihn an, und der Ball rollte direkt ins Loch. Acht hintereinander. Siebenundzwanzig von dreißig.
«Das war Chief Runyan«, sagte Coal und knallte den Hörer auf die Gabel.»Er ist ziemlich aufgeregt. Er möchte Sie heute nachmittag sprechen.«
«Sagen Sie ihm, er soll warten, bis er dran ist.«
«Ich habe ihm gesagt, er soll morgen früh um zehn kommen. Halb elf haben Sie eine Kabinettssitzung und um halb zwölf den Nationalen Sicherheitsrat.«
Ohne aufzusehen, packte der Präsident den Schläger wieder fester und betrachtete den nächsten Ball.»Ich kann es gar nicht erwarten. Was ist mit den Umfragen?«Er holte bedächtig aus und ließ den Ball nicht aus den Augen.
«Ich habe gerade mit Nellson gesprochen. Er hat zwei durchgeführt, die erste am Mittag. Der Computer verdaut sie gerade, aber er meint, die Zustimmungsrate dürfte irgendwo in der Nähe von zweiundfünfzig oder dreiundfünfzig Prozent liegen.«
Der Golfspieler schaute kurz auf und lächelte, dann kehrte er zu seinem Spiel zurück.»Wo lag sie vorige Woche?«
«Bei vierundvierzig. Es war die Strickjacke ohne Krawatte. Genau, wie ich gesagt habe.«
«Ich dachte, es wären fünfundvierzig gewesen«, sagte der Präsident, während er einen gelben Ball anschlug und zusah, wie er genau ins Loch rollte.
«Sie haben recht. Fünfundvierzig.«
«Das ist das höchste seit…«
«Elf Monaten. Seit Flug 402 im November vorigen Jahres sind wir nicht mehr über fünfzig gewesen. Das ist eine wunderbare Krise, Chef. Die Leute sind schockiert, aber viele sind selig darüber, dass Rosenberg tot ist. Und Sie sind der Mann in der Mitte. Einfach wunderbar. «Coal drückte auf einen der blinkenden Knöpfe und griff wieder nach dem Hörer. Dann knallte er ihn wieder auf die Gabel, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Er rückte seine Krawatte zurecht und knöpfte sein Jackett zu.
«Es ist halb sechs, Chef. Voyles und Gminski warten.«
Der Präsident schlug und beobachtete den Ball. Er rollte zwei Zentimeter zu weit nach rechts, und er verzog das Gesicht.»Sie sollen ruhig warten. Wir halten morgen früh um neun eine Pressekonferenz ab. Ich nehme Voyles mit, aber er muss den Mund halten. Und hinter mir stehen. Ich liefere ein paar weitere Details und beantworte ein paar Fragen. Die Fernsehstationen werden sie bestimmt live übertragen, meinen Sie nicht auch?«
«Natürlich. Gute Idee. Ich werde es veranlassen.«
Der Präsident zog die Handschuhe aus und warf sie in eine
Ecke.»Holen Sie sie herein. «Er lehnte seinen Schläger an die Wand und schlüpfte in seine Bally-Schuhe. Wie gewöhnlich hatte er sich seit dem Frühstück sechsmal umgezogen und trug jetzt einen zweireihigen Glencheck-Anzug mit einer rot und blau gepunkteten Krawatte. Amtstracht. Das Jackett hing an einem Ständer neben der Tür. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und betrachtete stirnrunzelnd einige Papiere. Er nickte Voyles und Gminski zu, stand aber nicht auf und bot ihnen auch nicht die Hand. Sie ließen sich auf der anderen Seite des Schreibtisches nieder, und Coal nahm seine übliche Haltung ein, wie ein Wachtposten, der es nicht abwarten kann, drauflos zu schießen. Der Präsident griff sich an den Nasenrücken, als hätten die Strapazen des Tages eine Migräne ausgelöst.
«Das war ein langer Tag, Mr. President«, sagte Bob Gminski, um das Eis zu brechen. Voyles sah zum Fenster hinaus.
Coal nickte, und der Präsident sagte:»Ja, Bob. Ein sehr langer Tag. Und ich habe heute abend ein Essen mit ein paar Äthiopiern, also wollen wir es kurz machen. Fangen wir mit Ihnen an, Bob. Wer hat sie umgebracht?«
«Ich weiß es nicht, Mr. President. Aber ich versichere Ihnen — wir hatten damit nichts zu tun.«
«Ihr Ehrenwort, Bob?«Er hörte sich fast flehentlich an.
Gminski hob die rechte Hand so, dass die Handfläche dem Schreibtisch zugewendet war.»Ich schwöre es. Beim Grabe meiner Mutter.«
Coal nickte beifällig, als ob er ihm glaubte und als ob es auf seine Zustimmung ankäme.
Der Präsident richtete den Blick auf Voyles, dessen gedrungene Figur den Stuhl ausfüllte und nach wie vor mit einem formlosen Trenchcoat bekleidet war. Der Direktor kaute langsam auf seinem Gummi herum und musterte den Präsidenten verächtlich.
«Ballistik? Autopsie?«
«Habe ich«, sagte Voyles und öffnete seinen Aktenkoffer.
«Lassen Sie hören. Die Berichte lese ich später.«
«Die Waffe war ein kleines Kaliber, vermutlich eine.22er. Wurde, den Pulverspuren nach zu urteilen, auf Rosenberg und den Pfleger aus allernächster Nähe abgeschossen. Bei Ferguson wissen wir es nicht genau, aber die Entfernung dürfte nicht mehr als dreißig Zentimeter betragen haben. Schließlich waren wir bei der Schießerei nicht zugegen. Drei Kugeln in jeden Kopf. Aus dem von Rosenberg haben sie zwei herausgeholt, die dritte wurde in seinem Kopfkissen gefunden. Allem Anschein nach haben er und der Pfleger geschlafen. Der gleiche Patronentyp, die gleiche Waffe, offensichtlich der gleiche Schütze. Eingehende Autopsieberichte sind noch in Arbeit, aber es gab keine Überraschungen. Schließlich sind die Todesursachen eindeutig.«
«Fingerabdrücke?«
«Keine. Wir suchen noch, aber es war sehr saubere Arbeit. Es sieht so aus, als hätte er nichts hinterlassen als die Projektile und die Leichen.«
«Wie ist er ins Haus gekommen?«
«Keinerlei Anzeichen für gewaltsames Eindringen. Ferguson durchsuchte das Haus, als Rosenberg gegen fünf ankam. Routinemaßnahme. Er hat zwei Stunden später seinen schriftlichen Bericht abgeliefert; demzufolge hat er im Obergeschoss zwei Schlafzimmer, ein Bad und drei Schränke inspiziert und außerdem sämtliche Räume unten und natürlich nichts gefunden. Erklärt, er hätte alle Türen und Fenster überprüft. Rosenbergs Anweisungen entsprechend blieben unsere Leute draußen, und sie schätzen, dass Fergusons VierUhr-Inspektion drei bis vier Minuten dauerte. Ich vermute, dass der Killer bereits in einem Versteck wartete, als der Richter zurückkehrte und Ferguson durchs Haus ging.«
«Warum?«wollte Coal wissen.
Voyles’ rote Augen musterten den Präsidenten und ignorierten den Mann, der für ihn die Schmutzarbeit tat.»Dieser Mann ist offenbar überaus tüchtig. Er tötete einen Richter des Obersten Bundesgerichts — vielleicht sogar zwei — und hinterließ nicht die geringste Spur. Ein Profikiller, vermute ich. Das Eindringen ins Haus wäre für ihn kein Problem gewesen, und Fergusons flüchtiger Inspektion zu entgehen, gleichfalls nicht. Er ist vermutlich sehr geduldig. Er wäre nicht das Risiko eingegangen, ins Haus zu kommen, solange sich jemand darin befand und Polizisten in der Nähe waren. Ich nehme an, dass er irgendwann im Laufe des Nachmittags eingedrungen ist und dann einfach gewartet hat, vielleicht in einem Schrank im Obergeschoss oder auf dem Dachboden. Wir haben auf dem Fußboden unter der ausziehbaren Treppe zwei Stückchen Isoliermaterial vom Dach gefunden, was darauf hindeutet, dass die Treppe erst kürzlich benutzt wurde.«
«Wo er sich versteckt hat, spielt keine Rolle«, sagte der Präsident.»Er wurde nicht entdeckt.«
«So ist es. Uns war es nicht gestattet, das Haus zu durchsuchen, verstehen Sie?«
«Ich verstehe, dass er tot ist. Was ist mit Jensen?«
«Der ist auch tot. Gebrochenes Genick, erdrosselt mit einem Stück Nylonseil, das man in jedem Haushaltswarengeschäft kaufen kann. Die Gerichtsmediziner bezweifeln, dass er an dem Genickbruch gestorben ist. Sie sind ziemlich sicher, dass es das Seil war, das ihn umbrachte. Keine Fingerabdrücke. Keine Zeugen Das ist nicht die Art Etablissement, wo Zeugen angestürmt kommen, also habe ich auch nicht damit gerechnet, welche zu finden. Der Tod ist ungefähr um halb eins eingetreten. Der zeitliche Abstand zwischen den Morden beträgt zwei Stunden.«
Der Präsident machte sich Notizen.»Wann hat Jensen seine Wohnung verlassen?«
«Das wissen wir nicht. Wie Sie wissen, mussten wir auf dem Parkplatz bleiben. Wir haben ihn gegen achtzehn Uhr nach Hause begleitet und dann sieben Stunden lang das Gebäude bewacht, bis wir erfuhren, dass er in einem Schwulenkino erdrosselt wurde. Wir haben uns natürlich an seine Anweisungen gehalten. Er hat sich im Wagen eines Freundes aus dem Staub gemacht, den wir zwei Blocks von dem Kino entfernt gefunden haben.«
Coal trat mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zwei Schritte vor.»Direktor, glauben Sie, dass beide von ein und demselben Mörder umgebracht wurden?«
«Woher zum Teufel soll ich das wissen? Die Leichen sind noch warm. Lassen Sie uns ein bisschen Zeit. Im Augenblick haben wir herzlich wenig. Keine Zeugen, keine Fingerabdrücke, keine Schnitzer. Es braucht Zeit, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Es könnte ein und derselbe Mann gewesen sein. Ich weiß es nicht. Es ist noch zu früh.«
«Aber Sie haben doch bestimmt Ihre Vermutungen«, sagte der Präsident.
Voyles schwieg einen Moment und schaute aus dem Fenster.»Möglicherweise war es ein und derselbe Killer, aber dann muss er Superman höchstpersönlich sein. Wahrscheinlicher ist, dass es zwei oder drei waren, aber auf jeden Fall müssen sie eine Menge Hilfe gehabt haben. Irgend jemand hat ihnen eine Menge Informationen geliefert.«
«Zum Beispiel?«
«Zum Beispiel, wie oft Jensen ins Kino geht, wo er sitzt, wann er dorthin geht, ob er allein geht, ob er sich mit einem Freund trifft. Informationen, über die wir nicht verfügen. Und was Rosenberg betrifft — jemand muss gewusst haben, dass es in seinem kleinen Haus keine Alarmanlage gibt, dass unsere Leute draußen bleiben mussten, dass Ferguson um zehn eintraf und um sechs wieder ging und dass er im Hinterhof sitzen musste, dass… «
«Das alles haben Sie gewusst«, unterbrach ihn der Präsident.
«Natürlich haben wir das gewusst. Aber ich versichere Ihnen, wir haben unser Wissen mit niemandem geteilt. «Der Präsident warf einen schnellen Verschwörerblick auf Coal, der sich, tief in Gedanken versunken, am Kinn kratzte.
Voyles räkelte sich im Sessel und bedachte Gminski mit einem Lächeln, als wollte er sagen,»Tun wir ihnen den Gefallen.«
«Sie vermuten eine Verschwörung«, sagte Coal verständnisvoll mit gerunzelten Brauen.
«Ich vermute überhaupt nichts. Ich erkläre Ihnen, Mr. Coal, und Ihnen, Mr. President, jawohl, eine große Zahl von Leuten hat ihren Teil zu den Morden beigetragen. Vielleicht war es nur ein Killer, vielleicht auch zwei, aber sie hatten eine Menge Hilfe. Es geschah zu schnell und sauber und war zu gut organisiert.«
Coal schien zufriedengestellt. Er richtete sich auf und verschränkte wieder die Hände hinter dem Rücken.
«Wer also sind diese Verschwörer?«fragte der Präsident.»Wen verdächtigen Sie?«
Voyles holte tief Luft und räkelte sich abermals. Er machte seinen Aktenkoffer zu und stellte ihn neben seine Füße.»Wir haben keinen Hauptverdächtigen, jedenfalls im Moment noch nicht, nur ein paar gute Möglichkeiten. Und das muss geheim bleiben.«
Coal tat einen Schritt näher heran.»Natürlich ist das vertraulich«, fuhr er Voyles an.»Sie befinden sich im Oval Office.«
«Ich bin schon sehr oft hier gewesen. Ich war sogar schon hier, als Sie, Mr. Coal, noch mit feuchten Windeln herumliefen. Es gibt Dinge, die haben ihre eigene Art durchzusickern.«
«Ich glaube, bei Ihnen sickert auch einiges durch«, sagte Coal.
Der Präsident hob die Hand.»Es ist vertraulich, Denton. Sie haben mein Wort darauf. «Coal trat einen Schritt zurück.
Voyles musterte den Präsidenten.»Die Sitzungsperiode des Gerichts begann am Montag, wie Sie wissen, und die Verrückten sind seit mehreren Tagen in der Stadt. Im Lauf der letzten beiden Wochen haben wir verschiedene Organisationen überwacht. Wir wissen von mindestens elf Angehörigen der Underground Army, die sich seit einer Woche im Gebiet von D.C. aufhalten. Ein paar von ihnen haben wir heute verhört und dann wieder freigelassen. Wir wissen, dass die Organisation die erforderlichen Mittel hat. Im Augenblick ist sie unser Hauptverdächtiger. Aber das kann sich morgen ändern.«
Coal war nicht beeindruckt. Die Underground Army stand auf jedermanns Liste.
«Ich habe von ihr gehört«, sagte der Präsident dümmlich.
«So. Natürlich. Sie macht viel von sich reden. Wir glauben, dass sie in Texas einen Richter ermordet hat, aber wir können es nicht beweisen. Wir verdächtigen sie bei mindestens hundert Bombenanschlägen auf Abtreibungskliniken, AGLU-Büros, Pornokinos und Schwulenklubs überall im Lande. Genau die Leute, die Rosenberg und Jensen hassen würden.«
«Noch weitere Verdächtige?«fragte Coal.
«Da ist eine Ariergruppe, die sich White Resistance nennt; wir beobachten sie seit zwei Jahren. Sie operiert von Idaho und Oregon aus. Ihr Anführer hat vorige Woche in West Virginia eine Rede gehalten und hält sich seit ein paar Tagen hier auf. Er wurde am Montag bei der Demonstration vor dem Obersten Gericht gesehen. Wir werden versuchen, morgen mit ihm zu reden.«
«Aber sind diese Leute Profikiller?«fragte Coal.
«Sie geben schließlich keine Anzeigen auf. Ich bezweifle, dass irgendeine Gruppe das Töten selbst besorgt. Sie heuern die Mörder an und leisten selbst nur die Vorarbeiten.«
«Also wer sind die Mörder?«fragte der Präsident.
«Es kann durchaus sein, dass wir das nie herausbekommen.«
Der Präsident stand auf und streckte die Beine. Wieder einmal ein harter Tag im Amt. Er lächelte über den Schreibtisch hinweg auf Voyles herab.»Sie haben eine schwere Aufgabe. «Er war die Großvaterstimme, voller Wärme und Verständnis.
«Ich beneide Sie nicht darum. Wenn möglich, möchte ich täglich um siebzehn Uhr einen zweiseitigen, maschinegeschriebenen Bericht mit doppeltem Zeilenabstand über die Fortschritte der Untersuchung. Wenn sich etwas ergibt, möchte ich, dass Sie mich unverzüglich anrufen.«
Voyles nickte wortlos.
«Ich gebe morgen früh um neun eine Pressekonferenz. Es wäre mir lieb, wenn Sie dabei wären.«
Voyles nickte abermals wortlos. Sekunden vergingen, und niemand sagte etwas. Voyles stand geräuschvoll auf und schnallte den Gürtel seines Trenchcoats zu.»Also, dann gehen wir jetzt. Sie haben die Äthiopier und das alles. «Er händigte Coal den ballistischen und den Autopsiebericht aus — er wusste, dass der Präsident sie bestimmt nicht lesen würde.
«Danke für Ihr Kommen, Gentlemen«, sagte der Präsident herzlich. Coal machte die Tür hinter ihnen zu, und der Präsident griff nach seinem Golfschläger.»Ich esse nicht mit den Äthiopiern«, sagte er und betrachtete den Teppich und einen gelben Ball.
«Ich weiß. Ich habe bereits Ihre Entschuldigung übersandt. Dies ist eine schwere Krise, Mr. President, und man erwartet von Ihnen, dass Sie sich hier in diesem Büro aufhalten, umgeben von Ihren Beratern und hart arbeitend.«
Der Präsident holte aus, und der Ball rollte einwandfrei in das Loch.»Ich möchte mit Horton reden. Diese Nominierungen müssen Hand und Fuß haben.«
«Er hat eine Auswahlliste mit zehn Namen geschickt. Sieht recht gut aus.«
«Ich möchte konservative junge Weiße, die gegen Abtreibung, Pornographie, Schwule, Einschränkung des Waffenbesitzes, Rassenquoten und all diesen anderen Quatsch sind. «Er verfehlte einen Ball und streifte seine Schuhe ab.»Ich möchte Richter, die Rauschgift und Kriminelle hassen und Verfechter der Todesstrafe sind. Haben Sie verstanden?«
Coal war am Telefon, tastete Nummern ein und nickte seinem Boss zu. Er würde die Kandidaten auswählen und dann den Präsidenten überreden.
K. O. Lewis saß neben dem Direktor im Fond der Limousine, die das Weiße Haus verließ und durch den Feierabendverkehr kroch. Voyles hatte nichts zu sagen. In den ersten Stunden nach der Tragödie war die Presse brutal gewesen. Die Aasgeier kreisten. Nicht weniger als drei Unterausschüsse des Kongresses hatten bereits Anhörungen und Untersuchungen der Morde angekündigt. Und die Leichen waren noch warm. Die Politiker waren wie berauscht und kämpften um einen Platz im Rampenlicht. Eine unverantwortliche Pressemeldung jagte die andere. Senator Larkin aus Ohio hasste Voyles, und Voyles hasste Senator Larkin aus Ohio, und drei Stunden zuvor hatte der Senator eine Pressekonferenz einberufen und verkündet, sein Unterausschuss würde unverzüglich mit der Untersuchung des Schutzes beginnen, den das FBI den beiden toten Richtern hatte zukommen lassen. Aber Larkin hatte eine Freundin, eine ziemlich junge, und das FBI hatte einige Fotos, und Voyles war zuversichtlich, dass die Untersuchung verschoben werden konnte.
«Wie geht’s dem Präsidenten?«fragte Lewis schließlich.
«Welchem?«
«Nicht Coal. Dem anderen.«
«Gut. Wirklich gut. Natürlich hat Rosenbergs Tod ihn sehr mitgenommen.«
«Natürlich.«
Sie fuhren schweigend weiter in Richtung Hoover Building. Es würde eine lange Nacht werden.
«Wir haben einen neuen Verdächtigen«, sagte Lewis schließlich.
«Erzählen Sie.«
«Einen Mann namens Nelson Muncie.«
Voyles schüttelte den Kopf.»Nie von ihm gehört.«
«Ich auch nicht. Es ist eine lange Geschichte.«
«Geben Sie mir die Kurzfassung.«
«Muncie ist ein sehr reicher Industrieller aus Florida. Vor sechzehn Jahren wurde seine Nichte von einem AfroAmerikaner namens Buck Tyrone vergewaltigt und ermordet. Das Mädchen war zwölf. Eine überaus brutale Vergewaltigung und ein ebenso brutaler Mord. Ich erspare Ihnen die Details. Muncie hat keine Kinder und betete seine Nichte an. Tyrone wurde in Orlando vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Er wurde schwer bewacht, weil es eine Menge Drohungen gegeben hatte. Ein paar jüdische Anwälte in einer großen New Yorker Firma legten alle nur denkbaren Berufungen ein, und 1984 landete der Fall beim Obersten Bundesgericht. Sie haben es bereits erraten: Rosenberg verliebt sich in Tyrone und verfasst eine im Grunde lächerliche, auf dem Fünften Verfassungszusatz beruhende Beweisführung, mit der er ein Geständnis für unzulässig erklärt, das der Punker eine Woche nach seiner Verhaftung abgelegt hatte. Ein achtseitiges Geständnis, von Tyrone selbst geschrieben. Kein Geständnis, kein Fall. Aufgrund von Rosenbergs Fünf-zu-Vier-Begründung wird das Urteil aufgehoben. Eine überaus kontroverse Entscheidung. Tyrone wird freigelassen. Zwei Jahre später verschwindet er und ist seither nicht mehr gesehen worden. Gerüchten zufolge hat Muncie dafür bezahlt, dass jemand Tyrone kastrierte, verstümmelte und den Haien zum Fraß vorwarf. Nur Gerüchte, sagen die Behörden in Florida. Und dann wird 1989 Tyrones wichtigster Anwalt, ein Mann namens Kaplan, vor seiner Wohnung in Manhattan niedergeschossen, anscheinend von einem Straßenräuber. Was für ein Zufall.«
«Von wem haben Sie das?«
«Florida hat mich vor zwei Stunden angerufen. Die Leute dort sind überzeugt, dass Muncie für die Beseitigung von Tyrone und seinem Anwalt eine Menge Geld gezahlt hat. Sie können es nur nicht beweisen. Sie haben einen zögerlichen, nicht identifizierten Informanten, der behauptet, Muncie zu kennen, und der ihnen erzählt hat, dass Muncie seit Jahren davon redet, Rosenberg umzubringen. Sie glauben, dass Muncie ein bisschen ausgerastet ist, seit seine Nichte ermordet wurde.«
«Wie viel Geld hat er?«
«Genug. Millionen. Genaueres weiß niemand. Er ist sehr verschwiegen. Florida ist überzeugt, dass er dazu imstande wäre.«
«Gehen wir der Sache nach. Hört sich interessant an.«
«Ich mache mich noch heute abend dran. Sind Sie sicher, dass Sie dreihundert Agenten auf den Fall ansetzen wollen?«
Voyles zündete sich eine Zigarre an und öffnete sein Fenster.»Ja, vielleicht sogar vierhundert. Wir müssen diesen Fall aufklären, bevor die Presse uns bei lebendigem Leibe auffrisst.«
«Das wird nicht leicht sein. Außer den Projektilen und dem Seil haben diese Kerle nichts hinterlassen.«
Voyles blies Rauch zum Fenster hinaus.»Ich weiß. Es ist fast zu perfekt.«